etwas von dem Meinigen zum Andencken, nebst 200. Thlr. vor gehabte Mühe und Rei- se-Kosten, imCoffrezurück gelassen. Lebet wohl, vergebet mir meinen Fehler, den ich als eineSclavindes Schicksals zu begehen, mich gezwungen sehe, und glaubet, daß aus- ser dem Zeit-Lebens verbleibet
eure danckbare Freundin Lucia N.
Jch hätte verzweifeln mögen, da ich diesen Brief, so zu sagen in einem Athem mehr als 10. mahl über- lesen hatte, die Post rückte angespannet vor die Thür, ich aber konte mich unmöglich resolviren, mit zu reisen, sondern blieb noch da, in Hoffnung, meine Geliebte auszuforschen, allein die Mühe war vergebens, über dieses, weil die Wirths-Leute ein heimliches Gespötte über meine Klagen trieben, so merckte ich gar bald, daß die Karte falsch gespielet worden, ärgerte mich zwar nicht wenig darüber, be- dachte aber doch letztlich, daß bey unveränderlichen Sachen die Vergessenheit das beste Mittel sey, und reisete gantz verwirrt in mein Geburts-Dorff, all- wo mich mein getreuer Vormund, der gute Pfarr- herr, durch vernünfftige Vorstellungen, endlich bald wieder zufrieden stellete. Meine Mutter war mittlerweile gestorben, zwey Schwestern sehr gut verheyrathet, die jüngste dienete beym Pfarrherrn, der Bruder aber, welcher ebenfalls geheyrathet, und bereits zwey Kinder gezeuget, hatte das väter- liche Haus angenommen, worauf mein Erbtheil noch stund, weil ich aber über 400. Thlr. Geld mit
brachte
etwas von dem Meinigen zum Andencken, nebſt 200. Thlr. vor gehabte Muͤhe und Rei- ſe-Koſten, imCoffrezuruͤck gelaſſen. Lebet wohl, vergebet mir meinen Fehler, den ich als eineSclavindes Schickſals zu begehen, mich gezwungen ſehe, und glaubet, daß auſ- ſer dem Zeit-Lebens verbleibet
eure danckbare Freundin Lucia N.
Jch haͤtte verzweifeln moͤgen, da ich dieſen Brief, ſo zu ſagen in einem Athem mehr als 10. mahl uͤber- leſen hatte, die Poſt ruͤckte angeſpannet vor die Thuͤr, ich aber konte mich unmoͤglich reſolviren, mit zu reiſen, ſondern blieb noch da, in Hoffnung, meine Geliebte auszuforſchen, allein die Muͤhe war vergebens, uͤber dieſes, weil die Wirths-Leute ein heimliches Geſpoͤtte uͤber meine Klagen trieben, ſo merckte ich gar bald, daß die Karte falſch geſpielet worden, aͤrgerte mich zwar nicht wenig daruͤber, be- dachte aber doch letztlich, daß bey unveraͤnderlichen Sachen die Vergeſſenheit das beſte Mittel ſey, und reiſete gantz verwirrt in mein Geburts-Dorff, all- wo mich mein getreuer Vormund, der gute Pfarr- herr, durch vernuͤnfftige Vorſtellungen, endlich bald wieder zufrieden ſtellete. Meine Mutter war mittlerweile geſtorben, zwey Schweſtern ſehr gut verheyrathet, die juͤngſte dienete beym Pfarrherrn, der Bruder aber, welcher ebenfalls geheyrathet, und bereits zwey Kinder gezeuget, hatte das vaͤter- liche Haus angenommen, worauf mein Erbtheil noch ſtund, weil ich aber uͤber 400. Thlr. Geld mit
brachte
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><floatingText><body><divtype="letter"><p><pbfacs="#f0368"n="354"/><hirendition="#fr">etwas von dem Meinigen zum Andencken,<lb/>
nebſt 200. Thlr. vor gehabte Muͤhe und Rei-<lb/>ſe-Koſten, im</hi><hirendition="#aq"><hirendition="#i">Coffre</hi></hi><hirendition="#fr">zuruͤck gelaſſen. Lebet<lb/>
wohl, vergebet mir meinen Fehler, den ich<lb/>
als eine</hi><hirendition="#aq"><hirendition="#i">Sclavin</hi></hi><hirendition="#fr">des Schickſals zu begehen,<lb/>
mich gezwungen ſehe, und glaubet, daß auſ-<lb/>ſer dem Zeit-Lebens verbleibet</hi></p><lb/><closer><salute><hirendition="#et">eure danckbare Freundin<lb/><hirendition="#aq">Lucia N.</hi></hi></salute></closer></div></body></floatingText><lb/><p>Jch haͤtte verzweifeln moͤgen, da ich dieſen Brief,<lb/>ſo zu ſagen in einem Athem mehr als 10. mahl uͤber-<lb/>
leſen hatte, die Poſt ruͤckte angeſpannet vor die<lb/>
Thuͤr, ich aber konte mich unmoͤglich <hirendition="#aq">reſolvir</hi>en,<lb/>
mit zu reiſen, ſondern blieb noch da, in Hoffnung,<lb/>
meine Geliebte auszuforſchen, allein die Muͤhe war<lb/>
vergebens, uͤber dieſes, weil die Wirths-Leute ein<lb/>
heimliches Geſpoͤtte uͤber meine Klagen trieben, ſo<lb/>
merckte ich gar bald, daß die Karte falſch geſpielet<lb/>
worden, aͤrgerte mich zwar nicht wenig daruͤber, be-<lb/>
dachte aber doch letztlich, daß bey unveraͤnderlichen<lb/>
Sachen die Vergeſſenheit das beſte Mittel ſey, und<lb/>
reiſete gantz verwirrt in mein Geburts-Dorff, all-<lb/>
wo mich mein getreuer Vormund, der gute Pfarr-<lb/>
herr, durch vernuͤnfftige Vorſtellungen, endlich<lb/>
bald wieder zufrieden ſtellete. Meine Mutter war<lb/>
mittlerweile geſtorben, zwey Schweſtern ſehr gut<lb/>
verheyrathet, die juͤngſte dienete beym Pfarrherrn,<lb/>
der Bruder aber, welcher ebenfalls geheyrathet,<lb/>
und bereits zwey Kinder gezeuget, hatte das vaͤter-<lb/>
liche Haus angenommen, worauf mein Erbtheil<lb/>
noch ſtund, weil ich aber uͤber 400. Thlr. Geld mit<lb/><fwplace="bottom"type="catch">brachte</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[354/0368]
etwas von dem Meinigen zum Andencken,
nebſt 200. Thlr. vor gehabte Muͤhe und Rei-
ſe-Koſten, im Coffre zuruͤck gelaſſen. Lebet
wohl, vergebet mir meinen Fehler, den ich
als eine Sclavin des Schickſals zu begehen,
mich gezwungen ſehe, und glaubet, daß auſ-
ſer dem Zeit-Lebens verbleibet
eure danckbare Freundin
Lucia N.
Jch haͤtte verzweifeln moͤgen, da ich dieſen Brief,
ſo zu ſagen in einem Athem mehr als 10. mahl uͤber-
leſen hatte, die Poſt ruͤckte angeſpannet vor die
Thuͤr, ich aber konte mich unmoͤglich reſolviren,
mit zu reiſen, ſondern blieb noch da, in Hoffnung,
meine Geliebte auszuforſchen, allein die Muͤhe war
vergebens, uͤber dieſes, weil die Wirths-Leute ein
heimliches Geſpoͤtte uͤber meine Klagen trieben, ſo
merckte ich gar bald, daß die Karte falſch geſpielet
worden, aͤrgerte mich zwar nicht wenig daruͤber, be-
dachte aber doch letztlich, daß bey unveraͤnderlichen
Sachen die Vergeſſenheit das beſte Mittel ſey, und
reiſete gantz verwirrt in mein Geburts-Dorff, all-
wo mich mein getreuer Vormund, der gute Pfarr-
herr, durch vernuͤnfftige Vorſtellungen, endlich
bald wieder zufrieden ſtellete. Meine Mutter war
mittlerweile geſtorben, zwey Schweſtern ſehr gut
verheyrathet, die juͤngſte dienete beym Pfarrherrn,
der Bruder aber, welcher ebenfalls geheyrathet,
und bereits zwey Kinder gezeuget, hatte das vaͤter-
liche Haus angenommen, worauf mein Erbtheil
noch ſtund, weil ich aber uͤber 400. Thlr. Geld mit
brachte
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/368>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.