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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737.

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mit ihr, gleich wie mein Geferte mit der seinigen,
Briefe zu wechseln.

Die Früh-Mette ging endlich, zum wenigsten
mir, mehr als zu hurtig vorbey, weßwegen die Kirche
so wohl von denen Nonnen als allen andern Leuten
verlassen wurde. Mein Geferte fragte mich, ob
wir uns davon schleichen, oder noch etliche Stunden
verziehen, und die hohe Messe abwarten wolten,
ich erwehlete das letztere, und gab vor, daß ich ehe
3. Tage und Nacht ohne Essen, Trincken und Schla-
fen verbleiben, als dieses Vergnügens, welches so
wenig Mühe kostete, beraubt leben wolte, woraus
derselbe gleich muthmassete, daß Cupido in mei-
ner Person einen verliebten Haasen getroffen hätte,
und mich dieserwegen nicht wenig vexirte. Je-
doch weil er vermerckt, daß seine Geliebte denjeni-
gen kleinen Brief, welchen er unter ihr Singe-Pult
versteckt, zu sich genommen hatte, sagte er gantz leise
zu mir: Mein Freund, wo es wahr ist, daß ihr in die
schöne Clavicien-Spielerin verliebt seyd, so bin ich
deßfalls bereits euer Frey-Werber gewesen, und
versichere, daß diese vertrauten Schwestern eben
itzo im Begriff seyn werden, meinen Brief zu lesen,
seyd ihr aber ja bey einer solchen Schönheit von Ei-
sen und Stahl, so stellet euch zum wenigsten eine Zeit
lang verliebt, damit ihr mir mein Spiel nicht verder-
bet, denn da meine Liebste einmahl die Unbehutsam-
keit gehabt, ihr Liebes-Geheimniß ihrer vertrau-
ten Gespielen zu offenbaren, muß ich in bestän-
digen Furchten schweben, daß die letztere nicht ver-
schwiegen genug seyn, sondern aus Neid eine Ver-
rätherin werden möchte, welches aber nicht leichtlich

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mit ihr, gleich wie mein Geferte mit der ſeinigen,
Briefe zu wechſeln.

Die Fruͤh-Mette ging endlich, zum wenigſten
mir, mehr als zu hurtig vorbey, weßwegen die Kirche
ſo wohl von denen Nonnen als allen andern Leuten
verlaſſen wurde. Mein Geferte fragte mich, ob
wir uns davon ſchleichen, oder noch etliche Stunden
verziehen, und die hohe Meſſe abwarten wolten,
ich erwehlete das letztere, und gab vor, daß ich ehe
3. Tage und Nacht ohne Eſſen, Trincken und Schla-
fen verbleiben, als dieſes Vergnuͤgens, welches ſo
wenig Muͤhe koſtete, beraubt leben wolte, woraus
derſelbe gleich muthmaſſete, daß Cupido in mei-
ner Perſon einen verliebten Haaſen getroffen haͤtte,
und mich dieſerwegen nicht wenig vexirte. Je-
doch weil er vermerckt, daß ſeine Geliebte denjeni-
gen kleinen Brief, welchen er unter ihr Singe-Pult
verſteckt, zu ſich genommen hatte, ſagte er gantz leiſe
zu mir: Mein Freund, wo es wahr iſt, daß ihr in die
ſchoͤne Clavicien-Spielerin verliebt ſeyd, ſo bin ich
deßfalls bereits euer Frey-Werber geweſen, und
verſichere, daß dieſe vertrauten Schweſtern eben
itzo im Begriff ſeyn werden, meinen Brief zu leſen,
ſeyd ihr aber ja bey einer ſolchen Schoͤnheit von Ei-
ſen und Stahl, ſo ſtellet euch zum wenigſten eine Zeit
lang verliebt, damit ihr mir mein Spiel nicht verder-
bet, denn da meine Liebſte einmahl die Unbehutſam-
keit gehabt, ihr Liebes-Geheimniß ihrer vertrau-
ten Geſpielen zu offenbaren, muß ich in beſtaͤn-
digen Furchten ſchweben, daß die letztere nicht ver-
ſchwiegen genug ſeyn, ſondern aus Neid eine Ver-
raͤtherin werden moͤchte, welches aber nicht leichtlich

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[345/0359] mit ihr, gleich wie mein Geferte mit der ſeinigen, Briefe zu wechſeln. Die Fruͤh-Mette ging endlich, zum wenigſten mir, mehr als zu hurtig vorbey, weßwegen die Kirche ſo wohl von denen Nonnen als allen andern Leuten verlaſſen wurde. Mein Geferte fragte mich, ob wir uns davon ſchleichen, oder noch etliche Stunden verziehen, und die hohe Meſſe abwarten wolten, ich erwehlete das letztere, und gab vor, daß ich ehe 3. Tage und Nacht ohne Eſſen, Trincken und Schla- fen verbleiben, als dieſes Vergnuͤgens, welches ſo wenig Muͤhe koſtete, beraubt leben wolte, woraus derſelbe gleich muthmaſſete, daß Cupido in mei- ner Perſon einen verliebten Haaſen getroffen haͤtte, und mich dieſerwegen nicht wenig vexirte. Je- doch weil er vermerckt, daß ſeine Geliebte denjeni- gen kleinen Brief, welchen er unter ihr Singe-Pult verſteckt, zu ſich genommen hatte, ſagte er gantz leiſe zu mir: Mein Freund, wo es wahr iſt, daß ihr in die ſchoͤne Clavicien-Spielerin verliebt ſeyd, ſo bin ich deßfalls bereits euer Frey-Werber geweſen, und verſichere, daß dieſe vertrauten Schweſtern eben itzo im Begriff ſeyn werden, meinen Brief zu leſen, ſeyd ihr aber ja bey einer ſolchen Schoͤnheit von Ei- ſen und Stahl, ſo ſtellet euch zum wenigſten eine Zeit lang verliebt, damit ihr mir mein Spiel nicht verder- bet, denn da meine Liebſte einmahl die Unbehutſam- keit gehabt, ihr Liebes-Geheimniß ihrer vertrau- ten Geſpielen zu offenbaren, muß ich in beſtaͤn- digen Furchten ſchweben, daß die letztere nicht ver- ſchwiegen genug ſeyn, ſondern aus Neid eine Ver- raͤtherin werden moͤchte, welches aber nicht leichtlich geſche- y 5

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/359>, abgerufen am 17.05.2024.