Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737.

Bild:
<< vorherige Seite

cken, allwo die guten Sachsen eine erbärmliche
Niederlage erlitten hatten. Meine Haut schaudert
sich noch, wenn ich daran gedencke. Jch wolte
meine Augen immer davon abwenden, jedoch wo-
hin? denn überall zeigte sich Blut und Mord. Die
erschlagenen Russen und Sachsen jammerten mich
weit mehr, als die Leichen der Schweden, und zwar
aus keiner andern Ursache, als weil die letztern mei-
nen sel. Vater ermordet hatten, und in Erwegung
dessen konte nicht umhin, auf diesem Wahl-Platze
häuffige Thränen zu vergiessen.

Jedoch ich will die gräßlichen Umstände dieser
kläglichen Schlacht zu anderer Zeit erzehlen, und
voritzo nur melden, daß ich in meinem 12ten Jahre,
nemlich An. 1706. unter denen Schweden gleich-
falls mit in Sachsen kam.

Mein Obrister bezohe sein Quartier auf einem vor-
trefflichen Adel. Ritter-Guthe, ohnweit Torgau, hie-
selbst bekam ich nun zwar ein neues, starck mit Gold-
bordirtes Kleid, wie auch eine etwas schlechtere Wo-
chen-Livree, allein dieses war mir in meiner Seele
ungemein empfindlich, daß er zuweilen fremden
Leuten gantz negligent erzehlete, wie mein Vater
vor Narva massacriret, meine Mutter entlauffen,
und ich solchergestalt sein Leib-eigener Knecht wor-
den wäre. Jedoch fand sich schon so viel Verstand
bey mir, daß ich meine deßfalls aufsteigenden Af-
fect
en bestmöglichst zu verbergen suchte. Mons.
Schwedeke nahm mittlerweile dasiges Orts die
Gelegenheit inacht, mich aufs eifrigste zur Latini-
tät, Geographie, Historie, Schreib- und Rechen-
Kunst anzuhalten, weil ich mich nun mit Lust zu al-

lem

cken, allwo die guten Sachſen eine erbaͤrmliche
Niederlage erlitten hatten. Meine Haut ſchaudert
ſich noch, wenn ich daran gedencke. Jch wolte
meine Augen immer davon abwenden, jedoch wo-
hin? denn uͤberall zeigte ſich Blut und Mord. Die
erſchlagenen Ruſſen und Sachſen jammerten mich
weit mehr, als die Leichen der Schweden, und zwar
aus keiner andern Urſache, als weil die letztern mei-
nen ſel. Vater ermordet hatten, und in Erwegung
deſſen konte nicht umhin, auf dieſem Wahl-Platze
haͤuffige Thraͤnen zu vergieſſen.

Jedoch ich will die graͤßlichen Umſtaͤnde dieſer
klaͤglichen Schlacht zu anderer Zeit erzehlen, und
voritzo nur melden, daß ich in meinem 12ten Jahre,
nemlich An. 1706. unter denen Schweden gleich-
falls mit in Sachſen kam.

Mein Obriſter bezohe ſein Quartier auf einem vor-
trefflichen Adel. Ritter-Guthe, ohnweit Torgau, hie-
ſelbſt bekam ich nun zwar ein neues, ſtarck mit Gold-
bordirtes Kleid, wie auch eine etwas ſchlechtere Wo-
chen-Livrée, allein dieſes war mir in meiner Seele
ungemein empfindlich, daß er zuweilen fremden
Leuten gantz negligent erzehlete, wie mein Vater
vor Narva maſſacriret, meine Mutter entlauffen,
und ich ſolchergeſtalt ſein Leib-eigener Knecht wor-
den waͤre. Jedoch fand ſich ſchon ſo viel Verſtand
bey mir, daß ich meine deßfalls aufſteigenden Af-
fect
en beſtmoͤglichſt zu verbergen ſuchte. Monſ.
Schwedeke nahm mittlerweile daſiges Orts die
Gelegenheit inacht, mich aufs eifrigſte zur Latini-
taͤt, Geographie, Hiſtorie, Schreib- und Rechen-
Kunſt anzuhalten, weil ich mich nun mit Luſt zu al-

lem
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0100" n="86"/>
cken, allwo die guten Sach&#x017F;en eine erba&#x0364;rmliche<lb/>
Niederlage erlitten hatten. Meine Haut &#x017F;chaudert<lb/>
&#x017F;ich noch, wenn ich daran gedencke. Jch wolte<lb/>
meine Augen immer davon abwenden, jedoch wo-<lb/>
hin? denn u&#x0364;berall zeigte &#x017F;ich Blut und Mord. Die<lb/>
er&#x017F;chlagenen Ru&#x017F;&#x017F;en und Sach&#x017F;en jammerten mich<lb/>
weit mehr, als die Leichen der Schweden, und zwar<lb/>
aus keiner andern Ur&#x017F;ache, als weil die letztern mei-<lb/>
nen &#x017F;el. Vater ermordet hatten, und in Erwegung<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en konte nicht umhin, auf die&#x017F;em Wahl-Platze<lb/>
ha&#x0364;uffige Thra&#x0364;nen zu vergie&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Jedoch ich will die gra&#x0364;ßlichen Um&#x017F;ta&#x0364;nde die&#x017F;er<lb/>
kla&#x0364;glichen Schlacht zu anderer Zeit erzehlen, und<lb/>
voritzo nur melden, daß ich in meinem 12ten Jahre,<lb/>
nemlich <hi rendition="#aq">An.</hi> 1706. unter denen Schweden gleich-<lb/>
falls mit in Sach&#x017F;en kam.</p><lb/>
          <p>Mein Obri&#x017F;ter bezohe &#x017F;ein Quartier auf einem vor-<lb/>
trefflichen Adel. Ritter-Guthe, ohnweit Torgau, hie-<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t bekam ich nun zwar ein neues, &#x017F;tarck mit Gold-<lb/><hi rendition="#aq">bordir</hi>tes Kleid, wie auch eine etwas &#x017F;chlechtere Wo-<lb/>
chen-<hi rendition="#aq">Livrée,</hi> allein die&#x017F;es war mir in meiner Seele<lb/>
ungemein empfindlich, daß er zuweilen fremden<lb/>
Leuten gantz <hi rendition="#aq">negligent</hi> erzehlete, wie mein Vater<lb/>
vor <hi rendition="#aq">Narva ma&#x017F;&#x017F;acri</hi>ret, meine Mutter entlauffen,<lb/>
und ich &#x017F;olcherge&#x017F;talt &#x017F;ein Leib-eigener Knecht wor-<lb/>
den wa&#x0364;re. Jedoch fand &#x017F;ich &#x017F;chon &#x017F;o viel Ver&#x017F;tand<lb/>
bey mir, daß ich meine deßfalls auf&#x017F;teigenden <hi rendition="#aq">Af-<lb/>
fect</hi>en be&#x017F;tmo&#x0364;glich&#x017F;t zu verbergen &#x017F;uchte. <hi rendition="#aq">Mon&#x017F;.</hi><lb/>
Schwedeke nahm mittlerweile da&#x017F;iges Orts die<lb/>
Gelegenheit inacht, mich aufs eifrig&#x017F;te zur <hi rendition="#aq">Latini-</hi><lb/>
ta&#x0364;t, <hi rendition="#aq">Geographie, Hi&#x017F;torie,</hi> Schreib- und Rechen-<lb/>
Kun&#x017F;t anzuhalten, weil ich mich nun mit Lu&#x017F;t zu al-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">lem</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[86/0100] cken, allwo die guten Sachſen eine erbaͤrmliche Niederlage erlitten hatten. Meine Haut ſchaudert ſich noch, wenn ich daran gedencke. Jch wolte meine Augen immer davon abwenden, jedoch wo- hin? denn uͤberall zeigte ſich Blut und Mord. Die erſchlagenen Ruſſen und Sachſen jammerten mich weit mehr, als die Leichen der Schweden, und zwar aus keiner andern Urſache, als weil die letztern mei- nen ſel. Vater ermordet hatten, und in Erwegung deſſen konte nicht umhin, auf dieſem Wahl-Platze haͤuffige Thraͤnen zu vergieſſen. Jedoch ich will die graͤßlichen Umſtaͤnde dieſer klaͤglichen Schlacht zu anderer Zeit erzehlen, und voritzo nur melden, daß ich in meinem 12ten Jahre, nemlich An. 1706. unter denen Schweden gleich- falls mit in Sachſen kam. Mein Obriſter bezohe ſein Quartier auf einem vor- trefflichen Adel. Ritter-Guthe, ohnweit Torgau, hie- ſelbſt bekam ich nun zwar ein neues, ſtarck mit Gold- bordirtes Kleid, wie auch eine etwas ſchlechtere Wo- chen-Livrée, allein dieſes war mir in meiner Seele ungemein empfindlich, daß er zuweilen fremden Leuten gantz negligent erzehlete, wie mein Vater vor Narva maſſacriret, meine Mutter entlauffen, und ich ſolchergeſtalt ſein Leib-eigener Knecht wor- den waͤre. Jedoch fand ſich ſchon ſo viel Verſtand bey mir, daß ich meine deßfalls aufſteigenden Af- fecten beſtmoͤglichſt zu verbergen ſuchte. Monſ. Schwedeke nahm mittlerweile daſiges Orts die Gelegenheit inacht, mich aufs eifrigſte zur Latini- taͤt, Geographie, Hiſtorie, Schreib- und Rechen- Kunſt anzuhalten, weil ich mich nun mit Luſt zu al- lem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/100
Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/100>, abgerufen am 05.05.2024.