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Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893.

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sächlich aus der Psychologie, entlehnen könne. Wer die politische
Ökonomie für eine nahezu fertige hält, wie die englischen Epigonen
A. Smiths, für den ist sie natürlich eine rein deduktive Wissenschaft.
Buckle in seiner selbstzufriedenen Aufgeblasenheit erklärte: "Die
politische Ökonomie ist so wesentlich eine deduktive Wissenschaft als
die Geometrie." Überraschend ist nur, wenn Leute, die die geringe
Ausbildung unserer Wissenschaft einsehen, ähnlich sprechen. Sie den-
ken dann ausschließlich an die einfacheren Probleme und an die aus-
gebildeteren Teile unserer Wissenschaft, an die Tausch-, Wert- und
Geldlehre, wo die Deduktion aus einer oder einigen psychischen Prä-
missen die Haupterscheinungen erklären kann. Wer die komplizier-
teren Phänomene studiert, z. B. nur die sozialen Fragen, der wird klar
erkennen, wie sehr er hier noch der Induktion bedarf. Am einfachsten
ist der heute herrschende Streit zwischen den sog. Anhängern der
Deduktion und denen der Induktion aus der Geschichte unserer
Wissenschaft zu erklären. Es war natürlich, daß man im 18. Jahr-
hundert zunächst versuchte, von einzelnen beschränkten Erfahrungen
und unter Zuhilfenahme anerkannter psychologischer Tatsachen de-
duktiv soweit als möglich zu kommen; jede jugendliche Wissenschaft
verfährt zunächst so; erst nach und nach konnte die Erkenntnis der
unzureichenden Voraussetzungen sich Bahn brechen; und erst als man
das Falsche oder Schiefe der voreiligen Generalisationen einsah,
konnte die Forderung einer umfassenderen Anwendung der Induktion
entstehen. Oder vielmehr die Forderung umfassenderer und strenge-
rer Beobachtung und Beschreibung, wie sie für Induktion und Deduk-
tion gleich notwendig ist13.

Je nach persönlicher Anlage und Studium, je nach den behandelten
Problemen und Fragen, nach dem engeren oder weiteren Umkreise,
auf den sich die untersuchten Gegenstände erstrecken, stellen sich
die einzelnen Forscher auf die eine oder die andere, auf die Seite der
alten oder der neuen Richtung, oder suchen zwischen beiden zu ver-
mitteln. In eigentümlich widerstreitender und daher Verwirrung stif-
tender Weise hat letzteres schon J. St. Mill getan, auf den sich daher
die entgegengesetzten Parteien gleichmäßig berufen können. Der
feine, so sehr selten scharfsinnige und gebildete, aber ebenso anpas-
sungsfähige und schwankende, sich so häufig um die ganze Windrose
drehende Geist hatte, als 20--23-jähriger ganz von der abstrakten und
radikalen Gedankenwelt des 18. Jahrhunderts und des unhistorischen
Bentham erfüllt, welt- und geschäftsunkundig die Losung ausgegeben,
die Nationalökonomie sei eine rein deduktive Wissenschaft, weil sie
keine Experimente machen und aus dem Wunsche nach Reichtum ihre
wesentlichen Sätze als hypothetische Wahrheiten ableiten könne.
Wenige Jahre nachher lernte er A. Comte kennen, der nur eine histo-

sächlich aus der Psychologie, entlehnen könne. Wer die politische
Ökonomie für eine nahezu fertige hält, wie die englischen Epigonen
A. Smiths, für den ist sie natürlich eine rein deduktive Wissenschaft.
Buckle in seiner selbstzufriedenen Aufgeblasenheit erklärte: „Die
politische Ökonomie ist so wesentlich eine deduktive Wissenschaft als
die Geometrie.“ Überraschend ist nur, wenn Leute, die die geringe
Ausbildung unserer Wissenschaft einsehen, ähnlich sprechen. Sie den-
ken dann ausschließlich an die einfacheren Probleme und an die aus-
gebildeteren Teile unserer Wissenschaft, an die Tausch-, Wert- und
Geldlehre, wo die Deduktion aus einer oder einigen psychischen Prä-
missen die Haupterscheinungen erklären kann. Wer die komplizier-
teren Phänomene studiert, z. B. nur die sozialen Fragen, der wird klar
erkennen, wie sehr er hier noch der Induktion bedarf. Am einfachsten
ist der heute herrschende Streit zwischen den sog. Anhängern der
Deduktion und denen der Induktion aus der Geschichte unserer
Wissenschaft zu erklären. Es war natürlich, daß man im 18. Jahr-
hundert zunächst versuchte, von einzelnen beschränkten Erfahrungen
und unter Zuhilfenahme anerkannter psychologischer Tatsachen de-
duktiv soweit als möglich zu kommen; jede jugendliche Wissenschaft
verfährt zunächst so; erst nach und nach konnte die Erkenntnis der
unzureichenden Voraussetzungen sich Bahn brechen; und erst als man
das Falsche oder Schiefe der voreiligen Generalisationen einsah,
konnte die Forderung einer umfassenderen Anwendung der Induktion
entstehen. Oder vielmehr die Forderung umfassenderer und strenge-
rer Beobachtung und Beschreibung, wie sie für Induktion und Deduk-
tion gleich notwendig ist13.

Je nach persönlicher Anlage und Studium, je nach den behandelten
Problemen und Fragen, nach dem engeren oder weiteren Umkreise,
auf den sich die untersuchten Gegenstände erstrecken, stellen sich
die einzelnen Forscher auf die eine oder die andere, auf die Seite der
alten oder der neuen Richtung, oder suchen zwischen beiden zu ver-
mitteln. In eigentümlich widerstreitender und daher Verwirrung stif-
tender Weise hat letzteres schon J. St. Mill getan, auf den sich daher
die entgegengesetzten Parteien gleichmäßig berufen können. Der
feine, so sehr selten scharfsinnige und gebildete, aber ebenso anpas-
sungsfähige und schwankende, sich so häufig um die ganze Windrose
drehende Geist hatte, als 20—23-jähriger ganz von der abstrakten und
radikalen Gedankenwelt des 18. Jahrhunderts und des unhistorischen
Bentham erfüllt, welt- und geschäftsunkundig die Losung ausgegeben,
die Nationalökonomie sei eine rein deduktive Wissenschaft, weil sie
keine Experimente machen und aus dem Wunsche nach Reichtum ihre
wesentlichen Sätze als hypothetische Wahrheiten ableiten könne.
Wenige Jahre nachher lernte er A. Comte kennen, der nur eine histo-

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[62/0066] sächlich aus der Psychologie, entlehnen könne. Wer die politische Ökonomie für eine nahezu fertige hält, wie die englischen Epigonen A. Smiths, für den ist sie natürlich eine rein deduktive Wissenschaft. Buckle in seiner selbstzufriedenen Aufgeblasenheit erklärte: „Die politische Ökonomie ist so wesentlich eine deduktive Wissenschaft als die Geometrie.“ Überraschend ist nur, wenn Leute, die die geringe Ausbildung unserer Wissenschaft einsehen, ähnlich sprechen. Sie den- ken dann ausschließlich an die einfacheren Probleme und an die aus- gebildeteren Teile unserer Wissenschaft, an die Tausch-, Wert- und Geldlehre, wo die Deduktion aus einer oder einigen psychischen Prä- missen die Haupterscheinungen erklären kann. Wer die komplizier- teren Phänomene studiert, z. B. nur die sozialen Fragen, der wird klar erkennen, wie sehr er hier noch der Induktion bedarf. Am einfachsten ist der heute herrschende Streit zwischen den sog. Anhängern der Deduktion und denen der Induktion aus der Geschichte unserer Wissenschaft zu erklären. Es war natürlich, daß man im 18. Jahr- hundert zunächst versuchte, von einzelnen beschränkten Erfahrungen und unter Zuhilfenahme anerkannter psychologischer Tatsachen de- duktiv soweit als möglich zu kommen; jede jugendliche Wissenschaft verfährt zunächst so; erst nach und nach konnte die Erkenntnis der unzureichenden Voraussetzungen sich Bahn brechen; und erst als man das Falsche oder Schiefe der voreiligen Generalisationen einsah, konnte die Forderung einer umfassenderen Anwendung der Induktion entstehen. Oder vielmehr die Forderung umfassenderer und strenge- rer Beobachtung und Beschreibung, wie sie für Induktion und Deduk- tion gleich notwendig ist13. Je nach persönlicher Anlage und Studium, je nach den behandelten Problemen und Fragen, nach dem engeren oder weiteren Umkreise, auf den sich die untersuchten Gegenstände erstrecken, stellen sich die einzelnen Forscher auf die eine oder die andere, auf die Seite der alten oder der neuen Richtung, oder suchen zwischen beiden zu ver- mitteln. In eigentümlich widerstreitender und daher Verwirrung stif- tender Weise hat letzteres schon J. St. Mill getan, auf den sich daher die entgegengesetzten Parteien gleichmäßig berufen können. Der feine, so sehr selten scharfsinnige und gebildete, aber ebenso anpas- sungsfähige und schwankende, sich so häufig um die ganze Windrose drehende Geist hatte, als 20—23-jähriger ganz von der abstrakten und radikalen Gedankenwelt des 18. Jahrhunderts und des unhistorischen Bentham erfüllt, welt- und geschäftsunkundig die Losung ausgegeben, die Nationalökonomie sei eine rein deduktive Wissenschaft, weil sie keine Experimente machen und aus dem Wunsche nach Reichtum ihre wesentlichen Sätze als hypothetische Wahrheiten ableiten könne. Wenige Jahre nachher lernte er A. Comte kennen, der nur eine histo-

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_volkswirtschaftslehre_1893/66>, abgerufen am 23.11.2024.