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Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893.

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ßer Männer entgegentritt, das Gefühl der Freiheit, das von all unse-
rem Handeln untrennbar ist, das Dunkel, das noch über den spontanen
Willensakten herrscht, die uns so häufig ebenso als Produkte der
Vergangenheit wie als neue Kraftzentren und Ausgangspunkte höhe-
rer Entwicklung erscheinen, hat es notwendig zur Folge gehabt,
daß bis heute die Deterministen und die Verteidiger der Willensfrei-
heit in den verschiedensten Abstufungen einander gegenüberstehen.
Der Raum verbietet uns, auf diese Streitfrage hier einzugehen. Wir
können also nur sagen, außerhalb des allgemeinen Gesetzes der zu-
reichenden Ursachen gibt es keine Wissenschaft, auch nicht auf dem
Gebiete des geistigen Lebens. Aber die Ursachen der psychischen
Vorgänge sind wesentlich andere als die der mechanischen; ihre letzten
Prinzipien sind noch so wenig erklärt, daß die praktischen Wissen-
schaften wie die Volkswirtschaftslehre, diese Kontroverse der Ethik
und Psychologie überlassend, ihren Weg der psychologischen und
Detailuntersuchung unbeirrt hiervon fortsetzen müssen, nebeneinan-
der die Durchschnittsmenschen wie die außergewöhnlichen in ihrem
Wesen, in ihrer Bedingtheit und in ihren Wirkungen untersuchend.

Daß von den beiden Hauptgruppen von Ursachen bald die der physi-
schen und biologischen, bald die der psychischen je nach dem Gegen-
stand der Untersuchungen mehr in den Vordergrund tritt, ist klar.
Es ist vielleicht etwas schablonenhaft und einseitig, wenn Mill einmal
den Gegensatz so formulierte, die Produktion der Volkswirtschaft
hänge von den natürlichen, die Verteilung von den moralischen Ur-
sachen ab; jedenfalls ist auch die Produktion von den ethischen
Faktoren des Fleißes, der Arbeitsamkeit, der Unternehmungslust,
von dem Fortschritt unserer Kenntnisse und Ähnlichem abhängig. Ich
möchte daher lieber sagen, je höher die Kultur steigt, desto wichtiger
würden die psychisch-ethischen Ursachen, und die Unvollkommen-
heit der älteren Nationalökonomie hänge damit zusammen, daß sie
diese größere und wichtigere Hälfte der Ursachen vernachlässigt habe.
Wundt meint, wo er von dem steigenden Einflusse der sozialen Ethik
auf die Gesellschaftswissenschaften und auf den Zustand der Gesell-
schaft spricht, dieselbe werde in der Lehre von Recht und Staat schon
voll anerkannt, in der Nationalökonomie bereite sich der Umschwung
erst allmählich vor, werde aber um so gewaltiger in seinen Wirkungen
sein. Er meint damit offenbar, die Wissenschaft und das Leben werde
künftig stärkeren ethischen Einflüssen unterliegen. Eine Art Umkehr
dieses Gedankenganges ist es, wenn man mit Marx alle höhere gei-
stige Kultur, alles politische, religiöse Leben aus der Gestaltung des
wirtschaftlich-technischen Produktionsprozesses ableiten, z. B. das
Christentum oder die Reformation aus bestimmten wirtschaftlichen
Zuständen erklären will. Zusammenhänge und Wechselwirkungen

ßer Männer entgegentritt, das Gefühl der Freiheit, das von all unse-
rem Handeln untrennbar ist, das Dunkel, das noch über den spontanen
Willensakten herrscht, die uns so häufig ebenso als Produkte der
Vergangenheit wie als neue Kraftzentren und Ausgangspunkte höhe-
rer Entwicklung erscheinen, hat es notwendig zur Folge gehabt,
daß bis heute die Deterministen und die Verteidiger der Willensfrei-
heit in den verschiedensten Abstufungen einander gegenüberstehen.
Der Raum verbietet uns, auf diese Streitfrage hier einzugehen. Wir
können also nur sagen, außerhalb des allgemeinen Gesetzes der zu-
reichenden Ursachen gibt es keine Wissenschaft, auch nicht auf dem
Gebiete des geistigen Lebens. Aber die Ursachen der psychischen
Vorgänge sind wesentlich andere als die der mechanischen; ihre letzten
Prinzipien sind noch so wenig erklärt, daß die praktischen Wissen-
schaften wie die Volkswirtschaftslehre, diese Kontroverse der Ethik
und Psychologie überlassend, ihren Weg der psychologischen und
Detailuntersuchung unbeirrt hiervon fortsetzen müssen, nebeneinan-
der die Durchschnittsmenschen wie die außergewöhnlichen in ihrem
Wesen, in ihrer Bedingtheit und in ihren Wirkungen untersuchend.

Daß von den beiden Hauptgruppen von Ursachen bald die der physi-
schen und biologischen, bald die der psychischen je nach dem Gegen-
stand der Untersuchungen mehr in den Vordergrund tritt, ist klar.
Es ist vielleicht etwas schablonenhaft und einseitig, wenn Mill einmal
den Gegensatz so formulierte, die Produktion der Volkswirtschaft
hänge von den natürlichen, die Verteilung von den moralischen Ur-
sachen ab; jedenfalls ist auch die Produktion von den ethischen
Faktoren des Fleißes, der Arbeitsamkeit, der Unternehmungslust,
von dem Fortschritt unserer Kenntnisse und Ähnlichem abhängig. Ich
möchte daher lieber sagen, je höher die Kultur steigt, desto wichtiger
würden die psychisch-ethischen Ursachen, und die Unvollkommen-
heit der älteren Nationalökonomie hänge damit zusammen, daß sie
diese größere und wichtigere Hälfte der Ursachen vernachlässigt habe.
Wundt meint, wo er von dem steigenden Einflusse der sozialen Ethik
auf die Gesellschaftswissenschaften und auf den Zustand der Gesell-
schaft spricht, dieselbe werde in der Lehre von Recht und Staat schon
voll anerkannt, in der Nationalökonomie bereite sich der Umschwung
erst allmählich vor, werde aber um so gewaltiger in seinen Wirkungen
sein. Er meint damit offenbar, die Wissenschaft und das Leben werde
künftig stärkeren ethischen Einflüssen unterliegen. Eine Art Umkehr
dieses Gedankenganges ist es, wenn man mit Marx alle höhere gei-
stige Kultur, alles politische, religiöse Leben aus der Gestaltung des
wirtschaftlich-technischen Produktionsprozesses ableiten, z. B. das
Christentum oder die Reformation aus bestimmten wirtschaftlichen
Zuständen erklären will. Zusammenhänge und Wechselwirkungen

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[57/0061] ßer Männer entgegentritt, das Gefühl der Freiheit, das von all unse- rem Handeln untrennbar ist, das Dunkel, das noch über den spontanen Willensakten herrscht, die uns so häufig ebenso als Produkte der Vergangenheit wie als neue Kraftzentren und Ausgangspunkte höhe- rer Entwicklung erscheinen, hat es notwendig zur Folge gehabt, daß bis heute die Deterministen und die Verteidiger der Willensfrei- heit in den verschiedensten Abstufungen einander gegenüberstehen. Der Raum verbietet uns, auf diese Streitfrage hier einzugehen. Wir können also nur sagen, außerhalb des allgemeinen Gesetzes der zu- reichenden Ursachen gibt es keine Wissenschaft, auch nicht auf dem Gebiete des geistigen Lebens. Aber die Ursachen der psychischen Vorgänge sind wesentlich andere als die der mechanischen; ihre letzten Prinzipien sind noch so wenig erklärt, daß die praktischen Wissen- schaften wie die Volkswirtschaftslehre, diese Kontroverse der Ethik und Psychologie überlassend, ihren Weg der psychologischen und Detailuntersuchung unbeirrt hiervon fortsetzen müssen, nebeneinan- der die Durchschnittsmenschen wie die außergewöhnlichen in ihrem Wesen, in ihrer Bedingtheit und in ihren Wirkungen untersuchend. Daß von den beiden Hauptgruppen von Ursachen bald die der physi- schen und biologischen, bald die der psychischen je nach dem Gegen- stand der Untersuchungen mehr in den Vordergrund tritt, ist klar. Es ist vielleicht etwas schablonenhaft und einseitig, wenn Mill einmal den Gegensatz so formulierte, die Produktion der Volkswirtschaft hänge von den natürlichen, die Verteilung von den moralischen Ur- sachen ab; jedenfalls ist auch die Produktion von den ethischen Faktoren des Fleißes, der Arbeitsamkeit, der Unternehmungslust, von dem Fortschritt unserer Kenntnisse und Ähnlichem abhängig. Ich möchte daher lieber sagen, je höher die Kultur steigt, desto wichtiger würden die psychisch-ethischen Ursachen, und die Unvollkommen- heit der älteren Nationalökonomie hänge damit zusammen, daß sie diese größere und wichtigere Hälfte der Ursachen vernachlässigt habe. Wundt meint, wo er von dem steigenden Einflusse der sozialen Ethik auf die Gesellschaftswissenschaften und auf den Zustand der Gesell- schaft spricht, dieselbe werde in der Lehre von Recht und Staat schon voll anerkannt, in der Nationalökonomie bereite sich der Umschwung erst allmählich vor, werde aber um so gewaltiger in seinen Wirkungen sein. Er meint damit offenbar, die Wissenschaft und das Leben werde künftig stärkeren ethischen Einflüssen unterliegen. Eine Art Umkehr dieses Gedankenganges ist es, wenn man mit Marx alle höhere gei- stige Kultur, alles politische, religiöse Leben aus der Gestaltung des wirtschaftlich-technischen Produktionsprozesses ableiten, z. B. das Christentum oder die Reformation aus bestimmten wirtschaftlichen Zuständen erklären will. Zusammenhänge und Wechselwirkungen

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_volkswirtschaftslehre_1893/61>, abgerufen am 27.04.2024.