Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893.ob sie absolut richtig seien, wird man daher regelmäßig fragen, son- Jede Begriffsbildung enthält eine Klassifikation der Erscheinungen. ob sie absolut richtig seien, wird man daher regelmäßig fragen, son- Jede Begriffsbildung enthält eine Klassifikation der Erscheinungen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0051" n="47"/> ob sie absolut richtig seien, wird man daher regelmäßig fragen, son-<lb/> dern ob die Begriffe den beabsichtigten wissenschaftlichen Zwecken<lb/> am entsprechendsten gebildet seien. —</p><lb/> <p>Jede Begriffsbildung enthält eine Klassifikation der Erscheinungen.<lb/> Wenn ich die Volkswirtschaft definiere, bilde ich aus allen volkswirt-<lb/> schaftlichen Erscheinungen eine Klasse, aus allen nicht volkswirt-<lb/> schaftlichen eine andere, ohne mich aber um diese andere weiter viel<lb/> zu kümmern. Viel bedeutungsvoller wird die Klassifikation, wenn ich<lb/> eine Summe im Zusammenhang stehender Erscheinungen nach einem<lb/> bestimmten Gesichtspunkte oder Systeme so einteilen will, daß die ein-<lb/> zelnen Klassen gleiche Glieder einer Reihe bilden und die Gesamtheit<lb/> planvoll erschöpfen. Hier wird eine Anordnung und Verteilung er-<lb/> strebt, um eine Gruppe von Erscheinungen in unserem Geiste am<lb/> besten zu ordnen; es handelt sich um einen Kunstgriff, welcher die<lb/> Gewalt über unser Wissen mehren soll, um eine höchst wichtige wis-<lb/> senschaftliche Tätigkeit, die nur auf Grund genauester Kenntnis alles<lb/> einzelnen, auf Grund eines Überblickes über das Ganze, über alle Ur-<lb/> sachen und Folgen gut auszuführen ist. Da diese Voraussetzung aber<lb/> nicht leicht jemals vollständig zutrifft, so verfährt auch die klassi-<lb/> fikatorische Begriffsbildung hypothetisch und provisorisch und ist im-<lb/> mer wieder neuer Verbesserungen fähig; oft müssen neue Arten der<lb/> Einteilung an Stelle der bisher üblichen treten. Wenn man bisher Na-<lb/> tur, Arbeit und Kapital als sog. Produktionsfaktoren unterschied, so<lb/> lag dabei die Vorstellung zu Grunde, daß sie gleichwertige Ursachen-<lb/> kreise darstellen, was kaum haltbar sein dürfte, weshalb diese Klassi-<lb/> fikation künftig wohl wegfallen wird. Wenn man die Unternehmungs-<lb/> formen einteilt, so kann man nach verschiedenen Gesichtspunkten Rei-<lb/> hen bilden, wie Bücher und ich selbst es versucht haben. Man kann<lb/> unter den Klassifikationen die analytischen und genetischen unter-<lb/> scheiden. Wenn A. Wagner die gesamten volkswirtschaftlichen Erschei-<lb/> nungen in ein privatwirtschaftliches, gemeinwirtschaftliches und kari-<lb/> tatives System einteilt, so ist das eine analytische; wenn Hildebrand<lb/> Natural-, Geld- und Kreditwirtschaft trennt, wenn ich selbst Dorf-,<lb/> Stadt-, Territorial- und Volkswirtschaft als historische Reihenfolge<lb/> aufstellte, so sind das genetische Klassifikationen. Die zusammengehö-<lb/> rigen Erscheinungen bilden in der Regel von Natur Glieder einer<lb/> Reihe, die nur durch successive und unmerkliche Unterschiede getrennt<lb/> sind; zwischen den einzelnen Gliedern finden häufig so kleine Quan-<lb/> titätsunterschiede statt, daß sie erst bei einer gewissen Stärke als<lb/> Qualitätsdifferenzen erscheinen; daher ist so häufig die Grenzziehung<lb/> eine schwierige und willkürliche. Und Whewell hat nicht so unrecht.<lb/> wie Mill glaubt, wenn er sagt, man müsse die Klassen nach ausgespro-<lb/> chenen Typen bilden, alles zunächst um diesen Typus Liegende zur<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [47/0051]
ob sie absolut richtig seien, wird man daher regelmäßig fragen, son-
dern ob die Begriffe den beabsichtigten wissenschaftlichen Zwecken
am entsprechendsten gebildet seien. —
Jede Begriffsbildung enthält eine Klassifikation der Erscheinungen.
Wenn ich die Volkswirtschaft definiere, bilde ich aus allen volkswirt-
schaftlichen Erscheinungen eine Klasse, aus allen nicht volkswirt-
schaftlichen eine andere, ohne mich aber um diese andere weiter viel
zu kümmern. Viel bedeutungsvoller wird die Klassifikation, wenn ich
eine Summe im Zusammenhang stehender Erscheinungen nach einem
bestimmten Gesichtspunkte oder Systeme so einteilen will, daß die ein-
zelnen Klassen gleiche Glieder einer Reihe bilden und die Gesamtheit
planvoll erschöpfen. Hier wird eine Anordnung und Verteilung er-
strebt, um eine Gruppe von Erscheinungen in unserem Geiste am
besten zu ordnen; es handelt sich um einen Kunstgriff, welcher die
Gewalt über unser Wissen mehren soll, um eine höchst wichtige wis-
senschaftliche Tätigkeit, die nur auf Grund genauester Kenntnis alles
einzelnen, auf Grund eines Überblickes über das Ganze, über alle Ur-
sachen und Folgen gut auszuführen ist. Da diese Voraussetzung aber
nicht leicht jemals vollständig zutrifft, so verfährt auch die klassi-
fikatorische Begriffsbildung hypothetisch und provisorisch und ist im-
mer wieder neuer Verbesserungen fähig; oft müssen neue Arten der
Einteilung an Stelle der bisher üblichen treten. Wenn man bisher Na-
tur, Arbeit und Kapital als sog. Produktionsfaktoren unterschied, so
lag dabei die Vorstellung zu Grunde, daß sie gleichwertige Ursachen-
kreise darstellen, was kaum haltbar sein dürfte, weshalb diese Klassi-
fikation künftig wohl wegfallen wird. Wenn man die Unternehmungs-
formen einteilt, so kann man nach verschiedenen Gesichtspunkten Rei-
hen bilden, wie Bücher und ich selbst es versucht haben. Man kann
unter den Klassifikationen die analytischen und genetischen unter-
scheiden. Wenn A. Wagner die gesamten volkswirtschaftlichen Erschei-
nungen in ein privatwirtschaftliches, gemeinwirtschaftliches und kari-
tatives System einteilt, so ist das eine analytische; wenn Hildebrand
Natural-, Geld- und Kreditwirtschaft trennt, wenn ich selbst Dorf-,
Stadt-, Territorial- und Volkswirtschaft als historische Reihenfolge
aufstellte, so sind das genetische Klassifikationen. Die zusammengehö-
rigen Erscheinungen bilden in der Regel von Natur Glieder einer
Reihe, die nur durch successive und unmerkliche Unterschiede getrennt
sind; zwischen den einzelnen Gliedern finden häufig so kleine Quan-
titätsunterschiede statt, daß sie erst bei einer gewissen Stärke als
Qualitätsdifferenzen erscheinen; daher ist so häufig die Grenzziehung
eine schwierige und willkürliche. Und Whewell hat nicht so unrecht.
wie Mill glaubt, wenn er sagt, man müsse die Klassen nach ausgespro-
chenen Typen bilden, alles zunächst um diesen Typus Liegende zur
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |