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Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893.

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schritt der Erkenntnis selbst eine Tat des Willens ist; man kann auch
zugeben, daß für bestimmte Lehrzwecke der Unterricht, zumal der
in der praktischen Nationalökonomie und Finanzwissenschaft, die Er-
klärung des Bestehenden passenderweise verbinde mit Hinweisen auf
die wahrscheinliche künftige Entwickelung und auf die Vorzüge einer
bestimmten Art der Entwickelung. Und man kann trotzdem im Inter-
esse eben des rein wissenschaftlichen Fortschrittes es für richtiger hal-
ten, zunächst die wissenschaftlichen Untersuchungen auf dem Boden
strengerer Methoden möglichst darauf zu beschränken, die Erschei-
nungen 1. richtig zu beobachten, 2. sie zu definieren und zu klassi-
fizieren und 3. sie aus Ursachen zu erklären6.

Wenn wir diese drei geistigen Operationen im folgenden nach ein-
ander kurz besprechen, so geschieht es nicht in dem Sinne, als ob sie
ganz getrennt und stets in der angeführten Reihenfolge je für sich
vollzogen werden könnten; sie greifen stets ineinander über; der erste
Schritt der Beobachtung setzt schon richtige Namen und Klassifikation
voraus; jede gute Beobachtung gibt Kausalerklärungen. Aber immer
ist die rohe Beobachtung der Anfang, die vollendete Kausalerklärung
das Ende des wissenschaftlichen Verfahrens.

VII.
DIE BEOBACHTUNG UND BESCHREIBUNG IM ALLGEMEINEN7

Volkswirtschaftliche Erscheinungen beobachten heißt die Motive der
betreffenden wirtschaftlichen Handlungen und ihre Ergebnisse, deren
Verlauf und Wirkung feststellen. Der Motive unserer Handlungen
werden wir uns direkt durch Beobachtung unseres eigenen Seelenlebens
bewußt; von uns schließen wir auf andere. Was in der Welt vorgeht,
erfahren wir durch die Eindrücke unserer Sinne, die wir als ein ob-
jektives Geschehen deuten und begreifen. Alle unsere Erfahrung
stammt so aus diesen zwei Quellen der Wahrnehmung. Aber bis wir
uns, bis wir die Welt richtig beobachten lernten, brauchte es einer Er-
fahrungsentwickelung von Jahrtausenden. Und noch heute müssen
wir jeder Beobachtung mit dem Zweifel entgegentreten, ob sie richtig
sei, ob nicht subjektive Täuschung, unvollkommenes Sehen, voreiliges
sanguinisches Verfahren, Ungeübtheit, Vorurteile und Interessen uns
falsche Bilder vorführen. Wir werden nur dann glauben, richtig und
wissenschaftlich brauchbar beobachtet zu haben, wenn wir bei wieder-
holter Beobachtung desselben Gegenstandes, wenn verschiedene Beob-
achter immer wieder dasselbe Resultat finden, wenn jeder subjektive
Einfluß aus dem Ergebnis eliminiert ist.

schritt der Erkenntnis selbst eine Tat des Willens ist; man kann auch
zugeben, daß für bestimmte Lehrzwecke der Unterricht, zumal der
in der praktischen Nationalökonomie und Finanzwissenschaft, die Er-
klärung des Bestehenden passenderweise verbinde mit Hinweisen auf
die wahrscheinliche künftige Entwickelung und auf die Vorzüge einer
bestimmten Art der Entwickelung. Und man kann trotzdem im Inter-
esse eben des rein wissenschaftlichen Fortschrittes es für richtiger hal-
ten, zunächst die wissenschaftlichen Untersuchungen auf dem Boden
strengerer Methoden möglichst darauf zu beschränken, die Erschei-
nungen 1. richtig zu beobachten, 2. sie zu definieren und zu klassi-
fizieren und 3. sie aus Ursachen zu erklären6.

Wenn wir diese drei geistigen Operationen im folgenden nach ein-
ander kurz besprechen, so geschieht es nicht in dem Sinne, als ob sie
ganz getrennt und stets in der angeführten Reihenfolge je für sich
vollzogen werden könnten; sie greifen stets ineinander über; der erste
Schritt der Beobachtung setzt schon richtige Namen und Klassifikation
voraus; jede gute Beobachtung gibt Kausalerklärungen. Aber immer
ist die rohe Beobachtung der Anfang, die vollendete Kausalerklärung
das Ende des wissenschaftlichen Verfahrens.

VII.
DIE BEOBACHTUNG UND BESCHREIBUNG IM ALLGEMEINEN7

Volkswirtschaftliche Erscheinungen beobachten heißt die Motive der
betreffenden wirtschaftlichen Handlungen und ihre Ergebnisse, deren
Verlauf und Wirkung feststellen. Der Motive unserer Handlungen
werden wir uns direkt durch Beobachtung unseres eigenen Seelenlebens
bewußt; von uns schließen wir auf andere. Was in der Welt vorgeht,
erfahren wir durch die Eindrücke unserer Sinne, die wir als ein ob-
jektives Geschehen deuten und begreifen. Alle unsere Erfahrung
stammt so aus diesen zwei Quellen der Wahrnehmung. Aber bis wir
uns, bis wir die Welt richtig beobachten lernten, brauchte es einer Er-
fahrungsentwickelung von Jahrtausenden. Und noch heute müssen
wir jeder Beobachtung mit dem Zweifel entgegentreten, ob sie richtig
sei, ob nicht subjektive Täuschung, unvollkommenes Sehen, voreiliges
sanguinisches Verfahren, Ungeübtheit, Vorurteile und Interessen uns
falsche Bilder vorführen. Wir werden nur dann glauben, richtig und
wissenschaftlich brauchbar beobachtet zu haben, wenn wir bei wieder-
holter Beobachtung desselben Gegenstandes, wenn verschiedene Beob-
achter immer wieder dasselbe Resultat finden, wenn jeder subjektive
Einfluß aus dem Ergebnis eliminiert ist.

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[30/0034] schritt der Erkenntnis selbst eine Tat des Willens ist; man kann auch zugeben, daß für bestimmte Lehrzwecke der Unterricht, zumal der in der praktischen Nationalökonomie und Finanzwissenschaft, die Er- klärung des Bestehenden passenderweise verbinde mit Hinweisen auf die wahrscheinliche künftige Entwickelung und auf die Vorzüge einer bestimmten Art der Entwickelung. Und man kann trotzdem im Inter- esse eben des rein wissenschaftlichen Fortschrittes es für richtiger hal- ten, zunächst die wissenschaftlichen Untersuchungen auf dem Boden strengerer Methoden möglichst darauf zu beschränken, die Erschei- nungen 1. richtig zu beobachten, 2. sie zu definieren und zu klassi- fizieren und 3. sie aus Ursachen zu erklären6. Wenn wir diese drei geistigen Operationen im folgenden nach ein- ander kurz besprechen, so geschieht es nicht in dem Sinne, als ob sie ganz getrennt und stets in der angeführten Reihenfolge je für sich vollzogen werden könnten; sie greifen stets ineinander über; der erste Schritt der Beobachtung setzt schon richtige Namen und Klassifikation voraus; jede gute Beobachtung gibt Kausalerklärungen. Aber immer ist die rohe Beobachtung der Anfang, die vollendete Kausalerklärung das Ende des wissenschaftlichen Verfahrens. VII. DIE BEOBACHTUNG UND BESCHREIBUNG IM ALLGEMEINEN7 Volkswirtschaftliche Erscheinungen beobachten heißt die Motive der betreffenden wirtschaftlichen Handlungen und ihre Ergebnisse, deren Verlauf und Wirkung feststellen. Der Motive unserer Handlungen werden wir uns direkt durch Beobachtung unseres eigenen Seelenlebens bewußt; von uns schließen wir auf andere. Was in der Welt vorgeht, erfahren wir durch die Eindrücke unserer Sinne, die wir als ein ob- jektives Geschehen deuten und begreifen. Alle unsere Erfahrung stammt so aus diesen zwei Quellen der Wahrnehmung. Aber bis wir uns, bis wir die Welt richtig beobachten lernten, brauchte es einer Er- fahrungsentwickelung von Jahrtausenden. Und noch heute müssen wir jeder Beobachtung mit dem Zweifel entgegentreten, ob sie richtig sei, ob nicht subjektive Täuschung, unvollkommenes Sehen, voreiliges sanguinisches Verfahren, Ungeübtheit, Vorurteile und Interessen uns falsche Bilder vorführen. Wir werden nur dann glauben, richtig und wissenschaftlich brauchbar beobachtet zu haben, wenn wir bei wieder- holter Beobachtung desselben Gegenstandes, wenn verschiedene Beob- achter immer wieder dasselbe Resultat finden, wenn jeder subjektive Einfluß aus dem Ergebnis eliminiert ist.

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_volkswirtschaftslehre_1893/34>, abgerufen am 22.11.2024.