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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

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Was ist sozialistisch?
die übertriebene Verachtung, die täglich von gewisser
Seite über den Egoismus dieser bürgerlichen Mittelklassen,
über diese "geldsüchtige Bourgeoisie," über diese "Man-
chesterschule," über diese Doktrin der Geldsäcke, welche
nur deßwegen Freiheit verlange, um ohne jede Schranke
durch ihr Geld allein zu herrschen, ausgegossen wird.
Aber wer möchte unsere Fabrikanten und Bankiers, unsere
Ingenieure und Unternehmer, wenn er gerecht ist, ganz
freisprechen? Sie sind allerdings andere Leute als die
englischen Manchesterleute und als die französische Bour-
geoisie von 1830 -- 48. Aber hat sie nicht auch Mohl
die Non Donnants genannt? haben sie nicht ihr spezi-
fisches Klasseninteresse, und tritt das nicht nur allzu oft
und grell in ihren politischen Maßnahmen und Doktrinen
hervor? Maskiren sie nicht oft mit dem schönen Worte
der wirthschaftlichen Freiheit nur, was ihrem Geld-
beutel und ihren Spekulationen ausschließlich Gewinn
bringt? Unsere Konservativen dürfen nichts sagen. Der
Großgrundbesitz trägt in allen Steuerfragen, in der
ländlichen Arbeiterfrage seinen wirthschaftlichen Egoismus
noch nackter und naiver zur Schau. Unsere bürger-
lichen Mittelklassen erheben sich durch den Einfluß von
Gelehrten, Beamten, Juristen immer noch eher zu
höheren idealen Gesichtspunkten. Aber gesündigt wird
auf beiden Seiten, und die Rückwirkung davon trifft
beidesmal die arbeitenden, die unteren Klassen.

Was ist denn nun aber eigentlich der von den
radikalen Volkswirthen so sehr gebrandmarkte Sozialis-
mus? Die vollständige Negation des Eigenthums- und
Erbrechts wird so genannt, aber auch jede Thätigkeit der

Was iſt ſozialiſtiſch?
die übertriebene Verachtung, die täglich von gewiſſer
Seite über den Egoismus dieſer bürgerlichen Mittelklaſſen,
über dieſe „geldſüchtige Bourgeoiſie,“ über dieſe „Man-
cheſterſchule,“ über dieſe Doktrin der Geldſäcke, welche
nur deßwegen Freiheit verlange, um ohne jede Schranke
durch ihr Geld allein zu herrſchen, ausgegoſſen wird.
Aber wer möchte unſere Fabrikanten und Bankiers, unſere
Ingenieure und Unternehmer, wenn er gerecht iſt, ganz
freiſprechen? Sie ſind allerdings andere Leute als die
engliſchen Mancheſterleute und als die franzöſiſche Bour-
geoiſie von 1830 — 48. Aber hat ſie nicht auch Mohl
die Non Donnants genannt? haben ſie nicht ihr ſpezi-
fiſches Klaſſenintereſſe, und tritt das nicht nur allzu oft
und grell in ihren politiſchen Maßnahmen und Doktrinen
hervor? Maskiren ſie nicht oft mit dem ſchönen Worte
der wirthſchaftlichen Freiheit nur, was ihrem Geld-
beutel und ihren Spekulationen ausſchließlich Gewinn
bringt? Unſere Konſervativen dürfen nichts ſagen. Der
Großgrundbeſitz trägt in allen Steuerfragen, in der
ländlichen Arbeiterfrage ſeinen wirthſchaftlichen Egoismus
noch nackter und naiver zur Schau. Unſere bürger-
lichen Mittelklaſſen erheben ſich durch den Einfluß von
Gelehrten, Beamten, Juriſten immer noch eher zu
höheren idealen Geſichtspunkten. Aber geſündigt wird
auf beiden Seiten, und die Rückwirkung davon trifft
beidesmal die arbeitenden, die unteren Klaſſen.

Was iſt denn nun aber eigentlich der von den
radikalen Volkswirthen ſo ſehr gebrandmarkte Sozialis-
mus? Die vollſtändige Negation des Eigenthums- und
Erbrechts wird ſo genannt, aber auch jede Thätigkeit der

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[685/0707] Was iſt ſozialiſtiſch? die übertriebene Verachtung, die täglich von gewiſſer Seite über den Egoismus dieſer bürgerlichen Mittelklaſſen, über dieſe „geldſüchtige Bourgeoiſie,“ über dieſe „Man- cheſterſchule,“ über dieſe Doktrin der Geldſäcke, welche nur deßwegen Freiheit verlange, um ohne jede Schranke durch ihr Geld allein zu herrſchen, ausgegoſſen wird. Aber wer möchte unſere Fabrikanten und Bankiers, unſere Ingenieure und Unternehmer, wenn er gerecht iſt, ganz freiſprechen? Sie ſind allerdings andere Leute als die engliſchen Mancheſterleute und als die franzöſiſche Bour- geoiſie von 1830 — 48. Aber hat ſie nicht auch Mohl die Non Donnants genannt? haben ſie nicht ihr ſpezi- fiſches Klaſſenintereſſe, und tritt das nicht nur allzu oft und grell in ihren politiſchen Maßnahmen und Doktrinen hervor? Maskiren ſie nicht oft mit dem ſchönen Worte der wirthſchaftlichen Freiheit nur, was ihrem Geld- beutel und ihren Spekulationen ausſchließlich Gewinn bringt? Unſere Konſervativen dürfen nichts ſagen. Der Großgrundbeſitz trägt in allen Steuerfragen, in der ländlichen Arbeiterfrage ſeinen wirthſchaftlichen Egoismus noch nackter und naiver zur Schau. Unſere bürger- lichen Mittelklaſſen erheben ſich durch den Einfluß von Gelehrten, Beamten, Juriſten immer noch eher zu höheren idealen Geſichtspunkten. Aber geſündigt wird auf beiden Seiten, und die Rückwirkung davon trifft beidesmal die arbeitenden, die unteren Klaſſen. Was iſt denn nun aber eigentlich der von den radikalen Volkswirthen ſo ſehr gebrandmarkte Sozialis- mus? Die vollſtändige Negation des Eigenthums- und Erbrechts wird ſo genannt, aber auch jede Thätigkeit der

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 685. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/707>, abgerufen am 27.11.2024.