Einzelnen zum Schaden gereichen. Sie wollen die Masse rücksichtslos ausbeuten und suchen, oft unterstützt durch eine feile bezahlte kaufmännische Presse, der öffentlichen Meinung weißzumachen, es geschehe das im allgemeinen Interesse. Nirgends freilich bin ich auch über solche Mißstände ängstlich, wo es eine wahrhafte Oeffentlich- keit giebt. Sie wendet alle wirthschaftliche, wie alle politische Freiheit bei gesundem Volksgeiste zum Segen. Aber die Oeffentlichkeit existirt und besteht nicht von selbst, nicht überall; sie braucht Organe; sie wirkt nur günstig und kräftig, wenn sie gesunde und sachverständige Organe hat; die gewöhnliche Presse reicht nicht überall, ist nicht überall sachverständig, nicht immer unbestechlich genug.
Nach unten, in den Kreisen des Kleinverkehrs, des Trödels, Hausirhandels, der Schankwirthschaft, der kleinen Zwischenhändler sind andere Verhältnisse, als im großen kaufmännischen Verkehr. Der Einkaufende ist selten Sachverständiger; der Verkaufende weiß, daß keine öffentliche Meinung ihn ausfindig macht und brand- markt, wie der große Kaufmann oder Fabrikant fürchten muß, der seine Käufer täuscht und betrügt. Die wirth- schaftliche Freiheit kann hier die Untugenden und Miß- stände mehr steigern, als sie den Fleiß fördert. Eine proletarische Konkurrenz kann hier zugleich Kontrolen nothwendig machen, nicht in erster Linie der Käufer wegen, die geprellt werden könnten, sondern der Leute selbst wegen, die ohne das moralisch und wirthschaftlich noch tiefer sinken.1 In diesen Kreisen ist auch entfernt nicht
Einzelnen zum Schaden gereichen. Sie wollen die Maſſe rückſichtslos ausbeuten und ſuchen, oft unterſtützt durch eine feile bezahlte kaufmänniſche Preſſe, der öffentlichen Meinung weißzumachen, es geſchehe das im allgemeinen Intereſſe. Nirgends freilich bin ich auch über ſolche Mißſtände ängſtlich, wo es eine wahrhafte Oeffentlich- keit giebt. Sie wendet alle wirthſchaftliche, wie alle politiſche Freiheit bei geſundem Volksgeiſte zum Segen. Aber die Oeffentlichkeit exiſtirt und beſteht nicht von ſelbſt, nicht überall; ſie braucht Organe; ſie wirkt nur günſtig und kräftig, wenn ſie geſunde und ſachverſtändige Organe hat; die gewöhnliche Preſſe reicht nicht überall, iſt nicht überall ſachverſtändig, nicht immer unbeſtechlich genug.
Nach unten, in den Kreiſen des Kleinverkehrs, des Trödels, Hauſirhandels, der Schankwirthſchaft, der kleinen Zwiſchenhändler ſind andere Verhältniſſe, als im großen kaufmänniſchen Verkehr. Der Einkaufende iſt ſelten Sachverſtändiger; der Verkaufende weiß, daß keine öffentliche Meinung ihn ausfindig macht und brand- markt, wie der große Kaufmann oder Fabrikant fürchten muß, der ſeine Käufer täuſcht und betrügt. Die wirth- ſchaftliche Freiheit kann hier die Untugenden und Miß- ſtände mehr ſteigern, als ſie den Fleiß fördert. Eine proletariſche Konkurrenz kann hier zugleich Kontrolen nothwendig machen, nicht in erſter Linie der Käufer wegen, die geprellt werden könnten, ſondern der Leute ſelbſt wegen, die ohne das moraliſch und wirthſchaftlich noch tiefer ſinken.1 In dieſen Kreiſen iſt auch entfernt nicht
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Schluß und Reſultate.
Einzelnen zum Schaden gereichen. Sie wollen die Maſſe
rückſichtslos ausbeuten und ſuchen, oft unterſtützt durch
eine feile bezahlte kaufmänniſche Preſſe, der öffentlichen
Meinung weißzumachen, es geſchehe das im allgemeinen
Intereſſe. Nirgends freilich bin ich auch über ſolche
Mißſtände ängſtlich, wo es eine wahrhafte Oeffentlich-
keit giebt. Sie wendet alle wirthſchaftliche, wie alle
politiſche Freiheit bei geſundem Volksgeiſte zum Segen.
Aber die Oeffentlichkeit exiſtirt und beſteht nicht von
ſelbſt, nicht überall; ſie braucht Organe; ſie wirkt nur
günſtig und kräftig, wenn ſie geſunde und ſachverſtändige
Organe hat; die gewöhnliche Preſſe reicht nicht überall, iſt
nicht überall ſachverſtändig, nicht immer unbeſtechlich genug.
Nach unten, in den Kreiſen des Kleinverkehrs, des
Trödels, Hauſirhandels, der Schankwirthſchaft, der
kleinen Zwiſchenhändler ſind andere Verhältniſſe, als
im großen kaufmänniſchen Verkehr. Der Einkaufende
iſt ſelten Sachverſtändiger; der Verkaufende weiß, daß
keine öffentliche Meinung ihn ausfindig macht und brand-
markt, wie der große Kaufmann oder Fabrikant fürchten
muß, der ſeine Käufer täuſcht und betrügt. Die wirth-
ſchaftliche Freiheit kann hier die Untugenden und Miß-
ſtände mehr ſteigern, als ſie den Fleiß fördert. Eine
proletariſche Konkurrenz kann hier zugleich Kontrolen
nothwendig machen, nicht in erſter Linie der Käufer
wegen, die geprellt werden könnten, ſondern der Leute ſelbſt
wegen, die ohne das moraliſch und wirthſchaftlich noch
tiefer ſinken. 1 In dieſen Kreiſen iſt auch entfernt nicht
1 Vgl. oben S. 114 ff., 153, 213 ff., 237 ff., 437 — 446.
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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 680. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/702>, abgerufen am 23.11.2024.
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