Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

Bild:
<< vorherige Seite

Die wirthschaftlichen Klassen der Gegenwart.
Einzelnen ohne jede entsprechende Arbeit theilgenommen
haben, an dem die Nichtbesitzenden nur negativ durch
die höheren Mieths- und Lebensmittelpreise partizipi-
ren. Die Werthsteigerung des Haus- und Grund-
besitzes ist im letzten Jahrhundert, speziell in den letzten
30 Jahren, stärker gewesen als je, weil nicht leicht
jemals die Bevölkerung in so kurzer Zeit und besonders
in den großen Städten so gewachsen ist. Sie gleicht
einer Neuvertheilung des Vermögens, von der man nie
der Masse oder der Wissenschaft weiß machen kann, sie
gehe irgend welcher entsprechenden Arbeit der Gewin-
nenden parallel. Welche Vermögen sind entstanden durch
die zufällige Thatsache, daß eine Parzelle in den Bereich
einer Bahnlinie oder gar eines Bahnhofes fiel. Wie
sind die Häuser der großen Städte, welche immer
daneben bewohnt waren, also ihre Rente abwarfen, im
Preise gestiegen. Das Haus, in welchem Alex. v. Hum-
bold geboren wurde, kostete 1746 - 4350 Thlr., 1761
8000, 1796-21000, 1803-35200, 1824-40000,
1863-92000, 1865 - 140000 Thlr.; damals erst
wurde es wesentlich umgebaut. Und ähnlich gewann
ein großer Theil des ländlichen Besitzes. Wenn heute
der städtische und ländliche Grundbesitz so vielfach über
Verschuldung klagt, so kommt es hauptsächlich daher,
daß die reich Gewordenen verkauft, sich als reiche Ren-
tiers zurückgezogen haben, und der Spekulant, der mit
Schulden gekauft hat, der in kürzester Zeit wieder auf
ein weiteres Steigen der Preise rechnet, dies nicht
abwarten kann. In vielen Familien unseres Adels
freilich hat die Verschuldung die Ursache, daß Luxus

43 *

Die wirthſchaftlichen Klaſſen der Gegenwart.
Einzelnen ohne jede entſprechende Arbeit theilgenommen
haben, an dem die Nichtbeſitzenden nur negativ durch
die höheren Mieths- und Lebensmittelpreiſe partizipi-
ren. Die Werthſteigerung des Haus- und Grund-
beſitzes iſt im letzten Jahrhundert, ſpeziell in den letzten
30 Jahren, ſtärker geweſen als je, weil nicht leicht
jemals die Bevölkerung in ſo kurzer Zeit und beſonders
in den großen Städten ſo gewachſen iſt. Sie gleicht
einer Neuvertheilung des Vermögens, von der man nie
der Maſſe oder der Wiſſenſchaft weiß machen kann, ſie
gehe irgend welcher entſprechenden Arbeit der Gewin-
nenden parallel. Welche Vermögen ſind entſtanden durch
die zufällige Thatſache, daß eine Parzelle in den Bereich
einer Bahnlinie oder gar eines Bahnhofes fiel. Wie
ſind die Häuſer der großen Städte, welche immer
daneben bewohnt waren, alſo ihre Rente abwarfen, im
Preiſe geſtiegen. Das Haus, in welchem Alex. v. Hum-
bold geboren wurde, koſtete 1746 - 4350 Thlr., 1761
8000, 1796-21000, 1803-35200, 1824-40000,
1863-92000, 1865 - 140000 Thlr.; damals erſt
wurde es weſentlich umgebaut. Und ähnlich gewann
ein großer Theil des ländlichen Beſitzes. Wenn heute
der ſtädtiſche und ländliche Grundbeſitz ſo vielfach über
Verſchuldung klagt, ſo kommt es hauptſächlich daher,
daß die reich Gewordenen verkauft, ſich als reiche Ren-
tiers zurückgezogen haben, und der Spekulant, der mit
Schulden gekauft hat, der in kürzeſter Zeit wieder auf
ein weiteres Steigen der Preiſe rechnet, dies nicht
abwarten kann. In vielen Familien unſeres Adels
freilich hat die Verſchuldung die Urſache, daß Luxus

43 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0697" n="675"/><fw place="top" type="header">Die wirth&#x017F;chaftlichen Kla&#x017F;&#x017F;en der Gegenwart.</fw><lb/>
Einzelnen ohne jede ent&#x017F;prechende Arbeit theilgenommen<lb/>
haben, an dem die Nichtbe&#x017F;itzenden nur negativ durch<lb/>
die höheren Mieths- und Lebensmittelprei&#x017F;e partizipi-<lb/>
ren. Die Werth&#x017F;teigerung des Haus- und Grund-<lb/>
be&#x017F;itzes i&#x017F;t im letzten Jahrhundert, &#x017F;peziell in den letzten<lb/>
30 Jahren, &#x017F;tärker gewe&#x017F;en als je, weil nicht leicht<lb/>
jemals die Bevölkerung in &#x017F;o kurzer Zeit und be&#x017F;onders<lb/>
in den großen Städten &#x017F;o gewach&#x017F;en i&#x017F;t. Sie gleicht<lb/>
einer Neuvertheilung des Vermögens, von der man nie<lb/>
der Ma&#x017F;&#x017F;e oder der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft weiß machen kann, &#x017F;ie<lb/>
gehe irgend welcher ent&#x017F;prechenden Arbeit der Gewin-<lb/>
nenden parallel. Welche Vermögen &#x017F;ind ent&#x017F;tanden durch<lb/>
die zufällige That&#x017F;ache, daß eine Parzelle in den Bereich<lb/>
einer Bahnlinie oder gar eines Bahnhofes fiel. Wie<lb/>
&#x017F;ind die Häu&#x017F;er der großen Städte, welche immer<lb/>
daneben bewohnt waren, al&#x017F;o ihre Rente abwarfen, im<lb/>
Prei&#x017F;e ge&#x017F;tiegen. Das Haus, in welchem Alex. v. Hum-<lb/>
bold geboren wurde, ko&#x017F;tete 1746 - 4350 Thlr., 1761<lb/>
8000, 1796-21000, 1803-35200, 1824-40000,<lb/>
1863-92000, 1865 - 140000 Thlr.; damals er&#x017F;t<lb/>
wurde es we&#x017F;entlich umgebaut. Und ähnlich gewann<lb/>
ein großer Theil des ländlichen Be&#x017F;itzes. Wenn heute<lb/>
der &#x017F;tädti&#x017F;che und ländliche Grundbe&#x017F;itz &#x017F;o vielfach über<lb/>
Ver&#x017F;chuldung klagt, &#x017F;o kommt es haupt&#x017F;ächlich daher,<lb/>
daß die reich Gewordenen verkauft, &#x017F;ich als reiche Ren-<lb/>
tiers zurückgezogen haben, und der Spekulant, der mit<lb/>
Schulden gekauft hat, der in kürze&#x017F;ter Zeit wieder auf<lb/>
ein weiteres Steigen der Prei&#x017F;e rechnet, dies nicht<lb/>
abwarten kann. In vielen Familien un&#x017F;eres Adels<lb/>
freilich hat die Ver&#x017F;chuldung die Ur&#x017F;ache, daß Luxus<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">43 *</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[675/0697] Die wirthſchaftlichen Klaſſen der Gegenwart. Einzelnen ohne jede entſprechende Arbeit theilgenommen haben, an dem die Nichtbeſitzenden nur negativ durch die höheren Mieths- und Lebensmittelpreiſe partizipi- ren. Die Werthſteigerung des Haus- und Grund- beſitzes iſt im letzten Jahrhundert, ſpeziell in den letzten 30 Jahren, ſtärker geweſen als je, weil nicht leicht jemals die Bevölkerung in ſo kurzer Zeit und beſonders in den großen Städten ſo gewachſen iſt. Sie gleicht einer Neuvertheilung des Vermögens, von der man nie der Maſſe oder der Wiſſenſchaft weiß machen kann, ſie gehe irgend welcher entſprechenden Arbeit der Gewin- nenden parallel. Welche Vermögen ſind entſtanden durch die zufällige Thatſache, daß eine Parzelle in den Bereich einer Bahnlinie oder gar eines Bahnhofes fiel. Wie ſind die Häuſer der großen Städte, welche immer daneben bewohnt waren, alſo ihre Rente abwarfen, im Preiſe geſtiegen. Das Haus, in welchem Alex. v. Hum- bold geboren wurde, koſtete 1746 - 4350 Thlr., 1761 8000, 1796-21000, 1803-35200, 1824-40000, 1863-92000, 1865 - 140000 Thlr.; damals erſt wurde es weſentlich umgebaut. Und ähnlich gewann ein großer Theil des ländlichen Beſitzes. Wenn heute der ſtädtiſche und ländliche Grundbeſitz ſo vielfach über Verſchuldung klagt, ſo kommt es hauptſächlich daher, daß die reich Gewordenen verkauft, ſich als reiche Ren- tiers zurückgezogen haben, und der Spekulant, der mit Schulden gekauft hat, der in kürzeſter Zeit wieder auf ein weiteres Steigen der Preiſe rechnet, dies nicht abwarten kann. In vielen Familien unſeres Adels freilich hat die Verſchuldung die Urſache, daß Luxus 43 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/697
Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 675. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/697>, abgerufen am 18.05.2024.