Die vorwärtskommenden und die verarmenden Meister.
Förderung, die nur einer verhältnißmäßig kleinen Elite zu Gute kommt.
Ihnen gegenüber steht die Hauptmasse der kleinen Meister, die über die herkömmlichen Anschauungen, wie über die Noth des Tages nicht hinauskommen. Es sind nicht bloß die faulen, phlegmatischen, es ist der Mittel- schlag der Menschen, der überall überwiegt. Es sind darunter auch manche Wohlhabende mit ererbtem, seltener mit erworbenem Besitz. Sie suchen ihr Handwerk zu treiben, wie es der Vater und der Großvater getrieben; die neue Zeit verstehen sie nicht, sie sehen nur, daß sie trotz aller Arbeit ärmer und ärmer werden, sie haben die dumpfe Erinnerung, daß es früher um das Hand- werk besser gestanden habe. Das sittlich Berechtigte ihrer Bestrebungen liegt in einem gewissen spießbürger- lichen Festhalten an althergebrachter Zucht und Sitte, das freilich nicht gepaart ist mit dem Verständniß für die neue technische Bildung, die sie ihren Lehrlingen geben müßten. Ausschließlich sehen sie das Heil der Handwerkersache in Zunftrechten und Innungen, welche doch nichts für das Handwerk leisteten. Sie ließen sich von der Reaktion ins Schlepptau nehmen, welche ihnen mit Wiederherstellung der Zunft bessere Zeiten vor- spiegelte. Wenn Leute, wie der Geh. Rath Wagener, welche den Bund zwischen den alten Handwerksmeistern und der konservativen Partei zu knüpfen suchten, nicht ausschließlich politische Parteizwecke verfolgt hätten, wenn sie mit Energie und den großen Geldmitteln, über welche sie verfügen konnten, die systematische Or- ganisation von technischen Schulen, von Genossenschaften
Die vorwärtskommenden und die verarmenden Meiſter.
Förderung, die nur einer verhältnißmäßig kleinen Elite zu Gute kommt.
Ihnen gegenüber ſteht die Hauptmaſſe der kleinen Meiſter, die über die herkömmlichen Anſchauungen, wie über die Noth des Tages nicht hinauskommen. Es ſind nicht bloß die faulen, phlegmatiſchen, es iſt der Mittel- ſchlag der Menſchen, der überall überwiegt. Es ſind darunter auch manche Wohlhabende mit ererbtem, ſeltener mit erworbenem Beſitz. Sie ſuchen ihr Handwerk zu treiben, wie es der Vater und der Großvater getrieben; die neue Zeit verſtehen ſie nicht, ſie ſehen nur, daß ſie trotz aller Arbeit ärmer und ärmer werden, ſie haben die dumpfe Erinnerung, daß es früher um das Hand- werk beſſer geſtanden habe. Das ſittlich Berechtigte ihrer Beſtrebungen liegt in einem gewiſſen ſpießbürger- lichen Feſthalten an althergebrachter Zucht und Sitte, das freilich nicht gepaart iſt mit dem Verſtändniß für die neue techniſche Bildung, die ſie ihren Lehrlingen geben müßten. Ausſchließlich ſehen ſie das Heil der Handwerkerſache in Zunftrechten und Innungen, welche doch nichts für das Handwerk leiſteten. Sie ließen ſich von der Reaktion ins Schlepptau nehmen, welche ihnen mit Wiederherſtellung der Zunft beſſere Zeiten vor- ſpiegelte. Wenn Leute, wie der Geh. Rath Wagener, welche den Bund zwiſchen den alten Handwerksmeiſtern und der konſervativen Partei zu knüpfen ſuchten, nicht ausſchließlich politiſche Parteizwecke verfolgt hätten, wenn ſie mit Energie und den großen Geldmitteln, über welche ſie verfügen konnten, die ſyſtematiſche Or- ganiſation von techniſchen Schulen, von Genoſſenſchaften
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Die vorwärtskommenden und die verarmenden Meiſter.
Förderung, die nur einer verhältnißmäßig kleinen Elite
zu Gute kommt.
Ihnen gegenüber ſteht die Hauptmaſſe der kleinen
Meiſter, die über die herkömmlichen Anſchauungen, wie
über die Noth des Tages nicht hinauskommen. Es ſind
nicht bloß die faulen, phlegmatiſchen, es iſt der Mittel-
ſchlag der Menſchen, der überall überwiegt. Es ſind
darunter auch manche Wohlhabende mit ererbtem, ſeltener
mit erworbenem Beſitz. Sie ſuchen ihr Handwerk zu
treiben, wie es der Vater und der Großvater getrieben;
die neue Zeit verſtehen ſie nicht, ſie ſehen nur, daß ſie
trotz aller Arbeit ärmer und ärmer werden, ſie haben
die dumpfe Erinnerung, daß es früher um das Hand-
werk beſſer geſtanden habe. Das ſittlich Berechtigte
ihrer Beſtrebungen liegt in einem gewiſſen ſpießbürger-
lichen Feſthalten an althergebrachter Zucht und Sitte,
das freilich nicht gepaart iſt mit dem Verſtändniß für
die neue techniſche Bildung, die ſie ihren Lehrlingen
geben müßten. Ausſchließlich ſehen ſie das Heil der
Handwerkerſache in Zunftrechten und Innungen, welche
doch nichts für das Handwerk leiſteten. Sie ließen ſich
von der Reaktion ins Schlepptau nehmen, welche ihnen
mit Wiederherſtellung der Zunft beſſere Zeiten vor-
ſpiegelte. Wenn Leute, wie der Geh. Rath Wagener,
welche den Bund zwiſchen den alten Handwerksmeiſtern
und der konſervativen Partei zu knüpfen ſuchten, nicht
ausſchließlich politiſche Parteizwecke verfolgt hätten,
wenn ſie mit Energie und den großen Geldmitteln,
über welche ſie verfügen konnten, die ſyſtematiſche Or-
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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 667. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/689>, abgerufen am 23.11.2024.
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