die Schuhmacher aus den Nachbarstädten, welche mit den Delitzsch'en die Märkte bezogen, zu mir kamen und sagten: wir können mit den Schuhmachern in Delitzsch nicht mehr konkurriren, sie haben ihren Markt nach Magdeburg hin ausgedehnt, wir wünschen uns auch zu assoziiren." Die Bewegung kam in Gang; im Jahre 1863 zählte Schulze bereits 33 preußische, 18 sächsische und 30 andere deutsche Schuhmacherrohstoffgenossen- schaften; 1866 sind es 22 preußische, 15 sächsische und 25 andere deutsche Rohstoffvereine, neben einigen Ma- gazin- und Produktivgenossenschaften; die Zahl hat also seither nicht zugenommen, wohl aber haben einzelne 40, 60 ja bis 140 Mitglieder; der Berliner Verein hat 1868 für 39016 Thaler, der Wolfenbütteler für 31104 Thlr. Leder an die Mitglieder verkauft.
Gegenüber der Gesammtzahl der 189006 zoll- vereinsländischen Meister ist es allerdings immer noch unbedeutend, wenn einige Hundert durch die Rohstoff- vereine in besserer Lage sind. Und dann reichen die Rohstoffvereine nicht aus, die Lage der Betreffenden von Grund aus zu bessern; die Produktion bleibt unvoll- kommen, der Absatz prekär. Die Geschäftsführung ver- leitet leicht die Vorstände, den Verein für sich auszunutzen. Viele dieser Genossenschaften sind dadurch wieder zu Grunde gegangen, daß die an der Spitze stehenden Meister immer das beste Leder für sich ausschnitten. Das was nun für die kleineren und ärmeren Mitglieder übrig blieb, war nicht besser, als sie es sonst erhalten konnten. Und so lösten sich die Vereine wieder auf. Es fehlt hier, wie in andern Gewerben, an den Leuten,
Die Schuhmachergenoſſenſchaften.
die Schuhmacher aus den Nachbarſtädten, welche mit den Delitzſch’en die Märkte bezogen, zu mir kamen und ſagten: wir können mit den Schuhmachern in Delitzſch nicht mehr konkurriren, ſie haben ihren Markt nach Magdeburg hin ausgedehnt, wir wünſchen uns auch zu aſſoziiren.“ Die Bewegung kam in Gang; im Jahre 1863 zählte Schulze bereits 33 preußiſche, 18 ſächſiſche und 30 andere deutſche Schuhmacherrohſtoffgenoſſen- ſchaften; 1866 ſind es 22 preußiſche, 15 ſächſiſche und 25 andere deutſche Rohſtoffvereine, neben einigen Ma- gazin- und Produktivgenoſſenſchaften; die Zahl hat alſo ſeither nicht zugenommen, wohl aber haben einzelne 40, 60 ja bis 140 Mitglieder; der Berliner Verein hat 1868 für 39016 Thaler, der Wolfenbütteler für 31104 Thlr. Leder an die Mitglieder verkauft.
Gegenüber der Geſammtzahl der 189006 zoll- vereinsländiſchen Meiſter iſt es allerdings immer noch unbedeutend, wenn einige Hundert durch die Rohſtoff- vereine in beſſerer Lage ſind. Und dann reichen die Rohſtoffvereine nicht aus, die Lage der Betreffenden von Grund aus zu beſſern; die Produktion bleibt unvoll- kommen, der Abſatz prekär. Die Geſchäftsführung ver- leitet leicht die Vorſtände, den Verein für ſich auszunutzen. Viele dieſer Genoſſenſchaften ſind dadurch wieder zu Grunde gegangen, daß die an der Spitze ſtehenden Meiſter immer das beſte Leder für ſich ausſchnitten. Das was nun für die kleineren und ärmeren Mitglieder übrig blieb, war nicht beſſer, als ſie es ſonſt erhalten konnten. Und ſo löſten ſich die Vereine wieder auf. Es fehlt hier, wie in andern Gewerben, an den Leuten,
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Die Schuhmachergenoſſenſchaften.
die Schuhmacher aus den Nachbarſtädten, welche mit
den Delitzſch’en die Märkte bezogen, zu mir kamen und
ſagten: wir können mit den Schuhmachern in Delitzſch
nicht mehr konkurriren, ſie haben ihren Markt nach
Magdeburg hin ausgedehnt, wir wünſchen uns auch zu
aſſoziiren.“ Die Bewegung kam in Gang; im Jahre
1863 zählte Schulze bereits 33 preußiſche, 18 ſächſiſche
und 30 andere deutſche Schuhmacherrohſtoffgenoſſen-
ſchaften; 1866 ſind es 22 preußiſche, 15 ſächſiſche und
25 andere deutſche Rohſtoffvereine, neben einigen Ma-
gazin- und Produktivgenoſſenſchaften; die Zahl hat alſo
ſeither nicht zugenommen, wohl aber haben einzelne 40,
60 ja bis 140 Mitglieder; der Berliner Verein hat
1868 für 39016 Thaler, der Wolfenbütteler für
31104 Thlr. Leder an die Mitglieder verkauft.
Gegenüber der Geſammtzahl der 189006 zoll-
vereinsländiſchen Meiſter iſt es allerdings immer noch
unbedeutend, wenn einige Hundert durch die Rohſtoff-
vereine in beſſerer Lage ſind. Und dann reichen die
Rohſtoffvereine nicht aus, die Lage der Betreffenden
von Grund aus zu beſſern; die Produktion bleibt unvoll-
kommen, der Abſatz prekär. Die Geſchäftsführung ver-
leitet leicht die Vorſtände, den Verein für ſich auszunutzen.
Viele dieſer Genoſſenſchaften ſind dadurch wieder zu
Grunde gegangen, daß die an der Spitze ſtehenden
Meiſter immer das beſte Leder für ſich ausſchnitten.
Das was nun für die kleineren und ärmeren Mitglieder
übrig blieb, war nicht beſſer, als ſie es ſonſt erhalten
konnten. Und ſo löſten ſich die Vereine wieder auf.
Es fehlt hier, wie in andern Gewerben, an den Leuten,
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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 629. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/651>, abgerufen am 22.11.2024.
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