garns ist aus Merinowolle. Die Wolle wird nach der Wäsche zuerst gekämmt, dann durchschnittlich viel feiner gesponnen als das Streichgarn und stärker gedreht. Die ganze Technik ist komplizirter und schwieriger, und doch hat die Handarbeit hier lange sich behauptet. Die Maschinen waren schwieriger zu konstruiren.
Besonders das Kämmen geschah bis in die neuere Zeit mit der Hand, aber viel weniger in selbständigen Geschäften, sondern um Lohn von einzelnen Arbeitern, von Weibern, von Züchtlingen für die betreffenden Weber und Fabriken. Es war kein selbständiges, gesun- des Gewerbe, wenn auch der Lohn zeitweise, wie in England bei dem großen Aufschwung der Worstedfabriken, hoch stand (17--20 Sh. die Woche).1 "Die Hand- kämmerei", schreibt Wiek 1840,2 "ist der große Hemm- schuh der Spinnerei; gekämmte Wolle ist nicht immer zu haben; die verschiedenen Hände kämmen ungleich; die Veruntreuung, ja die Umtauschung der Wolle ist nicht zu vermeiden; die gekämmte Wolle (der Zug) wird durch Oel verunreinigt." Doch wollte es lange nicht gelingen, brauchbare und billiger arbeitende Kämm- maschinen zu konstruiren. Erst in den fünfziger Jahren, mehr noch seit 1861 trat der Umschwung ein. Ein Handspinner hatte täglich etwa 11/2 Pfund Zug und etwa eben so viel Abfall (die Kämmlinge) liefern können; die Collier'sche Kammmaschine lieferte nun mit wenigen
1 Ausstellungsbericht von 1851, II, 64: man zählte in der Grafschaft York 1851 auf 423 Fabriken und 118433 Arbeiter (incl. der Kämmer) -- 30000 Handkämmer.
2 Industrielle Zustände Sachsens S. 221.
31 *
Die Kammgarnſpinnerei.
garns iſt aus Merinowolle. Die Wolle wird nach der Wäſche zuerſt gekämmt, dann durchſchnittlich viel feiner geſponnen als das Streichgarn und ſtärker gedreht. Die ganze Technik iſt komplizirter und ſchwieriger, und doch hat die Handarbeit hier lange ſich behauptet. Die Maſchinen waren ſchwieriger zu konſtruiren.
Beſonders das Kämmen geſchah bis in die neuere Zeit mit der Hand, aber viel weniger in ſelbſtändigen Geſchäften, ſondern um Lohn von einzelnen Arbeitern, von Weibern, von Züchtlingen für die betreffenden Weber und Fabriken. Es war kein ſelbſtändiges, geſun- des Gewerbe, wenn auch der Lohn zeitweiſe, wie in England bei dem großen Aufſchwung der Worſtedfabriken, hoch ſtand (17—20 Sh. die Woche).1 „Die Hand- kämmerei“, ſchreibt Wiek 1840,2 „iſt der große Hemm- ſchuh der Spinnerei; gekämmte Wolle iſt nicht immer zu haben; die verſchiedenen Hände kämmen ungleich; die Veruntreuung, ja die Umtauſchung der Wolle iſt nicht zu vermeiden; die gekämmte Wolle (der Zug) wird durch Oel verunreinigt.“ Doch wollte es lange nicht gelingen, brauchbare und billiger arbeitende Kämm- maſchinen zu konſtruiren. Erſt in den fünfziger Jahren, mehr noch ſeit 1861 trat der Umſchwung ein. Ein Handſpinner hatte täglich etwa 1½ Pfund Zug und etwa eben ſo viel Abfall (die Kämmlinge) liefern können; die Collier’ſche Kammmaſchine lieferte nun mit wenigen
1 Ausſtellungsbericht von 1851, II, 64: man zählte in der Grafſchaft York 1851 auf 423 Fabriken und 118433 Arbeiter (incl. der Kämmer) — 30000 Handkämmer.
2 Induſtrielle Zuſtände Sachſens S. 221.
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Die Kammgarnſpinnerei.
garns iſt aus Merinowolle. Die Wolle wird nach der
Wäſche zuerſt gekämmt, dann durchſchnittlich viel feiner
geſponnen als das Streichgarn und ſtärker gedreht.
Die ganze Technik iſt komplizirter und ſchwieriger, und
doch hat die Handarbeit hier lange ſich behauptet. Die
Maſchinen waren ſchwieriger zu konſtruiren.
Beſonders das Kämmen geſchah bis in die neuere
Zeit mit der Hand, aber viel weniger in ſelbſtändigen
Geſchäften, ſondern um Lohn von einzelnen Arbeitern,
von Weibern, von Züchtlingen für die betreffenden
Weber und Fabriken. Es war kein ſelbſtändiges, geſun-
des Gewerbe, wenn auch der Lohn zeitweiſe, wie in
England bei dem großen Aufſchwung der Worſtedfabriken,
hoch ſtand (17—20 Sh. die Woche). 1 „Die Hand-
kämmerei“, ſchreibt Wiek 1840, 2 „iſt der große Hemm-
ſchuh der Spinnerei; gekämmte Wolle iſt nicht immer
zu haben; die verſchiedenen Hände kämmen ungleich;
die Veruntreuung, ja die Umtauſchung der Wolle iſt
nicht zu vermeiden; die gekämmte Wolle (der Zug) wird
durch Oel verunreinigt.“ Doch wollte es lange nicht
gelingen, brauchbare und billiger arbeitende Kämm-
maſchinen zu konſtruiren. Erſt in den fünfziger Jahren,
mehr noch ſeit 1861 trat der Umſchwung ein. Ein
Handſpinner hatte täglich etwa 1½ Pfund Zug und
etwa eben ſo viel Abfall (die Kämmlinge) liefern können;
die Collier’ſche Kammmaſchine lieferte nun mit wenigen
1 Ausſtellungsbericht von 1851, II, 64: man zählte in
der Grafſchaft York 1851 auf 423 Fabriken und 118433 Arbeiter
(incl. der Kämmer) — 30000 Handkämmer.
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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 483. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/505>, abgerufen am 22.11.2024.
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