Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

Wir haben zuerst von der Herstellung der Garne,
von der Verspinnung des Flachses, der Baumwolle und
der Wolle zu reden.

Das einfachste Werkzeug zum Spinnen, das man
bis in die neuere Zeit noch findet, ist Kunkel und
Spindel. Das 1530 erfundene Spinnrad war billig
genug, um gleichfalls einzudringen bis in die untersten
Klassen. Die Fürstin wie die Tagelöhnerfrau saß in
früherer Zeit am Spinnrad oder arbeitete mit der
Spindel; auch Männer füllten ihre Zeit damit aus.
Und noch heute ist besonders auf dem Lande die
Sitte noch nicht verschwunden. Das alte Mütterchen,
wie die kränklichen Schwestern, die halberwachsenen
Mädchen können nur so sich nützlich machen; Abend-
stunden und Wintertage, welche sonst ganz verloren
wären, werden nur so mit emsiger Arbeit ausgefüllt.

Was so als Nebenbeschäftigung gesponnen wurde,
konnte da nicht reichen, wo eine blühende Weberei exi-
stirte, reichte also auch in Deutschland, besonders in
Preußen und Sachsen, nicht mehr hin, als im vorigen
Jahrhundert die Weberei zunahm, sich zu einem blühen-
den Exportgewerbe emporschwang. Um einen Weber
voll zu beschäftigen, braucht man das Gespinnst von
10 und noch mehr Spinnern. Ich erzählte oben schon,
wie man in Preußen das Spinnen zu fördern suchte.1
Man ließ die Soldaten spinnen; man führte in allen
Strafanstalten das Spinnen als Hauptbeschäftigung ein;
es reichte nicht; man gründete ganze Spinnerkolonien;

1 S. 26 und S. 29 -- 30.
Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.

Wir haben zuerſt von der Herſtellung der Garne,
von der Verſpinnung des Flachſes, der Baumwolle und
der Wolle zu reden.

Das einfachſte Werkzeug zum Spinnen, das man
bis in die neuere Zeit noch findet, iſt Kunkel und
Spindel. Das 1530 erfundene Spinnrad war billig
genug, um gleichfalls einzudringen bis in die unterſten
Klaſſen. Die Fürſtin wie die Tagelöhnerfrau ſaß in
früherer Zeit am Spinnrad oder arbeitete mit der
Spindel; auch Männer füllten ihre Zeit damit aus.
Und noch heute iſt beſonders auf dem Lande die
Sitte noch nicht verſchwunden. Das alte Mütterchen,
wie die kränklichen Schweſtern, die halberwachſenen
Mädchen können nur ſo ſich nützlich machen; Abend-
ſtunden und Wintertage, welche ſonſt ganz verloren
wären, werden nur ſo mit emſiger Arbeit ausgefüllt.

Was ſo als Nebenbeſchäftigung geſponnen wurde,
konnte da nicht reichen, wo eine blühende Weberei exi-
ſtirte, reichte alſo auch in Deutſchland, beſonders in
Preußen und Sachſen, nicht mehr hin, als im vorigen
Jahrhundert die Weberei zunahm, ſich zu einem blühen-
den Exportgewerbe emporſchwang. Um einen Weber
voll zu beſchäftigen, braucht man das Geſpinnſt von
10 und noch mehr Spinnern. Ich erzählte oben ſchon,
wie man in Preußen das Spinnen zu fördern ſuchte.1
Man ließ die Soldaten ſpinnen; man führte in allen
Strafanſtalten das Spinnen als Hauptbeſchäftigung ein;
es reichte nicht; man gründete ganze Spinnerkolonien;

1 S. 26 und S. 29 — 30.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0472" n="450"/>
          <fw place="top" type="header">Die Umbildung einzelner Gewerbszweige.</fw><lb/>
          <p>Wir haben zuer&#x017F;t von der Her&#x017F;tellung der Garne,<lb/>
von der Ver&#x017F;pinnung des Flach&#x017F;es, der Baumwolle und<lb/>
der Wolle zu reden.</p><lb/>
          <p>Das einfach&#x017F;te Werkzeug zum Spinnen, das man<lb/>
bis in die neuere Zeit noch findet, i&#x017F;t Kunkel und<lb/>
Spindel. Das 1530 erfundene Spinnrad war billig<lb/>
genug, um gleichfalls einzudringen bis in die unter&#x017F;ten<lb/>
Kla&#x017F;&#x017F;en. Die Für&#x017F;tin wie die Tagelöhnerfrau &#x017F;aß in<lb/>
früherer Zeit am Spinnrad oder arbeitete mit der<lb/>
Spindel; auch Männer füllten ihre Zeit damit aus.<lb/>
Und noch heute i&#x017F;t be&#x017F;onders auf dem Lande die<lb/>
Sitte noch nicht ver&#x017F;chwunden. Das alte Mütterchen,<lb/>
wie die kränklichen Schwe&#x017F;tern, die halberwach&#x017F;enen<lb/>
Mädchen können nur &#x017F;o &#x017F;ich nützlich machen; Abend-<lb/>
&#x017F;tunden und Wintertage, welche &#x017F;on&#x017F;t ganz verloren<lb/>
wären, werden nur &#x017F;o mit em&#x017F;iger Arbeit ausgefüllt.</p><lb/>
          <p>Was &#x017F;o als Nebenbe&#x017F;chäftigung ge&#x017F;ponnen wurde,<lb/>
konnte da nicht reichen, wo eine blühende Weberei exi-<lb/>
&#x017F;tirte, reichte al&#x017F;o auch in Deut&#x017F;chland, be&#x017F;onders in<lb/>
Preußen und Sach&#x017F;en, nicht mehr hin, als im vorigen<lb/>
Jahrhundert die Weberei zunahm, &#x017F;ich zu einem blühen-<lb/>
den Exportgewerbe empor&#x017F;chwang. Um einen Weber<lb/>
voll zu be&#x017F;chäftigen, braucht man das Ge&#x017F;pinn&#x017F;t von<lb/>
10 und noch mehr Spinnern. Ich erzählte oben &#x017F;chon,<lb/>
wie man in Preußen das Spinnen zu fördern &#x017F;uchte.<note place="foot" n="1">S. 26 und S. 29 &#x2014; 30.</note><lb/>
Man ließ die Soldaten &#x017F;pinnen; man führte in allen<lb/>
Strafan&#x017F;talten das Spinnen als Hauptbe&#x017F;chäftigung ein;<lb/>
es reichte nicht; man gründete ganze Spinnerkolonien;<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[450/0472] Die Umbildung einzelner Gewerbszweige. Wir haben zuerſt von der Herſtellung der Garne, von der Verſpinnung des Flachſes, der Baumwolle und der Wolle zu reden. Das einfachſte Werkzeug zum Spinnen, das man bis in die neuere Zeit noch findet, iſt Kunkel und Spindel. Das 1530 erfundene Spinnrad war billig genug, um gleichfalls einzudringen bis in die unterſten Klaſſen. Die Fürſtin wie die Tagelöhnerfrau ſaß in früherer Zeit am Spinnrad oder arbeitete mit der Spindel; auch Männer füllten ihre Zeit damit aus. Und noch heute iſt beſonders auf dem Lande die Sitte noch nicht verſchwunden. Das alte Mütterchen, wie die kränklichen Schweſtern, die halberwachſenen Mädchen können nur ſo ſich nützlich machen; Abend- ſtunden und Wintertage, welche ſonſt ganz verloren wären, werden nur ſo mit emſiger Arbeit ausgefüllt. Was ſo als Nebenbeſchäftigung geſponnen wurde, konnte da nicht reichen, wo eine blühende Weberei exi- ſtirte, reichte alſo auch in Deutſchland, beſonders in Preußen und Sachſen, nicht mehr hin, als im vorigen Jahrhundert die Weberei zunahm, ſich zu einem blühen- den Exportgewerbe emporſchwang. Um einen Weber voll zu beſchäftigen, braucht man das Geſpinnſt von 10 und noch mehr Spinnern. Ich erzählte oben ſchon, wie man in Preußen das Spinnen zu fördern ſuchte. 1 Man ließ die Soldaten ſpinnen; man führte in allen Strafanſtalten das Spinnen als Hauptbeſchäftigung ein; es reichte nicht; man gründete ganze Spinnerkolonien; 1 S. 26 und S. 29 — 30.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/472
Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 450. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/472>, abgerufen am 16.07.2024.