abhängigem Leben läßt sie diese Vertheuerung übersehen. Noch mehr entfernt das immer mehr und leider oft in hierzu sehr ungeeigneten Arbeitsverhältnissen einreißende Akkordarbeiten die Gesellen von dem Meister, indem es sie auch hinsichtlich der Arbeitszeit unabhängig macht. Im Allgemeinen ist durch diese Gestaltung der Verhält- nisse der Meisterstand in sehr übler Lage wegen seines Hülfspersonals, denn er hat weit größere Interessen zu vertreten, als der mit seiner Arbeitskraft leicht wieder unterkommende Geselle. Es ist hierdurch so weit gekom- men, daß in manchen Handwerken viel mehr die Furcht vor Mangel an treu aushaltendem Personale, als vor Mangel an Kundschaft von Erweiterung des Geschäfts abhält, und daß im Allgemeinen die Meister die freie und gesicherte Stellung der Gesellen beneiden, weshalb denn auch eine verhältnißmäßig große Zahl von Gesellen in zwar bescheidenen, aber gesicherten Verhältnissen einen ehelichen Hausstand führt."
Es ist zuzugeben, daß nicht bloß ältere verheirathete Leute, sondern ebenso junge kaum 18--25 jährige, denen eine gewisse Zucht und Aufsicht sehr heilsam wäre, dadurch selbständig werden, dadurch Gefahren aller Art ausgesetzt sind, körperlich, moralisch und geistig zu Grunde gehen. Dem Verhältniß zu ihrem Meister fehlen die früheren Bande, die aus dem Zusammensein am häuslichen Heerde entsprangen. Die Lohnfrage muß überdieß Meister und Gesellen mehr als je entzweien. Die früheren Gesellenlöhne waren relativ sehr niedrig; der Geselle wurde früher neben Geld und Verpflegung gleichsam mit der sichern Aussicht bezahlt, Meister zu
Die Vertheilung der Gewerbetreibenden.
abhängigem Leben läßt ſie dieſe Vertheuerung überſehen. Noch mehr entfernt das immer mehr und leider oft in hierzu ſehr ungeeigneten Arbeitsverhältniſſen einreißende Akkordarbeiten die Geſellen von dem Meiſter, indem es ſie auch hinſichtlich der Arbeitszeit unabhängig macht. Im Allgemeinen iſt durch dieſe Geſtaltung der Verhält- niſſe der Meiſterſtand in ſehr übler Lage wegen ſeines Hülfsperſonals, denn er hat weit größere Intereſſen zu vertreten, als der mit ſeiner Arbeitskraft leicht wieder unterkommende Geſelle. Es iſt hierdurch ſo weit gekom- men, daß in manchen Handwerken viel mehr die Furcht vor Mangel an treu aushaltendem Perſonale, als vor Mangel an Kundſchaft von Erweiterung des Geſchäfts abhält, und daß im Allgemeinen die Meiſter die freie und geſicherte Stellung der Geſellen beneiden, weshalb denn auch eine verhältnißmäßig große Zahl von Geſellen in zwar beſcheidenen, aber geſicherten Verhältniſſen einen ehelichen Hausſtand führt.“
Es iſt zuzugeben, daß nicht bloß ältere verheirathete Leute, ſondern ebenſo junge kaum 18—25 jährige, denen eine gewiſſe Zucht und Aufſicht ſehr heilſam wäre, dadurch ſelbſtändig werden, dadurch Gefahren aller Art ausgeſetzt ſind, körperlich, moraliſch und geiſtig zu Grunde gehen. Dem Verhältniß zu ihrem Meiſter fehlen die früheren Bande, die aus dem Zuſammenſein am häuslichen Heerde entſprangen. Die Lohnfrage muß überdieß Meiſter und Geſellen mehr als je entzweien. Die früheren Geſellenlöhne waren relativ ſehr niedrig; der Geſelle wurde früher neben Geld und Verpflegung gleichſam mit der ſichern Ausſicht bezahlt, Meiſter zu
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Die Vertheilung der Gewerbetreibenden.
abhängigem Leben läßt ſie dieſe Vertheuerung überſehen.
Noch mehr entfernt das immer mehr und leider oft in
hierzu ſehr ungeeigneten Arbeitsverhältniſſen einreißende
Akkordarbeiten die Geſellen von dem Meiſter, indem es
ſie auch hinſichtlich der Arbeitszeit unabhängig macht.
Im Allgemeinen iſt durch dieſe Geſtaltung der Verhält-
niſſe der Meiſterſtand in ſehr übler Lage wegen ſeines
Hülfsperſonals, denn er hat weit größere Intereſſen zu
vertreten, als der mit ſeiner Arbeitskraft leicht wieder
unterkommende Geſelle. Es iſt hierdurch ſo weit gekom-
men, daß in manchen Handwerken viel mehr die Furcht
vor Mangel an treu aushaltendem Perſonale, als vor
Mangel an Kundſchaft von Erweiterung des Geſchäfts
abhält, und daß im Allgemeinen die Meiſter die freie
und geſicherte Stellung der Geſellen beneiden, weshalb
denn auch eine verhältnißmäßig große Zahl von Geſellen
in zwar beſcheidenen, aber geſicherten Verhältniſſen einen
ehelichen Hausſtand führt.“
Es iſt zuzugeben, daß nicht bloß ältere verheirathete
Leute, ſondern ebenſo junge kaum 18—25 jährige,
denen eine gewiſſe Zucht und Aufſicht ſehr heilſam wäre,
dadurch ſelbſtändig werden, dadurch Gefahren aller Art
ausgeſetzt ſind, körperlich, moraliſch und geiſtig zu
Grunde gehen. Dem Verhältniß zu ihrem Meiſter
fehlen die früheren Bande, die aus dem Zuſammenſein
am häuslichen Heerde entſprangen. Die Lohnfrage muß
überdieß Meiſter und Geſellen mehr als je entzweien.
Die früheren Geſellenlöhne waren relativ ſehr niedrig;
der Geſelle wurde früher neben Geld und Verpflegung
gleichſam mit der ſichern Ausſicht bezahlt, Meiſter zu
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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/372>, abgerufen am 25.11.2024.
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