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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

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Ein Rückblick ins 18. Jahrhundert.
Reichs- wie Landesgesetzgebung dagegen anzukämpfen.
Vergeblich war Alles, weil Stumpfsinn und Apathie,
kleinlicher Spießbürgergeist und beschränkte Indolenz
überall herrschten, weil Gevatter Schneider und Hand-
schuhmacher möglichst ohne Anstrengung und Arbeit sich
nothdürftige Nahrung zu schaffen und zu erhalten such-
ten. Ein großer Theil der Handwerker, auch der
städtischen, war zu Halbbauern herabgesunken. Feindlich
und apathisch verhielt sich die Mehrzahl gegen neue
Anregungen, wie sie von den flüchtigen französischen
Protestanten, von den Fürstenhöfen ausgingen. Das
Fabrikwesen oder vielmehr einzelne für weitern Absatz
arbeitende Hausindustrien wurden in einzelnen Ländern,
wie in Preußen, in Sachsen, auch in Oestreich von
aufgeklärten Fürsten gepflegt und gehoben; nur wenige
Industrien, wie die Leinenmanufaktur, hatten aus alter
Zeit her noch eine gewisse Blüthe gerettet; aber das
berührte in der Hauptsache die hergebrachten Hand-
werkszustände nicht viel, jedenfalls nur in einzelnen
Ländern.

Die ökonomische Lage der meisten Handwerker war
ebenso kümmerlich als ihre Technik unvollendet, ihre
Arbeit schlecht. Das dauernde Siechthum, wie es
ebenso Folge der Gesetzgebung und der politischen Zu-
stände, als der technischen Ungeschicklichkeit und spieß-
bürgerlichen Trägheit war, hatte aber je nach der Art
der Gewerbe und lokal, je nach den mitwirkenden son-
stigen Verhältnissen, ziemlich verschiedene Folgen. In
einigen Gegenden und Gewerben allgemeiner Rückgang
selbst der Meisterzahl, in andern im Gegentheil eine

Ein Rückblick ins 18. Jahrhundert.
Reichs- wie Landesgeſetzgebung dagegen anzukämpfen.
Vergeblich war Alles, weil Stumpfſinn und Apathie,
kleinlicher Spießbürgergeiſt und beſchränkte Indolenz
überall herrſchten, weil Gevatter Schneider und Hand-
ſchuhmacher möglichſt ohne Anſtrengung und Arbeit ſich
nothdürftige Nahrung zu ſchaffen und zu erhalten ſuch-
ten. Ein großer Theil der Handwerker, auch der
ſtädtiſchen, war zu Halbbauern herabgeſunken. Feindlich
und apathiſch verhielt ſich die Mehrzahl gegen neue
Anregungen, wie ſie von den flüchtigen franzöſiſchen
Proteſtanten, von den Fürſtenhöfen ausgingen. Das
Fabrikweſen oder vielmehr einzelne für weitern Abſatz
arbeitende Hausinduſtrien wurden in einzelnen Ländern,
wie in Preußen, in Sachſen, auch in Oeſtreich von
aufgeklärten Fürſten gepflegt und gehoben; nur wenige
Induſtrien, wie die Leinenmanufaktur, hatten aus alter
Zeit her noch eine gewiſſe Blüthe gerettet; aber das
berührte in der Hauptſache die hergebrachten Hand-
werkszuſtände nicht viel, jedenfalls nur in einzelnen
Ländern.

Die ökonomiſche Lage der meiſten Handwerker war
ebenſo kümmerlich als ihre Technik unvollendet, ihre
Arbeit ſchlecht. Das dauernde Siechthum, wie es
ebenſo Folge der Geſetzgebung und der politiſchen Zu-
ſtände, als der techniſchen Ungeſchicklichkeit und ſpieß-
bürgerlichen Trägheit war, hatte aber je nach der Art
der Gewerbe und lokal, je nach den mitwirkenden ſon-
ſtigen Verhältniſſen, ziemlich verſchiedene Folgen. In
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[14/0036] Ein Rückblick ins 18. Jahrhundert. Reichs- wie Landesgeſetzgebung dagegen anzukämpfen. Vergeblich war Alles, weil Stumpfſinn und Apathie, kleinlicher Spießbürgergeiſt und beſchränkte Indolenz überall herrſchten, weil Gevatter Schneider und Hand- ſchuhmacher möglichſt ohne Anſtrengung und Arbeit ſich nothdürftige Nahrung zu ſchaffen und zu erhalten ſuch- ten. Ein großer Theil der Handwerker, auch der ſtädtiſchen, war zu Halbbauern herabgeſunken. Feindlich und apathiſch verhielt ſich die Mehrzahl gegen neue Anregungen, wie ſie von den flüchtigen franzöſiſchen Proteſtanten, von den Fürſtenhöfen ausgingen. Das Fabrikweſen oder vielmehr einzelne für weitern Abſatz arbeitende Hausinduſtrien wurden in einzelnen Ländern, wie in Preußen, in Sachſen, auch in Oeſtreich von aufgeklärten Fürſten gepflegt und gehoben; nur wenige Induſtrien, wie die Leinenmanufaktur, hatten aus alter Zeit her noch eine gewiſſe Blüthe gerettet; aber das berührte in der Hauptſache die hergebrachten Hand- werkszuſtände nicht viel, jedenfalls nur in einzelnen Ländern. Die ökonomiſche Lage der meiſten Handwerker war ebenſo kümmerlich als ihre Technik unvollendet, ihre Arbeit ſchlecht. Das dauernde Siechthum, wie es ebenſo Folge der Geſetzgebung und der politiſchen Zu- ſtände, als der techniſchen Ungeſchicklichkeit und ſpieß- bürgerlichen Trägheit war, hatte aber je nach der Art der Gewerbe und lokal, je nach den mitwirkenden ſon- ſtigen Verhältniſſen, ziemlich verſchiedene Folgen. In einigen Gegenden und Gewerben allgemeiner Rückgang ſelbſt der Meiſterzahl, in andern im Gegentheil eine

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/36>, abgerufen am 26.04.2024.