ein Glück betrachten, wenn die Handwerker etwas zahl- reicher, dafür aber um so ungeschickter und indolenter sind und viele halbbeschäftigte Existenzen in sich bergen. Da wird man, selbst wenn man die mit der Gewerbe- freiheit und den Fortschritten der Technik sich ergebende ungleichere Vermögensvertheilung, das theilweise Ver- schwinden eines Mittelstandes tief beklagt, die ander- weitigen Fortschritte immer dagegen halten.
Uebrigens darf man den ganzen Einfluß der Ge- werbegesetzgebung nicht überschätzen. Er beschränkt sich, so wie unsere deutschen Gesetze alle waren und gehand- habt wurden, darauf, daß große durch andere Ursachen hervorgerufene Bewegungen etwas verlangsamt oder etwas verstärkt wurden. Auch die Rheinprovinz hat trotz der längst bestehenden Gewerbefreiheit noch immer ein nicht unbedeutendes Handwerk; das Königreich Sachsen hat trotz der Zunftgesetze und Realberechtigungen seinen Uebergang zur Großindustrie, da wo er angezeigt war, vollzogen.
Alle bisher besprochenen Ursachen treffen nicht in das Herz der Sache; theilweise selbst nicht einfacher Natur, wirken sie vollends unter sehr verschiedenen Ver- hältnissen sehr verschieden. Mehr und weniger wird man freilich so von den meisten Ursachen sozialer und volkswirthschaftlicher Dinge urtheilen müssen, wenn man genauer zusieht. Aber doch nur mehr oder weniger. Es gibt durchgreifendere Ursachen mit ein- fachern Wirkungen. Und eine solche, wie mir scheint die wichtigste in dieser ganzen Frage, habe ich noch hervorzuheben.
Der Einfluß der Gewerbegeſetzgebung
ein Glück betrachten, wenn die Handwerker etwas zahl- reicher, dafür aber um ſo ungeſchickter und indolenter ſind und viele halbbeſchäftigte Exiſtenzen in ſich bergen. Da wird man, ſelbſt wenn man die mit der Gewerbe- freiheit und den Fortſchritten der Technik ſich ergebende ungleichere Vermögensvertheilung, das theilweiſe Ver- ſchwinden eines Mittelſtandes tief beklagt, die ander- weitigen Fortſchritte immer dagegen halten.
Uebrigens darf man den ganzen Einfluß der Ge- werbegeſetzgebung nicht überſchätzen. Er beſchränkt ſich, ſo wie unſere deutſchen Geſetze alle waren und gehand- habt wurden, darauf, daß große durch andere Urſachen hervorgerufene Bewegungen etwas verlangſamt oder etwas verſtärkt wurden. Auch die Rheinprovinz hat trotz der längſt beſtehenden Gewerbefreiheit noch immer ein nicht unbedeutendes Handwerk; das Königreich Sachſen hat trotz der Zunftgeſetze und Realberechtigungen ſeinen Uebergang zur Großinduſtrie, da wo er angezeigt war, vollzogen.
Alle bisher beſprochenen Urſachen treffen nicht in das Herz der Sache; theilweiſe ſelbſt nicht einfacher Natur, wirken ſie vollends unter ſehr verſchiedenen Ver- hältniſſen ſehr verſchieden. Mehr und weniger wird man freilich ſo von den meiſten Urſachen ſozialer und volkswirthſchaftlicher Dinge urtheilen müſſen, wenn man genauer zuſieht. Aber doch nur mehr oder weniger. Es gibt durchgreifendere Urſachen mit ein- fachern Wirkungen. Und eine ſolche, wie mir ſcheint die wichtigſte in dieſer ganzen Frage, habe ich noch hervorzuheben.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0337"n="315"/><fwplace="top"type="header">Der Einfluß der Gewerbegeſetzgebung</fw><lb/>
ein Glück betrachten, wenn die Handwerker etwas zahl-<lb/>
reicher, dafür aber um ſo ungeſchickter und indolenter<lb/>ſind und viele halbbeſchäftigte Exiſtenzen in ſich bergen.<lb/>
Da wird man, ſelbſt wenn man die mit der Gewerbe-<lb/>
freiheit und den Fortſchritten der Technik ſich ergebende<lb/>
ungleichere Vermögensvertheilung, das theilweiſe Ver-<lb/>ſchwinden eines Mittelſtandes tief beklagt, die ander-<lb/>
weitigen Fortſchritte immer dagegen halten.</p><lb/><p>Uebrigens darf man den ganzen Einfluß der Ge-<lb/>
werbegeſetzgebung nicht überſchätzen. Er beſchränkt ſich,<lb/>ſo wie unſere deutſchen Geſetze alle waren und gehand-<lb/>
habt wurden, darauf, daß große durch andere Urſachen<lb/>
hervorgerufene Bewegungen etwas verlangſamt oder<lb/>
etwas verſtärkt wurden. Auch die Rheinprovinz hat<lb/>
trotz der längſt beſtehenden Gewerbefreiheit noch immer<lb/>
ein nicht unbedeutendes Handwerk; das Königreich<lb/>
Sachſen hat trotz der Zunftgeſetze und Realberechtigungen<lb/>ſeinen Uebergang zur Großinduſtrie, da wo er angezeigt<lb/>
war, vollzogen.</p><lb/><p>Alle bisher beſprochenen Urſachen treffen nicht in<lb/>
das Herz der Sache; theilweiſe ſelbſt nicht einfacher<lb/>
Natur, wirken ſie vollends unter ſehr verſchiedenen Ver-<lb/>
hältniſſen ſehr verſchieden. Mehr und weniger wird<lb/>
man freilich ſo von den meiſten Urſachen ſozialer und<lb/>
volkswirthſchaftlicher Dinge urtheilen müſſen, wenn<lb/>
man genauer zuſieht. Aber doch nur mehr oder<lb/>
weniger. Es gibt durchgreifendere Urſachen mit ein-<lb/>
fachern Wirkungen. Und eine ſolche, wie mir ſcheint<lb/>
die wichtigſte in dieſer ganzen Frage, habe ich noch<lb/>
hervorzuheben.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[315/0337]
Der Einfluß der Gewerbegeſetzgebung
ein Glück betrachten, wenn die Handwerker etwas zahl-
reicher, dafür aber um ſo ungeſchickter und indolenter
ſind und viele halbbeſchäftigte Exiſtenzen in ſich bergen.
Da wird man, ſelbſt wenn man die mit der Gewerbe-
freiheit und den Fortſchritten der Technik ſich ergebende
ungleichere Vermögensvertheilung, das theilweiſe Ver-
ſchwinden eines Mittelſtandes tief beklagt, die ander-
weitigen Fortſchritte immer dagegen halten.
Uebrigens darf man den ganzen Einfluß der Ge-
werbegeſetzgebung nicht überſchätzen. Er beſchränkt ſich,
ſo wie unſere deutſchen Geſetze alle waren und gehand-
habt wurden, darauf, daß große durch andere Urſachen
hervorgerufene Bewegungen etwas verlangſamt oder
etwas verſtärkt wurden. Auch die Rheinprovinz hat
trotz der längſt beſtehenden Gewerbefreiheit noch immer
ein nicht unbedeutendes Handwerk; das Königreich
Sachſen hat trotz der Zunftgeſetze und Realberechtigungen
ſeinen Uebergang zur Großinduſtrie, da wo er angezeigt
war, vollzogen.
Alle bisher beſprochenen Urſachen treffen nicht in
das Herz der Sache; theilweiſe ſelbſt nicht einfacher
Natur, wirken ſie vollends unter ſehr verſchiedenen Ver-
hältniſſen ſehr verſchieden. Mehr und weniger wird
man freilich ſo von den meiſten Urſachen ſozialer und
volkswirthſchaftlicher Dinge urtheilen müſſen, wenn
man genauer zuſieht. Aber doch nur mehr oder
weniger. Es gibt durchgreifendere Urſachen mit ein-
fachern Wirkungen. Und eine ſolche, wie mir ſcheint
die wichtigſte in dieſer ganzen Frage, habe ich noch
hervorzuheben.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/337>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.