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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

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Die Umgestaltung von Produktion und Verkehr.
Erwerb und haben sich bis in die neuere Zeit so erhalten.
Ich erwähne aus Süddeutschland die nassauischen Töpfer-
händler, die schwarzwälder Uhrenhändler, aus Nord-
deutschland vor Allem die Hausirer Westfalens, die
Winterberger und Westfälinger, die Händler aus dem
Hückengrunde, die mit Holz-, Töpfer- und Eisenwaaren,
mit Hopfen und andern Waaren durch die Welt zogen,
die früher vorzüglich nach Dänemark, nach Schweden
und Norwegen bis in die einsamsten Thäler vordrangen,
deutsche Waaren absetzten und dafür den Feuerschwamm
mitbrachten. In Westfalen gibt es noch bis in die neuere
Zeit Städtchen und Dörfer von 1000--6000 Ein-
wohnern mit mehreren Hundert Hausirern.1 Zu Tausen-
den zogen sie aus jenen Gegenden jedes Frühjahr aus.2

Waren immer schon viele schlimme Elemente unter
einer derartigen Bevölkerung, war das noch mehr der
Fall an der polnischen Grenze, wo unter Juden und
Polen noch mehr nomadenhafte Gewohnheiten und Hang
zu Betrug und Diebstahl existirten, immer gab es unter
ihnen sehr viele ehrliche, tüchtige Leute. Aber neben
ihnen finden wir früh ganz andere Elemente, die mit
Recht die strengste polizeiliche Ueberwachung heraus-
forderten. Aus den fahrenden Leuten des Mittelalters
wird nach der Reformationszeit, noch mehr nach dem
dreißigjährigen Kriege eine wahre Landeskalamität; die
Verwilderung hatte alle sittlichen Bande zerstört. Die

1 Jacobi, das Berg-, Hütten- und Gewerbewesen des
Regbz. Arnsberg, S. 488 ff.
2 Ulmenstein, über den Hausirhandel, Archiv d. pol. Oek.
von Rau I, S. 213 und passim.

Die Umgeſtaltung von Produktion und Verkehr.
Erwerb und haben ſich bis in die neuere Zeit ſo erhalten.
Ich erwähne aus Süddeutſchland die naſſauiſchen Töpfer-
händler, die ſchwarzwälder Uhrenhändler, aus Nord-
deutſchland vor Allem die Hauſirer Weſtfalens, die
Winterberger und Weſtfälinger, die Händler aus dem
Hückengrunde, die mit Holz-, Töpfer- und Eiſenwaaren,
mit Hopfen und andern Waaren durch die Welt zogen,
die früher vorzüglich nach Dänemark, nach Schweden
und Norwegen bis in die einſamſten Thäler vordrangen,
deutſche Waaren abſetzten und dafür den Feuerſchwamm
mitbrachten. In Weſtfalen gibt es noch bis in die neuere
Zeit Städtchen und Dörfer von 1000—6000 Ein-
wohnern mit mehreren Hundert Hauſirern.1 Zu Tauſen-
den zogen ſie aus jenen Gegenden jedes Frühjahr aus.2

Waren immer ſchon viele ſchlimme Elemente unter
einer derartigen Bevölkerung, war das noch mehr der
Fall an der polniſchen Grenze, wo unter Juden und
Polen noch mehr nomadenhafte Gewohnheiten und Hang
zu Betrug und Diebſtahl exiſtirten, immer gab es unter
ihnen ſehr viele ehrliche, tüchtige Leute. Aber neben
ihnen finden wir früh ganz andere Elemente, die mit
Recht die ſtrengſte polizeiliche Ueberwachung heraus-
forderten. Aus den fahrenden Leuten des Mittelalters
wird nach der Reformationszeit, noch mehr nach dem
dreißigjährigen Kriege eine wahre Landeskalamität; die
Verwilderung hatte alle ſittlichen Bande zerſtört. Die

1 Jacobi, das Berg-, Hütten- und Gewerbeweſen des
Regbz. Arnsberg, S. 488 ff.
2 Ulmenſtein, über den Hauſirhandel, Archiv d. pol. Oek.
von Rau I, S. 213 und passim.
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[240/0262] Die Umgeſtaltung von Produktion und Verkehr. Erwerb und haben ſich bis in die neuere Zeit ſo erhalten. Ich erwähne aus Süddeutſchland die naſſauiſchen Töpfer- händler, die ſchwarzwälder Uhrenhändler, aus Nord- deutſchland vor Allem die Hauſirer Weſtfalens, die Winterberger und Weſtfälinger, die Händler aus dem Hückengrunde, die mit Holz-, Töpfer- und Eiſenwaaren, mit Hopfen und andern Waaren durch die Welt zogen, die früher vorzüglich nach Dänemark, nach Schweden und Norwegen bis in die einſamſten Thäler vordrangen, deutſche Waaren abſetzten und dafür den Feuerſchwamm mitbrachten. In Weſtfalen gibt es noch bis in die neuere Zeit Städtchen und Dörfer von 1000—6000 Ein- wohnern mit mehreren Hundert Hauſirern. 1 Zu Tauſen- den zogen ſie aus jenen Gegenden jedes Frühjahr aus. 2 Waren immer ſchon viele ſchlimme Elemente unter einer derartigen Bevölkerung, war das noch mehr der Fall an der polniſchen Grenze, wo unter Juden und Polen noch mehr nomadenhafte Gewohnheiten und Hang zu Betrug und Diebſtahl exiſtirten, immer gab es unter ihnen ſehr viele ehrliche, tüchtige Leute. Aber neben ihnen finden wir früh ganz andere Elemente, die mit Recht die ſtrengſte polizeiliche Ueberwachung heraus- forderten. Aus den fahrenden Leuten des Mittelalters wird nach der Reformationszeit, noch mehr nach dem dreißigjährigen Kriege eine wahre Landeskalamität; die Verwilderung hatte alle ſittlichen Bande zerſtört. Die 1 Jacobi, das Berg-, Hütten- und Gewerbeweſen des Regbz. Arnsberg, S. 488 ff. 2 Ulmenſtein, über den Hauſirhandel, Archiv d. pol. Oek. von Rau I, S. 213 und passim.

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/262>, abgerufen am 19.05.2024.