Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Einleitung. Begriff. Psychologische und sittliche Grundlage. Litteratur und Methode. eine Fürsorge für die Armen und Schwachen, die man im Altertum vergeblich sucht.Die Idee der Gleichheit vor Gott trat den bestehenden harten Gesellschaftsunterschieden versöhnend, mildernd zur Seite; in jedem, selbst dem Niedrigsten, wurde die Würde des Menschen anerkannt, wenn auch die spätere aristokratische Kirchenlehre den Ständeunter- schied wieder als eine göttliche Fügung deutete. Die ethische und die praktische Einseitigkeit der mittelalterlich-christlichen Ideale 2. Das Wiedererwachen der Wissenschaft und das Naturrecht des 17. Jahr- hunderts. Zur Litteraturgesch. der Volkswirtschaftslehre überhaupt: Kautz, Die geschichtl. Entwickelung der Nationalökonomik und ihrer Litteratur. 1860. -- Dühring, Kritische Geschichte der National- ökonomie und des Socialismus. 1871. 3. Aufl. 1879. -- Roscher, Geschichte der Nationalökonomik. 1881. 2. Aufl. 1891. -- Eisenhart, Geschichte der Nationalökonomik. 1881 u. 91. -- Schmoller, Zur Litteraturgeschichte der Staats- und Socialwissenschaften. 1888. -- Ingram, Geschichte der Volkswirtschaftslehre. Deutsch 1890. Einleitung. Begriff. Pſychologiſche und ſittliche Grundlage. Litteratur und Methode. eine Fürſorge für die Armen und Schwachen, die man im Altertum vergeblich ſucht.Die Idee der Gleichheit vor Gott trat den beſtehenden harten Geſellſchaftsunterſchieden verſöhnend, mildernd zur Seite; in jedem, ſelbſt dem Niedrigſten, wurde die Würde des Menſchen anerkannt, wenn auch die ſpätere ariſtokratiſche Kirchenlehre den Ständeunter- ſchied wieder als eine göttliche Fügung deutete. Die ethiſche und die praktiſche Einſeitigkeit der mittelalterlich-chriſtlichen Ideale 2. Das Wiedererwachen der Wiſſenſchaft und das Naturrecht des 17. Jahr- hunderts. Zur Litteraturgeſch. der Volkswirtſchaftslehre überhaupt: Kautz, Die geſchichtl. Entwickelung der Nationalökonomik und ihrer Litteratur. 1860. — Dühring, Kritiſche Geſchichte der National- ökonomie und des Socialismus. 1871. 3. Aufl. 1879. — Roſcher, Geſchichte der Nationalökonomik. 1881. 2. Aufl. 1891. — Eiſenhart, Geſchichte der Nationalökonomik. 1881 u. 91. — Schmoller, Zur Litteraturgeſchichte der Staats- und Socialwiſſenſchaften. 1888. — Ingram, Geſchichte der Volkswirtſchaftslehre. Deutſch 1890. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0096" n="80"/><fw place="top" type="header">Einleitung. Begriff. Pſychologiſche und ſittliche Grundlage. 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Jahrhundert in vielem<lb/> wieder die nationalökonomiſchen Lehren von Ariſtoteles vor; und in der politiſchen und<lb/> ethiſchen Gedankenbewegung der folgenden Jahrhunderte wächſt der Einfluß des römiſchen<lb/> Rechtes, der Stoa und Epikurs neben der Macht der neuen wirtſchaftlichen Thatſachen.<lb/> In der italieniſchen Renaiſſance des 15. Jahrhunderts entdeckt das Individuum gleichſam<lb/> ſich ſelbſt und ſein Recht an eine lebensvolle Wirklichkeit. In der deutſchen Reformation<lb/> des 16. Jahrhunderts ſchüttelt die germaniſche Welt das geiſtige Joch der entarteten<lb/> römiſchen Kirche ab und findet eine neue, höhere Form der Frömmigkeit, welche nicht<lb/> mehr myſtiſchen Quietismus und Weltflucht fordert, welche jedem einzelnen den freien<lb/> Zugang zu Gott läßt, dieſen nicht mehr allein durch die Prieſterkirche vermittelt, welche<lb/> mit dem höchſten Gottvertrauen träftigſtes aktives Handeln in dieſer Welt verbinden<lb/> will. Eine Lehre, welche in der Arbeit jedes Hauſes, jeder Werkſtatt, jeder Gemeinde<lb/> ein Werk Gottes ſah, führte erſt recht die chriſtlichen Tugenden in das Leben ein und<lb/> gab den germaniſch-proteſtantiſchen Staaten jene aktiv ethiſchen Eigenſchaften, jene Ver-<lb/> tiefung des Volkscharakters, jene Stärkung der Familien- und Gemeingefühle, welche<lb/> ſie bis heute an die Spitze des geiſtigen, politiſchen und volkswirtſchaftlichen Fortſchrittes<lb/> ſtellte. Wie großes aber praktiſch ſo die Reformation leiſtete, wie ſehr ſie ſich bemühte,<lb/> aus ihren dogmatiſchen und philoſophiſchen Prämiſſen und Idealen heraus zu gewiſſen<lb/> Lehren über Staat, Geſellſchaft und ſociales Leben zu kommen, eine ſelbſtändige und<lb/> große Leiſtung auf dieſem Gebiete war ihr doch verſagt. Was die Reformatoren über<lb/> wirtſchaftliche und ſociale Dinge lehrten, knüpft halb an die Kirchenväter und das Ur-<lb/> chriſtentum, halb an die Stoa an; was ſie praktiſch vorſchlugen, war von den ver-<lb/> ſchiedenen realen Zuſtänden ihrer Umgebung bedingt und war ſo in Wittenberg etwas<lb/> anderes als in Zürich oder Genf. Es kam teilweiſe über theoretiſche Anläufe nicht hinaus;<lb/> die Wirtſchafts- und Socialpolitik Luthers war nicht frei von Fehlgriffen, mißverſtand<lb/> die Gärung der Bauern, wußte das brüderliche Gemeindeleben nicht zu beleben, wie es<lb/> den Reformierten gelang. Die Bedeutung der Reformatoren für die Staatswiſſenſchaft liegt<lb/> ſo nicht ſowohl in dem, was ſie etwa über Wucher, Geld, ſociale Klaſſen, Obrigkeit<lb/> ſagten, als in dem ſittlichen Ernſt ihrer dem Leben zugewendeten Moral, in dem Hauche<lb/> geiſtiger Freiheit, der von ihnen ausging, in dem Verſuche, die Überlieferung antiker<lb/> Wiſſenſchaft mit chriſtlicher Geſittung und Empfindung zu verbinden. Aus dieſen Ten-<lb/> denzen entſprang dann zu Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts jenes<lb/> Naturrecht, das zum erſtenmal ſeit den Alten den ſelbſtändigen wiſſenſchaftlichen Verſuch<lb/> einer Lehre von Staat, Recht, Geſellſchaft und Volkswirtſchaft enthält.</p> </div><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">2. Das Wiedererwachen der Wiſſenſchaft und das Naturrecht des 17. Jahr-<lb/> hunderts.</hi> </head><lb/> <listBibl> <bibl>Zur Litteraturgeſch. der Volkswirtſchaftslehre überhaupt: <hi rendition="#g">Kautz</hi>, Die geſchichtl. 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Einleitung. Begriff. Pſychologiſche und ſittliche Grundlage. Litteratur und Methode.
eine Fürſorge für die Armen und Schwachen, die man im Altertum vergeblich ſucht.
Die Idee der Gleichheit vor Gott trat den beſtehenden harten Geſellſchaftsunterſchieden
verſöhnend, mildernd zur Seite; in jedem, ſelbſt dem Niedrigſten, wurde die Würde des
Menſchen anerkannt, wenn auch die ſpätere ariſtokratiſche Kirchenlehre den Ständeunter-
ſchied wieder als eine göttliche Fügung deutete.
Die ethiſche und die praktiſche Einſeitigkeit der mittelalterlich-chriſtlichen Ideale
fand ihre Auflöſung in der weltlichen Entartung der romaniſch-regimentalen, hierarchiſchen,
nach politiſcher Weltherrſchaft ſtatt nach religiös-ſittlicher Verbeſſerung ſtrebenden Kirche,
in den veränderten wirtſchaftlich-ſocialen Lebensbedingungen der abendländiſchen Völker
ſeit dem 13. Jahrhundert, in dem Wiederaufleben der antiken Studien und des wiſſen-
ſchaftlichen Betriebes. Schon Thomas von Aquino trägt im 13. Jahrhundert in vielem
wieder die nationalökonomiſchen Lehren von Ariſtoteles vor; und in der politiſchen und
ethiſchen Gedankenbewegung der folgenden Jahrhunderte wächſt der Einfluß des römiſchen
Rechtes, der Stoa und Epikurs neben der Macht der neuen wirtſchaftlichen Thatſachen.
In der italieniſchen Renaiſſance des 15. Jahrhunderts entdeckt das Individuum gleichſam
ſich ſelbſt und ſein Recht an eine lebensvolle Wirklichkeit. In der deutſchen Reformation
des 16. Jahrhunderts ſchüttelt die germaniſche Welt das geiſtige Joch der entarteten
römiſchen Kirche ab und findet eine neue, höhere Form der Frömmigkeit, welche nicht
mehr myſtiſchen Quietismus und Weltflucht fordert, welche jedem einzelnen den freien
Zugang zu Gott läßt, dieſen nicht mehr allein durch die Prieſterkirche vermittelt, welche
mit dem höchſten Gottvertrauen träftigſtes aktives Handeln in dieſer Welt verbinden
will. Eine Lehre, welche in der Arbeit jedes Hauſes, jeder Werkſtatt, jeder Gemeinde
ein Werk Gottes ſah, führte erſt recht die chriſtlichen Tugenden in das Leben ein und
gab den germaniſch-proteſtantiſchen Staaten jene aktiv ethiſchen Eigenſchaften, jene Ver-
tiefung des Volkscharakters, jene Stärkung der Familien- und Gemeingefühle, welche
ſie bis heute an die Spitze des geiſtigen, politiſchen und volkswirtſchaftlichen Fortſchrittes
ſtellte. Wie großes aber praktiſch ſo die Reformation leiſtete, wie ſehr ſie ſich bemühte,
aus ihren dogmatiſchen und philoſophiſchen Prämiſſen und Idealen heraus zu gewiſſen
Lehren über Staat, Geſellſchaft und ſociales Leben zu kommen, eine ſelbſtändige und
große Leiſtung auf dieſem Gebiete war ihr doch verſagt. Was die Reformatoren über
wirtſchaftliche und ſociale Dinge lehrten, knüpft halb an die Kirchenväter und das Ur-
chriſtentum, halb an die Stoa an; was ſie praktiſch vorſchlugen, war von den ver-
ſchiedenen realen Zuſtänden ihrer Umgebung bedingt und war ſo in Wittenberg etwas
anderes als in Zürich oder Genf. Es kam teilweiſe über theoretiſche Anläufe nicht hinaus;
die Wirtſchafts- und Socialpolitik Luthers war nicht frei von Fehlgriffen, mißverſtand
die Gärung der Bauern, wußte das brüderliche Gemeindeleben nicht zu beleben, wie es
den Reformierten gelang. Die Bedeutung der Reformatoren für die Staatswiſſenſchaft liegt
ſo nicht ſowohl in dem, was ſie etwa über Wucher, Geld, ſociale Klaſſen, Obrigkeit
ſagten, als in dem ſittlichen Ernſt ihrer dem Leben zugewendeten Moral, in dem Hauche
geiſtiger Freiheit, der von ihnen ausging, in dem Verſuche, die Überlieferung antiker
Wiſſenſchaft mit chriſtlicher Geſittung und Empfindung zu verbinden. Aus dieſen Ten-
denzen entſprang dann zu Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts jenes
Naturrecht, das zum erſtenmal ſeit den Alten den ſelbſtändigen wiſſenſchaftlichen Verſuch
einer Lehre von Staat, Recht, Geſellſchaft und Volkswirtſchaft enthält.
2. Das Wiedererwachen der Wiſſenſchaft und das Naturrecht des 17. Jahr-
hunderts.
Zur Litteraturgeſch. der Volkswirtſchaftslehre überhaupt: Kautz, Die geſchichtl. Entwickelung
der Nationalökonomik und ihrer Litteratur. 1860. — Dühring, Kritiſche Geſchichte der National-
ökonomie und des Socialismus. 1871. 3. Aufl. 1879. — Roſcher, Geſchichte der Nationalökonomik.
1881. 2. Aufl. 1891. — Eiſenhart, Geſchichte der Nationalökonomik. 1881 u. 91. — Schmoller,
Zur Litteraturgeſchichte der Staats- und Socialwiſſenſchaften. 1888. — Ingram, Geſchichte der
Volkswirtſchaftslehre. Deutſch 1890.
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