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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Einleitung. Begriff. Psychologische und sittliche Grundlage. Litteratur und Methode.
und Staatsphilos. 1. Altertum. 1860. --
L. Schmidt, Ethik der alten Griechen. 2 Bde. 1882. --
Zeller, Die Philosophie der Griechen. Zuerst 1844, jetzt 6 Bde., 1882--92, und ders., Grundriß
der Geschichte der griech. Philosophie. 6. Aufl. 1882--98. --
Dümmler, Prolegomena zu Platos
Staat. 1891. --
Pöhlmann, Geschichte des antiken Kommunismus und Socialismus. 1893. --
Oertmann, Die Volkswirtschaftslehre des Corpus juris civilis. 1891.
Über die christliche Litteratur: v. Eicken, Geschichte und System der mittelalterlichen Welt-
anschauung. 1887. --
Adolf Harnack, Die evangelisch-sociale Aufgabe im Lichte der Geschichte der
Kirche. Preuß. Jahrb. Bd. 76. 1894. --
Endemann, Die nationalökonomischen Grundsätze der
kanonistischen Lehre. J. f. N. 1. F. 1. 1863. --
Funk, Die ökonomischen Anschauungen der mittel-
alterlichen Theologen. Z. f. St.W. 1869. --
Ders., Zins und Wucher im christlichen Altertum.
1875. --
Schmoller, Zur Geschichte der nationalökonom. Ansichten in Deutschland während der
Reformationsperiode. Z. f. St.W. 1861. --
Dilthey, Auffassung und Analyse des Menschen im
15. u. 16. Jahrh. Archiv f. Gesch. d. Philosophie Bd. 4 u. 5. 1891--92.

34. Einleitung. Definition der Volkswirtschaftslehre. Die Keime
aller Wissenschaft liegen in der älteren Volkspoesie, in welcher Glauben und Ideale der
Menschen ihren ersten Ausdruck fanden, und in den Regelsammlungen, welche Priester
und Richter veranstalteten und erklärten. In diesen Regeln wurde Sitte, Ritual, Recht
und Verhalten in allen möglichen Lebenslagen verzeichnet; mit dem erwachenden Nach-
denken schlossen sich daran Überlegungen, Urteile, Änderungsvorschläge. So wurde auch
die wirtschaftliche Sitte und das wirtschaftliche Verhalten nach und nach erörtert; zumal
als das volkswirtschaftliche Leben in die neuen, komplizierten Bahnen der Geld- und
Kreditwirtschaft, der Gewerbe- und Handelsentwickelung überging, die Formen der alt-
hergebrachten Naturalwirtschaft sich lösten, da traten neben die überlieferten Vorstellungen
die Kritik, die neuen Vorschläge über wirtschaftliche Moral und wirtschaftliche Gesetze,
über Geldwesen, Handelserwerb, Steuern und Kolonien; es entstand eine lebendige,
praktische Erörterung und wir sehen ihren Reflex in den ethischen und politischen
Schriften der Zeiten, welche volkswirtschaftliche und sociale Fragen zum erstenmale
zusammenhängend besprachen. So haben zuerst die Griechen im 5. und 4. Jahrhundert
vor Christi in ihren philosophischen Schriften wissenschaftlich-volkswirtschaftliche Probleme
erörtert. Und ähnlich begann man seit der Renaissance den volkswirtschaftlichen Er-
scheinungen eine größere Aufmerksamkeit zu widmen. Die Fragen erlangten rasch in
den philosophischen und ethischen Systemen, in den Staatstheorien des 16.--18. Jahr-
hunderts einen breiteren Raum. Im letzteren wurde eine besondere Unterweisung der
studierenden Jugend in volkswirtschaftlichen Fragen Bedürfnis. Und nun führte der
große Aufschwung des wissenschaftlichen Denkens überhaupt zu der besonderen Wissen-
schaft der Nationalökonomie oder Volkswirtschaftslehre; d. h. die volkswirtschaftlichen
Sätze und Wahrheiten und die als Ideal empfohlenen volkswirtschaftlichen Maßregeln
wurden aus der Moralphilosophie, dem Naturrecht und der Staatslehre ausgelöst und
zu einem selbständigen Systeme durch gewisse Grundgedanken, wie staatliche Wirtschafts-
politik, Geldcirkulation, natürlicher Verkehr, Arbeit und Arbeitsteilung verbunden und
als selbständiges Wissensgebiet hingestellt. Seither giebt es in der Litteratur, im
Unterricht, im Volksbewußtsein die besondere Wissenschaft der Volkswirtschaftslehre, welche
die volkswirtschaftlichen Erscheinungen beschreiben und definieren, ein zutreffendes Bild
von ihnen auf Grund wissenschaftlicher Begriffe im ganzen und einzelnen entwerfen,
sowie diese Erscheinungen als ein zusammenhängendes Ganzes und als Teil des gesamten
Volkslebens begreifen, das einzelne aus seinen Ursachen erklären, den volkswirtschaftlichen
Entwickelungsgang verstehen lehren, die Zukunft womöglich voraussagen und ihr die
rechten Wege bahnen will.

Dieser letzte praktische Gesichtspunkt ist es, der neben dem erst nach und nach sich
ausbildenden rein theoretischen Interesse den Anstoß zu allem Nachdenken und aller
wissenschaftlichen Erörterung gegeben hat. Und daher ist es begreiflich, daß die älteren
Anfänge des volkswirtschaftlichen Nachdenkens hauptsächlich in den Moralsystemen und
dem an sie anschließenden Naturrecht enthalten sind. Was wir bis ins 17. Jahr-
hundert über volkswirtschaftliche Lehren berichten können, steht in der Hauptsache auf
diesem Boden.

Einleitung. Begriff. Pſychologiſche und ſittliche Grundlage. Litteratur und Methode.
und Staatsphiloſ. 1. Altertum. 1860. —
L. Schmidt, Ethik der alten Griechen. 2 Bde. 1882. —
Zeller, Die Philoſophie der Griechen. Zuerſt 1844, jetzt 6 Bde., 1882—92, und derſ., Grundriß
der Geſchichte der griech. Philoſophie. 6. Aufl. 1882—98. —
Dümmler, Prolegomena zu Platos
Staat. 1891. —
Pöhlmann, Geſchichte des antiken Kommunismus und Socialismus. 1893. —
Oertmann, Die Volkswirtſchaftslehre des Corpus juris civilis. 1891.
Über die chriſtliche Litteratur: v. Eicken, Geſchichte und Syſtem der mittelalterlichen Welt-
anſchauung. 1887. —
Adolf Harnack, Die evangeliſch-ſociale Aufgabe im Lichte der Geſchichte der
Kirche. Preuß. Jahrb. Bd. 76. 1894. —
Endemann, Die nationalökonomiſchen Grundſätze der
kanoniſtiſchen Lehre. J. f. N. 1. F. 1. 1863. —
Funk, Die ökonomiſchen Anſchauungen der mittel-
alterlichen Theologen. Z. f. St.W. 1869. —
Derſ., Zins und Wucher im chriſtlichen Altertum.
1875. —
Schmoller, Zur Geſchichte der nationalökonom. Anſichten in Deutſchland während der
Reformationsperiode. Z. f. St.W. 1861. —
Dilthey, Auffaſſung und Analyſe des Menſchen im
15. u. 16. Jahrh. Archiv f. Geſch. d. Philoſophie Bd. 4 u. 5. 1891—92.

34. Einleitung. Definition der Volkswirtſchaftslehre. Die Keime
aller Wiſſenſchaft liegen in der älteren Volkspoeſie, in welcher Glauben und Ideale der
Menſchen ihren erſten Ausdruck fanden, und in den Regelſammlungen, welche Prieſter
und Richter veranſtalteten und erklärten. In dieſen Regeln wurde Sitte, Ritual, Recht
und Verhalten in allen möglichen Lebenslagen verzeichnet; mit dem erwachenden Nach-
denken ſchloſſen ſich daran Überlegungen, Urteile, Änderungsvorſchläge. So wurde auch
die wirtſchaftliche Sitte und das wirtſchaftliche Verhalten nach und nach erörtert; zumal
als das volkswirtſchaftliche Leben in die neuen, komplizierten Bahnen der Geld- und
Kreditwirtſchaft, der Gewerbe- und Handelsentwickelung überging, die Formen der alt-
hergebrachten Naturalwirtſchaft ſich löſten, da traten neben die überlieferten Vorſtellungen
die Kritik, die neuen Vorſchläge über wirtſchaftliche Moral und wirtſchaftliche Geſetze,
über Geldweſen, Handelserwerb, Steuern und Kolonien; es entſtand eine lebendige,
praktiſche Erörterung und wir ſehen ihren Reflex in den ethiſchen und politiſchen
Schriften der Zeiten, welche volkswirtſchaftliche und ſociale Fragen zum erſtenmale
zuſammenhängend beſprachen. So haben zuerſt die Griechen im 5. und 4. Jahrhundert
vor Chriſti in ihren philoſophiſchen Schriften wiſſenſchaftlich-volkswirtſchaftliche Probleme
erörtert. Und ähnlich begann man ſeit der Renaiſſance den volkswirtſchaftlichen Er-
ſcheinungen eine größere Aufmerkſamkeit zu widmen. Die Fragen erlangten raſch in
den philoſophiſchen und ethiſchen Syſtemen, in den Staatstheorien des 16.—18. Jahr-
hunderts einen breiteren Raum. Im letzteren wurde eine beſondere Unterweiſung der
ſtudierenden Jugend in volkswirtſchaftlichen Fragen Bedürfnis. Und nun führte der
große Aufſchwung des wiſſenſchaftlichen Denkens überhaupt zu der beſonderen Wiſſen-
ſchaft der Nationalökonomie oder Volkswirtſchaftslehre; d. h. die volkswirtſchaftlichen
Sätze und Wahrheiten und die als Ideal empfohlenen volkswirtſchaftlichen Maßregeln
wurden aus der Moralphiloſophie, dem Naturrecht und der Staatslehre ausgelöſt und
zu einem ſelbſtändigen Syſteme durch gewiſſe Grundgedanken, wie ſtaatliche Wirtſchafts-
politik, Geldcirkulation, natürlicher Verkehr, Arbeit und Arbeitsteilung verbunden und
als ſelbſtändiges Wiſſensgebiet hingeſtellt. Seither giebt es in der Litteratur, im
Unterricht, im Volksbewußtſein die beſondere Wiſſenſchaft der Volkswirtſchaftslehre, welche
die volkswirtſchaftlichen Erſcheinungen beſchreiben und definieren, ein zutreffendes Bild
von ihnen auf Grund wiſſenſchaftlicher Begriffe im ganzen und einzelnen entwerfen,
ſowie dieſe Erſcheinungen als ein zuſammenhängendes Ganzes und als Teil des geſamten
Volkslebens begreifen, das einzelne aus ſeinen Urſachen erklären, den volkswirtſchaftlichen
Entwickelungsgang verſtehen lehren, die Zukunft womöglich vorausſagen und ihr die
rechten Wege bahnen will.

Dieſer letzte praktiſche Geſichtspunkt iſt es, der neben dem erſt nach und nach ſich
ausbildenden rein theoretiſchen Intereſſe den Anſtoß zu allem Nachdenken und aller
wiſſenſchaftlichen Erörterung gegeben hat. Und daher iſt es begreiflich, daß die älteren
Anfänge des volkswirtſchaftlichen Nachdenkens hauptſächlich in den Moralſyſtemen und
dem an ſie anſchließenden Naturrecht enthalten ſind. Was wir bis ins 17. Jahr-
hundert über volkswirtſchaftliche Lehren berichten können, ſteht in der Hauptſache auf
dieſem Boden.

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[76/0092] Einleitung. Begriff. Pſychologiſche und ſittliche Grundlage. Litteratur und Methode. und Staatsphiloſ. 1. Altertum. 1860. — L. Schmidt, Ethik der alten Griechen. 2 Bde. 1882. — Zeller, Die Philoſophie der Griechen. Zuerſt 1844, jetzt 6 Bde., 1882—92, und derſ., Grundriß der Geſchichte der griech. Philoſophie. 6. Aufl. 1882—98. — Dümmler, Prolegomena zu Platos Staat. 1891. — Pöhlmann, Geſchichte des antiken Kommunismus und Socialismus. 1893. — Oertmann, Die Volkswirtſchaftslehre des Corpus juris civilis. 1891. Über die chriſtliche Litteratur: v. Eicken, Geſchichte und Syſtem der mittelalterlichen Welt- anſchauung. 1887. — Adolf Harnack, Die evangeliſch-ſociale Aufgabe im Lichte der Geſchichte der Kirche. Preuß. Jahrb. Bd. 76. 1894. — Endemann, Die nationalökonomiſchen Grundſätze der kanoniſtiſchen Lehre. J. f. N. 1. F. 1. 1863. — Funk, Die ökonomiſchen Anſchauungen der mittel- alterlichen Theologen. Z. f. St.W. 1869. — Derſ., Zins und Wucher im chriſtlichen Altertum. 1875. — Schmoller, Zur Geſchichte der nationalökonom. Anſichten in Deutſchland während der Reformationsperiode. Z. f. St.W. 1861. — Dilthey, Auffaſſung und Analyſe des Menſchen im 15. u. 16. Jahrh. Archiv f. Geſch. d. Philoſophie Bd. 4 u. 5. 1891—92. 34. Einleitung. Definition der Volkswirtſchaftslehre. Die Keime aller Wiſſenſchaft liegen in der älteren Volkspoeſie, in welcher Glauben und Ideale der Menſchen ihren erſten Ausdruck fanden, und in den Regelſammlungen, welche Prieſter und Richter veranſtalteten und erklärten. In dieſen Regeln wurde Sitte, Ritual, Recht und Verhalten in allen möglichen Lebenslagen verzeichnet; mit dem erwachenden Nach- denken ſchloſſen ſich daran Überlegungen, Urteile, Änderungsvorſchläge. So wurde auch die wirtſchaftliche Sitte und das wirtſchaftliche Verhalten nach und nach erörtert; zumal als das volkswirtſchaftliche Leben in die neuen, komplizierten Bahnen der Geld- und Kreditwirtſchaft, der Gewerbe- und Handelsentwickelung überging, die Formen der alt- hergebrachten Naturalwirtſchaft ſich löſten, da traten neben die überlieferten Vorſtellungen die Kritik, die neuen Vorſchläge über wirtſchaftliche Moral und wirtſchaftliche Geſetze, über Geldweſen, Handelserwerb, Steuern und Kolonien; es entſtand eine lebendige, praktiſche Erörterung und wir ſehen ihren Reflex in den ethiſchen und politiſchen Schriften der Zeiten, welche volkswirtſchaftliche und ſociale Fragen zum erſtenmale zuſammenhängend beſprachen. So haben zuerſt die Griechen im 5. und 4. Jahrhundert vor Chriſti in ihren philoſophiſchen Schriften wiſſenſchaftlich-volkswirtſchaftliche Probleme erörtert. Und ähnlich begann man ſeit der Renaiſſance den volkswirtſchaftlichen Er- ſcheinungen eine größere Aufmerkſamkeit zu widmen. Die Fragen erlangten raſch in den philoſophiſchen und ethiſchen Syſtemen, in den Staatstheorien des 16.—18. Jahr- hunderts einen breiteren Raum. Im letzteren wurde eine beſondere Unterweiſung der ſtudierenden Jugend in volkswirtſchaftlichen Fragen Bedürfnis. Und nun führte der große Aufſchwung des wiſſenſchaftlichen Denkens überhaupt zu der beſonderen Wiſſen- ſchaft der Nationalökonomie oder Volkswirtſchaftslehre; d. h. die volkswirtſchaftlichen Sätze und Wahrheiten und die als Ideal empfohlenen volkswirtſchaftlichen Maßregeln wurden aus der Moralphiloſophie, dem Naturrecht und der Staatslehre ausgelöſt und zu einem ſelbſtändigen Syſteme durch gewiſſe Grundgedanken, wie ſtaatliche Wirtſchafts- politik, Geldcirkulation, natürlicher Verkehr, Arbeit und Arbeitsteilung verbunden und als ſelbſtändiges Wiſſensgebiet hingeſtellt. Seither giebt es in der Litteratur, im Unterricht, im Volksbewußtſein die beſondere Wiſſenſchaft der Volkswirtſchaftslehre, welche die volkswirtſchaftlichen Erſcheinungen beſchreiben und definieren, ein zutreffendes Bild von ihnen auf Grund wiſſenſchaftlicher Begriffe im ganzen und einzelnen entwerfen, ſowie dieſe Erſcheinungen als ein zuſammenhängendes Ganzes und als Teil des geſamten Volkslebens begreifen, das einzelne aus ſeinen Urſachen erklären, den volkswirtſchaftlichen Entwickelungsgang verſtehen lehren, die Zukunft womöglich vorausſagen und ihr die rechten Wege bahnen will. Dieſer letzte praktiſche Geſichtspunkt iſt es, der neben dem erſt nach und nach ſich ausbildenden rein theoretiſchen Intereſſe den Anſtoß zu allem Nachdenken und aller wiſſenſchaftlichen Erörterung gegeben hat. Und daher iſt es begreiflich, daß die älteren Anfänge des volkswirtſchaftlichen Nachdenkens hauptſächlich in den Moralſyſtemen und dem an ſie anſchließenden Naturrecht enthalten ſind. Was wir bis ins 17. Jahr- hundert über volkswirtſchaftliche Lehren berichten können, ſteht in der Hauptſache auf dieſem Boden.

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/92>, abgerufen am 28.04.2024.