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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Einleitung. Begriff. Psychologische und sittliche Grundlage. Litteratur und Methode.
Rechnen und Buchführen, die Vergleichung des Aufwandes mit dem Erfolg in Geldwerten,
die Aufzeichnung jeder Ausgabe und jeder Einnahme ist nötig, wo sie sich einstellen und
ausbilden soll. Die sittliche Zucht, welche das Leben als ein geordnetes Ganzes auffaßt,
niemals aus dem Stegreif, nach Launen handelt, unverhältnismäßigen Genüssen nach-
geht, den Versuchungen der Verschwendung, der Putzsucht, der Eitelkeit widersteht, ist für
die Ausbildung dieses wirtschaftlichen Sinnes das wichtigste. Er ist die wirtschaftliche
Tugend der großen Masse des Volkes, vor allem des Mittelstandes. Daß die Wirtschaft-
lichkeit in den untersten Klassen noch so vielfach fehlt, ist ein wichtiger Umstand für ihre
wirtschaftliche Lage. Die Frauen müssen sie vor allem haben, weil, mit haushälterischem
Sinne ausgegeben, der Thaler doppelt und dreifach so weit reicht. Mit dem Erwerbs-
triebe verwandt, fällt sie doch nicht ganz mit ihm zusammen, noch ist sie nur eine Folge
desselben. Tausende, die gar keinen Erwerbssinn haben, zeichnen sich durch große Wirt-
schaftlichkeit aus. Der Erwerbstrieb ist mehr die Eigenschaft einzelner, die Wirtschaft-
lichkeit ist oder sollte die aller sein.

Die Wirtschaftlichkeit schließt den Fleiß, die Ordnungsliebe, die Geduld, die Be-
harrlichkeit, vor allem aber die Sparsamkeit ein. Die Sparsamkeit beginnt in der
Haushaltung, im Verbrauch; sie ist dem Wilden fremd; er ist immer der größte Ver-
schwender, der den Baum fällt, um eine einzige Frucht zu ergreifen, der an einem Tag
verzehrt und verjubelt, was ihn wochenlang ernähren könnte. Die Erziehung zur
Mäßigung, die steigende Herrschaft höherer Gefühle über die niedrigen, der Sieg der
Vorstellungen über künftige Genüsse und Erfolge über die des Momentes sind not-
wendig, damit die Sparsamkeit beginne. Alle Sparsamkeit ist momentane Selbst-
verleugnung. Wer sie üben soll, muß die Aussicht auf einen künftigen Vorteil haben.
Dieser künftige Vorteil erscheint fraglich, wenn das ersparte Gut durch Willkürherrschaft
oder Gewalt bedroht ist, wenn es dem Sparenden keine anderen Freuden bringt, als sie
der nicht Sparende ebenfalls genießt, wenn ersparte Vorräte, z. B. solche von Lebens-
mitteln, doch rasch verderben. Die Geldwirtschaft ist daher eines der wichtigsten Beförderungs-
mittel der Sparsamkeit; die Freude, einen Schatz an Geldstücken zu sammeln, wird bald
ein Beweggrund für viele; solche Schätze sind am leichtesten zu verbergen, sie behalten
für Jahre und Jahrzehnte ihren Wert. Es kann nun auch der sparen, der das Er-
sparte nicht in seinem Hause, im vergrößerten Viehstand, in Geräten und Linnenzeug
anlegen kann. Noch wichtiger aber war die Ausbildung der Kreditwirtschaft, haupt-
sächlich derjenigen Formen des Kapitalanlegens und Zinsengebens, welche dem kleinen
Mann zugänglich sind, wie die Einrichtung der Sparkassen, Genossenschaften, der Ver-
sicherungskassen, der Baugesellschaften. Wo derartige Institutionen zumal in Ländern
mit vollständiger Rechtssicherheit allgemein werden, da kann erst die Sparsamkeit aus
einer Tugend der höheren Klassen eine allgemeine Eigenschaft werden. Immer aber muß
sie wieder jedem einzelnen Kinde anerzogen werden, immer arbeiten Leichtsinn, Gedanken-
losigkeit, Genußsucht ihr entgegen. In dem Alter von 15--30 Jahren, wo unverheiratete
Arbeiter am meisten sparen könnten, oft das doppelte verdienen, was sie brauchen, geben
sie für Getränke und Feste, für Kleider und andere Genüsse allzuviel aus. Auch später
unterliegen sie zu leicht der Versuchung unnützer Ausgaben, wenn sie nicht von einer
tüchtigen Hausfrau beeinflußt werden, wenn ihre Lohnzahlung zu Stunden und an
Orten erfolgt, welche Gelegenheit zu unnötigen Ausgaben bieten.

Die Sparsamkeit wächst mit der Wirtschaftlichkeit, mit dem guten Familienleben,
mit dem Sinn für Besitz, für Sicherung der Zukunft, mit dem Wunsch des gesellschaft-
lichen Aufsteigens; sie ist vor allem aber ein Ergebnis sittlicher Energie und Spannkraft
und intellektueller Weitsichtigkeit.

Wie die Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, der Fleiß und die Arbeitsamkeit mit
dem Erwerbstriebe zusammenhängen, ohne sich mit ihm zu decken, ohne eine bloße Folge
desselben zu sein, so verhält es sich auch ähnlich mit dem Handels- und Unter-
nehmungsgeist
, auf den wir zuletzt einen Blick werfen.

Er entspringt mit den Möglichkeiten des Tausch- und Handelsgewinnes, nimmt in
dem Maße zu, als in bestimmten Klassen infolge der Arbeitsteilung und des Markt-

Einleitung. Begriff. Pſychologiſche und ſittliche Grundlage. Litteratur und Methode.
Rechnen und Buchführen, die Vergleichung des Aufwandes mit dem Erfolg in Geldwerten,
die Aufzeichnung jeder Ausgabe und jeder Einnahme iſt nötig, wo ſie ſich einſtellen und
ausbilden ſoll. Die ſittliche Zucht, welche das Leben als ein geordnetes Ganzes auffaßt,
niemals aus dem Stegreif, nach Launen handelt, unverhältnismäßigen Genüſſen nach-
geht, den Verſuchungen der Verſchwendung, der Putzſucht, der Eitelkeit widerſteht, iſt für
die Ausbildung dieſes wirtſchaftlichen Sinnes das wichtigſte. Er iſt die wirtſchaftliche
Tugend der großen Maſſe des Volkes, vor allem des Mittelſtandes. Daß die Wirtſchaft-
lichkeit in den unterſten Klaſſen noch ſo vielfach fehlt, iſt ein wichtiger Umſtand für ihre
wirtſchaftliche Lage. Die Frauen müſſen ſie vor allem haben, weil, mit haushälteriſchem
Sinne ausgegeben, der Thaler doppelt und dreifach ſo weit reicht. Mit dem Erwerbs-
triebe verwandt, fällt ſie doch nicht ganz mit ihm zuſammen, noch iſt ſie nur eine Folge
desſelben. Tauſende, die gar keinen Erwerbsſinn haben, zeichnen ſich durch große Wirt-
ſchaftlichkeit aus. Der Erwerbstrieb iſt mehr die Eigenſchaft einzelner, die Wirtſchaft-
lichkeit iſt oder ſollte die aller ſein.

Die Wirtſchaftlichkeit ſchließt den Fleiß, die Ordnungsliebe, die Geduld, die Be-
harrlichkeit, vor allem aber die Sparſamkeit ein. Die Sparſamkeit beginnt in der
Haushaltung, im Verbrauch; ſie iſt dem Wilden fremd; er iſt immer der größte Ver-
ſchwender, der den Baum fällt, um eine einzige Frucht zu ergreifen, der an einem Tag
verzehrt und verjubelt, was ihn wochenlang ernähren könnte. Die Erziehung zur
Mäßigung, die ſteigende Herrſchaft höherer Gefühle über die niedrigen, der Sieg der
Vorſtellungen über künftige Genüſſe und Erfolge über die des Momentes ſind not-
wendig, damit die Sparſamkeit beginne. Alle Sparſamkeit iſt momentane Selbſt-
verleugnung. Wer ſie üben ſoll, muß die Ausſicht auf einen künftigen Vorteil haben.
Dieſer künftige Vorteil erſcheint fraglich, wenn das erſparte Gut durch Willkürherrſchaft
oder Gewalt bedroht iſt, wenn es dem Sparenden keine anderen Freuden bringt, als ſie
der nicht Sparende ebenfalls genießt, wenn erſparte Vorräte, z. B. ſolche von Lebens-
mitteln, doch raſch verderben. Die Geldwirtſchaft iſt daher eines der wichtigſten Beförderungs-
mittel der Sparſamkeit; die Freude, einen Schatz an Geldſtücken zu ſammeln, wird bald
ein Beweggrund für viele; ſolche Schätze ſind am leichteſten zu verbergen, ſie behalten
für Jahre und Jahrzehnte ihren Wert. Es kann nun auch der ſparen, der das Er-
ſparte nicht in ſeinem Hauſe, im vergrößerten Viehſtand, in Geräten und Linnenzeug
anlegen kann. Noch wichtiger aber war die Ausbildung der Kreditwirtſchaft, haupt-
ſächlich derjenigen Formen des Kapitalanlegens und Zinſengebens, welche dem kleinen
Mann zugänglich ſind, wie die Einrichtung der Sparkaſſen, Genoſſenſchaften, der Ver-
ſicherungskaſſen, der Baugeſellſchaften. Wo derartige Inſtitutionen zumal in Ländern
mit vollſtändiger Rechtsſicherheit allgemein werden, da kann erſt die Sparſamkeit aus
einer Tugend der höheren Klaſſen eine allgemeine Eigenſchaft werden. Immer aber muß
ſie wieder jedem einzelnen Kinde anerzogen werden, immer arbeiten Leichtſinn, Gedanken-
loſigkeit, Genußſucht ihr entgegen. In dem Alter von 15—30 Jahren, wo unverheiratete
Arbeiter am meiſten ſparen könnten, oft das doppelte verdienen, was ſie brauchen, geben
ſie für Getränke und Feſte, für Kleider und andere Genüſſe allzuviel aus. Auch ſpäter
unterliegen ſie zu leicht der Verſuchung unnützer Ausgaben, wenn ſie nicht von einer
tüchtigen Hausfrau beeinflußt werden, wenn ihre Lohnzahlung zu Stunden und an
Orten erfolgt, welche Gelegenheit zu unnötigen Ausgaben bieten.

Die Sparſamkeit wächſt mit der Wirtſchaftlichkeit, mit dem guten Familienleben,
mit dem Sinn für Beſitz, für Sicherung der Zukunft, mit dem Wunſch des geſellſchaft-
lichen Aufſteigens; ſie iſt vor allem aber ein Ergebnis ſittlicher Energie und Spannkraft
und intellektueller Weitſichtigkeit.

Wie die Wirtſchaftlichkeit und Sparſamkeit, der Fleiß und die Arbeitſamkeit mit
dem Erwerbstriebe zuſammenhängen, ohne ſich mit ihm zu decken, ohne eine bloße Folge
desſelben zu ſein, ſo verhält es ſich auch ähnlich mit dem Handels- und Unter-
nehmungsgeiſt
, auf den wir zuletzt einen Blick werfen.

Er entſpringt mit den Möglichkeiten des Tauſch- und Handelsgewinnes, nimmt in
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[40/0056] Einleitung. Begriff. Pſychologiſche und ſittliche Grundlage. Litteratur und Methode. Rechnen und Buchführen, die Vergleichung des Aufwandes mit dem Erfolg in Geldwerten, die Aufzeichnung jeder Ausgabe und jeder Einnahme iſt nötig, wo ſie ſich einſtellen und ausbilden ſoll. Die ſittliche Zucht, welche das Leben als ein geordnetes Ganzes auffaßt, niemals aus dem Stegreif, nach Launen handelt, unverhältnismäßigen Genüſſen nach- geht, den Verſuchungen der Verſchwendung, der Putzſucht, der Eitelkeit widerſteht, iſt für die Ausbildung dieſes wirtſchaftlichen Sinnes das wichtigſte. Er iſt die wirtſchaftliche Tugend der großen Maſſe des Volkes, vor allem des Mittelſtandes. Daß die Wirtſchaft- lichkeit in den unterſten Klaſſen noch ſo vielfach fehlt, iſt ein wichtiger Umſtand für ihre wirtſchaftliche Lage. Die Frauen müſſen ſie vor allem haben, weil, mit haushälteriſchem Sinne ausgegeben, der Thaler doppelt und dreifach ſo weit reicht. Mit dem Erwerbs- triebe verwandt, fällt ſie doch nicht ganz mit ihm zuſammen, noch iſt ſie nur eine Folge desſelben. Tauſende, die gar keinen Erwerbsſinn haben, zeichnen ſich durch große Wirt- ſchaftlichkeit aus. Der Erwerbstrieb iſt mehr die Eigenſchaft einzelner, die Wirtſchaft- lichkeit iſt oder ſollte die aller ſein. Die Wirtſchaftlichkeit ſchließt den Fleiß, die Ordnungsliebe, die Geduld, die Be- harrlichkeit, vor allem aber die Sparſamkeit ein. Die Sparſamkeit beginnt in der Haushaltung, im Verbrauch; ſie iſt dem Wilden fremd; er iſt immer der größte Ver- ſchwender, der den Baum fällt, um eine einzige Frucht zu ergreifen, der an einem Tag verzehrt und verjubelt, was ihn wochenlang ernähren könnte. Die Erziehung zur Mäßigung, die ſteigende Herrſchaft höherer Gefühle über die niedrigen, der Sieg der Vorſtellungen über künftige Genüſſe und Erfolge über die des Momentes ſind not- wendig, damit die Sparſamkeit beginne. Alle Sparſamkeit iſt momentane Selbſt- verleugnung. Wer ſie üben ſoll, muß die Ausſicht auf einen künftigen Vorteil haben. Dieſer künftige Vorteil erſcheint fraglich, wenn das erſparte Gut durch Willkürherrſchaft oder Gewalt bedroht iſt, wenn es dem Sparenden keine anderen Freuden bringt, als ſie der nicht Sparende ebenfalls genießt, wenn erſparte Vorräte, z. B. ſolche von Lebens- mitteln, doch raſch verderben. Die Geldwirtſchaft iſt daher eines der wichtigſten Beförderungs- mittel der Sparſamkeit; die Freude, einen Schatz an Geldſtücken zu ſammeln, wird bald ein Beweggrund für viele; ſolche Schätze ſind am leichteſten zu verbergen, ſie behalten für Jahre und Jahrzehnte ihren Wert. Es kann nun auch der ſparen, der das Er- ſparte nicht in ſeinem Hauſe, im vergrößerten Viehſtand, in Geräten und Linnenzeug anlegen kann. Noch wichtiger aber war die Ausbildung der Kreditwirtſchaft, haupt- ſächlich derjenigen Formen des Kapitalanlegens und Zinſengebens, welche dem kleinen Mann zugänglich ſind, wie die Einrichtung der Sparkaſſen, Genoſſenſchaften, der Ver- ſicherungskaſſen, der Baugeſellſchaften. Wo derartige Inſtitutionen zumal in Ländern mit vollſtändiger Rechtsſicherheit allgemein werden, da kann erſt die Sparſamkeit aus einer Tugend der höheren Klaſſen eine allgemeine Eigenſchaft werden. Immer aber muß ſie wieder jedem einzelnen Kinde anerzogen werden, immer arbeiten Leichtſinn, Gedanken- loſigkeit, Genußſucht ihr entgegen. In dem Alter von 15—30 Jahren, wo unverheiratete Arbeiter am meiſten ſparen könnten, oft das doppelte verdienen, was ſie brauchen, geben ſie für Getränke und Feſte, für Kleider und andere Genüſſe allzuviel aus. Auch ſpäter unterliegen ſie zu leicht der Verſuchung unnützer Ausgaben, wenn ſie nicht von einer tüchtigen Hausfrau beeinflußt werden, wenn ihre Lohnzahlung zu Stunden und an Orten erfolgt, welche Gelegenheit zu unnötigen Ausgaben bieten. Die Sparſamkeit wächſt mit der Wirtſchaftlichkeit, mit dem guten Familienleben, mit dem Sinn für Beſitz, für Sicherung der Zukunft, mit dem Wunſch des geſellſchaft- lichen Aufſteigens; ſie iſt vor allem aber ein Ergebnis ſittlicher Energie und Spannkraft und intellektueller Weitſichtigkeit. Wie die Wirtſchaftlichkeit und Sparſamkeit, der Fleiß und die Arbeitſamkeit mit dem Erwerbstriebe zuſammenhängen, ohne ſich mit ihm zu decken, ohne eine bloße Folge desſelben zu ſein, ſo verhält es ſich auch ähnlich mit dem Handels- und Unter- nehmungsgeiſt, auf den wir zuletzt einen Blick werfen. Er entſpringt mit den Möglichkeiten des Tauſch- und Handelsgewinnes, nimmt in dem Maße zu, als in beſtimmten Klaſſen infolge der Arbeitsteilung und des Markt-

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/56>, abgerufen am 22.11.2024.