Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft. und Fremdenrecht, im Zunftwesen, in der älteren Agrar- und Bergverfassung lagen,mußten fallen; Gewerbe- und Niederlassungsfreiheit, Handelsfreiheit, Freiheit des Eigentums und der Person, Beseitigung des handwerksmäßigen und hausindustriellen Arbeitsrechtes, das dem Großbetrieb Schranken auferlegte, waren die Schlagworte und Tendenzen, für welche die Begründer der großen Betriebe als ihren Interessen dienlich kämpften. Kurz es mußte die rechte Absatzmöglichkeit, die freie Bewegung für den Handel vorhanden sein, wenn einzelne die konzentrierte Produktion für eine steigende Menschenzahl und ferne Orte in die Hand nehmen sollten. b) Es mußte der Handel ein tüchtiges selbstbewußtes Bürgertum geschaffen, einen c) Je größer die Geschäfte wurden, desto mehr mußten die Unternehmer erhebliche d) Daß die Ausbildung aller größeren socialen Organisationen mit der Ent- Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft. und Fremdenrecht, im Zunftweſen, in der älteren Agrar- und Bergverfaſſung lagen,mußten fallen; Gewerbe- und Niederlaſſungsfreiheit, Handelsfreiheit, Freiheit des Eigentums und der Perſon, Beſeitigung des handwerksmäßigen und hausinduſtriellen Arbeitsrechtes, das dem Großbetrieb Schranken auferlegte, waren die Schlagworte und Tendenzen, für welche die Begründer der großen Betriebe als ihren Intereſſen dienlich kämpften. Kurz es mußte die rechte Abſatzmöglichkeit, die freie Bewegung für den Handel vorhanden ſein, wenn einzelne die konzentrierte Produktion für eine ſteigende Menſchenzahl und ferne Orte in die Hand nehmen ſollten. b) Es mußte der Handel ein tüchtiges ſelbſtbewußtes Bürgertum geſchaffen, einen c) Je größer die Geſchäfte wurden, deſto mehr mußten die Unternehmer erhebliche d) Daß die Ausbildung aller größeren ſocialen Organiſationen mit der Ent- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0446" n="430"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.</fw><lb/> und Fremdenrecht, im Zunftweſen, in der älteren Agrar- und Bergverfaſſung lagen,<lb/> mußten fallen; Gewerbe- und Niederlaſſungsfreiheit, Handelsfreiheit, Freiheit des<lb/> Eigentums und der Perſon, Beſeitigung des handwerksmäßigen und hausinduſtriellen<lb/> Arbeitsrechtes, das dem Großbetrieb Schranken auferlegte, waren die Schlagworte und<lb/> Tendenzen, für welche die Begründer der großen Betriebe als ihren Intereſſen dienlich<lb/> kämpften. 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Die<lb/> neuen Großunternehmer waren teilweiſe auch Grundherren und Handwerker oder frühere<lb/> Werkmeiſter, aber in der Hauptſache waren es Faktoren, hausinduſtrielle Verleger, Kauf-<lb/> leute; in der Landwirtſchaft waren es die größeren Pächter und die mit kaufmänniſchem<lb/> Geiſt und moderner techniſcher Bildung verſehenen größeren Gutsbeſitzer; alle, denen<lb/> es als Großunternehmer gelang emporzukommen, mußten ganz beſondere ſpekulative<lb/> und organiſatoriſche, geiſtige und Charaktereigenſchaften haben, mit beſonderer Energie<lb/> teilweiſe auch mit Rückſichtsloſigkeit ihren Weg gehen; manche verfolgten ihn auch,<lb/> vom Erwerbstrieb ausſchließlich beherrſcht, von der Konkurrenz gedrängt, mit Härte und<lb/> Schamloſigkeit.</p><lb/> <p><hi rendition="#aq">c</hi>) Je größer die Geſchäfte wurden, deſto mehr mußten die Unternehmer erhebliche<lb/> Kapitalien beſitzen oder durch den Kredit erhalten. Nur in reichen Ländern iſt der<lb/> Großbetrieb möglich, denn er fordert, wie wir bei der Arbeitsteilung (S. 360) ſahen, ſehr<lb/> viel mehr und meiſt feſtgelegte Mittel als Handwerk und Hausinduſtrie. Aber es müſſen<lb/> nicht bloß an ſich die Mittel da ſein; es muß auch einen Kapital- und Kreditmarkt,<lb/> eine Kreditorganiſation geben, die die erſparten Mittel ſammelt, kaufmänniſch verwaltet,<lb/> ſie den rechten Perſonen und Stellen zuführt. Ohne das iſt keine Großinduſtrie, ſind<lb/> ihre neuen und komplizierten Formen, ihr glatter Geſchäftsgang nicht denkbar. In-<lb/> ſofern iſt es nicht falſch, wenn man den Großinduſtrien einen kapitaliſtiſchen Charakter<lb/> zugeſchrieben hat. Aber wenn man ſich einbildet, die ungleiche Kapitalverteilung an ſich<lb/> erzeuge die Großbetriebe; wenn man ſich vorſtellte, weil die Erben glücklicher Unter-<lb/> nehmer in der zweiten und dritten Generation vor allem als Kapitalbeſitzer erſchienen,<lb/> der Kapitalbeſitz habe die Unternehmungen geſchaffen, ſo iſt das ganz falſch. Was ſie<lb/> ſchafft und erhält, bleiben immer die perſönlichen Eigenſchaften; jeder Mangel an den-<lb/> ſelben rächt ſich durch Verluſte, oft durch den völligen Bankerott. Wird man doch<lb/> kaum zu viel ſagen, daß die Gefahr des Mißlingens und die Chance des Gewinnes<lb/> in der Unternehmung durch die wachſenden Schwierigkeiten der Organiſation und des<lb/> Abſatzes ſo verteilt ſeien, daß faſt die Hälfte aller gewerblichen und Handelsgeſchäfte<lb/> unter Verluſt ihres Kapitals bald wieder zu Grunde gehen.</p><lb/> <p><hi rendition="#aq">d</hi>) Daß die Ausbildung aller größeren ſocialen Organiſationen mit der Ent-<lb/> wickelung der Technik zuſammenhänge, haben wir oben darzulegen verſucht (S. 203<lb/> bis 225): die höhere Ausbildung der Familienwirtſchaft war nicht ohne den Hausbau,<lb/> die der Städte nicht ohne den Mauer-, Straßen-, Waſſerbau, die erſten größeren feſten<lb/> Staaten nicht ohne die aſiatiſch-römiſche Großtechnik möglich. Die Fortſchritte im<lb/> Mühlenweſen, im Bergbau- und Eiſengewerbe, im Münzweſen, in der Kredittechnik und<lb/> anderes mehr ermöglichten die volkswirtſchaftliche Entwickelung von 1400—1800; die<lb/> verbeſſerten Waſſerräder, die Dampf- und die elektriſchen Kraftmaſchinen, die Spinu-<lb/> und die Webſtühle, die Dampfhämmer ſind die wichtigſten Erſcheinungen aus der großen<lb/> oben (S. 211—218) geſchilderten techniſchen Revolution von 1770 bis zur Gegenwart,<lb/> welche den Großbetrieb herbeiführte. Die Metall- und Werkzeugtechnik der Zeit 4000 v. Chr.<lb/> bis 1700 und 1800 n. Chr. hatte die Hauswirtſchaften und kleinbetrieblichen handwerks-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [430/0446]
Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
und Fremdenrecht, im Zunftweſen, in der älteren Agrar- und Bergverfaſſung lagen,
mußten fallen; Gewerbe- und Niederlaſſungsfreiheit, Handelsfreiheit, Freiheit des
Eigentums und der Perſon, Beſeitigung des handwerksmäßigen und hausinduſtriellen
Arbeitsrechtes, das dem Großbetrieb Schranken auferlegte, waren die Schlagworte und
Tendenzen, für welche die Begründer der großen Betriebe als ihren Intereſſen dienlich
kämpften. Kurz es mußte die rechte Abſatzmöglichkeit, die freie Bewegung für den
Handel vorhanden ſein, wenn einzelne die konzentrierte Produktion für eine ſteigende
Menſchenzahl und ferne Orte in die Hand nehmen ſollten.
b) Es mußte der Handel ein tüchtiges ſelbſtbewußtes Bürgertum geſchaffen, einen
lebendigen Handels- und Unternehmungsgeiſt erzeugt haben; es mußte ein Geſchlecht
von Männern erwachſen ſein, die fähig waren, die ſich ſammelnden Kapitalien zu dem
kühnen Wagnis privater Geſchäfte zu verwenden, die Fortſchritte des Verkehrs, der
Technik, des Maſchinenweſens in dem Dienſte dieſer Geſchäfte richtig zu verwerten, den
Abſatz ebenſo zu organiſieren wie zu Hauſe die perſönlichen mitwirkenden Kräfte. Die
neuen Großunternehmer waren teilweiſe auch Grundherren und Handwerker oder frühere
Werkmeiſter, aber in der Hauptſache waren es Faktoren, hausinduſtrielle Verleger, Kauf-
leute; in der Landwirtſchaft waren es die größeren Pächter und die mit kaufmänniſchem
Geiſt und moderner techniſcher Bildung verſehenen größeren Gutsbeſitzer; alle, denen
es als Großunternehmer gelang emporzukommen, mußten ganz beſondere ſpekulative
und organiſatoriſche, geiſtige und Charaktereigenſchaften haben, mit beſonderer Energie
teilweiſe auch mit Rückſichtsloſigkeit ihren Weg gehen; manche verfolgten ihn auch,
vom Erwerbstrieb ausſchließlich beherrſcht, von der Konkurrenz gedrängt, mit Härte und
Schamloſigkeit.
c) Je größer die Geſchäfte wurden, deſto mehr mußten die Unternehmer erhebliche
Kapitalien beſitzen oder durch den Kredit erhalten. Nur in reichen Ländern iſt der
Großbetrieb möglich, denn er fordert, wie wir bei der Arbeitsteilung (S. 360) ſahen, ſehr
viel mehr und meiſt feſtgelegte Mittel als Handwerk und Hausinduſtrie. Aber es müſſen
nicht bloß an ſich die Mittel da ſein; es muß auch einen Kapital- und Kreditmarkt,
eine Kreditorganiſation geben, die die erſparten Mittel ſammelt, kaufmänniſch verwaltet,
ſie den rechten Perſonen und Stellen zuführt. Ohne das iſt keine Großinduſtrie, ſind
ihre neuen und komplizierten Formen, ihr glatter Geſchäftsgang nicht denkbar. In-
ſofern iſt es nicht falſch, wenn man den Großinduſtrien einen kapitaliſtiſchen Charakter
zugeſchrieben hat. Aber wenn man ſich einbildet, die ungleiche Kapitalverteilung an ſich
erzeuge die Großbetriebe; wenn man ſich vorſtellte, weil die Erben glücklicher Unter-
nehmer in der zweiten und dritten Generation vor allem als Kapitalbeſitzer erſchienen,
der Kapitalbeſitz habe die Unternehmungen geſchaffen, ſo iſt das ganz falſch. Was ſie
ſchafft und erhält, bleiben immer die perſönlichen Eigenſchaften; jeder Mangel an den-
ſelben rächt ſich durch Verluſte, oft durch den völligen Bankerott. Wird man doch
kaum zu viel ſagen, daß die Gefahr des Mißlingens und die Chance des Gewinnes
in der Unternehmung durch die wachſenden Schwierigkeiten der Organiſation und des
Abſatzes ſo verteilt ſeien, daß faſt die Hälfte aller gewerblichen und Handelsgeſchäfte
unter Verluſt ihres Kapitals bald wieder zu Grunde gehen.
d) Daß die Ausbildung aller größeren ſocialen Organiſationen mit der Ent-
wickelung der Technik zuſammenhänge, haben wir oben darzulegen verſucht (S. 203
bis 225): die höhere Ausbildung der Familienwirtſchaft war nicht ohne den Hausbau,
die der Städte nicht ohne den Mauer-, Straßen-, Waſſerbau, die erſten größeren feſten
Staaten nicht ohne die aſiatiſch-römiſche Großtechnik möglich. Die Fortſchritte im
Mühlenweſen, im Bergbau- und Eiſengewerbe, im Münzweſen, in der Kredittechnik und
anderes mehr ermöglichten die volkswirtſchaftliche Entwickelung von 1400—1800; die
verbeſſerten Waſſerräder, die Dampf- und die elektriſchen Kraftmaſchinen, die Spinu-
und die Webſtühle, die Dampfhämmer ſind die wichtigſten Erſcheinungen aus der großen
oben (S. 211—218) geſchilderten techniſchen Revolution von 1770 bis zur Gegenwart,
welche den Großbetrieb herbeiführte. Die Metall- und Werkzeugtechnik der Zeit 4000 v. Chr.
bis 1700 und 1800 n. Chr. hatte die Hauswirtſchaften und kleinbetrieblichen handwerks-
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