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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft.
ermöglicht. Die Folgen sind vielfach so ungünstig für diese Ärmsten der Armen, daß
man teilweise die künftige Beseitigung dieser Art der Heimarbeit, einen gesetzlichen
Zwang zur Verlegung derselben in Werkstatt und Fabrik verlangt hat. Doch dürften
solche Wünsche in absehbarer Zeit keine Hoffnung auf Durchführung haben; man
nähme Tausenden von armen Familien ihren letzten Verdienst. Es darf nicht übersehen
werden, daß heute in der ganzen Hausindustrie 1. die schwächlichsten Arbeiter und
2. die beschäftigt werden, die ihrer Familienstellung, ihrem sonstigen Erwerb nach keine
volle Arbeitsstellung, sondern nur einen Nebenerwerb suchen können.

Auf den Versuch, die Abnahme der Hausindustrie, ihr teilweises Wiederanwachsen
historisch-statistisch darzulegen, müssen wir im ganzen verzichten. Das Material dazu
ist zu unsicher; die direkten deutschen Erhebungen geben offenbar nur einen Teil der
Hausindustrie. Daß sie in Osteuropa noch viel umfangreicher ist als in England und
bei uns, ist sicher. Ich bemerke nur, daß die selbständigen Hausindustriellen (ohne
ihre Gehülfen) in Deutschland von 1882--95 von 329 644 auf 287 389 (-- 15,39 %)
nach den amtlichen Zahlen abgenommen haben, daß sie 1895 mit Gehülfen und
mithelfenden Familienangehörigen noch 4--500 000 Personen ausmachten, während
für Österreich St. Bauer auf 2,24 Mill. gewerblich thätige Arbeiter 0,95 Mill. groß-
industrielle (42 %), 0,58 Mill. handwerksmäßige (27 %) und 0,71 Mill. hausindustrielle
(31 %) schätzen will. In der Schweiz sollen 19 % der Arbeitenden der Hausindustrie
angehören, in Rußland die 6--7 fache Zahl der Fabrikarbeiter.

Die Hausindustrie unterscheidet sich vom Handwerk dadurch, daß sie nicht mehr
Kundenabsatz, sondern Massenabsatz bezweckt, daß die kaufmännische Leitung und die
gewerbliche Arbeit ganz getrennt ist, daß dem Hausindustriellen, auch wenn er noch
eine Werkstatt leitet und eine Ware verkauft, doch der größere Teil der Unternehmer-
thätigkeit und damit auch der Unternehmergewinn entzogen ist. Immer sind in der
Hausindustrie noch zahlreiche Mittelglieder zwischen der Unternehmer- und Arbeiter-
stellung; daneben aber auch viel tieferstehende Arbeiter als in der Großindustrie.

Für den Unternehmer ist die Hausindustrie kapitalsparend; er kann viel leichter
als beim Fabrikbetrieb sein Geschäft ausdehnen und einschränken, er wälzt einen Teil des
Risikos auf die an sich schwächeren Arbeiter ab. Dafür hat er mit der Schwierigkeit
zu rechnen, Dutzende, Hunderte und Tausende von Arbeitern zu einheitlichem Thun zu
verbinden; es fehlt die sichere Einheitlichkeit und Planmäßigkeit des großindustriellen
Arbeitsprozesses; Maschinenanwendung ist nur in geringem Maße möglich; nur
Produkte, wobei diese zu entbehren ist, lassen sich hausindustriell herstellen.

Die Hausindustrie wird nicht ganz verschwinden; sie wird vielleicht durch die
Elektricität, durch Centralwerkstätten, durch technische Schulung, auch da und dort durch
Übervölkerung noch zunehmen; sie hat auch nicht überall die socialen Nachteile der
Über- und Kinderarbeit, des Lohndruckes, der Proletarisierung; sie kann unter
bestimmten Verhältnissen, zumal wenn eine innere Organisation der Heimarbeiter und
der Verleger gelingen sollte, dann bei nicht ganz Besitzlosen, auf dem Lande, im Gebirge,
auch in der Stadt für bestimmte Personen eine normale Form der Betriebsorganisation
noch heute sein. Im ganzen aber ist sie mehr eine Form der Vergangenheit, des Über-
ganges zur Großindustrie.

142. Die moderne Unternehmung, hauptsächlich der Groß-
betrieb. Die Fabrik
. Wo in den Staaten des klassischen Altertums aus dem
Haus- der Bergwerks-, Plantagen-, Fabriksklave wurde, da entstanden große, wesentlich
auf Gewinn bedachte Geschäftsbetriebe. Wie Nikias von Athen 1000 Sklaven in den
laurischen Bergwerken hatte, so zählten die sogenannten familiae reicher römischer
Ritter und Freigelassener bis 5, 10 und 20 000 Sklaven; es waren halb fürstliche
Haushaltungen, halb hart disciplinierte Großunternehmungen, welche Handel, Verkehr
und Kredit, landwirtschaftliche und gewerbliche Produktion mit großen Kapitalien und
vollendeter Technik zu glänzender Entwickelung brachten, bedeutende Gewinne abwarfen
(vergl. oben S. 339--340, S. 418).

Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
ermöglicht. Die Folgen ſind vielfach ſo ungünſtig für dieſe Ärmſten der Armen, daß
man teilweiſe die künftige Beſeitigung dieſer Art der Heimarbeit, einen geſetzlichen
Zwang zur Verlegung derſelben in Werkſtatt und Fabrik verlangt hat. Doch dürften
ſolche Wünſche in abſehbarer Zeit keine Hoffnung auf Durchführung haben; man
nähme Tauſenden von armen Familien ihren letzten Verdienſt. Es darf nicht überſehen
werden, daß heute in der ganzen Hausinduſtrie 1. die ſchwächlichſten Arbeiter und
2. die beſchäftigt werden, die ihrer Familienſtellung, ihrem ſonſtigen Erwerb nach keine
volle Arbeitsſtellung, ſondern nur einen Nebenerwerb ſuchen können.

Auf den Verſuch, die Abnahme der Hausinduſtrie, ihr teilweiſes Wiederanwachſen
hiſtoriſch-ſtatiſtiſch darzulegen, müſſen wir im ganzen verzichten. Das Material dazu
iſt zu unſicher; die direkten deutſchen Erhebungen geben offenbar nur einen Teil der
Hausinduſtrie. Daß ſie in Oſteuropa noch viel umfangreicher iſt als in England und
bei uns, iſt ſicher. Ich bemerke nur, daß die ſelbſtändigen Hausinduſtriellen (ohne
ihre Gehülfen) in Deutſchland von 1882—95 von 329 644 auf 287 389 (— 15,39 %)
nach den amtlichen Zahlen abgenommen haben, daß ſie 1895 mit Gehülfen und
mithelfenden Familienangehörigen noch 4—500 000 Perſonen ausmachten, während
für Öſterreich St. Bauer auf 2,24 Mill. gewerblich thätige Arbeiter 0,95 Mill. groß-
induſtrielle (42 %), 0,58 Mill. handwerksmäßige (27 %) und 0,71 Mill. hausinduſtrielle
(31 %) ſchätzen will. In der Schweiz ſollen 19 % der Arbeitenden der Hausinduſtrie
angehören, in Rußland die 6—7 fache Zahl der Fabrikarbeiter.

Die Hausinduſtrie unterſcheidet ſich vom Handwerk dadurch, daß ſie nicht mehr
Kundenabſatz, ſondern Maſſenabſatz bezweckt, daß die kaufmänniſche Leitung und die
gewerbliche Arbeit ganz getrennt iſt, daß dem Hausinduſtriellen, auch wenn er noch
eine Werkſtatt leitet und eine Ware verkauft, doch der größere Teil der Unternehmer-
thätigkeit und damit auch der Unternehmergewinn entzogen iſt. Immer ſind in der
Hausinduſtrie noch zahlreiche Mittelglieder zwiſchen der Unternehmer- und Arbeiter-
ſtellung; daneben aber auch viel tieferſtehende Arbeiter als in der Großinduſtrie.

Für den Unternehmer iſt die Hausinduſtrie kapitalſparend; er kann viel leichter
als beim Fabrikbetrieb ſein Geſchäft ausdehnen und einſchränken, er wälzt einen Teil des
Riſikos auf die an ſich ſchwächeren Arbeiter ab. Dafür hat er mit der Schwierigkeit
zu rechnen, Dutzende, Hunderte und Tauſende von Arbeitern zu einheitlichem Thun zu
verbinden; es fehlt die ſichere Einheitlichkeit und Planmäßigkeit des großinduſtriellen
Arbeitsprozeſſes; Maſchinenanwendung iſt nur in geringem Maße möglich; nur
Produkte, wobei dieſe zu entbehren iſt, laſſen ſich hausinduſtriell herſtellen.

Die Hausinduſtrie wird nicht ganz verſchwinden; ſie wird vielleicht durch die
Elektricität, durch Centralwerkſtätten, durch techniſche Schulung, auch da und dort durch
Übervölkerung noch zunehmen; ſie hat auch nicht überall die ſocialen Nachteile der
Über- und Kinderarbeit, des Lohndruckes, der Proletariſierung; ſie kann unter
beſtimmten Verhältniſſen, zumal wenn eine innere Organiſation der Heimarbeiter und
der Verleger gelingen ſollte, dann bei nicht ganz Beſitzloſen, auf dem Lande, im Gebirge,
auch in der Stadt für beſtimmte Perſonen eine normale Form der Betriebsorganiſation
noch heute ſein. Im ganzen aber iſt ſie mehr eine Form der Vergangenheit, des Über-
ganges zur Großinduſtrie.

142. Die moderne Unternehmung, hauptſächlich der Groß-
betrieb. Die Fabrik
. Wo in den Staaten des klaſſiſchen Altertums aus dem
Haus- der Bergwerks-, Plantagen-, Fabrikſklave wurde, da entſtanden große, weſentlich
auf Gewinn bedachte Geſchäftsbetriebe. Wie Nikias von Athen 1000 Sklaven in den
lauriſchen Bergwerken hatte, ſo zählten die ſogenannten familiae reicher römiſcher
Ritter und Freigelaſſener bis 5, 10 und 20 000 Sklaven; es waren halb fürſtliche
Haushaltungen, halb hart disciplinierte Großunternehmungen, welche Handel, Verkehr
und Kredit, landwirtſchaftliche und gewerbliche Produktion mit großen Kapitalien und
vollendeter Technik zu glänzender Entwickelung brachten, bedeutende Gewinne abwarfen
(vergl. oben S. 339—340, S. 418).

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[428/0444] Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft. ermöglicht. Die Folgen ſind vielfach ſo ungünſtig für dieſe Ärmſten der Armen, daß man teilweiſe die künftige Beſeitigung dieſer Art der Heimarbeit, einen geſetzlichen Zwang zur Verlegung derſelben in Werkſtatt und Fabrik verlangt hat. Doch dürften ſolche Wünſche in abſehbarer Zeit keine Hoffnung auf Durchführung haben; man nähme Tauſenden von armen Familien ihren letzten Verdienſt. Es darf nicht überſehen werden, daß heute in der ganzen Hausinduſtrie 1. die ſchwächlichſten Arbeiter und 2. die beſchäftigt werden, die ihrer Familienſtellung, ihrem ſonſtigen Erwerb nach keine volle Arbeitsſtellung, ſondern nur einen Nebenerwerb ſuchen können. Auf den Verſuch, die Abnahme der Hausinduſtrie, ihr teilweiſes Wiederanwachſen hiſtoriſch-ſtatiſtiſch darzulegen, müſſen wir im ganzen verzichten. Das Material dazu iſt zu unſicher; die direkten deutſchen Erhebungen geben offenbar nur einen Teil der Hausinduſtrie. Daß ſie in Oſteuropa noch viel umfangreicher iſt als in England und bei uns, iſt ſicher. Ich bemerke nur, daß die ſelbſtändigen Hausinduſtriellen (ohne ihre Gehülfen) in Deutſchland von 1882—95 von 329 644 auf 287 389 (— 15,39 %) nach den amtlichen Zahlen abgenommen haben, daß ſie 1895 mit Gehülfen und mithelfenden Familienangehörigen noch 4—500 000 Perſonen ausmachten, während für Öſterreich St. Bauer auf 2,24 Mill. gewerblich thätige Arbeiter 0,95 Mill. groß- induſtrielle (42 %), 0,58 Mill. handwerksmäßige (27 %) und 0,71 Mill. hausinduſtrielle (31 %) ſchätzen will. In der Schweiz ſollen 19 % der Arbeitenden der Hausinduſtrie angehören, in Rußland die 6—7 fache Zahl der Fabrikarbeiter. Die Hausinduſtrie unterſcheidet ſich vom Handwerk dadurch, daß ſie nicht mehr Kundenabſatz, ſondern Maſſenabſatz bezweckt, daß die kaufmänniſche Leitung und die gewerbliche Arbeit ganz getrennt iſt, daß dem Hausinduſtriellen, auch wenn er noch eine Werkſtatt leitet und eine Ware verkauft, doch der größere Teil der Unternehmer- thätigkeit und damit auch der Unternehmergewinn entzogen iſt. Immer ſind in der Hausinduſtrie noch zahlreiche Mittelglieder zwiſchen der Unternehmer- und Arbeiter- ſtellung; daneben aber auch viel tieferſtehende Arbeiter als in der Großinduſtrie. Für den Unternehmer iſt die Hausinduſtrie kapitalſparend; er kann viel leichter als beim Fabrikbetrieb ſein Geſchäft ausdehnen und einſchränken, er wälzt einen Teil des Riſikos auf die an ſich ſchwächeren Arbeiter ab. Dafür hat er mit der Schwierigkeit zu rechnen, Dutzende, Hunderte und Tauſende von Arbeitern zu einheitlichem Thun zu verbinden; es fehlt die ſichere Einheitlichkeit und Planmäßigkeit des großinduſtriellen Arbeitsprozeſſes; Maſchinenanwendung iſt nur in geringem Maße möglich; nur Produkte, wobei dieſe zu entbehren iſt, laſſen ſich hausinduſtriell herſtellen. Die Hausinduſtrie wird nicht ganz verſchwinden; ſie wird vielleicht durch die Elektricität, durch Centralwerkſtätten, durch techniſche Schulung, auch da und dort durch Übervölkerung noch zunehmen; ſie hat auch nicht überall die ſocialen Nachteile der Über- und Kinderarbeit, des Lohndruckes, der Proletariſierung; ſie kann unter beſtimmten Verhältniſſen, zumal wenn eine innere Organiſation der Heimarbeiter und der Verleger gelingen ſollte, dann bei nicht ganz Beſitzloſen, auf dem Lande, im Gebirge, auch in der Stadt für beſtimmte Perſonen eine normale Form der Betriebsorganiſation noch heute ſein. Im ganzen aber iſt ſie mehr eine Form der Vergangenheit, des Über- ganges zur Großinduſtrie. 142. Die moderne Unternehmung, hauptſächlich der Groß- betrieb. Die Fabrik. Wo in den Staaten des klaſſiſchen Altertums aus dem Haus- der Bergwerks-, Plantagen-, Fabrikſklave wurde, da entſtanden große, weſentlich auf Gewinn bedachte Geſchäftsbetriebe. Wie Nikias von Athen 1000 Sklaven in den lauriſchen Bergwerken hatte, ſo zählten die ſogenannten familiae reicher römiſcher Ritter und Freigelaſſener bis 5, 10 und 20 000 Sklaven; es waren halb fürſtliche Haushaltungen, halb hart disciplinierte Großunternehmungen, welche Handel, Verkehr und Kredit, landwirtſchaftliche und gewerbliche Produktion mit großen Kapitalien und vollendeter Technik zu glänzender Entwickelung brachten, bedeutende Gewinne abwarfen (vergl. oben S. 339—340, S. 418).

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/444>, abgerufen am 22.11.2024.