Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft. manchen Hausindustrien waren die Verleger entweder allein zu Zünften vereint, oderwaren sie Zunftgenossen der Heimarbeiter, mußten z. B. in Lyon zehn Jahre Lehrlings- und Gesellenzeit am Webstuhl durchgemacht haben. Diente das da und dort auch zu Verabredungen und Maßnahmen im egoistischen Interesse der Verleger, im ganzen suchten die Regierungen durch die Organisation und durch die Reglements die Schleuder- konkurrenz zu hindern, unanständige Elemente aus dem Kreis der Verleger fern zu halten, den Verlegern mancherlei Pflichten gegenüber den Heimarbeitern aufzuerlegen. Man könnte diese früher weit verbreitete Organisation der Hausindustrie ein Mittelding zwischen Zunft, Gewerkverein und Kartell nennen. Soweit mit ihnen und durch sie eine kartellartige Konkurrenzregulierung entstand, wirkte sie mannigfach wohlthätig; jedem zu monopolistischen Treiben der Verleger traten die Regierungen entgegen; oft wurde ein Überangebot von Arbeitskräften so verhindert. Hauptsächlich dem leicht wucherischen Treiben der vermittelnden Faktoren, Garnhändlern etc. suchten die Reglements durch Konzessionszwang entgegenzutreten; oft mit, oft ohne Erfolg. Diese staatlichen Reglements der Hausindustrie sind meist nach Anhörung aller Ihre wirtschaftliche Lage und ihr Einkommen waren früher und ist heute von Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft. manchen Hausinduſtrien waren die Verleger entweder allein zu Zünften vereint, oderwaren ſie Zunftgenoſſen der Heimarbeiter, mußten z. B. in Lyon zehn Jahre Lehrlings- und Geſellenzeit am Webſtuhl durchgemacht haben. Diente das da und dort auch zu Verabredungen und Maßnahmen im egoiſtiſchen Intereſſe der Verleger, im ganzen ſuchten die Regierungen durch die Organiſation und durch die Reglements die Schleuder- konkurrenz zu hindern, unanſtändige Elemente aus dem Kreis der Verleger fern zu halten, den Verlegern mancherlei Pflichten gegenüber den Heimarbeitern aufzuerlegen. Man könnte dieſe früher weit verbreitete Organiſation der Hausinduſtrie ein Mittelding zwiſchen Zunft, Gewerkverein und Kartell nennen. Soweit mit ihnen und durch ſie eine kartellartige Konkurrenzregulierung entſtand, wirkte ſie mannigfach wohlthätig; jedem zu monopoliſtiſchen Treiben der Verleger traten die Regierungen entgegen; oft wurde ein Überangebot von Arbeitskräften ſo verhindert. Hauptſächlich dem leicht wucheriſchen Treiben der vermittelnden Faktoren, Garnhändlern ꝛc. ſuchten die Reglements durch Konzeſſionszwang entgegenzutreten; oft mit, oft ohne Erfolg. Dieſe ſtaatlichen Reglements der Hausinduſtrie ſind meiſt nach Anhörung aller Ihre wirtſchaftliche Lage und ihr Einkommen waren früher und iſt heute von <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0442" n="426"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.</fw><lb/> manchen Hausinduſtrien waren die Verleger entweder allein zu Zünften vereint, oder<lb/> waren ſie Zunftgenoſſen der Heimarbeiter, mußten z. B. in Lyon zehn Jahre Lehrlings-<lb/> und Geſellenzeit am Webſtuhl durchgemacht haben. 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Wo die Hausinduſtrie erblühen ſollte, mußte zuerſt häufig das<lb/> beſtehende hindernde Zunftrecht mit ſeinen veralteten techniſchen und Betriebsvorſchriften<lb/> beſeitigt werden; aber dieſer gewerbefreiheitlichen Strömung folgte raſch das Bedürfnis<lb/> neuer Ordnung, einer Ordnung, die mehrere Gewerbe, Stadt und Land, ganze Gegenden<lb/> umfaßte, das techniſche und wirtſchaftliche Zuſammenwirken ſo vieler zerſtreuter Einzel-<lb/> kräfte und gute reelle Produktion einheitlicher Waren garantierte, die Verleger vor Ver-<lb/> untreuung, die Heimarbeiter vor Übervorteilung, Druck und Ausbeutung ſchützte. Als<lb/> die Großinduſtrie aber aufkam und die Gewerbefreiheit ſiegte, mußten naturgemäß<lb/> die meiſten Reglements fallen, weil alle ihre Beſtimmungen nur auf die Haus- oder<lb/> Werkſtattarbeit zugeſchnitten waren, und man dieſen zu Liebe die Technik höher ſtehender<lb/> Fabriken nicht verbieten konnte; einige der Reglements waren auch längſt veraltet; viele<lb/> aber hatten ſehr ſegensreich gewirkt, hauptſächlich die Heimarbeiter weſentlich gehoben.<lb/> Die wirklich traurigen Zeiten für die Heimarbeiter begannen allerwärts erſt nach ihrer<lb/> Aufhebung in unſerem Jahrhundert.</p><lb/> <p>Ihre wirtſchaftliche Lage und ihr Einkommen waren früher und iſt heute von<lb/> ihrer Bildung, ihrem Beſitz, ihrer ſtärkeren oder ſchwächeren Stellung im Konkurrenz-<lb/> kampfe gegenüber den Verlegern und Faktoren abhängig. Wo die Heimarbeiter noch<lb/> nicht verſchuldet ſind, wo ſie auf dem Lande über ein Häuschen und ein Ackerſtückchen<lb/> zum Kartoffelbau verfügen, ſind ſie natürlich in ganz anderer Lage als beſitzloſe Mieter,<lb/> die verhungern, wenn der Faktor nicht Beſchäftigung bringt. Wo die Heimarbeiter<lb/> ſelbſt noch eine Unternehmerſtellung, eventuell anderen Verdienſt haben, ihre Arbeit<lb/> oder ihre Waren auch ſelbſt verkaufen z. B. auf Jahrmärkten vertreiben können, iſt<lb/> ihre Lage ebenfalls noch beſſer, als wo ihre zerſtreute Lage, ihre Marktunkenntnis,<lb/> ihre Unfähigkeit zu anderer Arbeit ſie ganz vom Verleger abhängig macht. Je höher<lb/> ihre techniſche Kunſt ſteht, deſto weniger haben ſie bei jeder Hauſſekonjunktur zu fürchten,<lb/> daß alle möglichen Kräfte ſich ihrer Beſchäftigung zuwenden. Wo ſie, wie in den aus<lb/> dem Handwerk entſtandenen Hausinduſtrien, noch Werkzeuge eigen haben, den Rohſtoff<lb/> einkaufen, ein fertiges Produkt verkaufen (Kaufſyſtem), iſt ihre Lage natürlich im<lb/> Durchſchnitt beſſer, weil unabhängiger, als wo ſie für den Webſtuhl teure Miete<lb/> zahlen, den Rohſtoff geliefert und angerechnet bekommen, das fertige Produkt gegen<lb/> Lohn abliefern (Lohnſyſtem). Letzteres iſt neuerdings das Häufigere: hier verlegt der<lb/> Verleger die Heimarbeiter in der That mit dem Rohſtoff, dieſer iſt Lohnarbeiter des-<lb/> ſelben, obwohl er in ſeiner Wohnung arbeitet. Wo der Verleger dieſes Syſtem geſchaffen<lb/> hat, die Heimarbeiter nach ſeinen Muſtern ſeinen Rohſtoff verarbeiten, da kann man<lb/> allenfalls die Hausinduſtrie decentraliſierten Großbetrieb nennen; beſſer ſcheint es, dieſen<lb/> Begriff auf die gewerblichen Betriebe zu beſchränken, welche den Arbeiter aus ſeiner<lb/> Wohnung und Werkſtatt in die des Arbeitgebers verſetzen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [426/0442]
Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
manchen Hausinduſtrien waren die Verleger entweder allein zu Zünften vereint, oder
waren ſie Zunftgenoſſen der Heimarbeiter, mußten z. B. in Lyon zehn Jahre Lehrlings-
und Geſellenzeit am Webſtuhl durchgemacht haben. Diente das da und dort auch zu
Verabredungen und Maßnahmen im egoiſtiſchen Intereſſe der Verleger, im ganzen
ſuchten die Regierungen durch die Organiſation und durch die Reglements die Schleuder-
konkurrenz zu hindern, unanſtändige Elemente aus dem Kreis der Verleger fern zu
halten, den Verlegern mancherlei Pflichten gegenüber den Heimarbeitern aufzuerlegen.
Man könnte dieſe früher weit verbreitete Organiſation der Hausinduſtrie ein Mittelding
zwiſchen Zunft, Gewerkverein und Kartell nennen. Soweit mit ihnen und durch ſie
eine kartellartige Konkurrenzregulierung entſtand, wirkte ſie mannigfach wohlthätig;
jedem zu monopoliſtiſchen Treiben der Verleger traten die Regierungen entgegen; oft wurde
ein Überangebot von Arbeitskräften ſo verhindert. Hauptſächlich dem leicht wucheriſchen
Treiben der vermittelnden Faktoren, Garnhändlern ꝛc. ſuchten die Reglements durch
Konzeſſionszwang entgegenzutreten; oft mit, oft ohne Erfolg.
Dieſe ſtaatlichen Reglements der Hausinduſtrie ſind meiſt nach Anhörung aller
Beteiligten von den Regierungen erlaſſen worden; ſie waren für die Hausinduſtrie, was
das Zunftrecht für die Handwerke war, was die Arbeiterſchutzgeſetzgebung für die heutige
Großinduſtrie iſt. Wo die Hausinduſtrie erblühen ſollte, mußte zuerſt häufig das
beſtehende hindernde Zunftrecht mit ſeinen veralteten techniſchen und Betriebsvorſchriften
beſeitigt werden; aber dieſer gewerbefreiheitlichen Strömung folgte raſch das Bedürfnis
neuer Ordnung, einer Ordnung, die mehrere Gewerbe, Stadt und Land, ganze Gegenden
umfaßte, das techniſche und wirtſchaftliche Zuſammenwirken ſo vieler zerſtreuter Einzel-
kräfte und gute reelle Produktion einheitlicher Waren garantierte, die Verleger vor Ver-
untreuung, die Heimarbeiter vor Übervorteilung, Druck und Ausbeutung ſchützte. Als
die Großinduſtrie aber aufkam und die Gewerbefreiheit ſiegte, mußten naturgemäß
die meiſten Reglements fallen, weil alle ihre Beſtimmungen nur auf die Haus- oder
Werkſtattarbeit zugeſchnitten waren, und man dieſen zu Liebe die Technik höher ſtehender
Fabriken nicht verbieten konnte; einige der Reglements waren auch längſt veraltet; viele
aber hatten ſehr ſegensreich gewirkt, hauptſächlich die Heimarbeiter weſentlich gehoben.
Die wirklich traurigen Zeiten für die Heimarbeiter begannen allerwärts erſt nach ihrer
Aufhebung in unſerem Jahrhundert.
Ihre wirtſchaftliche Lage und ihr Einkommen waren früher und iſt heute von
ihrer Bildung, ihrem Beſitz, ihrer ſtärkeren oder ſchwächeren Stellung im Konkurrenz-
kampfe gegenüber den Verlegern und Faktoren abhängig. Wo die Heimarbeiter noch
nicht verſchuldet ſind, wo ſie auf dem Lande über ein Häuschen und ein Ackerſtückchen
zum Kartoffelbau verfügen, ſind ſie natürlich in ganz anderer Lage als beſitzloſe Mieter,
die verhungern, wenn der Faktor nicht Beſchäftigung bringt. Wo die Heimarbeiter
ſelbſt noch eine Unternehmerſtellung, eventuell anderen Verdienſt haben, ihre Arbeit
oder ihre Waren auch ſelbſt verkaufen z. B. auf Jahrmärkten vertreiben können, iſt
ihre Lage ebenfalls noch beſſer, als wo ihre zerſtreute Lage, ihre Marktunkenntnis,
ihre Unfähigkeit zu anderer Arbeit ſie ganz vom Verleger abhängig macht. Je höher
ihre techniſche Kunſt ſteht, deſto weniger haben ſie bei jeder Hauſſekonjunktur zu fürchten,
daß alle möglichen Kräfte ſich ihrer Beſchäftigung zuwenden. Wo ſie, wie in den aus
dem Handwerk entſtandenen Hausinduſtrien, noch Werkzeuge eigen haben, den Rohſtoff
einkaufen, ein fertiges Produkt verkaufen (Kaufſyſtem), iſt ihre Lage natürlich im
Durchſchnitt beſſer, weil unabhängiger, als wo ſie für den Webſtuhl teure Miete
zahlen, den Rohſtoff geliefert und angerechnet bekommen, das fertige Produkt gegen
Lohn abliefern (Lohnſyſtem). Letzteres iſt neuerdings das Häufigere: hier verlegt der
Verleger die Heimarbeiter in der That mit dem Rohſtoff, dieſer iſt Lohnarbeiter des-
ſelben, obwohl er in ſeiner Wohnung arbeitet. Wo der Verleger dieſes Syſtem geſchaffen
hat, die Heimarbeiter nach ſeinen Muſtern ſeinen Rohſtoff verarbeiten, da kann man
allenfalls die Hausinduſtrie decentraliſierten Großbetrieb nennen; beſſer ſcheint es, dieſen
Begriff auf die gewerblichen Betriebe zu beſchränken, welche den Arbeiter aus ſeiner
Wohnung und Werkſtatt in die des Arbeitgebers verſetzen.
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