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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Das städtische Grundeigentum. Das Eigentum am Kapitalbesitz.
die Verschiedenheiten der Personen wesentlich auch die Verschiedenheit an solch beweglichem
Eigentum. Die spätere historische Entwickelung hat das Princip des persönlichen
Eigentums nur weiter gebildet durch die genauere Ordnung des Familien- und Erb-
rechts, des ehelichen Güterrechts, durch feinere Ausbildung der Verträge und Erwerbs-
arten, durch welche Eigentum erworben wird. Ohne Ausnahme blieb in allen Kultur-
staaten der weit überwiegende Teil des beweglichen Besitzes der freien Verfügung der
Individuen und Familien, dem privaten Eigentum überlassen.

Es verstand sich das für Vieh und Nahrungsmittel, für Kleider und Hausgeräte,
die man selbst hergestellt, ganz von selbst, ebenso auch für alle eingetauschten Gebrauchs-
vorräte. Und heute noch will selbst der extreme Socialismus das private Eigentum
an diesen Gegenständen nicht antasten. Auch in Bezug auf das Eigentum des Bauern
und Handwerkers an seinem produktiven Kapital geben Marx und Engels zu, daß es
berechtigt, weil in klarem sichtbarem Zusammenhang mit der individuellen körperlichen
Arbeit des Eigentümers sei. Aber das Kapital der Großunternehmung, das ausgeliehene,
Zinsen oder Gewinn gebende Kapital, das stehe mit seinem heutigen juristischen Eigen-
tümer nicht mehr in derselben Beziehung; nicht von ihm geschaffen und nicht von ihm
bearbeitet, ein Ergebnis gesellschaftlicher Prozesse gebe es ihm eine unberechtigte Rente;
wie der gesellschaftliche Arbeitsprozeß den individuellen oder familienhaften abgelöst
habe, so müsse auch der Verteilungsprozeß ein gesellschaftlicher, das Arbeitsmittel und
sein Produkt ein der Gesellschaft gehöriges werden. Die jetzige überlebte Rechtsform --
der sogenannte Kapitalismus -- erzeuge die Ausbeutung der unteren, die Übermästung
der oberen Klassen.

Nun ist gewiß der frühere Kleinbetrieb vom heutigen Großbetrieb weit verschieden;
und gewiß haben die geld- und kreditwirtschaftlichen Formen des heutigen Geschäfts-
lebens, zumal die neueren Unternehmungsformen den Verteilungsprozeß so kompliziert,
dem großen Besitzer und dem großen kaufmännischen Talent Möglichkeiten der Rente
und des Gewinns geschafft, die früher fehlten, und die an vielen Stellen durch unrechte
Ausnützung der Übermacht, durch Betrug und List entarteten. Wenn selbst ein Mann
wie Darwin es aussprechen konnte, die Sieger im Kampfe ums Geld seien heute keineswegs
immer die Besten und Klügsten, so muß die heutige Verteilung des beweglichen Kapital-
eigentums nicht einwandfrei sein. Die Geldmacher sind gewiß meist große Geschäftstalente,
aber ihre Millionen und Milliarden stehen zu oft doch in keinem entsprechenden Verhältnisse
zu diesem Talent. Der Zufall spielt in dem lotterieartigen Kampfe um den Besitz
heute eine größere Rolle als früher; und ebenso die harte, oft wucherische Skrupel-
losigkeit der Mittel. Die heutige Kapitalbildung in den Händen der Kaufleute und
Unternehmer konnte den Anschein erwecken, als ob in der neueren Zeit nur noch der
Besitz die Scheidung zwischen den höheren Ständen und den besitzlosen Arbeitern erzeuge,
daß nur die Besitzenden Unternehmer würden, die Nichtbesitzenden davon ausgeschlossen
seien. Und so wenig das durchaus zutrifft, so groß die Zahl der besitzlosen Arbeiter
Werkmeister und Kaufleute ist, die Unternehmer und Kapitalbesitzer werden oder sonst in
gute Stellungen kommen, bei dem Übergang in die Großindustrie und in die moderne
Kapital- und Kreditwirtschaft vollzog sich in der That eine harte Klassenscheidung, die
neben anderen Ursachen auf der großen und raschen Kapitalanhäufung in den Händen der
wenigen Führer der neuen wirtschaftlichen Organisationen beruhte. Das hat naturgemäß
heute in weiten Schichten der Zurückgebliebenen und Übervorteilten ein starkes, aber unklares,
dunkles Gefühl der Mißstimmung erzeugt, die Zweifel an einer gerechten Verteilung
der Güter sehr verstärkt. Aber das beweist doch nicht, daß alles individuelle produktive
Kapital nun gesellschaftliches Gesamteigentum werden müsse. Wenn im Handwerk mehr
die technische Arbeit des Meisters, in der Großunternehmung mehr die geistige des
Unternehmers in den Vordergrund tritt, so ist damit doch nicht bewiesen, daß der Rein-
ertrag dort von Rechtswegen, hier zu Unrecht dem gebühre, der das Risiko trägt, das
Geschäft ins Leben gerufen hat. Die Bezeichnung des Kleinbetriebes als individuellen,
des Großbetriebes als gesellschaftlichen Produktionsprozesses ist eine starke Übertreibung,
wenn sie behaupten will, daß bei jedem großen Geschäft die ganze Gesellschaft gleichmäßig

Das ſtädtiſche Grundeigentum. Das Eigentum am Kapitalbeſitz.
die Verſchiedenheiten der Perſonen weſentlich auch die Verſchiedenheit an ſolch beweglichem
Eigentum. Die ſpätere hiſtoriſche Entwickelung hat das Princip des perſönlichen
Eigentums nur weiter gebildet durch die genauere Ordnung des Familien- und Erb-
rechts, des ehelichen Güterrechts, durch feinere Ausbildung der Verträge und Erwerbs-
arten, durch welche Eigentum erworben wird. Ohne Ausnahme blieb in allen Kultur-
ſtaaten der weit überwiegende Teil des beweglichen Beſitzes der freien Verfügung der
Individuen und Familien, dem privaten Eigentum überlaſſen.

Es verſtand ſich das für Vieh und Nahrungsmittel, für Kleider und Hausgeräte,
die man ſelbſt hergeſtellt, ganz von ſelbſt, ebenſo auch für alle eingetauſchten Gebrauchs-
vorräte. Und heute noch will ſelbſt der extreme Socialismus das private Eigentum
an dieſen Gegenſtänden nicht antaſten. Auch in Bezug auf das Eigentum des Bauern
und Handwerkers an ſeinem produktiven Kapital geben Marx und Engels zu, daß es
berechtigt, weil in klarem ſichtbarem Zuſammenhang mit der individuellen körperlichen
Arbeit des Eigentümers ſei. Aber das Kapital der Großunternehmung, das ausgeliehene,
Zinſen oder Gewinn gebende Kapital, das ſtehe mit ſeinem heutigen juriſtiſchen Eigen-
tümer nicht mehr in derſelben Beziehung; nicht von ihm geſchaffen und nicht von ihm
bearbeitet, ein Ergebnis geſellſchaftlicher Prozeſſe gebe es ihm eine unberechtigte Rente;
wie der geſellſchaftliche Arbeitsprozeß den individuellen oder familienhaften abgelöſt
habe, ſo müſſe auch der Verteilungsprozeß ein geſellſchaftlicher, das Arbeitsmittel und
ſein Produkt ein der Geſellſchaft gehöriges werden. Die jetzige überlebte Rechtsform —
der ſogenannte Kapitalismus — erzeuge die Ausbeutung der unteren, die Übermäſtung
der oberen Klaſſen.

Nun iſt gewiß der frühere Kleinbetrieb vom heutigen Großbetrieb weit verſchieden;
und gewiß haben die geld- und kreditwirtſchaftlichen Formen des heutigen Geſchäfts-
lebens, zumal die neueren Unternehmungsformen den Verteilungsprozeß ſo kompliziert,
dem großen Beſitzer und dem großen kaufmänniſchen Talent Möglichkeiten der Rente
und des Gewinns geſchafft, die früher fehlten, und die an vielen Stellen durch unrechte
Ausnützung der Übermacht, durch Betrug und Liſt entarteten. Wenn ſelbſt ein Mann
wie Darwin es ausſprechen konnte, die Sieger im Kampfe ums Geld ſeien heute keineswegs
immer die Beſten und Klügſten, ſo muß die heutige Verteilung des beweglichen Kapital-
eigentums nicht einwandfrei ſein. Die Geldmacher ſind gewiß meiſt große Geſchäftstalente,
aber ihre Millionen und Milliarden ſtehen zu oft doch in keinem entſprechenden Verhältniſſe
zu dieſem Talent. Der Zufall ſpielt in dem lotterieartigen Kampfe um den Beſitz
heute eine größere Rolle als früher; und ebenſo die harte, oft wucheriſche Skrupel-
loſigkeit der Mittel. Die heutige Kapitalbildung in den Händen der Kaufleute und
Unternehmer konnte den Anſchein erwecken, als ob in der neueren Zeit nur noch der
Beſitz die Scheidung zwiſchen den höheren Ständen und den beſitzloſen Arbeitern erzeuge,
daß nur die Beſitzenden Unternehmer würden, die Nichtbeſitzenden davon ausgeſchloſſen
ſeien. Und ſo wenig das durchaus zutrifft, ſo groß die Zahl der beſitzloſen Arbeiter
Werkmeiſter und Kaufleute iſt, die Unternehmer und Kapitalbeſitzer werden oder ſonſt in
gute Stellungen kommen, bei dem Übergang in die Großinduſtrie und in die moderne
Kapital- und Kreditwirtſchaft vollzog ſich in der That eine harte Klaſſenſcheidung, die
neben anderen Urſachen auf der großen und raſchen Kapitalanhäufung in den Händen der
wenigen Führer der neuen wirtſchaftlichen Organiſationen beruhte. Das hat naturgemäß
heute in weiten Schichten der Zurückgebliebenen und Übervorteilten ein ſtarkes, aber unklares,
dunkles Gefühl der Mißſtimmung erzeugt, die Zweifel an einer gerechten Verteilung
der Güter ſehr verſtärkt. Aber das beweiſt doch nicht, daß alles individuelle produktive
Kapital nun geſellſchaftliches Geſamteigentum werden müſſe. Wenn im Handwerk mehr
die techniſche Arbeit des Meiſters, in der Großunternehmung mehr die geiſtige des
Unternehmers in den Vordergrund tritt, ſo iſt damit doch nicht bewieſen, daß der Rein-
ertrag dort von Rechtswegen, hier zu Unrecht dem gebühre, der das Riſiko trägt, das
Geſchäft ins Leben gerufen hat. Die Bezeichnung des Kleinbetriebes als individuellen,
des Großbetriebes als geſellſchaftlichen Produktionsprozeſſes iſt eine ſtarke Übertreibung,
wenn ſie behaupten will, daß bei jedem großen Geſchäft die ganze Geſellſchaft gleichmäßig

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[381/0397] Das ſtädtiſche Grundeigentum. Das Eigentum am Kapitalbeſitz. die Verſchiedenheiten der Perſonen weſentlich auch die Verſchiedenheit an ſolch beweglichem Eigentum. Die ſpätere hiſtoriſche Entwickelung hat das Princip des perſönlichen Eigentums nur weiter gebildet durch die genauere Ordnung des Familien- und Erb- rechts, des ehelichen Güterrechts, durch feinere Ausbildung der Verträge und Erwerbs- arten, durch welche Eigentum erworben wird. Ohne Ausnahme blieb in allen Kultur- ſtaaten der weit überwiegende Teil des beweglichen Beſitzes der freien Verfügung der Individuen und Familien, dem privaten Eigentum überlaſſen. Es verſtand ſich das für Vieh und Nahrungsmittel, für Kleider und Hausgeräte, die man ſelbſt hergeſtellt, ganz von ſelbſt, ebenſo auch für alle eingetauſchten Gebrauchs- vorräte. Und heute noch will ſelbſt der extreme Socialismus das private Eigentum an dieſen Gegenſtänden nicht antaſten. Auch in Bezug auf das Eigentum des Bauern und Handwerkers an ſeinem produktiven Kapital geben Marx und Engels zu, daß es berechtigt, weil in klarem ſichtbarem Zuſammenhang mit der individuellen körperlichen Arbeit des Eigentümers ſei. Aber das Kapital der Großunternehmung, das ausgeliehene, Zinſen oder Gewinn gebende Kapital, das ſtehe mit ſeinem heutigen juriſtiſchen Eigen- tümer nicht mehr in derſelben Beziehung; nicht von ihm geſchaffen und nicht von ihm bearbeitet, ein Ergebnis geſellſchaftlicher Prozeſſe gebe es ihm eine unberechtigte Rente; wie der geſellſchaftliche Arbeitsprozeß den individuellen oder familienhaften abgelöſt habe, ſo müſſe auch der Verteilungsprozeß ein geſellſchaftlicher, das Arbeitsmittel und ſein Produkt ein der Geſellſchaft gehöriges werden. Die jetzige überlebte Rechtsform — der ſogenannte Kapitalismus — erzeuge die Ausbeutung der unteren, die Übermäſtung der oberen Klaſſen. Nun iſt gewiß der frühere Kleinbetrieb vom heutigen Großbetrieb weit verſchieden; und gewiß haben die geld- und kreditwirtſchaftlichen Formen des heutigen Geſchäfts- lebens, zumal die neueren Unternehmungsformen den Verteilungsprozeß ſo kompliziert, dem großen Beſitzer und dem großen kaufmänniſchen Talent Möglichkeiten der Rente und des Gewinns geſchafft, die früher fehlten, und die an vielen Stellen durch unrechte Ausnützung der Übermacht, durch Betrug und Liſt entarteten. Wenn ſelbſt ein Mann wie Darwin es ausſprechen konnte, die Sieger im Kampfe ums Geld ſeien heute keineswegs immer die Beſten und Klügſten, ſo muß die heutige Verteilung des beweglichen Kapital- eigentums nicht einwandfrei ſein. Die Geldmacher ſind gewiß meiſt große Geſchäftstalente, aber ihre Millionen und Milliarden ſtehen zu oft doch in keinem entſprechenden Verhältniſſe zu dieſem Talent. Der Zufall ſpielt in dem lotterieartigen Kampfe um den Beſitz heute eine größere Rolle als früher; und ebenſo die harte, oft wucheriſche Skrupel- loſigkeit der Mittel. Die heutige Kapitalbildung in den Händen der Kaufleute und Unternehmer konnte den Anſchein erwecken, als ob in der neueren Zeit nur noch der Beſitz die Scheidung zwiſchen den höheren Ständen und den beſitzloſen Arbeitern erzeuge, daß nur die Beſitzenden Unternehmer würden, die Nichtbeſitzenden davon ausgeſchloſſen ſeien. Und ſo wenig das durchaus zutrifft, ſo groß die Zahl der beſitzloſen Arbeiter Werkmeiſter und Kaufleute iſt, die Unternehmer und Kapitalbeſitzer werden oder ſonſt in gute Stellungen kommen, bei dem Übergang in die Großinduſtrie und in die moderne Kapital- und Kreditwirtſchaft vollzog ſich in der That eine harte Klaſſenſcheidung, die neben anderen Urſachen auf der großen und raſchen Kapitalanhäufung in den Händen der wenigen Führer der neuen wirtſchaftlichen Organiſationen beruhte. Das hat naturgemäß heute in weiten Schichten der Zurückgebliebenen und Übervorteilten ein ſtarkes, aber unklares, dunkles Gefühl der Mißſtimmung erzeugt, die Zweifel an einer gerechten Verteilung der Güter ſehr verſtärkt. Aber das beweiſt doch nicht, daß alles individuelle produktive Kapital nun geſellſchaftliches Geſamteigentum werden müſſe. Wenn im Handwerk mehr die techniſche Arbeit des Meiſters, in der Großunternehmung mehr die geiſtige des Unternehmers in den Vordergrund tritt, ſo iſt damit doch nicht bewieſen, daß der Rein- ertrag dort von Rechtswegen, hier zu Unrecht dem gebühre, der das Riſiko trägt, das Geſchäft ins Leben gerufen hat. Die Bezeichnung des Kleinbetriebes als individuellen, des Großbetriebes als geſellſchaftlichen Produktionsprozeſſes iſt eine ſtarke Übertreibung, wenn ſie behaupten will, daß bei jedem großen Geſchäft die ganze Geſellſchaft gleichmäßig

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/397>, abgerufen am 22.11.2024.