Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft. seiner schärferen Gestaltung und breiteren Ausdehnung, mit seiner relativ wenigbeschränkten Verfügungsgewalt. Diese hat freilich zuerst nur für das Vieh bestanden; die Herrschaft des Menschen über den Menschen war lange kein wirkliches Eigentum, sondern ein familienhaftes Rechtsverhältnis. Daß das ältere Sklavenrecht ein Teil des Familienrechtes war, dem Familien- Die ursprüngliche Entstehung des Vieheigentumes knüpft an die oben (S. 196 Der keltische Häuptling giebt dem ihm etwa an Rang gleichstehenden aber besitz- Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft. ſeiner ſchärferen Geſtaltung und breiteren Ausdehnung, mit ſeiner relativ wenigbeſchränkten Verfügungsgewalt. Dieſe hat freilich zuerſt nur für das Vieh beſtanden; die Herrſchaft des Menſchen über den Menſchen war lange kein wirkliches Eigentum, ſondern ein familienhaftes Rechtsverhältnis. Daß das ältere Sklavenrecht ein Teil des Familienrechtes war, dem Familien- Die urſprüngliche Entſtehung des Vieheigentumes knüpft an die oben (S. 196 Der keltiſche Häuptling giebt dem ihm etwa an Rang gleichſtehenden aber beſitz- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0386" n="370"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.</fw><lb/> ſeiner ſchärferen Geſtaltung und breiteren Ausdehnung, mit ſeiner relativ wenig<lb/> beſchränkten Verfügungsgewalt. Dieſe hat freilich zuerſt nur für das Vieh beſtanden;<lb/> die Herrſchaft des Menſchen über den Menſchen war lange kein wirkliches Eigentum,<lb/> ſondern ein familienhaftes Rechtsverhältnis.</p><lb/> <p>Daß das ältere Sklavenrecht ein Teil des Familienrechtes war, dem Familien-<lb/> vater über den Sklaven kaum andere Rechte gab, als über Frau und Kinder, ſahen<lb/> wir. Das ſpätere harte, zum wirklichen Eigentum führende Sklavenrecht war die Folge<lb/> der Ausweitung der Familien zu herrſchaftlichen unternehmerartigen Organiſationen,<lb/> welche nur unter der Vorausſetzung dieſer Herrſchaft in jenen Zeiten techniſch und<lb/> wirtſchaftlich Großes leiſten konnten. Aber die Möglichkeit dieſes zur Entartung<lb/> führenden Sklavenrechtes bot doch in erſter Linie die ethniſche Verſchiedenheit: die Herren<lb/> ſtammten im ganzen aus der höheren, die Sklaven aus der niederen Raſſe. Nie und<lb/> nirgends hat es ſich in der Hauptſache und dauernd ſo verhalten, daß kulturell gänzlich<lb/> Gleichſtehende ſich als Herren und Sklaven gegenüber, daß im Durchſchnitt die Herren tiefer<lb/> ſtanden. Ihre Wurzel lag in perſönlichen Verſchiedenheiten, ſowie in dem Bedürfnis großer<lb/> herrſchaftlicher Organiſation; dazu kam dann das Zurücktreten der älteren familienhaften<lb/> Rechtsſchranken, wodurch allerdings das ganze Verhältnis zum Unrecht nach und nach<lb/> wurde. Das ſpätere Sklavenrecht iſt die falſche Übertragung einer für Tiere und Sachen<lb/> paſſenden und entſtandenen Inſtitution auf Menſchen. Dieſe Art des Eigentums<lb/> mußte wieder verſchwinden; ſie that es allerdings erſt, nachdem ſie viel Unheil geſtiftet,<lb/> vorübergehend aber zugleich die Rolle eines weitreichenden herrſchaftlichen Bandes und<lb/> Organiſators roher Menſchen für große techniſche und wirtſchaftliche Zwecke geſpielt hatte.</p><lb/> <p>Die urſprüngliche Entſtehung des Vieheigentumes knüpft an die oben (S. 196<lb/> bis 197) beſprochene Viehzähmung an. Die Hypotheſe über ſie, welche E. Hahn aufſtellt,<lb/> weiſt darauf hin, daß urſprünglich die Rinderherden eine Art geheiligten Stammes-<lb/> eigentums dargeſtellt haben. Auch Meitzen nimmt an, daß bei den keltiſchen Viehweide-<lb/> genoſſenſchaften das Rindvieh teils dieſen, teils den einzelnen gehört hätte. Im übrigen<lb/> können wir in hiſtoriſcher Zeit und in der heutigen beſchreibenden Reiſelitteratur keine<lb/> Beiſpiele des Stammes- oder Sippeneigentums an Vieh finden. Der verbreitete Viehbeſitz<lb/> erſcheint überall als ein perſönlicher; und ich glaube, wir können annehmen, das beruhe<lb/> auf der Thatſache, daß in aller älteren Zeit die perſönliche Kraft und Geſchicklichkeit des<lb/> einzelnen Mannes am beſten ſolches Eigentum pflegen, erhalten und vermehren konnte.<lb/> Der Mann allein konnte mit dem Stier und der Kuh, dem Pferd und Kamel fertig<lb/> werden, ſie bändigen, ſchlachten; er beſorgt bei allen primitiven Stämmen das Vieh.<lb/> Schon den Kindern wird bei den afrikaniſchen Hirtenſtämmen ein Schaf oder ein Kalb<lb/> geſchenkt. Bei vielen Nomaden wird der erwachſene mannbare Sohn mit ſo viel Vieh<lb/> ausgeſtattet, daß er exiſtieren und ſich eine Frau kaufen kann. Wir ſehen überall mit<lb/> dem Viehbeſitz die Vermögensungleichheit beginnen. Im Eraniſchen heißt der König<lb/> Hv<hi rendition="#aq">á</hi>nthwa, d. h. der mit guter Herde Verſehene. Die demokratiſch kriegeriſche Rechts-<lb/> gleichheit der höher ſtehenden Indianerſtämme beruht auf der Abweſenheit des Vieh-<lb/> beſitzes. Unter den älteſten Semiten und Indogermanen finden wir ſchon Reiche und<lb/> Arme; ihre Häuptlinge ſind, wie heute die afrikaniſchen, ſtets die reichen Viehbeſitzer.<lb/> Und wenn der wohlhabende Herero nach der Schilderung Büttners ſein Vieh bei möglichſt<lb/> vielen verſchiedenen Stammesmitgliedern leihweiſe unterbringt, wenn bei den Kaffern<lb/> jeder Beſitzloſe ſich zum Hofe und Dienſt des Häuptlings drängt, der ſchon als Führer<lb/> der Viehraubzüge die größten Herden hat, und für ſeine Dienſte Viehbelohnung erwartet,<lb/> ſo laſſen uns die älteſten Nachrichten über Viehbeſitz und Viehkreditgeſchäfte bei den<lb/> Juden und Indern, neuerdings die anſchaulichen Bilder der älteſten iriſch-keltiſchen<lb/> Zuſtände, wie ſie Maine aus den Brehon-laws entwickelt, erkennen, wie wir uns die<lb/> Eigentumsverfaſſung ſolcher Stämme zu denken haben, deren wichtigſter Beſitz noch<lb/> das Vieh iſt.</p><lb/> <p>Der keltiſche Häuptling giebt dem ihm etwa an Rang gleichſtehenden aber beſitz-<lb/> loſen Volksgenoſſen einige Stücke Vieh, wofür er ihm ſieben Jahre lang Kalb und<lb/> Milch liefern und gewiſſe Gefolgsdienſte leiſten muß; dem tiefer ſtehenden werden<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [370/0386]
Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
ſeiner ſchärferen Geſtaltung und breiteren Ausdehnung, mit ſeiner relativ wenig
beſchränkten Verfügungsgewalt. Dieſe hat freilich zuerſt nur für das Vieh beſtanden;
die Herrſchaft des Menſchen über den Menſchen war lange kein wirkliches Eigentum,
ſondern ein familienhaftes Rechtsverhältnis.
Daß das ältere Sklavenrecht ein Teil des Familienrechtes war, dem Familien-
vater über den Sklaven kaum andere Rechte gab, als über Frau und Kinder, ſahen
wir. Das ſpätere harte, zum wirklichen Eigentum führende Sklavenrecht war die Folge
der Ausweitung der Familien zu herrſchaftlichen unternehmerartigen Organiſationen,
welche nur unter der Vorausſetzung dieſer Herrſchaft in jenen Zeiten techniſch und
wirtſchaftlich Großes leiſten konnten. Aber die Möglichkeit dieſes zur Entartung
führenden Sklavenrechtes bot doch in erſter Linie die ethniſche Verſchiedenheit: die Herren
ſtammten im ganzen aus der höheren, die Sklaven aus der niederen Raſſe. Nie und
nirgends hat es ſich in der Hauptſache und dauernd ſo verhalten, daß kulturell gänzlich
Gleichſtehende ſich als Herren und Sklaven gegenüber, daß im Durchſchnitt die Herren tiefer
ſtanden. Ihre Wurzel lag in perſönlichen Verſchiedenheiten, ſowie in dem Bedürfnis großer
herrſchaftlicher Organiſation; dazu kam dann das Zurücktreten der älteren familienhaften
Rechtsſchranken, wodurch allerdings das ganze Verhältnis zum Unrecht nach und nach
wurde. Das ſpätere Sklavenrecht iſt die falſche Übertragung einer für Tiere und Sachen
paſſenden und entſtandenen Inſtitution auf Menſchen. Dieſe Art des Eigentums
mußte wieder verſchwinden; ſie that es allerdings erſt, nachdem ſie viel Unheil geſtiftet,
vorübergehend aber zugleich die Rolle eines weitreichenden herrſchaftlichen Bandes und
Organiſators roher Menſchen für große techniſche und wirtſchaftliche Zwecke geſpielt hatte.
Die urſprüngliche Entſtehung des Vieheigentumes knüpft an die oben (S. 196
bis 197) beſprochene Viehzähmung an. Die Hypotheſe über ſie, welche E. Hahn aufſtellt,
weiſt darauf hin, daß urſprünglich die Rinderherden eine Art geheiligten Stammes-
eigentums dargeſtellt haben. Auch Meitzen nimmt an, daß bei den keltiſchen Viehweide-
genoſſenſchaften das Rindvieh teils dieſen, teils den einzelnen gehört hätte. Im übrigen
können wir in hiſtoriſcher Zeit und in der heutigen beſchreibenden Reiſelitteratur keine
Beiſpiele des Stammes- oder Sippeneigentums an Vieh finden. Der verbreitete Viehbeſitz
erſcheint überall als ein perſönlicher; und ich glaube, wir können annehmen, das beruhe
auf der Thatſache, daß in aller älteren Zeit die perſönliche Kraft und Geſchicklichkeit des
einzelnen Mannes am beſten ſolches Eigentum pflegen, erhalten und vermehren konnte.
Der Mann allein konnte mit dem Stier und der Kuh, dem Pferd und Kamel fertig
werden, ſie bändigen, ſchlachten; er beſorgt bei allen primitiven Stämmen das Vieh.
Schon den Kindern wird bei den afrikaniſchen Hirtenſtämmen ein Schaf oder ein Kalb
geſchenkt. Bei vielen Nomaden wird der erwachſene mannbare Sohn mit ſo viel Vieh
ausgeſtattet, daß er exiſtieren und ſich eine Frau kaufen kann. Wir ſehen überall mit
dem Viehbeſitz die Vermögensungleichheit beginnen. Im Eraniſchen heißt der König
Hvánthwa, d. h. der mit guter Herde Verſehene. Die demokratiſch kriegeriſche Rechts-
gleichheit der höher ſtehenden Indianerſtämme beruht auf der Abweſenheit des Vieh-
beſitzes. Unter den älteſten Semiten und Indogermanen finden wir ſchon Reiche und
Arme; ihre Häuptlinge ſind, wie heute die afrikaniſchen, ſtets die reichen Viehbeſitzer.
Und wenn der wohlhabende Herero nach der Schilderung Büttners ſein Vieh bei möglichſt
vielen verſchiedenen Stammesmitgliedern leihweiſe unterbringt, wenn bei den Kaffern
jeder Beſitzloſe ſich zum Hofe und Dienſt des Häuptlings drängt, der ſchon als Führer
der Viehraubzüge die größten Herden hat, und für ſeine Dienſte Viehbelohnung erwartet,
ſo laſſen uns die älteſten Nachrichten über Viehbeſitz und Viehkreditgeſchäfte bei den
Juden und Indern, neuerdings die anſchaulichen Bilder der älteſten iriſch-keltiſchen
Zuſtände, wie ſie Maine aus den Brehon-laws entwickelt, erkennen, wie wir uns die
Eigentumsverfaſſung ſolcher Stämme zu denken haben, deren wichtigſter Beſitz noch
das Vieh iſt.
Der keltiſche Häuptling giebt dem ihm etwa an Rang gleichſtehenden aber beſitz-
loſen Volksgenoſſen einige Stücke Vieh, wofür er ihm ſieben Jahre lang Kalb und
Milch liefern und gewiſſe Gefolgsdienſte leiſten muß; dem tiefer ſtehenden werden
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |