Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft.
seiner schärferen Gestaltung und breiteren Ausdehnung, mit seiner relativ wenig beschränkten Verfügungsgewalt. Diese hat freilich zuerst nur für das Vieh bestanden; die Herrschaft des Menschen über den Menschen war lange kein wirkliches Eigentum, sondern ein familienhaftes Rechtsverhältnis.
Daß das ältere Sklavenrecht ein Teil des Familienrechtes war, dem Familien- vater über den Sklaven kaum andere Rechte gab, als über Frau und Kinder, sahen wir. Das spätere harte, zum wirklichen Eigentum führende Sklavenrecht war die Folge der Ausweitung der Familien zu herrschaftlichen unternehmerartigen Organisationen, welche nur unter der Voraussetzung dieser Herrschaft in jenen Zeiten technisch und wirtschaftlich Großes leisten konnten. Aber die Möglichkeit dieses zur Entartung führenden Sklavenrechtes bot doch in erster Linie die ethnische Verschiedenheit: die Herren stammten im ganzen aus der höheren, die Sklaven aus der niederen Rasse. Nie und nirgends hat es sich in der Hauptsache und dauernd so verhalten, daß kulturell gänzlich Gleichstehende sich als Herren und Sklaven gegenüber, daß im Durchschnitt die Herren tiefer standen. Ihre Wurzel lag in persönlichen Verschiedenheiten, sowie in dem Bedürfnis großer herrschaftlicher Organisation; dazu kam dann das Zurücktreten der älteren familienhaften Rechtsschranken, wodurch allerdings das ganze Verhältnis zum Unrecht nach und nach wurde. Das spätere Sklavenrecht ist die falsche Übertragung einer für Tiere und Sachen passenden und entstandenen Institution auf Menschen. Diese Art des Eigentums mußte wieder verschwinden; sie that es allerdings erst, nachdem sie viel Unheil gestiftet, vorübergehend aber zugleich die Rolle eines weitreichenden herrschaftlichen Bandes und Organisators roher Menschen für große technische und wirtschaftliche Zwecke gespielt hatte.
Die ursprüngliche Entstehung des Vieheigentumes knüpft an die oben (S. 196 bis 197) besprochene Viehzähmung an. Die Hypothese über sie, welche E. Hahn aufstellt, weist darauf hin, daß ursprünglich die Rinderherden eine Art geheiligten Stammes- eigentums dargestellt haben. Auch Meitzen nimmt an, daß bei den keltischen Viehweide- genossenschaften das Rindvieh teils diesen, teils den einzelnen gehört hätte. Im übrigen können wir in historischer Zeit und in der heutigen beschreibenden Reiselitteratur keine Beispiele des Stammes- oder Sippeneigentums an Vieh finden. Der verbreitete Viehbesitz erscheint überall als ein persönlicher; und ich glaube, wir können annehmen, das beruhe auf der Thatsache, daß in aller älteren Zeit die persönliche Kraft und Geschicklichkeit des einzelnen Mannes am besten solches Eigentum pflegen, erhalten und vermehren konnte. Der Mann allein konnte mit dem Stier und der Kuh, dem Pferd und Kamel fertig werden, sie bändigen, schlachten; er besorgt bei allen primitiven Stämmen das Vieh. Schon den Kindern wird bei den afrikanischen Hirtenstämmen ein Schaf oder ein Kalb geschenkt. Bei vielen Nomaden wird der erwachsene mannbare Sohn mit so viel Vieh ausgestattet, daß er existieren und sich eine Frau kaufen kann. Wir sehen überall mit dem Viehbesitz die Vermögensungleichheit beginnen. Im Eranischen heißt der König Hvanthwa, d. h. der mit guter Herde Versehene. Die demokratisch kriegerische Rechts- gleichheit der höher stehenden Indianerstämme beruht auf der Abwesenheit des Vieh- besitzes. Unter den ältesten Semiten und Indogermanen finden wir schon Reiche und Arme; ihre Häuptlinge sind, wie heute die afrikanischen, stets die reichen Viehbesitzer. Und wenn der wohlhabende Herero nach der Schilderung Büttners sein Vieh bei möglichst vielen verschiedenen Stammesmitgliedern leihweise unterbringt, wenn bei den Kaffern jeder Besitzlose sich zum Hofe und Dienst des Häuptlings drängt, der schon als Führer der Viehraubzüge die größten Herden hat, und für seine Dienste Viehbelohnung erwartet, so lassen uns die ältesten Nachrichten über Viehbesitz und Viehkreditgeschäfte bei den Juden und Indern, neuerdings die anschaulichen Bilder der ältesten irisch-keltischen Zustände, wie sie Maine aus den Brehon-laws entwickelt, erkennen, wie wir uns die Eigentumsverfassung solcher Stämme zu denken haben, deren wichtigster Besitz noch das Vieh ist.
Der keltische Häuptling giebt dem ihm etwa an Rang gleichstehenden aber besitz- losen Volksgenossen einige Stücke Vieh, wofür er ihm sieben Jahre lang Kalb und Milch liefern und gewisse Gefolgsdienste leisten muß; dem tiefer stehenden werden
Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
ſeiner ſchärferen Geſtaltung und breiteren Ausdehnung, mit ſeiner relativ wenig beſchränkten Verfügungsgewalt. Dieſe hat freilich zuerſt nur für das Vieh beſtanden; die Herrſchaft des Menſchen über den Menſchen war lange kein wirkliches Eigentum, ſondern ein familienhaftes Rechtsverhältnis.
Daß das ältere Sklavenrecht ein Teil des Familienrechtes war, dem Familien- vater über den Sklaven kaum andere Rechte gab, als über Frau und Kinder, ſahen wir. Das ſpätere harte, zum wirklichen Eigentum führende Sklavenrecht war die Folge der Ausweitung der Familien zu herrſchaftlichen unternehmerartigen Organiſationen, welche nur unter der Vorausſetzung dieſer Herrſchaft in jenen Zeiten techniſch und wirtſchaftlich Großes leiſten konnten. Aber die Möglichkeit dieſes zur Entartung führenden Sklavenrechtes bot doch in erſter Linie die ethniſche Verſchiedenheit: die Herren ſtammten im ganzen aus der höheren, die Sklaven aus der niederen Raſſe. Nie und nirgends hat es ſich in der Hauptſache und dauernd ſo verhalten, daß kulturell gänzlich Gleichſtehende ſich als Herren und Sklaven gegenüber, daß im Durchſchnitt die Herren tiefer ſtanden. Ihre Wurzel lag in perſönlichen Verſchiedenheiten, ſowie in dem Bedürfnis großer herrſchaftlicher Organiſation; dazu kam dann das Zurücktreten der älteren familienhaften Rechtsſchranken, wodurch allerdings das ganze Verhältnis zum Unrecht nach und nach wurde. Das ſpätere Sklavenrecht iſt die falſche Übertragung einer für Tiere und Sachen paſſenden und entſtandenen Inſtitution auf Menſchen. Dieſe Art des Eigentums mußte wieder verſchwinden; ſie that es allerdings erſt, nachdem ſie viel Unheil geſtiftet, vorübergehend aber zugleich die Rolle eines weitreichenden herrſchaftlichen Bandes und Organiſators roher Menſchen für große techniſche und wirtſchaftliche Zwecke geſpielt hatte.
Die urſprüngliche Entſtehung des Vieheigentumes knüpft an die oben (S. 196 bis 197) beſprochene Viehzähmung an. Die Hypotheſe über ſie, welche E. Hahn aufſtellt, weiſt darauf hin, daß urſprünglich die Rinderherden eine Art geheiligten Stammes- eigentums dargeſtellt haben. Auch Meitzen nimmt an, daß bei den keltiſchen Viehweide- genoſſenſchaften das Rindvieh teils dieſen, teils den einzelnen gehört hätte. Im übrigen können wir in hiſtoriſcher Zeit und in der heutigen beſchreibenden Reiſelitteratur keine Beiſpiele des Stammes- oder Sippeneigentums an Vieh finden. Der verbreitete Viehbeſitz erſcheint überall als ein perſönlicher; und ich glaube, wir können annehmen, das beruhe auf der Thatſache, daß in aller älteren Zeit die perſönliche Kraft und Geſchicklichkeit des einzelnen Mannes am beſten ſolches Eigentum pflegen, erhalten und vermehren konnte. Der Mann allein konnte mit dem Stier und der Kuh, dem Pferd und Kamel fertig werden, ſie bändigen, ſchlachten; er beſorgt bei allen primitiven Stämmen das Vieh. Schon den Kindern wird bei den afrikaniſchen Hirtenſtämmen ein Schaf oder ein Kalb geſchenkt. Bei vielen Nomaden wird der erwachſene mannbare Sohn mit ſo viel Vieh ausgeſtattet, daß er exiſtieren und ſich eine Frau kaufen kann. Wir ſehen überall mit dem Viehbeſitz die Vermögensungleichheit beginnen. Im Eraniſchen heißt der König Hvánthwa, d. h. der mit guter Herde Verſehene. Die demokratiſch kriegeriſche Rechts- gleichheit der höher ſtehenden Indianerſtämme beruht auf der Abweſenheit des Vieh- beſitzes. Unter den älteſten Semiten und Indogermanen finden wir ſchon Reiche und Arme; ihre Häuptlinge ſind, wie heute die afrikaniſchen, ſtets die reichen Viehbeſitzer. Und wenn der wohlhabende Herero nach der Schilderung Büttners ſein Vieh bei möglichſt vielen verſchiedenen Stammesmitgliedern leihweiſe unterbringt, wenn bei den Kaffern jeder Beſitzloſe ſich zum Hofe und Dienſt des Häuptlings drängt, der ſchon als Führer der Viehraubzüge die größten Herden hat, und für ſeine Dienſte Viehbelohnung erwartet, ſo laſſen uns die älteſten Nachrichten über Viehbeſitz und Viehkreditgeſchäfte bei den Juden und Indern, neuerdings die anſchaulichen Bilder der älteſten iriſch-keltiſchen Zuſtände, wie ſie Maine aus den Brehon-laws entwickelt, erkennen, wie wir uns die Eigentumsverfaſſung ſolcher Stämme zu denken haben, deren wichtigſter Beſitz noch das Vieh iſt.
Der keltiſche Häuptling giebt dem ihm etwa an Rang gleichſtehenden aber beſitz- loſen Volksgenoſſen einige Stücke Vieh, wofür er ihm ſieben Jahre lang Kalb und Milch liefern und gewiſſe Gefolgsdienſte leiſten muß; dem tiefer ſtehenden werden
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Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
ſeiner ſchärferen Geſtaltung und breiteren Ausdehnung, mit ſeiner relativ wenig
beſchränkten Verfügungsgewalt. Dieſe hat freilich zuerſt nur für das Vieh beſtanden;
die Herrſchaft des Menſchen über den Menſchen war lange kein wirkliches Eigentum,
ſondern ein familienhaftes Rechtsverhältnis.
Daß das ältere Sklavenrecht ein Teil des Familienrechtes war, dem Familien-
vater über den Sklaven kaum andere Rechte gab, als über Frau und Kinder, ſahen
wir. Das ſpätere harte, zum wirklichen Eigentum führende Sklavenrecht war die Folge
der Ausweitung der Familien zu herrſchaftlichen unternehmerartigen Organiſationen,
welche nur unter der Vorausſetzung dieſer Herrſchaft in jenen Zeiten techniſch und
wirtſchaftlich Großes leiſten konnten. Aber die Möglichkeit dieſes zur Entartung
führenden Sklavenrechtes bot doch in erſter Linie die ethniſche Verſchiedenheit: die Herren
ſtammten im ganzen aus der höheren, die Sklaven aus der niederen Raſſe. Nie und
nirgends hat es ſich in der Hauptſache und dauernd ſo verhalten, daß kulturell gänzlich
Gleichſtehende ſich als Herren und Sklaven gegenüber, daß im Durchſchnitt die Herren tiefer
ſtanden. Ihre Wurzel lag in perſönlichen Verſchiedenheiten, ſowie in dem Bedürfnis großer
herrſchaftlicher Organiſation; dazu kam dann das Zurücktreten der älteren familienhaften
Rechtsſchranken, wodurch allerdings das ganze Verhältnis zum Unrecht nach und nach
wurde. Das ſpätere Sklavenrecht iſt die falſche Übertragung einer für Tiere und Sachen
paſſenden und entſtandenen Inſtitution auf Menſchen. Dieſe Art des Eigentums
mußte wieder verſchwinden; ſie that es allerdings erſt, nachdem ſie viel Unheil geſtiftet,
vorübergehend aber zugleich die Rolle eines weitreichenden herrſchaftlichen Bandes und
Organiſators roher Menſchen für große techniſche und wirtſchaftliche Zwecke geſpielt hatte.
Die urſprüngliche Entſtehung des Vieheigentumes knüpft an die oben (S. 196
bis 197) beſprochene Viehzähmung an. Die Hypotheſe über ſie, welche E. Hahn aufſtellt,
weiſt darauf hin, daß urſprünglich die Rinderherden eine Art geheiligten Stammes-
eigentums dargeſtellt haben. Auch Meitzen nimmt an, daß bei den keltiſchen Viehweide-
genoſſenſchaften das Rindvieh teils dieſen, teils den einzelnen gehört hätte. Im übrigen
können wir in hiſtoriſcher Zeit und in der heutigen beſchreibenden Reiſelitteratur keine
Beiſpiele des Stammes- oder Sippeneigentums an Vieh finden. Der verbreitete Viehbeſitz
erſcheint überall als ein perſönlicher; und ich glaube, wir können annehmen, das beruhe
auf der Thatſache, daß in aller älteren Zeit die perſönliche Kraft und Geſchicklichkeit des
einzelnen Mannes am beſten ſolches Eigentum pflegen, erhalten und vermehren konnte.
Der Mann allein konnte mit dem Stier und der Kuh, dem Pferd und Kamel fertig
werden, ſie bändigen, ſchlachten; er beſorgt bei allen primitiven Stämmen das Vieh.
Schon den Kindern wird bei den afrikaniſchen Hirtenſtämmen ein Schaf oder ein Kalb
geſchenkt. Bei vielen Nomaden wird der erwachſene mannbare Sohn mit ſo viel Vieh
ausgeſtattet, daß er exiſtieren und ſich eine Frau kaufen kann. Wir ſehen überall mit
dem Viehbeſitz die Vermögensungleichheit beginnen. Im Eraniſchen heißt der König
Hvánthwa, d. h. der mit guter Herde Verſehene. Die demokratiſch kriegeriſche Rechts-
gleichheit der höher ſtehenden Indianerſtämme beruht auf der Abweſenheit des Vieh-
beſitzes. Unter den älteſten Semiten und Indogermanen finden wir ſchon Reiche und
Arme; ihre Häuptlinge ſind, wie heute die afrikaniſchen, ſtets die reichen Viehbeſitzer.
Und wenn der wohlhabende Herero nach der Schilderung Büttners ſein Vieh bei möglichſt
vielen verſchiedenen Stammesmitgliedern leihweiſe unterbringt, wenn bei den Kaffern
jeder Beſitzloſe ſich zum Hofe und Dienſt des Häuptlings drängt, der ſchon als Führer
der Viehraubzüge die größten Herden hat, und für ſeine Dienſte Viehbelohnung erwartet,
ſo laſſen uns die älteſten Nachrichten über Viehbeſitz und Viehkreditgeſchäfte bei den
Juden und Indern, neuerdings die anſchaulichen Bilder der älteſten iriſch-keltiſchen
Zuſtände, wie ſie Maine aus den Brehon-laws entwickelt, erkennen, wie wir uns die
Eigentumsverfaſſung ſolcher Stämme zu denken haben, deren wichtigſter Beſitz noch
das Vieh iſt.
Der keltiſche Häuptling giebt dem ihm etwa an Rang gleichſtehenden aber beſitz-
loſen Volksgenoſſen einige Stücke Vieh, wofür er ihm ſieben Jahre lang Kalb und
Milch liefern und gewiſſe Gefolgsdienſte leiſten muß; dem tiefer ſtehenden werden
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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/386>, abgerufen am 16.07.2024.
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