Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Das Eigentum der Jäger- und Hackbaustämme. benutzen, sich etwas länger aufhalten und jagen, da achten sie für gewöhnlich den gegen-seitigen Besitzstand, da werden natürliche Grenzmarken zwischen ihnen als Verbote angesehen, die wirtschaftliche Nutzung darüber hinaus in Anspruch zu nehmen. Der auf einem Jagdgebiet verwundete, in einem anderen fallende Elephant gehört am Zambesi mit seiner unteren Hälfte dem Häuptling des letzteren. Die Betschuanen geben den Buschmännern noch heute Teile ihres Jagdertrages für die längst vollzogene Abtretung von Jagdgründen. Im übrigen entscheidet zwischen feindlichen Stämmen, zwischen solchen, denen die Weidegründe und Ackerstellen zu schmal und zu klein geworden, natürlich die Gewalt der Waffen. Der stärkere Stamm siegt, aber er sieht in diesem Siege auch die rechtliche Legitimation auf Verdrängung und Knechtung der Unterworfenen. Gewalt und Kraft, kriegerische Tüchtigkeit entscheidet so, nicht ein Fatum, das unabhängig wäre von den Eigenschaften der Menschen. Innerhalb des Stammes aber wird, so lange Grund und Boden in Fülle vor- Jedenfalls viel richtiger als für den Boden ist das für Werkzeuge, Waffen, Kleider, Der individuelle, freilich meist noch unbedeutende Besitz, der den Männern nicht Also ausschließliche Nutzungsrechte der Stämme und Gentes, weitgehende Besitz- 124. Das Sklaven- und Vieheigentum der älteren Ackerbauer Schmoller, Grundriß der Volkswirtschaftslehre. I. 24
Das Eigentum der Jäger- und Hackbauſtämme. benutzen, ſich etwas länger aufhalten und jagen, da achten ſie für gewöhnlich den gegen-ſeitigen Beſitzſtand, da werden natürliche Grenzmarken zwiſchen ihnen als Verbote angeſehen, die wirtſchaftliche Nutzung darüber hinaus in Anſpruch zu nehmen. Der auf einem Jagdgebiet verwundete, in einem anderen fallende Elephant gehört am Zambeſi mit ſeiner unteren Hälfte dem Häuptling des letzteren. Die Betſchuanen geben den Buſchmännern noch heute Teile ihres Jagdertrages für die längſt vollzogene Abtretung von Jagdgründen. Im übrigen entſcheidet zwiſchen feindlichen Stämmen, zwiſchen ſolchen, denen die Weidegründe und Ackerſtellen zu ſchmal und zu klein geworden, natürlich die Gewalt der Waffen. Der ſtärkere Stamm ſiegt, aber er ſieht in dieſem Siege auch die rechtliche Legitimation auf Verdrängung und Knechtung der Unterworfenen. Gewalt und Kraft, kriegeriſche Tüchtigkeit entſcheidet ſo, nicht ein Fatum, das unabhängig wäre von den Eigenſchaften der Menſchen. Innerhalb des Stammes aber wird, ſo lange Grund und Boden in Fülle vor- Jedenfalls viel richtiger als für den Boden iſt das für Werkzeuge, Waffen, Kleider, Der individuelle, freilich meiſt noch unbedeutende Beſitz, der den Männern nicht Alſo ausſchließliche Nutzungsrechte der Stämme und Gentes, weitgehende Beſitz- 124. Das Sklaven- und Vieheigentum der älteren Ackerbauer Schmoller, Grundriß der Volkswirtſchaftslehre. I. 24
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Es iſt<lb/> ganz allgemeiner Grundſatz, daß kein Individuum, keine Gens, keine Familie die andere<lb/> aus der occupierten oder zugewieſenen Stelle vertreiben darf; oft iſt rechtens, daß erſt<lb/> nach zweijähriger Nichtbenutzung ein anderer dieſelbe Stelle für ſich in Anſpruch nehmen<lb/> kann. Als Inhaber dieſes Verbotsrechtes der Störung erſcheinen bald die Verwandt-<lb/> ſchaftsgruppen, bald die Individuen, die das Feld bebauen. Und ſofern es bei den<lb/> am niedrigſten ſtehenden Stämmen mehr die letzteren als die erſteren ſind, hat man<lb/> auch bezüglich des Bodens behaupten können (Dargun), das rein individuelle Eigentum<lb/> ſtehe am Beginn aller wirtſchaftlichen Entwickelung, nicht das Kollektiveigentum.</p><lb/> <p>Jedenfalls viel richtiger als für den Boden iſt das für Werkzeuge, Waffen, Kleider,<lb/> Nahrungs- und Genußmittel. Bei den roheſten Stämmen ſorgt zunächſt jeder Mann<lb/> und jede Frau für ſich, ſucht Nahrung, wie jedes ſie findet, und behält, was es hat.<lb/> In den langen Zeiträumen, in welchen der Kampf mit den wilden und eßbaren Tieren<lb/> im Vordergrund ſtand, war der ſtarke, kampfgeübte Jäger, der Mann, der die beſten<lb/> Waffen herſtellte, zugleich der, welcher den erheblichſten Beſitz ſein nannte. Niemand<lb/> beſtritt ihm, was er <hi rendition="#aq">sudore et sanguine</hi> erworben. Für die gemeinſame Jagd mehrerer<lb/> bilden ſich feſte, Eigentum erzeugende Teilungs- oder Zuweiſungsgrundſätze: iſt das<lb/> Renntier von mehreren Pfeilen getroffen, ſo gehört es dem, deſſen Pfeil dem Herzen<lb/> am nächſten ſitzt; bei den Sioux und Comanches erhält bei gemeinſamer Jagd der<lb/> Erleger das Fell, als den wertvollſten Teil, das Fleiſch wird gleich geteilt.</p><lb/> <p>Der individuelle, freilich meiſt noch unbedeutende Beſitz, der den Männern nicht<lb/> ins Grab mitgegeben wird, erfährt im Erbfall eine verſchiedene Behandlung. Er fällt<lb/> teils an die Gens, teils an die Kinder der Schweſtern. Es giebt auch vereinzelte<lb/> Stämme, bei welchen die bewegliche Habe nach dem Tode des Mannes geplündert wird.<lb/> Daß Frau und Kinder darauf kein Recht haben, ſolange Mutterrecht beſteht, iſt wohl<lb/> begreiflich, während umgekehrt der bewegliche und ſonſtige Beſitz der Mutter, ſo weit<lb/> wir ſehen, ſtets auf ihre Kinder überging.</p><lb/> <p>Alſo ausſchließliche Nutzungsrechte der Stämme und Gentes, weitgehende Beſitz-<lb/> anerkennung, Erbrecht ſind ſchon auf dieſen älteſten Stufen menſchlicher Wirtſchaft vor-<lb/> handen; ohne ſie iſt ein geordneter Friedenszuſtand nicht denkbar.</p><lb/> <p>124. <hi rendition="#g">Das Sklaven- und Vieheigentum der älteren Ackerbauer<lb/> und Hirten</hi>. 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Das Eigentum der Jäger- und Hackbauſtämme.
benutzen, ſich etwas länger aufhalten und jagen, da achten ſie für gewöhnlich den gegen-
ſeitigen Beſitzſtand, da werden natürliche Grenzmarken zwiſchen ihnen als Verbote
angeſehen, die wirtſchaftliche Nutzung darüber hinaus in Anſpruch zu nehmen. Der
auf einem Jagdgebiet verwundete, in einem anderen fallende Elephant gehört am
Zambeſi mit ſeiner unteren Hälfte dem Häuptling des letzteren. Die Betſchuanen geben
den Buſchmännern noch heute Teile ihres Jagdertrages für die längſt vollzogene
Abtretung von Jagdgründen. Im übrigen entſcheidet zwiſchen feindlichen Stämmen,
zwiſchen ſolchen, denen die Weidegründe und Ackerſtellen zu ſchmal und zu klein
geworden, natürlich die Gewalt der Waffen. Der ſtärkere Stamm ſiegt, aber er ſieht
in dieſem Siege auch die rechtliche Legitimation auf Verdrängung und Knechtung der
Unterworfenen. Gewalt und Kraft, kriegeriſche Tüchtigkeit entſcheidet ſo, nicht ein Fatum,
das unabhängig wäre von den Eigenſchaften der Menſchen.
Innerhalb des Stammes aber wird, ſo lange Grund und Boden in Fülle vor-
handen iſt, jede zeitweilige Beſitzergreifung für den Bau einer Hütte, den Anbau eines
Feldes geachtet. Erſt wo es an Raum zu fehlen beginnt, ſtellt ſich die Verteilung
und Abgrenzung durch die Stammesorgane ein, die entweder an die Zwecke und
Bedürfniſſe des Stammes oder an die perſönlichen, von dem Stamme bereits geachteten
und anerkannten Unterſchiede der Führer, der Krieger, der Prieſter von den übrigen
Stammesgenoſſen anknüpft; ſie wird nirgends weſentlich auf Gewalt beruhen. Es iſt
ganz allgemeiner Grundſatz, daß kein Individuum, keine Gens, keine Familie die andere
aus der occupierten oder zugewieſenen Stelle vertreiben darf; oft iſt rechtens, daß erſt
nach zweijähriger Nichtbenutzung ein anderer dieſelbe Stelle für ſich in Anſpruch nehmen
kann. Als Inhaber dieſes Verbotsrechtes der Störung erſcheinen bald die Verwandt-
ſchaftsgruppen, bald die Individuen, die das Feld bebauen. Und ſofern es bei den
am niedrigſten ſtehenden Stämmen mehr die letzteren als die erſteren ſind, hat man
auch bezüglich des Bodens behaupten können (Dargun), das rein individuelle Eigentum
ſtehe am Beginn aller wirtſchaftlichen Entwickelung, nicht das Kollektiveigentum.
Jedenfalls viel richtiger als für den Boden iſt das für Werkzeuge, Waffen, Kleider,
Nahrungs- und Genußmittel. Bei den roheſten Stämmen ſorgt zunächſt jeder Mann
und jede Frau für ſich, ſucht Nahrung, wie jedes ſie findet, und behält, was es hat.
In den langen Zeiträumen, in welchen der Kampf mit den wilden und eßbaren Tieren
im Vordergrund ſtand, war der ſtarke, kampfgeübte Jäger, der Mann, der die beſten
Waffen herſtellte, zugleich der, welcher den erheblichſten Beſitz ſein nannte. Niemand
beſtritt ihm, was er sudore et sanguine erworben. Für die gemeinſame Jagd mehrerer
bilden ſich feſte, Eigentum erzeugende Teilungs- oder Zuweiſungsgrundſätze: iſt das
Renntier von mehreren Pfeilen getroffen, ſo gehört es dem, deſſen Pfeil dem Herzen
am nächſten ſitzt; bei den Sioux und Comanches erhält bei gemeinſamer Jagd der
Erleger das Fell, als den wertvollſten Teil, das Fleiſch wird gleich geteilt.
Der individuelle, freilich meiſt noch unbedeutende Beſitz, der den Männern nicht
ins Grab mitgegeben wird, erfährt im Erbfall eine verſchiedene Behandlung. Er fällt
teils an die Gens, teils an die Kinder der Schweſtern. Es giebt auch vereinzelte
Stämme, bei welchen die bewegliche Habe nach dem Tode des Mannes geplündert wird.
Daß Frau und Kinder darauf kein Recht haben, ſolange Mutterrecht beſteht, iſt wohl
begreiflich, während umgekehrt der bewegliche und ſonſtige Beſitz der Mutter, ſo weit
wir ſehen, ſtets auf ihre Kinder überging.
Alſo ausſchließliche Nutzungsrechte der Stämme und Gentes, weitgehende Beſitz-
anerkennung, Erbrecht ſind ſchon auf dieſen älteſten Stufen menſchlicher Wirtſchaft vor-
handen; ohne ſie iſt ein geordneter Friedenszuſtand nicht denkbar.
124. Das Sklaven- und Vieheigentum der älteren Ackerbauer
und Hirten. Mommſen hat von den Römern geſagt, was man in richtiger
Begrenzung von den meiſten Raſſen und Völkern behaupten kann: das Eigentum habe
ſich nicht an den Liegenſchaften, ſondern zunächſt am Sklaven- und Viehſtand entwickelt.
Mommſen meint natürlich damit nicht die Anfänge eines Beſitzſchutzes und ausſchließ-
lichen Nutzungsrechtes in irgend welcher Form, ſondern das individuelle Eigentum in
Schmoller, Grundriß der Volkswirtſchaftslehre. I. 24
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