die anderen zu mechanischer Arbeit brauchbarer. Die Leute, die vom Gebirge nach der Ebene, vom Lande nach der Stadt kamen, waren und sind härter, machen geringere Lebensansprüche, sind aber meist auch zunächst zu feinerer Arbeit weniger tauglich.
Die Bevölkerung hatte sich seit dem 16. Jahrhundert gesteigert; sie war fast überall seither über ihren Nahrungsspielraum hinausgewachsen; für überflüssige Hände Arbeit zu schaffen, war das Losungswort der merkantilistischen Politik. Die Hausindustrien haben überall ihre Wurzel in einem Überangebot ländlicher oder städtischer Arbeits- kräfte, wie auch ihre neueste Zunahme (z. B. in der Konfektion etc.) darauf zurückgeht. Auch wo keine Großindustrie, keine große Gutswirtschaft in Betracht kam, mußte die Bevölkerungszunahme auf die Bildung besitzloser Arbeiter hinwirken. Nehmen wir als einfachsten Fall die Geschichte eines freigebliebenen Bauerndorfes mit fester Gemarkung. Wo 1300 noch 20 Vollhufner saßen, lebten vielleicht 1500 noch 6 Vollhufner, 12 Viertels- hufner, einige Kossäten und Tagelöhner und im Jahre 1800 waren daraus 2 oder 3 Vollhufner, 20--30 Viertelshufner, 50 Kleinstellenbesitzer und ebenso viele grund- besitzlose Tagelöhner geworden, die in den Wirtschaften der Bauern, in Forst-, Berg-, Straßenarbeit, in der Hausindustrie einen Verdienst suchen mußten. Auch das Handwerk hat stets, gerade wenn es blühte, in 2--3 Generationen die 3 und mehrfache Zahl von Kandidaten für die meist nicht stark zunehmende Zahl von Meisterstellen erzeugt; sie fanden von 1500--1700 in den aufkommenden Söldnerheeren, in Schreibstuben und Beamtenstellungen, dann auch in Hausindustrie und Fabrik ihren Unterhalt. Wo vollends seit 1770 die Gewerbe blühten und exportierten, wuchs die Menschenzahl sehr rasch; es schien sich jetzt so leicht eine schrankenlose Erwerbsmöglichkeit zu eröffnen, und man beeilte sich, von 1789--1870 die alten etwa noch bestehenden Schranken der Nieder- lassung und Eheschließung zu beseitigen. Alle Schichten der Gesellschaft nahmen rasch zu, und wer nicht als Bauer oder Meister, als Künstler oder Beamter, als Kaufmann oder Krämer eine Stellung fand, dem blieb keine andere Wahl, denn als Lohnarbeiter sich eine solche zu suchen.
Das Geldlohnverhältnis für ältere verheiratete Leute war nun nicht etwa seit 1750 etwas ganz neu sich Bildendes. Wo schon in älterer Zeit auf Grund der Geldwirt- schaft etwas größere Betriebe sich gebildet hatten, da war neben dem Lehrling und Gesellen auch ein verheirateter, geldgelohnter Arbeiterstand erstanden, dessen Glieder nur ausnahmsweise noch Meister oder Unternehmer werden konnten. Die Berg- und Salinenarbeiter und die Matrosen sind frühe Beispiele von Gruppen von Arbeiter- familien, die durch Generationen Arbeiter blieben. Gerade sie waren ursprünglich zu einem großen Teil Glieder primitiver Arbeitsgenossenschaften gewesen, auf die wir unten kommen, sie hatten sich aber in dieser Form nicht dauernd ordentlich ernähren können; die Genossenschaften wie die einzelnen Arbeiter waren unfähig, das von ihnen hergestellte ungeteilte oder geteilte Produkt zu verkaufen, aus ihrer Genossenschaft ein lebensfähiges Unternehmen zu machen; der Verdienst war zu ungleichmäßig; es war für die Leute ein großer Fortschritt, wenn besitzende Unternehmer sich fanden, die im stande waren, ihnen, so lange das Geschäft dauerte, aber unabhängig davon, ob es gut oder schlecht ging, einen fortlaufenden Geldlohn zu zahlen. Und als in neuerer Zeit eine immer erheblichere Zahl von größeren Betrieben und Anstalten der dauernden Arbeitskräfte bedurfte, da haben sie wohl auch noch, wie seither die kleinen Betriebe, jüngere Leute beschäftigt; sie haben sogar teilweise übermäßig Kinder und Frauen herangezogen, "Lehrlinge gezüchtet", -- aber im ganzen war doch damit die Notwendigkeit gegeben, die brauchbaren Arbeiter Zeit ihres Lebens oder wenigstens bis ins 40., 50. Jahr im Dienst zu behalten; der Geselle konnte immer seltener Meister werden. Ein breiterer Stand älterer verheirateter gewerblicher Arbeiter mußte in der Stadt mit dem Groß- betrieb entstehen, wie auf dem Lande der Stand verheirateter Tagelöhner mit dem Großgutsbetrieb.
Insofern ist es wahr, daß die größeren Unternehmer und ihr Besitz den heutigen Arbeiterstand schaffen halfen; man muß aber hinzufügen, die Leute waren schon da, sie entschlossen sich lange Jahrzehnte hindurch ungern und schwer genug, in die Fabrik
Die Entſtehung des heutigen Arbeiterſtandes.
die anderen zu mechaniſcher Arbeit brauchbarer. Die Leute, die vom Gebirge nach der Ebene, vom Lande nach der Stadt kamen, waren und ſind härter, machen geringere Lebensanſprüche, ſind aber meiſt auch zunächſt zu feinerer Arbeit weniger tauglich.
Die Bevölkerung hatte ſich ſeit dem 16. Jahrhundert geſteigert; ſie war faſt überall ſeither über ihren Nahrungsſpielraum hinausgewachſen; für überflüſſige Hände Arbeit zu ſchaffen, war das Loſungswort der merkantiliſtiſchen Politik. Die Hausinduſtrien haben überall ihre Wurzel in einem Überangebot ländlicher oder ſtädtiſcher Arbeits- kräfte, wie auch ihre neueſte Zunahme (z. B. in der Konfektion ꝛc.) darauf zurückgeht. Auch wo keine Großinduſtrie, keine große Gutswirtſchaft in Betracht kam, mußte die Bevölkerungszunahme auf die Bildung beſitzloſer Arbeiter hinwirken. Nehmen wir als einfachſten Fall die Geſchichte eines freigebliebenen Bauerndorfes mit feſter Gemarkung. Wo 1300 noch 20 Vollhufner ſaßen, lebten vielleicht 1500 noch 6 Vollhufner, 12 Viertels- hufner, einige Koſſäten und Tagelöhner und im Jahre 1800 waren daraus 2 oder 3 Vollhufner, 20—30 Viertelshufner, 50 Kleinſtellenbeſitzer und ebenſo viele grund- beſitzloſe Tagelöhner geworden, die in den Wirtſchaften der Bauern, in Forſt-, Berg-, Straßenarbeit, in der Hausinduſtrie einen Verdienſt ſuchen mußten. Auch das Handwerk hat ſtets, gerade wenn es blühte, in 2—3 Generationen die 3 und mehrfache Zahl von Kandidaten für die meiſt nicht ſtark zunehmende Zahl von Meiſterſtellen erzeugt; ſie fanden von 1500—1700 in den aufkommenden Söldnerheeren, in Schreibſtuben und Beamtenſtellungen, dann auch in Hausinduſtrie und Fabrik ihren Unterhalt. Wo vollends ſeit 1770 die Gewerbe blühten und exportierten, wuchs die Menſchenzahl ſehr raſch; es ſchien ſich jetzt ſo leicht eine ſchrankenloſe Erwerbsmöglichkeit zu eröffnen, und man beeilte ſich, von 1789—1870 die alten etwa noch beſtehenden Schranken der Nieder- laſſung und Eheſchließung zu beſeitigen. Alle Schichten der Geſellſchaft nahmen raſch zu, und wer nicht als Bauer oder Meiſter, als Künſtler oder Beamter, als Kaufmann oder Krämer eine Stellung fand, dem blieb keine andere Wahl, denn als Lohnarbeiter ſich eine ſolche zu ſuchen.
Das Geldlohnverhältnis für ältere verheiratete Leute war nun nicht etwa ſeit 1750 etwas ganz neu ſich Bildendes. Wo ſchon in älterer Zeit auf Grund der Geldwirt- ſchaft etwas größere Betriebe ſich gebildet hatten, da war neben dem Lehrling und Geſellen auch ein verheirateter, geldgelohnter Arbeiterſtand erſtanden, deſſen Glieder nur ausnahmsweiſe noch Meiſter oder Unternehmer werden konnten. Die Berg- und Salinenarbeiter und die Matroſen ſind frühe Beiſpiele von Gruppen von Arbeiter- familien, die durch Generationen Arbeiter blieben. Gerade ſie waren urſprünglich zu einem großen Teil Glieder primitiver Arbeitsgenoſſenſchaften geweſen, auf die wir unten kommen, ſie hatten ſich aber in dieſer Form nicht dauernd ordentlich ernähren können; die Genoſſenſchaften wie die einzelnen Arbeiter waren unfähig, das von ihnen hergeſtellte ungeteilte oder geteilte Produkt zu verkaufen, aus ihrer Genoſſenſchaft ein lebensfähiges Unternehmen zu machen; der Verdienſt war zu ungleichmäßig; es war für die Leute ein großer Fortſchritt, wenn beſitzende Unternehmer ſich fanden, die im ſtande waren, ihnen, ſo lange das Geſchäft dauerte, aber unabhängig davon, ob es gut oder ſchlecht ging, einen fortlaufenden Geldlohn zu zahlen. Und als in neuerer Zeit eine immer erheblichere Zahl von größeren Betrieben und Anſtalten der dauernden Arbeitskräfte bedurfte, da haben ſie wohl auch noch, wie ſeither die kleinen Betriebe, jüngere Leute beſchäftigt; ſie haben ſogar teilweiſe übermäßig Kinder und Frauen herangezogen, „Lehrlinge gezüchtet“, — aber im ganzen war doch damit die Notwendigkeit gegeben, die brauchbaren Arbeiter Zeit ihres Lebens oder wenigſtens bis ins 40., 50. Jahr im Dienſt zu behalten; der Geſelle konnte immer ſeltener Meiſter werden. Ein breiterer Stand älterer verheirateter gewerblicher Arbeiter mußte in der Stadt mit dem Groß- betrieb entſtehen, wie auf dem Lande der Stand verheirateter Tagelöhner mit dem Großgutsbetrieb.
Inſofern iſt es wahr, daß die größeren Unternehmer und ihr Beſitz den heutigen Arbeiterſtand ſchaffen halfen; man muß aber hinzufügen, die Leute waren ſchon da, ſie entſchloſſen ſich lange Jahrzehnte hindurch ungern und ſchwer genug, in die Fabrik
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[343/0359]
Die Entſtehung des heutigen Arbeiterſtandes.
die anderen zu mechaniſcher Arbeit brauchbarer. Die Leute, die vom Gebirge nach der
Ebene, vom Lande nach der Stadt kamen, waren und ſind härter, machen geringere
Lebensanſprüche, ſind aber meiſt auch zunächſt zu feinerer Arbeit weniger tauglich.
Die Bevölkerung hatte ſich ſeit dem 16. Jahrhundert geſteigert; ſie war faſt überall
ſeither über ihren Nahrungsſpielraum hinausgewachſen; für überflüſſige Hände Arbeit
zu ſchaffen, war das Loſungswort der merkantiliſtiſchen Politik. Die Hausinduſtrien
haben überall ihre Wurzel in einem Überangebot ländlicher oder ſtädtiſcher Arbeits-
kräfte, wie auch ihre neueſte Zunahme (z. B. in der Konfektion ꝛc.) darauf zurückgeht.
Auch wo keine Großinduſtrie, keine große Gutswirtſchaft in Betracht kam, mußte die
Bevölkerungszunahme auf die Bildung beſitzloſer Arbeiter hinwirken. Nehmen wir als
einfachſten Fall die Geſchichte eines freigebliebenen Bauerndorfes mit feſter Gemarkung.
Wo 1300 noch 20 Vollhufner ſaßen, lebten vielleicht 1500 noch 6 Vollhufner, 12 Viertels-
hufner, einige Koſſäten und Tagelöhner und im Jahre 1800 waren daraus 2 oder
3 Vollhufner, 20—30 Viertelshufner, 50 Kleinſtellenbeſitzer und ebenſo viele grund-
beſitzloſe Tagelöhner geworden, die in den Wirtſchaften der Bauern, in Forſt-, Berg-,
Straßenarbeit, in der Hausinduſtrie einen Verdienſt ſuchen mußten. Auch das Handwerk
hat ſtets, gerade wenn es blühte, in 2—3 Generationen die 3 und mehrfache Zahl von
Kandidaten für die meiſt nicht ſtark zunehmende Zahl von Meiſterſtellen erzeugt; ſie
fanden von 1500—1700 in den aufkommenden Söldnerheeren, in Schreibſtuben und
Beamtenſtellungen, dann auch in Hausinduſtrie und Fabrik ihren Unterhalt. Wo vollends
ſeit 1770 die Gewerbe blühten und exportierten, wuchs die Menſchenzahl ſehr raſch; es
ſchien ſich jetzt ſo leicht eine ſchrankenloſe Erwerbsmöglichkeit zu eröffnen, und man
beeilte ſich, von 1789—1870 die alten etwa noch beſtehenden Schranken der Nieder-
laſſung und Eheſchließung zu beſeitigen. Alle Schichten der Geſellſchaft nahmen raſch
zu, und wer nicht als Bauer oder Meiſter, als Künſtler oder Beamter, als Kaufmann
oder Krämer eine Stellung fand, dem blieb keine andere Wahl, denn als Lohnarbeiter
ſich eine ſolche zu ſuchen.
Das Geldlohnverhältnis für ältere verheiratete Leute war nun nicht etwa ſeit 1750
etwas ganz neu ſich Bildendes. Wo ſchon in älterer Zeit auf Grund der Geldwirt-
ſchaft etwas größere Betriebe ſich gebildet hatten, da war neben dem Lehrling und
Geſellen auch ein verheirateter, geldgelohnter Arbeiterſtand erſtanden, deſſen Glieder
nur ausnahmsweiſe noch Meiſter oder Unternehmer werden konnten. Die Berg- und
Salinenarbeiter und die Matroſen ſind frühe Beiſpiele von Gruppen von Arbeiter-
familien, die durch Generationen Arbeiter blieben. Gerade ſie waren urſprünglich zu
einem großen Teil Glieder primitiver Arbeitsgenoſſenſchaften geweſen, auf die wir unten
kommen, ſie hatten ſich aber in dieſer Form nicht dauernd ordentlich ernähren können;
die Genoſſenſchaften wie die einzelnen Arbeiter waren unfähig, das von ihnen hergeſtellte
ungeteilte oder geteilte Produkt zu verkaufen, aus ihrer Genoſſenſchaft ein lebensfähiges
Unternehmen zu machen; der Verdienſt war zu ungleichmäßig; es war für die Leute
ein großer Fortſchritt, wenn beſitzende Unternehmer ſich fanden, die im ſtande waren,
ihnen, ſo lange das Geſchäft dauerte, aber unabhängig davon, ob es gut oder ſchlecht
ging, einen fortlaufenden Geldlohn zu zahlen. Und als in neuerer Zeit eine immer
erheblichere Zahl von größeren Betrieben und Anſtalten der dauernden Arbeitskräfte
bedurfte, da haben ſie wohl auch noch, wie ſeither die kleinen Betriebe, jüngere Leute
beſchäftigt; ſie haben ſogar teilweiſe übermäßig Kinder und Frauen herangezogen,
„Lehrlinge gezüchtet“, — aber im ganzen war doch damit die Notwendigkeit gegeben,
die brauchbaren Arbeiter Zeit ihres Lebens oder wenigſtens bis ins 40., 50. Jahr im
Dienſt zu behalten; der Geſelle konnte immer ſeltener Meiſter werden. Ein breiterer
Stand älterer verheirateter gewerblicher Arbeiter mußte in der Stadt mit dem Groß-
betrieb entſtehen, wie auf dem Lande der Stand verheirateter Tagelöhner mit dem
Großgutsbetrieb.
Inſofern iſt es wahr, daß die größeren Unternehmer und ihr Beſitz den heutigen
Arbeiterſtand ſchaffen halfen; man muß aber hinzufügen, die Leute waren ſchon da, ſie
entſchloſſen ſich lange Jahrzehnte hindurch ungern und ſchwer genug, in die Fabrik
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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/359>, abgerufen am 16.07.2024.
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