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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft.
Ehre, die größere Macht, das größere Einkommen und Vermögen. Sie steigen in harten
Daseinskämpfen auf, denen Gewalt, Betrug und Mißbrauch so wenig fehlen kann wie
allem Menschlichen. Die Priester haben Dokumente gefälscht, um ihren Besitz zu mehren,
die Ritter haben widerrechtlich Bauern von ihren Hufen vertrieben, die Händler haben
mit List und Betrug, mit Wucher und oft auch mit Gewalt ihren Besitz vergrößert. Sie
haben stets gesucht, ihre Stellung um jeden Preis zu befestigen, sie haben die übrige
Volksmasse herabgedrückt, sie ihrer Leitung und Gewalt unterstellt. Aber auch in der
Gruppenbildung, welche einzelne Befehlende und viele Gehorchende schuf, lag ein Fort-
schritt für die Zukunft. Denn es war die Bedingung jeder größeren festen Organisation
und zugleich die der künftigen Emporhebung und Erziehung der Massen, wenn auch
zunächst damit Härten und Mißbildungen aller Art eintraten.

Die erwähnten aristokratischen Gruppen werden meist nur einige Prozente der
Völker ausgemacht haben; die Masse lebte in hergebrachter Weise weiter, als kleine
Ackerbauern, Hirten, Waldbewohner, in den Städten nach und nach als Handwerker.
Diese Gruppen der Gesellschaft, aus denen dann der Mittelstand sich zusammensetzte,
treten uns bald allein, bald auch in Verbindung mit einer unter ihnen stehenden
Schicht entgegen. Sie kommen teilweise auch in Abhängigkeit von den aristokratischen,
führenden Teilen der Gesellschaft, teilweise behaupten sie eine gewisse Freiheit. Jedenfalls
sind es Teile der Gesellschaft, die mehr die alte Zeit, Technik, Wirtschaftsweise, als die
neue repräsentieren, aus denen heraus viel weniger als aus den aristokratischen der
Fortschritt entspringt. Die führenden Elemente bedürfen stets der mechanischen Hülfe,
der dienenden Kräfte; wo Großes geschehen soll, da geht es nicht anders. Nur wo ein
Kluger und Kräftiger befahl, und die, welche über gute Arme verfügten, gehorchten, nur
wo eine gewisse Arbeitsteilung zwischen geistiger und mechanischer Arbeit Platz griff,
konnten erhebliche politische und wirtschaftliche Erfolge erzielt werden. Die aufsteigenden
höheren Klassen bedurften überall mit der Zeit einer solchen Arbeitsteilung.

Sie war zunächst überall durch die patriarchalische Familienverfassung gegeben:
die Frauen, die Söhne und Töchter, oft auch verheiratete Kinder, ältere unverheiratete
Geschwister und Verwandte, die Knechte und Mägde waren in ihr die ausführenden
Kräfte. Soweit die patriarchalische Familie Platz griff, entstand so eine Arbeitsteilung
teils für Jahre, teils fürs Leben, die nur eine kleine Zahl Befehlender kannte. Die
kleine, neuere Familie schuf diese Stellung für eine etwas größere Zahl. Aber auch sie
beließ zunächst den größeren Teil der 12--30jährigen in einem Dienst- oder Arbeits-
verhältnis bei ihren Eltern oder in anderen Familien, in Kleinbetrieben; ihre Stellung
war auch in letzteren vielfach die von Familiengenossen, welche Wohnung, Unterhalt und
Kleidung, daneben einige Geschenke, auch etwas Geld erhielten. Wir werden unten darauf
zurückkommen, welch' großer Teil der heute in der Statistik aufgeführten Arbeiter noch
Familienglieder oder Leute sind, welche, ohne dem Arbeiterstande anzugehören, bis zum
25. oder 30. Jahre in einer dienenden Arbeitsstellung sind.

Aber wo die herrschaftlichen Organisationen sich ausdehnten und befestigten,
reichten vielfach die Familienglieder und jungen, freien Leute nicht aus. Wo verschiedene
Rassen und Völker sich bekämpften, die einen die anderen unterwarfen, wo dann ver-
schiedene Rassen durcheinander wohnten, ergaben sich hiedurch Abhängigkeitsverhältnisse,
die nicht bloß auf die Jüngeren sich beschränkten. Es entstanden so besondere Klassen
mechanisch dienender Kräfte als die notwendigen Ergänzungsglieder der aristokratischen
Kreise und ihrer Organisationen.

Die gesellschaftliche und wirtschaftliche Lage dieser Kreise fand ihren rechtlichen
Ausdruck in den drei großen Institutionen der Sklaverei, der Leibeigenschaft, der freien
Arbeit. Die erstere knüpft in ihrer Entstehung rein an die Familie an, wird aber dann
mit der Entstehung der Unternehmung etwas wesentlich anderes; die Leibeigenschaft
knüpft an die Unterwerfung ganzer Stämme an und wird das ergänzende Glied der
Grundherrschaft; die persönlich freie Lohnarbeit ist das Ergebnis der modernen persön-
lichen Freiheit, des Rechtsstaates und der Geldwirtschaft und bildet das ergänzende
untere Glied der modernen Unternehmung.

Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
Ehre, die größere Macht, das größere Einkommen und Vermögen. Sie ſteigen in harten
Daſeinskämpfen auf, denen Gewalt, Betrug und Mißbrauch ſo wenig fehlen kann wie
allem Menſchlichen. Die Prieſter haben Dokumente gefälſcht, um ihren Beſitz zu mehren,
die Ritter haben widerrechtlich Bauern von ihren Hufen vertrieben, die Händler haben
mit Liſt und Betrug, mit Wucher und oft auch mit Gewalt ihren Beſitz vergrößert. Sie
haben ſtets geſucht, ihre Stellung um jeden Preis zu befeſtigen, ſie haben die übrige
Volksmaſſe herabgedrückt, ſie ihrer Leitung und Gewalt unterſtellt. Aber auch in der
Gruppenbildung, welche einzelne Befehlende und viele Gehorchende ſchuf, lag ein Fort-
ſchritt für die Zukunft. Denn es war die Bedingung jeder größeren feſten Organiſation
und zugleich die der künftigen Emporhebung und Erziehung der Maſſen, wenn auch
zunächſt damit Härten und Mißbildungen aller Art eintraten.

Die erwähnten ariſtokratiſchen Gruppen werden meiſt nur einige Prozente der
Völker ausgemacht haben; die Maſſe lebte in hergebrachter Weiſe weiter, als kleine
Ackerbauern, Hirten, Waldbewohner, in den Städten nach und nach als Handwerker.
Dieſe Gruppen der Geſellſchaft, aus denen dann der Mittelſtand ſich zuſammenſetzte,
treten uns bald allein, bald auch in Verbindung mit einer unter ihnen ſtehenden
Schicht entgegen. Sie kommen teilweiſe auch in Abhängigkeit von den ariſtokratiſchen,
führenden Teilen der Geſellſchaft, teilweiſe behaupten ſie eine gewiſſe Freiheit. Jedenfalls
ſind es Teile der Geſellſchaft, die mehr die alte Zeit, Technik, Wirtſchaftsweiſe, als die
neue repräſentieren, aus denen heraus viel weniger als aus den ariſtokratiſchen der
Fortſchritt entſpringt. Die führenden Elemente bedürfen ſtets der mechaniſchen Hülfe,
der dienenden Kräfte; wo Großes geſchehen ſoll, da geht es nicht anders. Nur wo ein
Kluger und Kräftiger befahl, und die, welche über gute Arme verfügten, gehorchten, nur
wo eine gewiſſe Arbeitsteilung zwiſchen geiſtiger und mechaniſcher Arbeit Platz griff,
konnten erhebliche politiſche und wirtſchaftliche Erfolge erzielt werden. Die aufſteigenden
höheren Klaſſen bedurften überall mit der Zeit einer ſolchen Arbeitsteilung.

Sie war zunächſt überall durch die patriarchaliſche Familienverfaſſung gegeben:
die Frauen, die Söhne und Töchter, oft auch verheiratete Kinder, ältere unverheiratete
Geſchwiſter und Verwandte, die Knechte und Mägde waren in ihr die ausführenden
Kräfte. Soweit die patriarchaliſche Familie Platz griff, entſtand ſo eine Arbeitsteilung
teils für Jahre, teils fürs Leben, die nur eine kleine Zahl Befehlender kannte. Die
kleine, neuere Familie ſchuf dieſe Stellung für eine etwas größere Zahl. Aber auch ſie
beließ zunächſt den größeren Teil der 12—30jährigen in einem Dienſt- oder Arbeits-
verhältnis bei ihren Eltern oder in anderen Familien, in Kleinbetrieben; ihre Stellung
war auch in letzteren vielfach die von Familiengenoſſen, welche Wohnung, Unterhalt und
Kleidung, daneben einige Geſchenke, auch etwas Geld erhielten. Wir werden unten darauf
zurückkommen, welch’ großer Teil der heute in der Statiſtik aufgeführten Arbeiter noch
Familienglieder oder Leute ſind, welche, ohne dem Arbeiterſtande anzugehören, bis zum
25. oder 30. Jahre in einer dienenden Arbeitsſtellung ſind.

Aber wo die herrſchaftlichen Organiſationen ſich ausdehnten und befeſtigten,
reichten vielfach die Familienglieder und jungen, freien Leute nicht aus. Wo verſchiedene
Raſſen und Völker ſich bekämpften, die einen die anderen unterwarfen, wo dann ver-
ſchiedene Raſſen durcheinander wohnten, ergaben ſich hiedurch Abhängigkeitsverhältniſſe,
die nicht bloß auf die Jüngeren ſich beſchränkten. Es entſtanden ſo beſondere Klaſſen
mechaniſch dienender Kräfte als die notwendigen Ergänzungsglieder der ariſtokratiſchen
Kreiſe und ihrer Organiſationen.

Die geſellſchaftliche und wirtſchaftliche Lage dieſer Kreiſe fand ihren rechtlichen
Ausdruck in den drei großen Inſtitutionen der Sklaverei, der Leibeigenſchaft, der freien
Arbeit. Die erſtere knüpft in ihrer Entſtehung rein an die Familie an, wird aber dann
mit der Entſtehung der Unternehmung etwas weſentlich anderes; die Leibeigenſchaft
knüpft an die Unterwerfung ganzer Stämme an und wird das ergänzende Glied der
Grundherrſchaft; die perſönlich freie Lohnarbeit iſt das Ergebnis der modernen perſön-
lichen Freiheit, des Rechtsſtaates und der Geldwirtſchaft und bildet das ergänzende
untere Glied der modernen Unternehmung.

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[338/0354] Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft. Ehre, die größere Macht, das größere Einkommen und Vermögen. Sie ſteigen in harten Daſeinskämpfen auf, denen Gewalt, Betrug und Mißbrauch ſo wenig fehlen kann wie allem Menſchlichen. Die Prieſter haben Dokumente gefälſcht, um ihren Beſitz zu mehren, die Ritter haben widerrechtlich Bauern von ihren Hufen vertrieben, die Händler haben mit Liſt und Betrug, mit Wucher und oft auch mit Gewalt ihren Beſitz vergrößert. Sie haben ſtets geſucht, ihre Stellung um jeden Preis zu befeſtigen, ſie haben die übrige Volksmaſſe herabgedrückt, ſie ihrer Leitung und Gewalt unterſtellt. Aber auch in der Gruppenbildung, welche einzelne Befehlende und viele Gehorchende ſchuf, lag ein Fort- ſchritt für die Zukunft. Denn es war die Bedingung jeder größeren feſten Organiſation und zugleich die der künftigen Emporhebung und Erziehung der Maſſen, wenn auch zunächſt damit Härten und Mißbildungen aller Art eintraten. Die erwähnten ariſtokratiſchen Gruppen werden meiſt nur einige Prozente der Völker ausgemacht haben; die Maſſe lebte in hergebrachter Weiſe weiter, als kleine Ackerbauern, Hirten, Waldbewohner, in den Städten nach und nach als Handwerker. Dieſe Gruppen der Geſellſchaft, aus denen dann der Mittelſtand ſich zuſammenſetzte, treten uns bald allein, bald auch in Verbindung mit einer unter ihnen ſtehenden Schicht entgegen. Sie kommen teilweiſe auch in Abhängigkeit von den ariſtokratiſchen, führenden Teilen der Geſellſchaft, teilweiſe behaupten ſie eine gewiſſe Freiheit. Jedenfalls ſind es Teile der Geſellſchaft, die mehr die alte Zeit, Technik, Wirtſchaftsweiſe, als die neue repräſentieren, aus denen heraus viel weniger als aus den ariſtokratiſchen der Fortſchritt entſpringt. Die führenden Elemente bedürfen ſtets der mechaniſchen Hülfe, der dienenden Kräfte; wo Großes geſchehen ſoll, da geht es nicht anders. Nur wo ein Kluger und Kräftiger befahl, und die, welche über gute Arme verfügten, gehorchten, nur wo eine gewiſſe Arbeitsteilung zwiſchen geiſtiger und mechaniſcher Arbeit Platz griff, konnten erhebliche politiſche und wirtſchaftliche Erfolge erzielt werden. Die aufſteigenden höheren Klaſſen bedurften überall mit der Zeit einer ſolchen Arbeitsteilung. Sie war zunächſt überall durch die patriarchaliſche Familienverfaſſung gegeben: die Frauen, die Söhne und Töchter, oft auch verheiratete Kinder, ältere unverheiratete Geſchwiſter und Verwandte, die Knechte und Mägde waren in ihr die ausführenden Kräfte. Soweit die patriarchaliſche Familie Platz griff, entſtand ſo eine Arbeitsteilung teils für Jahre, teils fürs Leben, die nur eine kleine Zahl Befehlender kannte. Die kleine, neuere Familie ſchuf dieſe Stellung für eine etwas größere Zahl. Aber auch ſie beließ zunächſt den größeren Teil der 12—30jährigen in einem Dienſt- oder Arbeits- verhältnis bei ihren Eltern oder in anderen Familien, in Kleinbetrieben; ihre Stellung war auch in letzteren vielfach die von Familiengenoſſen, welche Wohnung, Unterhalt und Kleidung, daneben einige Geſchenke, auch etwas Geld erhielten. Wir werden unten darauf zurückkommen, welch’ großer Teil der heute in der Statiſtik aufgeführten Arbeiter noch Familienglieder oder Leute ſind, welche, ohne dem Arbeiterſtande anzugehören, bis zum 25. oder 30. Jahre in einer dienenden Arbeitsſtellung ſind. Aber wo die herrſchaftlichen Organiſationen ſich ausdehnten und befeſtigten, reichten vielfach die Familienglieder und jungen, freien Leute nicht aus. Wo verſchiedene Raſſen und Völker ſich bekämpften, die einen die anderen unterwarfen, wo dann ver- ſchiedene Raſſen durcheinander wohnten, ergaben ſich hiedurch Abhängigkeitsverhältniſſe, die nicht bloß auf die Jüngeren ſich beſchränkten. Es entſtanden ſo beſondere Klaſſen mechaniſch dienender Kräfte als die notwendigen Ergänzungsglieder der ariſtokratiſchen Kreiſe und ihrer Organiſationen. Die geſellſchaftliche und wirtſchaftliche Lage dieſer Kreiſe fand ihren rechtlichen Ausdruck in den drei großen Inſtitutionen der Sklaverei, der Leibeigenſchaft, der freien Arbeit. Die erſtere knüpft in ihrer Entſtehung rein an die Familie an, wird aber dann mit der Entſtehung der Unternehmung etwas weſentlich anderes; die Leibeigenſchaft knüpft an die Unterwerfung ganzer Stämme an und wird das ergänzende Glied der Grundherrſchaft; die perſönlich freie Lohnarbeit iſt das Ergebnis der modernen perſön- lichen Freiheit, des Rechtsſtaates und der Geldwirtſchaft und bildet das ergänzende untere Glied der modernen Unternehmung.

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/354>, abgerufen am 22.11.2024.