Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft. gegen Pauschalsummen übergab, die daraus Wuchergewinne ohne Gleichen zogen, diedas Volk maßlos mißhandelten; aber das erschien doch noch als das kleinere Übel gegen- über der erwarteten allgemeinen Dieberei und der Unfähigkeit einer direkten Staats- finanzverwaltung. Und ähnlich ist man in neueren Zeiten wieder vielfach, in Frankreich vom 16.--18. Jahrhundert und anderswo verfahren. Erst die spätere römische Kaiserzeit und jetzt wieder die neueste Entwickelung der Verwaltung verstand den Beamtenapparat in Staat und Gemeinde so weit zu vervollkommnen, daß man ihm mit minderem Schaden als den brutalen Steuerpächtergesellschaften diese Aufgabe in die Hand geben konnte. Von den orientalischen Monarchen wird berichtet, daß sie in ihrem Finanzdienste Die Schwierigkeit wächst mit der Größe des Beamtenpersonals und mit seiner in Württemberg 3093 Beamte mit 6,1 Mill. Mark Gehalt, - Baden 3384 - - 6,6 - - - - Bayern 10425 - - 20,3 - - - - Preußen 46281 - - 107,9 - - - Einschließlich der Staatsgewerbe, des Straßenbaues und der Schule waren in Württem- Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft. gegen Pauſchalſummen übergab, die daraus Wuchergewinne ohne Gleichen zogen, diedas Volk maßlos mißhandelten; aber das erſchien doch noch als das kleinere Übel gegen- über der erwarteten allgemeinen Dieberei und der Unfähigkeit einer direkten Staats- finanzverwaltung. Und ähnlich iſt man in neueren Zeiten wieder vielfach, in Frankreich vom 16.—18. Jahrhundert und anderswo verfahren. Erſt die ſpätere römiſche Kaiſerzeit und jetzt wieder die neueſte Entwickelung der Verwaltung verſtand den Beamtenapparat in Staat und Gemeinde ſo weit zu vervollkommnen, daß man ihm mit minderem Schaden als den brutalen Steuerpächtergeſellſchaften dieſe Aufgabe in die Hand geben konnte. Von den orientaliſchen Monarchen wird berichtet, daß ſie in ihrem Finanzdienſte Die Schwierigkeit wächſt mit der Größe des Beamtenperſonals und mit ſeiner in Württemberg 3093 Beamte mit 6,1 Mill. Mark Gehalt, - Baden 3384 - - 6,6 - - - - Bayern 10425 - - 20,3 - - - - Preußen 46281 - - 107,9 - - - Einſchließlich der Staatsgewerbe, des Straßenbaues und der Schule waren in Württem- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0328" n="312"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.</fw><lb/> gegen Pauſchalſummen übergab, die daraus Wuchergewinne ohne Gleichen zogen, die<lb/> das Volk maßlos mißhandelten; aber das erſchien doch noch als das kleinere Übel gegen-<lb/> über der erwarteten allgemeinen Dieberei und der Unfähigkeit einer direkten Staats-<lb/> finanzverwaltung. Und ähnlich iſt man in neueren Zeiten wieder vielfach, in Frankreich<lb/> vom 16.—18. Jahrhundert und anderswo verfahren. 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Und doch war das 18. Jahrhundert in England und<lb/> Frankreich nur deshalb ſo überzeugt, daß alle Beamtenwirtſchaft ſchlecht ſei, weil man<lb/> in ihrem Finanzdienſt, ihrer Kolonial- und Heeresverwaltung überwiegend faule, beſtech-<lb/> liche Beamte ſah. Wir haben heute, in Deutſchland beſonders, ein hohes Maß von<lb/> Beamtentüchtigkeit und Integrität durch einen Erziehungs- und Einſchulungsprozeß von<lb/> Jahrhunderten, durch ein richtiges Beſoldungs- und Carriereſyſtem erreicht. Auf der<lb/> Sachkenntnis, dem Patriotismus, dem offenen Sinne des höheren und beſſeren Teiles<lb/> dieſes Beamtentumes für die ſtaatlichen und Geſamtintereſſen, auf der Abweſenheit<lb/> egoiſtiſch-wirtſchaftlicher Klaſſenintereſſen bei ihnen beruht pſychologiſch ein ſehr großer<lb/> Teil aller neueren Fortſchritte im Staatsleben, in der wirtſchaftlichen und ſocialen Geſetz-<lb/> gebung. Aber dieſer Fortſchritt ruht auf eigentümlichen Vorausſetzungen, die nicht<lb/> überall zu ſchaffen ſind. Die ſocialiſtiſche Strömung unſerer Zeit iſt geneigt, die<lb/> Beamtenwirtſchaft ähnlich zu überſchätzen, wie A. Smith ſie unterſchätzte. Es ſteht zu<lb/> fürchten, daß auch bei uns ein gewiſſer Rückſchlag, eine Ernüchterung eintreten wird<lb/> in dem Maße, wie wir den Apparat der Finanzwirtſchaft, die Zahl der angeſtellten<lb/> Beamten immer weiter ausdehnen. Es iſt bekannt, wie wenig die republikaniſche Staats-<lb/> form die finanzielle Korruption der Volksvertreter und Beamten in großartigſtem Maß-<lb/> ſtabe hindert.</p><lb/> <p>Die Schwierigkeit wächſt mit der Größe des Beamtenperſonals und mit ſeiner<lb/> geographiſchen Zerſtreutheit. Friedrich der Große ließ ſich 1752 eine Zuſammenſtellung<lb/> der aus den königlichen Kaſſen bezahlten Civilbeamten machen; es waren (ohne die<lb/> ſchleſiſchen) 8786 mit 787206 Thaler Gehalt. 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Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
gegen Pauſchalſummen übergab, die daraus Wuchergewinne ohne Gleichen zogen, die
das Volk maßlos mißhandelten; aber das erſchien doch noch als das kleinere Übel gegen-
über der erwarteten allgemeinen Dieberei und der Unfähigkeit einer direkten Staats-
finanzverwaltung. Und ähnlich iſt man in neueren Zeiten wieder vielfach, in Frankreich
vom 16.—18. Jahrhundert und anderswo verfahren. Erſt die ſpätere römiſche Kaiſerzeit
und jetzt wieder die neueſte Entwickelung der Verwaltung verſtand den Beamtenapparat
in Staat und Gemeinde ſo weit zu vervollkommnen, daß man ihm mit minderem Schaden
als den brutalen Steuerpächtergeſellſchaften dieſe Aufgabe in die Hand geben konnte.
Von den orientaliſchen Monarchen wird berichtet, daß ſie in ihrem Finanzdienſte
hauptſächlich Eunuchen und Sklaven verwendeten; auch Athen und Rom hat Sklaven
in großer Zahl für die niederen Gemeindedienſte gehabt, und der römiſche Principat
hat die Erbſchaft der politiſch und finanziell bankerotten Republik damit angetreten, daß
er lange überwiegend Sklaven und Freigelaſſene im großen kaiſerlichen Finanzdienſte
verwendete; im Mittelalter waren wieder die unfreien Miniſterialen zuerſt allein fähig,
eine große fürſtliche Finanzwirtſchaft ohne zu viel Mißbräuche ins Leben zu rufen.
Wo eben Hunderte und Tauſende nicht für ſich, ſondern für den König, den Fiskus
thätig ſein ſollen, große Summen in Händen haben, bei großen Aufwendungen ſparſam
verfahren ſollen, da gehören, um die Mehrzahl vom Stehlen, von der Nachläſſigkeit und
Verſchwendung abzuhalten, urſprünglich die eiſernen Disciplinmittel der Unfreiheit dazu.
An ihrer Stelle ſucht heute ein bis ins kleinſte Detail ausgebildetes Verwaltungs- und
Staatsdienerrecht, ein bis zu lähmender Umſtändlichkeit geſteigertes Kontrollſyſtem mit
Nachweiſen, Atteſten und Rechnungslegung aller Art die Tauſende von Beamten in
Pflicht und Ordnung zu halten. Und doch war das 18. Jahrhundert in England und
Frankreich nur deshalb ſo überzeugt, daß alle Beamtenwirtſchaft ſchlecht ſei, weil man
in ihrem Finanzdienſt, ihrer Kolonial- und Heeresverwaltung überwiegend faule, beſtech-
liche Beamte ſah. Wir haben heute, in Deutſchland beſonders, ein hohes Maß von
Beamtentüchtigkeit und Integrität durch einen Erziehungs- und Einſchulungsprozeß von
Jahrhunderten, durch ein richtiges Beſoldungs- und Carriereſyſtem erreicht. Auf der
Sachkenntnis, dem Patriotismus, dem offenen Sinne des höheren und beſſeren Teiles
dieſes Beamtentumes für die ſtaatlichen und Geſamtintereſſen, auf der Abweſenheit
egoiſtiſch-wirtſchaftlicher Klaſſenintereſſen bei ihnen beruht pſychologiſch ein ſehr großer
Teil aller neueren Fortſchritte im Staatsleben, in der wirtſchaftlichen und ſocialen Geſetz-
gebung. Aber dieſer Fortſchritt ruht auf eigentümlichen Vorausſetzungen, die nicht
überall zu ſchaffen ſind. Die ſocialiſtiſche Strömung unſerer Zeit iſt geneigt, die
Beamtenwirtſchaft ähnlich zu überſchätzen, wie A. Smith ſie unterſchätzte. Es ſteht zu
fürchten, daß auch bei uns ein gewiſſer Rückſchlag, eine Ernüchterung eintreten wird
in dem Maße, wie wir den Apparat der Finanzwirtſchaft, die Zahl der angeſtellten
Beamten immer weiter ausdehnen. Es iſt bekannt, wie wenig die republikaniſche Staats-
form die finanzielle Korruption der Volksvertreter und Beamten in großartigſtem Maß-
ſtabe hindert.
Die Schwierigkeit wächſt mit der Größe des Beamtenperſonals und mit ſeiner
geographiſchen Zerſtreutheit. Friedrich der Große ließ ſich 1752 eine Zuſammenſtellung
der aus den königlichen Kaſſen bezahlten Civilbeamten machen; es waren (ohne die
ſchleſiſchen) 8786 mit 787206 Thaler Gehalt. Nach einer neueren Zuſammenſtellung
von Zeller ſind (ohne Staatsgewerbe, Straßenbau und ohne Unterricht) im gewöhnlichen
Juſtiz-, Inneren- und Finanzdienſte 1889—90 beſchäftigt:
in Württemberg 3093 Beamte mit 6,1 Mill. Mark Gehalt,
- Baden 3384 - - 6,6 - - -
- Bayern 10425 - - 20,3 - - -
- Preußen 46281 - - 107,9 - - -
Einſchließlich der Staatsgewerbe, des Straßenbaues und der Schule waren in Württem-
berg 12525 ſtaatliche Beamte mit 21 Mill. Mark Gehalt, mit Geiſtlichen und Volks-
ſchullehrern 18896 vorhanden. In Preußen zählte Engel ſchon 1876: 9499 höhere,
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