Hier sprechen wir zunächst von den Muttergruppen, ihrer Wirtschaft, ihrer Stellung, ihrem Rechte.
Die Wohnweise der älteren Völker überhaupt haben wir uns so zu denken, daß die Menschen in so kleinen Hütten lebten, daß, auch wo Einehe mit Vatergewalt vor- handen war, Mann und Frau häufig besondere Hütten hatten, wie sie auch vielfach eine Art getrennter Wirtschaft führten, nur in einzelnem sich halfen. Derartiges ist nun auch zur Zeit des Mutterrechtes vorauszusetzen; die Sippen wohnten zusammen, meist mindestens zwei, oft mehr Sippen in nächster Nähe, im selben Dorfe. Wo nun die Hütten etwas größer und besser wurden, da konnten leicht die Kinder, ja die Kindeskinder der Mutter bei ihr in der Hütte bleiben, jedenfalls in Nachbarhütten untergebracht werden, während die den anderen Sippen angehörigen Ehemänner bei ihrer Mutter, bei ihrer Sippe wohnen blieben, ohne daß das den Geschlechtsverkehr, das Helfen bei der Arbeit hemmte, da auch diese Hütten nur wenig weiter entfernt waren. Als der große bauliche Fortschritt bei vielen dieser Stämme eintrat, der Bau von Holzhäusern, in denen 40, 60, 100 und mehr Personen Platz hatten, da war die Anordnung vielfach die, daß man die jungen Männer oder alle Männer nach Sippen und Altersklassen in eines und daneben die Weiber mit ihren Kindern in ein anderes verwies; oft aber auch so, daß die Sippen, d. h. die von einer Stammmutter abstammenden Männer und Frauen oder Teile der- selben sich ein sogenanntes Langhaus mit Abteilungen für die einzelnen Mütter nebst ihren Kindern und mit solchen für die Männer herstellten. Die Sitten konnten sich dabei sehr verschieden gestalten: junge Ehemänner wohnten oft die ersten Jahre der Ehe oder auch länger in der Hütte der Frau, im Langhaus ihrer Sippe. Oft wohnte auch die Frau beim Manne, kehrte aber stets bei Krankheit und Kindbett, im Falle des Todes des Mannes mit ihren Kindern zur Muttersippe zurück. Oft durften auch die Ehe- männer ihre Frauen nur regelmäßig in ihren Hütten, in ihrem Gemach des Langhauses besuchen. Eine gewisse getrennte Wirtschaft von Ehemann und Ehefrau erhielt sich, wie sie schon vorher vielfach existiert hatte. Die Frau gab dem Manne vom Erträgnis ihrer Felder, er ihr von seiner Jagd etwas ab. Im übrigen lebten beide bei ihren Geschwistern, ihren Müttern, ihrer Sippe.
Die Frau führte mit ihren Kindern eine Art Sonderhaushalt, wobei ihre Brüder einerseits, ihr Ehemann andererseits zu ihr in Beziehung standen, ihr da und dort halfen und von ihr unterstützt wurden. Die Beziehungen der Frau zu ihrem Manne konnten dauernde und ausschließliche sein; oft waren sie es nicht; oft hatte der Mann Be- ziehungen zu mehreren Frauen in verschiedenen Sippen; die Dauer der Säugezeit war meist noch eine viele Jahre lange; vielfach war in dieser Zeit den Frauen der Geschlechts- verkehr untersagt wie auch den Männern längere Zeit, ehe sie auf den Kriegspfad sich begaben. Bei manchen Stämmen war den Kriegern jahrelang der, dieser Thätigkeit, wie man glaubte ungünstige, Geschlechtsverkehr verboten.
Eine Familie in unserem Sinne gab es nicht. Mann und Frau lebten nicht dauernd zusammen; die Kinder sahen nicht im Vater, sondern in dem stets anwesenden Mutterbruder die Respektsperson, der sie gehorchten, die sie beerbten. Mann und Frau erzogen ihre Kinder nicht gemeinsam; die sittigenden Einflüsse des Elternhauses, des Ahnenkultus, der patriarchalischen Familie fehlten, wie die Fortsetzung der Traditionen durch Generationen hindurch. Der Vater sparte und sammelte nicht für seine Kinder. Die Muttergruppe hatte eine mehr vorübergehende Existenz: nur so lange die Kinder klein waren, bestand sie, dann löste sie sich wieder auf; ihre Glieder traten in die Sippe zurück. Alle geistige und materielle Überlieferung mußte viel schwächer sein.
Es war eine Familienverfassung, welche auf dem heiligsten und tiefsten Gefühle, auf der Mutterliebe, aufgebaut war, diese Grundlage aller sympathischen Gefühle aus- bildete, verstärkte, auch die Geschwisterliebe pflegte, die Blutseinheit der mütterlichen Verwandten zu lebendigem Gefühl und Ausdruck brachte; in dem mütterlichen Haushalt, seinem Herde, seiner Vorratssammlung lag der Kern des späteren Familienhaushaltes. Aber es waren doch Zustände und Einrichtungen, welche eine höhere wirtschaftliche, politische, psychische und religiöse Entwickelung nicht förderten, weniger individuelle
Mutterrecht und Muttergruppen.
Hier ſprechen wir zunächſt von den Muttergruppen, ihrer Wirtſchaft, ihrer Stellung, ihrem Rechte.
Die Wohnweiſe der älteren Völker überhaupt haben wir uns ſo zu denken, daß die Menſchen in ſo kleinen Hütten lebten, daß, auch wo Einehe mit Vatergewalt vor- handen war, Mann und Frau häufig beſondere Hütten hatten, wie ſie auch vielfach eine Art getrennter Wirtſchaft führten, nur in einzelnem ſich halfen. Derartiges iſt nun auch zur Zeit des Mutterrechtes vorauszuſetzen; die Sippen wohnten zuſammen, meiſt mindeſtens zwei, oft mehr Sippen in nächſter Nähe, im ſelben Dorfe. Wo nun die Hütten etwas größer und beſſer wurden, da konnten leicht die Kinder, ja die Kindeskinder der Mutter bei ihr in der Hütte bleiben, jedenfalls in Nachbarhütten untergebracht werden, während die den anderen Sippen angehörigen Ehemänner bei ihrer Mutter, bei ihrer Sippe wohnen blieben, ohne daß das den Geſchlechtsverkehr, das Helfen bei der Arbeit hemmte, da auch dieſe Hütten nur wenig weiter entfernt waren. Als der große bauliche Fortſchritt bei vielen dieſer Stämme eintrat, der Bau von Holzhäuſern, in denen 40, 60, 100 und mehr Perſonen Platz hatten, da war die Anordnung vielfach die, daß man die jungen Männer oder alle Männer nach Sippen und Altersklaſſen in eines und daneben die Weiber mit ihren Kindern in ein anderes verwies; oft aber auch ſo, daß die Sippen, d. h. die von einer Stammmutter abſtammenden Männer und Frauen oder Teile der- ſelben ſich ein ſogenanntes Langhaus mit Abteilungen für die einzelnen Mütter nebſt ihren Kindern und mit ſolchen für die Männer herſtellten. Die Sitten konnten ſich dabei ſehr verſchieden geſtalten: junge Ehemänner wohnten oft die erſten Jahre der Ehe oder auch länger in der Hütte der Frau, im Langhaus ihrer Sippe. Oft wohnte auch die Frau beim Manne, kehrte aber ſtets bei Krankheit und Kindbett, im Falle des Todes des Mannes mit ihren Kindern zur Mutterſippe zurück. Oft durften auch die Ehe- männer ihre Frauen nur regelmäßig in ihren Hütten, in ihrem Gemach des Langhauſes beſuchen. Eine gewiſſe getrennte Wirtſchaft von Ehemann und Ehefrau erhielt ſich, wie ſie ſchon vorher vielfach exiſtiert hatte. Die Frau gab dem Manne vom Erträgnis ihrer Felder, er ihr von ſeiner Jagd etwas ab. Im übrigen lebten beide bei ihren Geſchwiſtern, ihren Müttern, ihrer Sippe.
Die Frau führte mit ihren Kindern eine Art Sonderhaushalt, wobei ihre Brüder einerſeits, ihr Ehemann andererſeits zu ihr in Beziehung ſtanden, ihr da und dort halfen und von ihr unterſtützt wurden. Die Beziehungen der Frau zu ihrem Manne konnten dauernde und ausſchließliche ſein; oft waren ſie es nicht; oft hatte der Mann Be- ziehungen zu mehreren Frauen in verſchiedenen Sippen; die Dauer der Säugezeit war meiſt noch eine viele Jahre lange; vielfach war in dieſer Zeit den Frauen der Geſchlechts- verkehr unterſagt wie auch den Männern längere Zeit, ehe ſie auf den Kriegspfad ſich begaben. Bei manchen Stämmen war den Kriegern jahrelang der, dieſer Thätigkeit, wie man glaubte ungünſtige, Geſchlechtsverkehr verboten.
Eine Familie in unſerem Sinne gab es nicht. Mann und Frau lebten nicht dauernd zuſammen; die Kinder ſahen nicht im Vater, ſondern in dem ſtets anweſenden Mutterbruder die Reſpektsperſon, der ſie gehorchten, die ſie beerbten. Mann und Frau erzogen ihre Kinder nicht gemeinſam; die ſittigenden Einflüſſe des Elternhauſes, des Ahnenkultus, der patriarchaliſchen Familie fehlten, wie die Fortſetzung der Traditionen durch Generationen hindurch. Der Vater ſparte und ſammelte nicht für ſeine Kinder. Die Muttergruppe hatte eine mehr vorübergehende Exiſtenz: nur ſo lange die Kinder klein waren, beſtand ſie, dann löſte ſie ſich wieder auf; ihre Glieder traten in die Sippe zurück. Alle geiſtige und materielle Überlieferung mußte viel ſchwächer ſein.
Es war eine Familienverfaſſung, welche auf dem heiligſten und tiefſten Gefühle, auf der Mutterliebe, aufgebaut war, dieſe Grundlage aller ſympathiſchen Gefühle aus- bildete, verſtärkte, auch die Geſchwiſterliebe pflegte, die Blutseinheit der mütterlichen Verwandten zu lebendigem Gefühl und Ausdruck brachte; in dem mütterlichen Haushalt, ſeinem Herde, ſeiner Vorratsſammlung lag der Kern des ſpäteren Familienhaushaltes. Aber es waren doch Zuſtände und Einrichtungen, welche eine höhere wirtſchaftliche, politiſche, pſychiſche und religiöſe Entwickelung nicht förderten, weniger individuelle
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[235/0251]
Mutterrecht und Muttergruppen.
Hier ſprechen wir zunächſt von den Muttergruppen, ihrer Wirtſchaft, ihrer Stellung,
ihrem Rechte.
Die Wohnweiſe der älteren Völker überhaupt haben wir uns ſo zu denken, daß
die Menſchen in ſo kleinen Hütten lebten, daß, auch wo Einehe mit Vatergewalt vor-
handen war, Mann und Frau häufig beſondere Hütten hatten, wie ſie auch vielfach
eine Art getrennter Wirtſchaft führten, nur in einzelnem ſich halfen. Derartiges iſt nun
auch zur Zeit des Mutterrechtes vorauszuſetzen; die Sippen wohnten zuſammen, meiſt
mindeſtens zwei, oft mehr Sippen in nächſter Nähe, im ſelben Dorfe. Wo nun die Hütten
etwas größer und beſſer wurden, da konnten leicht die Kinder, ja die Kindeskinder der
Mutter bei ihr in der Hütte bleiben, jedenfalls in Nachbarhütten untergebracht werden,
während die den anderen Sippen angehörigen Ehemänner bei ihrer Mutter, bei ihrer
Sippe wohnen blieben, ohne daß das den Geſchlechtsverkehr, das Helfen bei der Arbeit
hemmte, da auch dieſe Hütten nur wenig weiter entfernt waren. Als der große bauliche
Fortſchritt bei vielen dieſer Stämme eintrat, der Bau von Holzhäuſern, in denen 40,
60, 100 und mehr Perſonen Platz hatten, da war die Anordnung vielfach die, daß man die
jungen Männer oder alle Männer nach Sippen und Altersklaſſen in eines und daneben
die Weiber mit ihren Kindern in ein anderes verwies; oft aber auch ſo, daß die Sippen,
d. h. die von einer Stammmutter abſtammenden Männer und Frauen oder Teile der-
ſelben ſich ein ſogenanntes Langhaus mit Abteilungen für die einzelnen Mütter nebſt
ihren Kindern und mit ſolchen für die Männer herſtellten. Die Sitten konnten ſich dabei
ſehr verſchieden geſtalten: junge Ehemänner wohnten oft die erſten Jahre der Ehe oder
auch länger in der Hütte der Frau, im Langhaus ihrer Sippe. Oft wohnte auch die
Frau beim Manne, kehrte aber ſtets bei Krankheit und Kindbett, im Falle des Todes
des Mannes mit ihren Kindern zur Mutterſippe zurück. Oft durften auch die Ehe-
männer ihre Frauen nur regelmäßig in ihren Hütten, in ihrem Gemach des Langhauſes
beſuchen. Eine gewiſſe getrennte Wirtſchaft von Ehemann und Ehefrau erhielt ſich, wie
ſie ſchon vorher vielfach exiſtiert hatte. Die Frau gab dem Manne vom Erträgnis
ihrer Felder, er ihr von ſeiner Jagd etwas ab. Im übrigen lebten beide bei ihren
Geſchwiſtern, ihren Müttern, ihrer Sippe.
Die Frau führte mit ihren Kindern eine Art Sonderhaushalt, wobei ihre Brüder
einerſeits, ihr Ehemann andererſeits zu ihr in Beziehung ſtanden, ihr da und dort halfen
und von ihr unterſtützt wurden. Die Beziehungen der Frau zu ihrem Manne konnten
dauernde und ausſchließliche ſein; oft waren ſie es nicht; oft hatte der Mann Be-
ziehungen zu mehreren Frauen in verſchiedenen Sippen; die Dauer der Säugezeit war
meiſt noch eine viele Jahre lange; vielfach war in dieſer Zeit den Frauen der Geſchlechts-
verkehr unterſagt wie auch den Männern längere Zeit, ehe ſie auf den Kriegspfad ſich
begaben. Bei manchen Stämmen war den Kriegern jahrelang der, dieſer Thätigkeit,
wie man glaubte ungünſtige, Geſchlechtsverkehr verboten.
Eine Familie in unſerem Sinne gab es nicht. Mann und Frau lebten nicht
dauernd zuſammen; die Kinder ſahen nicht im Vater, ſondern in dem ſtets anweſenden
Mutterbruder die Reſpektsperſon, der ſie gehorchten, die ſie beerbten. Mann und Frau
erzogen ihre Kinder nicht gemeinſam; die ſittigenden Einflüſſe des Elternhauſes, des
Ahnenkultus, der patriarchaliſchen Familie fehlten, wie die Fortſetzung der Traditionen
durch Generationen hindurch. Der Vater ſparte und ſammelte nicht für ſeine Kinder.
Die Muttergruppe hatte eine mehr vorübergehende Exiſtenz: nur ſo lange die Kinder
klein waren, beſtand ſie, dann löſte ſie ſich wieder auf; ihre Glieder traten in die
Sippe zurück. Alle geiſtige und materielle Überlieferung mußte viel ſchwächer ſein.
Es war eine Familienverfaſſung, welche auf dem heiligſten und tiefſten Gefühle,
auf der Mutterliebe, aufgebaut war, dieſe Grundlage aller ſympathiſchen Gefühle aus-
bildete, verſtärkte, auch die Geſchwiſterliebe pflegte, die Blutseinheit der mütterlichen
Verwandten zu lebendigem Gefühl und Ausdruck brachte; in dem mütterlichen Haushalt,
ſeinem Herde, ſeiner Vorratsſammlung lag der Kern des ſpäteren Familienhaushaltes.
Aber es waren doch Zuſtände und Einrichtungen, welche eine höhere wirtſchaftliche,
politiſche, pſychiſche und religiöſe Entwickelung nicht förderten, weniger individuelle
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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/251>, abgerufen am 22.11.2024.
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