werksbetrieb hat die Maschine die Hebung, Schleppung und Sortierung übernommen, nicht die Hauptarbeit, die des Häuers vor Ort, die stets eine individuelle bleiben wird. In vielen andern Gewerben siegte die Maschine mehr für die Zwischen- als für die Endprodukte; der Stahl, das Gußeisen, alle Metalle werden ausschließlich maschinell, die feineren Metallprodukte vielfach noch durch die Hand hergestellt.
Viel geringer als im Verkehr und in der Industrie zeigt sich die technische Revolution auf allen übrigen wirtschaftlichen Gebieten. Die Maschine konnte nur bestimmte, eng begrenzte Teile des privaten Haushaltes, der Landwirtschaft, der Forst- wirtschaft übernehmen; noch weniger konnte sie die Arbeit des Künstlers, etwas mehr schon die des Kunsthandwerkers ergreifen.
Der Landwirt und Gärtner kann den Arbeitsprozeß nicht konzentrieren, ihn in Teile zerlegen, die nebeneinander sich ausführen lassen; er muß individualisierend die Arbeit dem Boden, der Witterung, der Jahreszeit anpassen. Er hat heute bessere Werk- zeuge, auch einzelne Maschinen und Feldbahnen, er wendet chemische und physiologische Verbesserungen an, aber nie kann hier die Technik alle Arbeit mechanisieren, nie kann sie hier die Produktion auf das 10--1000 fache steigern wie in vielen Gewerben; sie hat Großes erreicht, wenn sie sie verdoppelt oder gar vervierfacht. Die Ursache ist einfach und bekannt; wie Liebig sagt, kann die doppelte mechanische Arbeit, die doppelte Düngung von einer bald erreichten Grenze an nicht mehr die doppelte Ernte geben. Das größte Kapital und alle Technik der Welt vermögen auf einer Quadratmeile nicht die Nahrungsmittel für Hunderttausende und Millionen zu erzeugen. Das Gesetz "der abnehmenden Bodenerträge" hat seine Ursache in dem einfachen Umstande, daß die physiologischen Prozesse, die uns Brot und Fleisch geben, Monate und Jahre brauchen, daß die Pflanzenerzeugung an die begrenzte Ackerfläche gebunden ist, und daß Sonne, Wärme, Feuchtigkeit, Verwitterung, Pflügung in die Oberfläche nur bis zu geringer Tiefe eindringen, begrenzte Stoffe löslich machen können. Alle sehr dicht bevölkerten Gegenden bedürfen daher der Zufuhr von weiterher, die, wenn auch sehr verbilligt, doch immer die Waren verteuert. Die verschiedene Wirkung der Technik auf Gewerbs- produkte und Nahrungsmittel zeigt die bekannte Wahrheit, daß jene im Laufe der Kultur durchschnittlich billiger, diese teurer werden. Der Nahrungsmittelerzeugung steht eine Grenze entgegen, welche die Technik nicht überwinden kann. Man kann froh sein, wenn die Verbilligung der Maschinenprodukte die Verteuerung der Lebensmittel aus- gleicht oder ermäßigt. Es kommt hinzu, daß überall, wo in ähnlicher Weise begrenzte Rohstoffe, begrenzte Gebiete und Standorte der Vermehrung des Angebots entgegen- stehen, so bei Kohlen und Erzen, Fischwassern und Stadtwohnungen, der technische Fortschritt die engen Schranken der Produktion und Monopolverteuerung mildern, nicht aufheben oder überwinden kann.
Nach diesen Bemerkungen ist es klar, daß eine nüchterne Beobachtung nicht in jene dithyrambischen Lobpreisungen einstimmen kann, als habe die Maschine und die Technik uns seit 100 Jahren so mit wirtschaftlichen Gütern überschüttet, daß wir bei richtiger Einrichtung der Volkswirtschaft alle herrlich und in Freuden ohne große Anstrengung, etwa täglich nur 2--4 Stunden arbeitend, leben könnten. Denn erstens ist überall zweifelhaft, ob die Bevölkerung nicht noch stärker zunehme als die durchschnittliche gesamte Mehrproduktion. Und zweitens kommt in Frage, ob die Teile der Volkswirtschaft mit großem oder die mit mäßigem technischen Fortschritte die bedeutungsvolleren seien. Es sei nur daran erinnert, daß wir für unsere Ernährung 50--60, für unsere Wohnung 10--20 % unseres Einkommens ausgeben. Ist es da ein Wunder, daß die Mehrzahl der Menschen heute trotz aller technischen Fortschritte mehr und härter arbeiten muß als früher, -- daß man schon höhnisch gefragt hat, ob denn die bessere und schönere Kleidung und das schnellere Fahren, die Haupterrungenschaften unserer modernen Technik, uns so viel glücklicher machen könnten? Selbst ein so begeisterter Technologe, wie Em. Hermann spricht Zweifel aus, ob unsere Ernährung und Wohnung besser sei als die der Griechen und Römer; nur unsere Werkzeuge und chemische Verfahrungsweise, meint er, ständen höher. Sicher ist, daß die hundertfache Leistung der Spinn- und Dampfmaschine gegen-
Erſtes Buch. Land, Leute und Technik.
werksbetrieb hat die Maſchine die Hebung, Schleppung und Sortierung übernommen, nicht die Hauptarbeit, die des Häuers vor Ort, die ſtets eine individuelle bleiben wird. In vielen andern Gewerben ſiegte die Maſchine mehr für die Zwiſchen- als für die Endprodukte; der Stahl, das Gußeiſen, alle Metalle werden ausſchließlich maſchinell, die feineren Metallprodukte vielfach noch durch die Hand hergeſtellt.
Viel geringer als im Verkehr und in der Induſtrie zeigt ſich die techniſche Revolution auf allen übrigen wirtſchaftlichen Gebieten. Die Maſchine konnte nur beſtimmte, eng begrenzte Teile des privaten Haushaltes, der Landwirtſchaft, der Forſt- wirtſchaft übernehmen; noch weniger konnte ſie die Arbeit des Künſtlers, etwas mehr ſchon die des Kunſthandwerkers ergreifen.
Der Landwirt und Gärtner kann den Arbeitsprozeß nicht konzentrieren, ihn in Teile zerlegen, die nebeneinander ſich ausführen laſſen; er muß individualiſierend die Arbeit dem Boden, der Witterung, der Jahreszeit anpaſſen. Er hat heute beſſere Werk- zeuge, auch einzelne Maſchinen und Feldbahnen, er wendet chemiſche und phyſiologiſche Verbeſſerungen an, aber nie kann hier die Technik alle Arbeit mechaniſieren, nie kann ſie hier die Produktion auf das 10—1000 fache ſteigern wie in vielen Gewerben; ſie hat Großes erreicht, wenn ſie ſie verdoppelt oder gar vervierfacht. Die Urſache iſt einfach und bekannt; wie Liebig ſagt, kann die doppelte mechaniſche Arbeit, die doppelte Düngung von einer bald erreichten Grenze an nicht mehr die doppelte Ernte geben. Das größte Kapital und alle Technik der Welt vermögen auf einer Quadratmeile nicht die Nahrungsmittel für Hunderttauſende und Millionen zu erzeugen. Das Geſetz „der abnehmenden Bodenerträge“ hat ſeine Urſache in dem einfachen Umſtande, daß die phyſiologiſchen Prozeſſe, die uns Brot und Fleiſch geben, Monate und Jahre brauchen, daß die Pflanzenerzeugung an die begrenzte Ackerfläche gebunden iſt, und daß Sonne, Wärme, Feuchtigkeit, Verwitterung, Pflügung in die Oberfläche nur bis zu geringer Tiefe eindringen, begrenzte Stoffe löslich machen können. Alle ſehr dicht bevölkerten Gegenden bedürfen daher der Zufuhr von weiterher, die, wenn auch ſehr verbilligt, doch immer die Waren verteuert. Die verſchiedene Wirkung der Technik auf Gewerbs- produkte und Nahrungsmittel zeigt die bekannte Wahrheit, daß jene im Laufe der Kultur durchſchnittlich billiger, dieſe teurer werden. Der Nahrungsmittelerzeugung ſteht eine Grenze entgegen, welche die Technik nicht überwinden kann. Man kann froh ſein, wenn die Verbilligung der Maſchinenprodukte die Verteuerung der Lebensmittel aus- gleicht oder ermäßigt. Es kommt hinzu, daß überall, wo in ähnlicher Weiſe begrenzte Rohſtoffe, begrenzte Gebiete und Standorte der Vermehrung des Angebots entgegen- ſtehen, ſo bei Kohlen und Erzen, Fiſchwaſſern und Stadtwohnungen, der techniſche Fortſchritt die engen Schranken der Produktion und Monopolverteuerung mildern, nicht aufheben oder überwinden kann.
Nach dieſen Bemerkungen iſt es klar, daß eine nüchterne Beobachtung nicht in jene dithyrambiſchen Lobpreiſungen einſtimmen kann, als habe die Maſchine und die Technik uns ſeit 100 Jahren ſo mit wirtſchaftlichen Gütern überſchüttet, daß wir bei richtiger Einrichtung der Volkswirtſchaft alle herrlich und in Freuden ohne große Anſtrengung, etwa täglich nur 2—4 Stunden arbeitend, leben könnten. Denn erſtens iſt überall zweifelhaft, ob die Bevölkerung nicht noch ſtärker zunehme als die durchſchnittliche geſamte Mehrproduktion. Und zweitens kommt in Frage, ob die Teile der Volkswirtſchaft mit großem oder die mit mäßigem techniſchen Fortſchritte die bedeutungsvolleren ſeien. Es ſei nur daran erinnert, daß wir für unſere Ernährung 50—60, für unſere Wohnung 10—20 % unſeres Einkommens ausgeben. Iſt es da ein Wunder, daß die Mehrzahl der Menſchen heute trotz aller techniſchen Fortſchritte mehr und härter arbeiten muß als früher, — daß man ſchon höhniſch gefragt hat, ob denn die beſſere und ſchönere Kleidung und das ſchnellere Fahren, die Haupterrungenſchaften unſerer modernen Technik, uns ſo viel glücklicher machen könnten? Selbſt ein ſo begeiſterter Technologe, wie Em. Hermann ſpricht Zweifel aus, ob unſere Ernährung und Wohnung beſſer ſei als die der Griechen und Römer; nur unſere Werkzeuge und chemiſche Verfahrungsweiſe, meint er, ſtänden höher. Sicher iſt, daß die hundertfache Leiſtung der Spinn- und Dampfmaſchine gegen-
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Erſtes Buch. Land, Leute und Technik.
werksbetrieb hat die Maſchine die Hebung, Schleppung und Sortierung übernommen,
nicht die Hauptarbeit, die des Häuers vor Ort, die ſtets eine individuelle bleiben wird.
In vielen andern Gewerben ſiegte die Maſchine mehr für die Zwiſchen- als für die
Endprodukte; der Stahl, das Gußeiſen, alle Metalle werden ausſchließlich maſchinell,
die feineren Metallprodukte vielfach noch durch die Hand hergeſtellt.
Viel geringer als im Verkehr und in der Induſtrie zeigt ſich die techniſche
Revolution auf allen übrigen wirtſchaftlichen Gebieten. Die Maſchine konnte nur
beſtimmte, eng begrenzte Teile des privaten Haushaltes, der Landwirtſchaft, der Forſt-
wirtſchaft übernehmen; noch weniger konnte ſie die Arbeit des Künſtlers, etwas mehr
ſchon die des Kunſthandwerkers ergreifen.
Der Landwirt und Gärtner kann den Arbeitsprozeß nicht konzentrieren, ihn in
Teile zerlegen, die nebeneinander ſich ausführen laſſen; er muß individualiſierend die
Arbeit dem Boden, der Witterung, der Jahreszeit anpaſſen. Er hat heute beſſere Werk-
zeuge, auch einzelne Maſchinen und Feldbahnen, er wendet chemiſche und phyſiologiſche
Verbeſſerungen an, aber nie kann hier die Technik alle Arbeit mechaniſieren, nie kann
ſie hier die Produktion auf das 10—1000 fache ſteigern wie in vielen Gewerben; ſie
hat Großes erreicht, wenn ſie ſie verdoppelt oder gar vervierfacht. Die Urſache iſt einfach
und bekannt; wie Liebig ſagt, kann die doppelte mechaniſche Arbeit, die doppelte
Düngung von einer bald erreichten Grenze an nicht mehr die doppelte Ernte geben.
Das größte Kapital und alle Technik der Welt vermögen auf einer Quadratmeile nicht
die Nahrungsmittel für Hunderttauſende und Millionen zu erzeugen. Das Geſetz „der
abnehmenden Bodenerträge“ hat ſeine Urſache in dem einfachen Umſtande, daß die
phyſiologiſchen Prozeſſe, die uns Brot und Fleiſch geben, Monate und Jahre brauchen,
daß die Pflanzenerzeugung an die begrenzte Ackerfläche gebunden iſt, und daß Sonne,
Wärme, Feuchtigkeit, Verwitterung, Pflügung in die Oberfläche nur bis zu geringer
Tiefe eindringen, begrenzte Stoffe löslich machen können. Alle ſehr dicht bevölkerten
Gegenden bedürfen daher der Zufuhr von weiterher, die, wenn auch ſehr verbilligt,
doch immer die Waren verteuert. Die verſchiedene Wirkung der Technik auf Gewerbs-
produkte und Nahrungsmittel zeigt die bekannte Wahrheit, daß jene im Laufe der
Kultur durchſchnittlich billiger, dieſe teurer werden. Der Nahrungsmittelerzeugung ſteht
eine Grenze entgegen, welche die Technik nicht überwinden kann. Man kann froh ſein,
wenn die Verbilligung der Maſchinenprodukte die Verteuerung der Lebensmittel aus-
gleicht oder ermäßigt. Es kommt hinzu, daß überall, wo in ähnlicher Weiſe begrenzte
Rohſtoffe, begrenzte Gebiete und Standorte der Vermehrung des Angebots entgegen-
ſtehen, ſo bei Kohlen und Erzen, Fiſchwaſſern und Stadtwohnungen, der techniſche
Fortſchritt die engen Schranken der Produktion und Monopolverteuerung mildern, nicht
aufheben oder überwinden kann.
Nach dieſen Bemerkungen iſt es klar, daß eine nüchterne Beobachtung nicht in
jene dithyrambiſchen Lobpreiſungen einſtimmen kann, als habe die Maſchine und die Technik
uns ſeit 100 Jahren ſo mit wirtſchaftlichen Gütern überſchüttet, daß wir bei richtiger
Einrichtung der Volkswirtſchaft alle herrlich und in Freuden ohne große Anſtrengung,
etwa täglich nur 2—4 Stunden arbeitend, leben könnten. Denn erſtens iſt überall
zweifelhaft, ob die Bevölkerung nicht noch ſtärker zunehme als die durchſchnittliche geſamte
Mehrproduktion. Und zweitens kommt in Frage, ob die Teile der Volkswirtſchaft
mit großem oder die mit mäßigem techniſchen Fortſchritte die bedeutungsvolleren ſeien.
Es ſei nur daran erinnert, daß wir für unſere Ernährung 50—60, für unſere Wohnung
10—20 % unſeres Einkommens ausgeben. Iſt es da ein Wunder, daß die Mehrzahl
der Menſchen heute trotz aller techniſchen Fortſchritte mehr und härter arbeiten muß als
früher, — daß man ſchon höhniſch gefragt hat, ob denn die beſſere und ſchönere Kleidung
und das ſchnellere Fahren, die Haupterrungenſchaften unſerer modernen Technik, uns ſo
viel glücklicher machen könnten? Selbſt ein ſo begeiſterter Technologe, wie Em. Hermann
ſpricht Zweifel aus, ob unſere Ernährung und Wohnung beſſer ſei als die der Griechen
und Römer; nur unſere Werkzeuge und chemiſche Verfahrungsweiſe, meint er, ſtänden
höher. Sicher iſt, daß die hundertfache Leiſtung der Spinn- und Dampfmaſchine gegen-
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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/236>, abgerufen am 17.07.2024.
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