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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Einleitung. Begriff. Psychologische und sittliche Grundlage. Litteratur und Methode.
schaften, wenigstens einer Familienwirtschaft. Jede Wirtschaft hat einen zeitweiligen
oder dauernden Standort, verfügt über wirtschaftliche Mittel, über Güter und Kapi-
talien, über die Arbeit ihrer Mitglieder, hat den Zweck, alle oder bestimmte wirtschaft-
liche Zwecke ihrer Mitglieder zu befriedigen; sie hat eine bestimmte innere Organisation,
sie grenzt sich nach außen gegen andere Wirtschaften, deren Standort, Personal und
wirtschaftliche Güter ab. Sie ist stets ein Stück technisch-zweckmäßiger Naturgestaltung
und sittlich-rechtlicher socialer Ordnung. Alle Wirtschaftsorganisation knüpft sich zunächst
an die socialen Organe an, welche das Gesellschaftsleben überhaupt für alle menschlichen
Zwecke bildet: Familie, Sippe, Gemeinde, Stamm, Staat sind daher auch die wesent-
lichen Wirtschaftskörper der älteren Zeit; wo und wie überhaupt Herrschafts- und
Genossenschaftsverbände sich bilden, da fungieren sie auch mehr oder weniger für die
wirtschaftlichen Zwecke.

Bei primitivster wirtschaftlicher Kultur, die noch kaum zur Sippen- oder Stammes-
bildung geführt, sind die erwachsenen Männer und Frauen fast nur für sich und ihre
unerwachsenen Kinder wirtschaftlich thätig. Wo etwas höhere wirtschaftliche und politische
Kultur Platz gegriffen hat, da greift die Haus- und Familienwirtschaft und die Stammes-
und Gemeindewirtschaft ineinander. Der Schwerpunkt der wirtschaftlichen Thätigkeit
liegt zunächst in Haus und Familie, in der auf gemeinsamen Gefühlen und Einrichtungen
beruhenden Eigenproduktion für die Familie; der Tauschverkehr fehlt oder ist ganz un-
erheblich. Nur für gewisse Zwecke des Viehtriebs, der Siedlung, Acker-, Wald- und
Weidenutzung greift die Gemeinde- und Stammeswirtschaft Platz. Die begabteren Rassen
und Stämme bringen es freilich frühe zu wichtigen, ihr Wirtschaftsleben beherrschenden
Einrichtungen der Ackerverteilung und der Kriegs- und Dienstverfassung, zu großen
gemeinsamen Schutzbauten und Vorratssammlungen. Man hat geschwankt, ob man die
Haus- oder die Stammes- und Dorfwirtschaft als das wesentliche Merkmal
dieser Epoche des Wirtschaftslebens hervorheben soll.

Indem die einzelnen Haus- und Familienwirtschaften sich differenzieren, einzelne
zu größeren Herrschaftsverbänden werden, indem ein gewisser Tauschverkehr sich ausbildet,
die socialen Körper größer und fester organisiert werden, in ihrem Mittelpunkt größere
Orte und Märkte sich bilden, entstehen wirtschaftliche Zustände, welche sich dadurch
charakterisieren, daß wohl noch die Mehrzahl der Familien das meiste selbst produziert,
also auf dem Boden der Eigenwirtschaft stehen bleibt, aber daneben doch in steigendem
Umfang am Tauschverkehr teilnimmt. Dieser beschränkt sich freilich zunächst haupt-
sächlich auf den städtischen Markt, wo die Landleute ihre Rohprodukte, die Handwerker ihre
Gewerbsprodukte ohne Handelsvermittelung verkaufen. Die antiken kleinen Stadtstaaten,
die meisten mittelalterlichen Stadtgebiete und Kleinstaaten sind Gebilde dieser Art. Da
eine beherrschende Stadt meist den Mittelpunkt bildet, ihr Markt und dessen Einrichtungen
das Charakteristische für solche Zustände sind, so hat man sie neuerdings durch den
Begriff der Stadtwirtschaft bezeichnet.

Wo größere sociale Körper sich bilden mit einer Reihe von Städten und Land-
schaften, wo mit zunehmendem Tausch- und Geldverkehr von der Familienwirtschaft sich
besondere Unternehmungen, d. h. lokal und organisatorisch für sich bestehende Wirt-
schaften mit dem ausschließlichen Zwecke des Handels und der Güterproduktion loslösen,
der Marktverkehr und der Handel immer mehr alle Einzelwirtschaften beeinflussen und
abhängig von sich machen, wo zugleich die Staatsgewalt durch Münzwesen und Straßen-
bau, durch Agrar- und Gewerbegesetze, durch Verkehrs- und Handelspolitik, durch ein
Geldsteuersystem und die Heeresverfassung alle Wirtschaften der Familien, Gemeinden
und Korporationen von sich abhängig macht, da entsteht mit dem modernen Staats-
wesen das, was wir heute die Volkswirtschaft nennen. Sie beruht ebenso auf
der Verflechtung aller Einzelwirtschaften in einen unlöslichen Zusammenhang durch den
freien Tausch- und Handelsverkehr, als auf den wachsenden einheitlichen Wirtschafts-
einrichtungen von Gemeinde, Provinz und Staat. Der Begriff der Volkswirtschaft will
eben das Ganze der nebeneinander und übereinander sich aufbauenden Wirtschaften eines
Landes, eines Volkes, eines Staates umfassen. Die Gesamtheit alles wirtschaftlichen

Einleitung. Begriff. Pſychologiſche und ſittliche Grundlage. Litteratur und Methode.
ſchaften, wenigſtens einer Familienwirtſchaft. Jede Wirtſchaft hat einen zeitweiligen
oder dauernden Standort, verfügt über wirtſchaftliche Mittel, über Güter und Kapi-
talien, über die Arbeit ihrer Mitglieder, hat den Zweck, alle oder beſtimmte wirtſchaft-
liche Zwecke ihrer Mitglieder zu befriedigen; ſie hat eine beſtimmte innere Organiſation,
ſie grenzt ſich nach außen gegen andere Wirtſchaften, deren Standort, Perſonal und
wirtſchaftliche Güter ab. Sie iſt ſtets ein Stück techniſch-zweckmäßiger Naturgeſtaltung
und ſittlich-rechtlicher ſocialer Ordnung. Alle Wirtſchaftsorganiſation knüpft ſich zunächſt
an die ſocialen Organe an, welche das Geſellſchaftsleben überhaupt für alle menſchlichen
Zwecke bildet: Familie, Sippe, Gemeinde, Stamm, Staat ſind daher auch die weſent-
lichen Wirtſchaftskörper der älteren Zeit; wo und wie überhaupt Herrſchafts- und
Genoſſenſchaftsverbände ſich bilden, da fungieren ſie auch mehr oder weniger für die
wirtſchaftlichen Zwecke.

Bei primitivſter wirtſchaftlicher Kultur, die noch kaum zur Sippen- oder Stammes-
bildung geführt, ſind die erwachſenen Männer und Frauen faſt nur für ſich und ihre
unerwachſenen Kinder wirtſchaftlich thätig. Wo etwas höhere wirtſchaftliche und politiſche
Kultur Platz gegriffen hat, da greift die Haus- und Familienwirtſchaft und die Stammes-
und Gemeindewirtſchaft ineinander. Der Schwerpunkt der wirtſchaftlichen Thätigkeit
liegt zunächſt in Haus und Familie, in der auf gemeinſamen Gefühlen und Einrichtungen
beruhenden Eigenproduktion für die Familie; der Tauſchverkehr fehlt oder iſt ganz un-
erheblich. Nur für gewiſſe Zwecke des Viehtriebs, der Siedlung, Acker-, Wald- und
Weidenutzung greift die Gemeinde- und Stammeswirtſchaft Platz. Die begabteren Raſſen
und Stämme bringen es freilich frühe zu wichtigen, ihr Wirtſchaftsleben beherrſchenden
Einrichtungen der Ackerverteilung und der Kriegs- und Dienſtverfaſſung, zu großen
gemeinſamen Schutzbauten und Vorratsſammlungen. Man hat geſchwankt, ob man die
Haus- oder die Stammes- und Dorfwirtſchaft als das weſentliche Merkmal
dieſer Epoche des Wirtſchaftslebens hervorheben ſoll.

Indem die einzelnen Haus- und Familienwirtſchaften ſich differenzieren, einzelne
zu größeren Herrſchaftsverbänden werden, indem ein gewiſſer Tauſchverkehr ſich ausbildet,
die ſocialen Körper größer und feſter organiſiert werden, in ihrem Mittelpunkt größere
Orte und Märkte ſich bilden, entſtehen wirtſchaftliche Zuſtände, welche ſich dadurch
charakteriſieren, daß wohl noch die Mehrzahl der Familien das meiſte ſelbſt produziert,
alſo auf dem Boden der Eigenwirtſchaft ſtehen bleibt, aber daneben doch in ſteigendem
Umfang am Tauſchverkehr teilnimmt. Dieſer beſchränkt ſich freilich zunächſt haupt-
ſächlich auf den ſtädtiſchen Markt, wo die Landleute ihre Rohprodukte, die Handwerker ihre
Gewerbsprodukte ohne Handelsvermittelung verkaufen. Die antiken kleinen Stadtſtaaten,
die meiſten mittelalterlichen Stadtgebiete und Kleinſtaaten ſind Gebilde dieſer Art. Da
eine beherrſchende Stadt meiſt den Mittelpunkt bildet, ihr Markt und deſſen Einrichtungen
das Charakteriſtiſche für ſolche Zuſtände ſind, ſo hat man ſie neuerdings durch den
Begriff der Stadtwirtſchaft bezeichnet.

Wo größere ſociale Körper ſich bilden mit einer Reihe von Städten und Land-
ſchaften, wo mit zunehmendem Tauſch- und Geldverkehr von der Familienwirtſchaft ſich
beſondere Unternehmungen, d. h. lokal und organiſatoriſch für ſich beſtehende Wirt-
ſchaften mit dem ausſchließlichen Zwecke des Handels und der Güterproduktion loslöſen,
der Marktverkehr und der Handel immer mehr alle Einzelwirtſchaften beeinfluſſen und
abhängig von ſich machen, wo zugleich die Staatsgewalt durch Münzweſen und Straßen-
bau, durch Agrar- und Gewerbegeſetze, durch Verkehrs- und Handelspolitik, durch ein
Geldſteuerſyſtem und die Heeresverfaſſung alle Wirtſchaften der Familien, Gemeinden
und Korporationen von ſich abhängig macht, da entſteht mit dem modernen Staats-
weſen das, was wir heute die Volkswirtſchaft nennen. Sie beruht ebenſo auf
der Verflechtung aller Einzelwirtſchaften in einen unlöslichen Zuſammenhang durch den
freien Tauſch- und Handelsverkehr, als auf den wachſenden einheitlichen Wirtſchafts-
einrichtungen von Gemeinde, Provinz und Staat. Der Begriff der Volkswirtſchaft will
eben das Ganze der nebeneinander und übereinander ſich aufbauenden Wirtſchaften eines
Landes, eines Volkes, eines Staates umfaſſen. Die Geſamtheit alles wirtſchaftlichen

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[4/0020] Einleitung. Begriff. Pſychologiſche und ſittliche Grundlage. Litteratur und Methode. ſchaften, wenigſtens einer Familienwirtſchaft. Jede Wirtſchaft hat einen zeitweiligen oder dauernden Standort, verfügt über wirtſchaftliche Mittel, über Güter und Kapi- talien, über die Arbeit ihrer Mitglieder, hat den Zweck, alle oder beſtimmte wirtſchaft- liche Zwecke ihrer Mitglieder zu befriedigen; ſie hat eine beſtimmte innere Organiſation, ſie grenzt ſich nach außen gegen andere Wirtſchaften, deren Standort, Perſonal und wirtſchaftliche Güter ab. Sie iſt ſtets ein Stück techniſch-zweckmäßiger Naturgeſtaltung und ſittlich-rechtlicher ſocialer Ordnung. Alle Wirtſchaftsorganiſation knüpft ſich zunächſt an die ſocialen Organe an, welche das Geſellſchaftsleben überhaupt für alle menſchlichen Zwecke bildet: Familie, Sippe, Gemeinde, Stamm, Staat ſind daher auch die weſent- lichen Wirtſchaftskörper der älteren Zeit; wo und wie überhaupt Herrſchafts- und Genoſſenſchaftsverbände ſich bilden, da fungieren ſie auch mehr oder weniger für die wirtſchaftlichen Zwecke. Bei primitivſter wirtſchaftlicher Kultur, die noch kaum zur Sippen- oder Stammes- bildung geführt, ſind die erwachſenen Männer und Frauen faſt nur für ſich und ihre unerwachſenen Kinder wirtſchaftlich thätig. Wo etwas höhere wirtſchaftliche und politiſche Kultur Platz gegriffen hat, da greift die Haus- und Familienwirtſchaft und die Stammes- und Gemeindewirtſchaft ineinander. Der Schwerpunkt der wirtſchaftlichen Thätigkeit liegt zunächſt in Haus und Familie, in der auf gemeinſamen Gefühlen und Einrichtungen beruhenden Eigenproduktion für die Familie; der Tauſchverkehr fehlt oder iſt ganz un- erheblich. Nur für gewiſſe Zwecke des Viehtriebs, der Siedlung, Acker-, Wald- und Weidenutzung greift die Gemeinde- und Stammeswirtſchaft Platz. Die begabteren Raſſen und Stämme bringen es freilich frühe zu wichtigen, ihr Wirtſchaftsleben beherrſchenden Einrichtungen der Ackerverteilung und der Kriegs- und Dienſtverfaſſung, zu großen gemeinſamen Schutzbauten und Vorratsſammlungen. Man hat geſchwankt, ob man die Haus- oder die Stammes- und Dorfwirtſchaft als das weſentliche Merkmal dieſer Epoche des Wirtſchaftslebens hervorheben ſoll. Indem die einzelnen Haus- und Familienwirtſchaften ſich differenzieren, einzelne zu größeren Herrſchaftsverbänden werden, indem ein gewiſſer Tauſchverkehr ſich ausbildet, die ſocialen Körper größer und feſter organiſiert werden, in ihrem Mittelpunkt größere Orte und Märkte ſich bilden, entſtehen wirtſchaftliche Zuſtände, welche ſich dadurch charakteriſieren, daß wohl noch die Mehrzahl der Familien das meiſte ſelbſt produziert, alſo auf dem Boden der Eigenwirtſchaft ſtehen bleibt, aber daneben doch in ſteigendem Umfang am Tauſchverkehr teilnimmt. Dieſer beſchränkt ſich freilich zunächſt haupt- ſächlich auf den ſtädtiſchen Markt, wo die Landleute ihre Rohprodukte, die Handwerker ihre Gewerbsprodukte ohne Handelsvermittelung verkaufen. Die antiken kleinen Stadtſtaaten, die meiſten mittelalterlichen Stadtgebiete und Kleinſtaaten ſind Gebilde dieſer Art. Da eine beherrſchende Stadt meiſt den Mittelpunkt bildet, ihr Markt und deſſen Einrichtungen das Charakteriſtiſche für ſolche Zuſtände ſind, ſo hat man ſie neuerdings durch den Begriff der Stadtwirtſchaft bezeichnet. Wo größere ſociale Körper ſich bilden mit einer Reihe von Städten und Land- ſchaften, wo mit zunehmendem Tauſch- und Geldverkehr von der Familienwirtſchaft ſich beſondere Unternehmungen, d. h. lokal und organiſatoriſch für ſich beſtehende Wirt- ſchaften mit dem ausſchließlichen Zwecke des Handels und der Güterproduktion loslöſen, der Marktverkehr und der Handel immer mehr alle Einzelwirtſchaften beeinfluſſen und abhängig von ſich machen, wo zugleich die Staatsgewalt durch Münzweſen und Straßen- bau, durch Agrar- und Gewerbegeſetze, durch Verkehrs- und Handelspolitik, durch ein Geldſteuerſyſtem und die Heeresverfaſſung alle Wirtſchaften der Familien, Gemeinden und Korporationen von ſich abhängig macht, da entſteht mit dem modernen Staats- weſen das, was wir heute die Volkswirtſchaft nennen. Sie beruht ebenſo auf der Verflechtung aller Einzelwirtſchaften in einen unlöslichen Zuſammenhang durch den freien Tauſch- und Handelsverkehr, als auf den wachſenden einheitlichen Wirtſchafts- einrichtungen von Gemeinde, Provinz und Staat. Der Begriff der Volkswirtſchaft will eben das Ganze der nebeneinander und übereinander ſich aufbauenden Wirtſchaften eines Landes, eines Volkes, eines Staates umfaſſen. Die Geſamtheit alles wirtſchaftlichen

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/20>, abgerufen am 20.04.2024.