Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Der Begriff des Wirtschaftens. Teil der wirtschaftlichen Thätigkeit der Kulturvölker. Erst wo das wirtschaftliche Lebendiese Formen angenommen hatte, entstand für gewisse Gruppen der Gesellschaft ein so großer Wohlstand, daß der Gegensatz von Reichen und Armen stärker empfunden wurde, bildete sich auch erst in ausgeprägterer Weise die Unterscheidung reicher und armer Stämme und Völker. Im Bereich dieser rechnenden und auf Gewinn spekulierenden Unternehmungen So hat das Wort "Wirtschaften" neben seiner ursprünglich konkreten Bedeutung Die wirtschaftliche Produktion besteht stets in einem aktiven Eingreifen des 3. Der Begriff der Wirtschaften als gesellschaftlicher Organe 1*
Der Begriff des Wirtſchaftens. Teil der wirtſchaftlichen Thätigkeit der Kulturvölker. Erſt wo das wirtſchaftliche Lebendieſe Formen angenommen hatte, entſtand für gewiſſe Gruppen der Geſellſchaft ein ſo großer Wohlſtand, daß der Gegenſatz von Reichen und Armen ſtärker empfunden wurde, bildete ſich auch erſt in ausgeprägterer Weiſe die Unterſcheidung reicher und armer Stämme und Völker. Im Bereich dieſer rechnenden und auf Gewinn ſpekulierenden Unternehmungen So hat das Wort „Wirtſchaften“ neben ſeiner urſprünglich konkreten Bedeutung Die wirtſchaftliche Produktion beſteht ſtets in einem aktiven Eingreifen des 3. Der Begriff der Wirtſchaften als geſellſchaftlicher Organe 1*
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0019" n="3"/><fw place="top" type="header">Der Begriff des Wirtſchaftens.</fw><lb/> Teil der wirtſchaftlichen Thätigkeit der Kulturvölker. Erſt wo das wirtſchaftliche Leben<lb/> dieſe Formen angenommen hatte, entſtand für gewiſſe Gruppen der Geſellſchaft ein ſo<lb/> großer Wohlſtand, daß der Gegenſatz von Reichen und Armen ſtärker empfunden wurde,<lb/> bildete ſich auch erſt in ausgeprägterer Weiſe die Unterſcheidung reicher und armer Stämme<lb/> und Völker.</p><lb/> <p>Im Bereich dieſer rechnenden und auf Gewinn ſpekulierenden Unternehmungen<lb/> entſtand zuerſt die verſtandes- und zahlenmäßige Erfaſſung aller Vorgänge des Wirt-<lb/> ſchaftslebens, das Buchen und Rechnen mit Wertgrößen und in Geldpreiſen, die Ver-<lb/> gleichung von Einnahme und Ausgabe, von Aufwand und Erfolg, die Berechnung<lb/> des Rohertrages der für eine Produktion aufgewendeten Koſten und des nach Abzug<lb/> der Produktionskoſten erzielten Reinertrages. Und alle unter die Kontrolle ſolcher Über-<lb/> legungen und Rechnungen geſtellte menſchliche Thätigkeit wird nun als ſpecifiſch wirt-<lb/> ſchaftlich bezeichnet; die Tugend der Wirtſchaftlichkeit iſt die planvoll berechnende, klug<lb/> den höchſten Erfolg mit den kleinſten Mitteln erreichende menſchliche Thätigkeit, ob ſie<lb/> nun direkt auf Wirtſchafts- oder andere Zwecke gehe. Und jede andere nicht wirt-<lb/> ſchaftliche Thätigkeit, die im Syſtem der Arbeitsteilung ein Entgelt fordert, wie die<lb/> des Lehrers, Richters, Künſtlers, erhält durch dieſe Entgeltung, durch die Abſicht, mit<lb/> ihr ſich einen Lebensunterhalt zu ſchaffen, eine wirtſchaftliche Seite.</p><lb/> <p>So hat das Wort „Wirtſchaften“ neben ſeiner urſprünglich konkreten Bedeutung<lb/> noch eine Reihe von verwandten Nebenvorſtellungen in ſich aufgenommen; aber der<lb/> Kern des Begriffs iſt derſelbe geblieben. Er umfaßt nicht alles „Arbeiten“, denn es<lb/> giebt ein Arbeiten für höhere, nicht wirtſchaftliche Zwecke; nicht alle Thätigkeit für<lb/> äußere Bedürfnisbefriedigung, denn dazu gehört auch das Turnen, das Spazierengehen,<lb/> die Geſundheitspflege. Die Verflechtung der Thätigkeit in einen entgeltlichen Austauſch<lb/> iſt nur einem freilich wachſenden Teil der wirtſchaftlichen Thätigkeit bei höherer Kultur<lb/> eigen. Was das Individuum für ſich, für ſeine Familie, für Gemeinde und Staat<lb/> wirtſchaftlich ſchafft, ohne direkt bezahlt zu werden, gehört dem Kreiſe nicht minder an,<lb/> als was für den Markt produziert wird. Die wirtſchaftliche Produktion von Gütern,<lb/> Vorräten, Waren iſt das Hauptgebiet der Wirtſchaftsthätigkeit; aber auch die Leiſtungen<lb/> von wirtſchaftlichen Dienſten, die Handelsthätigkeit gehören dazu.</p><lb/> <p>Die wirtſchaftliche Produktion beſteht ſtets in einem aktiven Eingreifen des<lb/> Menſchen in den großen, nie ruhenden Naturprozeß; er ſoll ſo geſtaltet werden, daß<lb/> die Kräfte der Natur dem Menſchen am wenigſten ſchaden, ihm am meiſten nützen.<lb/> Die in unbegrenzter Menge von der Natur dem Menſchen ſo gebotenen Güter, daß er<lb/> ſie ohne weiteres genießen und nützen kann, nennen wir <hi rendition="#g">freie</hi>, die in begrenzter Menge<lb/> vorkommenden und daher in das Eigentum von einzelnen oder Korporationen gekomme-<lb/> nen, vom Menſchen umgeformten nennen wir <hi rendition="#g">wirtſchaftliche Güter</hi> oder <hi rendition="#g">Güter</hi><lb/> ſchlechtweg. Die möglichſt reiche Verſorgung mit Gütern iſt der Hauptzweck des wirt-<lb/> ſchaftlichen Schaffens. Je reichlicher dieſe Verſorgung wird, deſto geſicherter iſt unſere<lb/> Exiſtenz, deſto mehr können Vorräte für die Zukunft zurückgelegt werden, deſto mehr<lb/> kann ſtatt der direkten Gütererzeugung die indirekte, techniſch und geſellſchaftlich kom-<lb/> plizierte angeſtrebt werden. Das geſchieht durch Schaffung komplizierterer techniſcher<lb/> Vorrichtungen, wie z. B. durch Bau einer Waſſerleitung ſtatt des Schöpfens an der<lb/> Quelle; jeder richtige Fortſchritt nach dieſer Seite ſetzt voraus, daß wir, mit wirtſchaft-<lb/> lichen Vorräten verſehen, auf den augenblicklichen Erfolg verzichten können, um einen<lb/> größeren künftigen Erfolg, eine Mehrerzeugung oder Kräfteerſparung in der Zukunft zu<lb/> erreichen. —</p><lb/> <p>3. <hi rendition="#g">Der Begriff der Wirtſchaften als geſellſchaftlicher Organe<lb/> und der Volkswirtſchaft</hi>. All’ das geſchieht nun in der Form von einzelnen<lb/> „Wirtſchaften“. Wir verſtehen unter einer „Wirtſchaft“ einen kleineren oder größeren<lb/> Kreis zuſammengehöriger Perſonen, welche durch irgend welche pſychiſche, ſittliche und<lb/> rechtliche Bande verbunden, mit und teilweiſe auch für einander oder andere wirt-<lb/> ſchaften. Auch die einzelne Perſon kann unter Umſtänden eine Wirtſchaft für ſich führen<lb/> oder bilden; meiſt aber iſt ſie ein Glied innerhalb einer oder mehrerer größerer Wirt-<lb/> <fw place="bottom" type="sig">1*</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [3/0019]
Der Begriff des Wirtſchaftens.
Teil der wirtſchaftlichen Thätigkeit der Kulturvölker. Erſt wo das wirtſchaftliche Leben
dieſe Formen angenommen hatte, entſtand für gewiſſe Gruppen der Geſellſchaft ein ſo
großer Wohlſtand, daß der Gegenſatz von Reichen und Armen ſtärker empfunden wurde,
bildete ſich auch erſt in ausgeprägterer Weiſe die Unterſcheidung reicher und armer Stämme
und Völker.
Im Bereich dieſer rechnenden und auf Gewinn ſpekulierenden Unternehmungen
entſtand zuerſt die verſtandes- und zahlenmäßige Erfaſſung aller Vorgänge des Wirt-
ſchaftslebens, das Buchen und Rechnen mit Wertgrößen und in Geldpreiſen, die Ver-
gleichung von Einnahme und Ausgabe, von Aufwand und Erfolg, die Berechnung
des Rohertrages der für eine Produktion aufgewendeten Koſten und des nach Abzug
der Produktionskoſten erzielten Reinertrages. Und alle unter die Kontrolle ſolcher Über-
legungen und Rechnungen geſtellte menſchliche Thätigkeit wird nun als ſpecifiſch wirt-
ſchaftlich bezeichnet; die Tugend der Wirtſchaftlichkeit iſt die planvoll berechnende, klug
den höchſten Erfolg mit den kleinſten Mitteln erreichende menſchliche Thätigkeit, ob ſie
nun direkt auf Wirtſchafts- oder andere Zwecke gehe. Und jede andere nicht wirt-
ſchaftliche Thätigkeit, die im Syſtem der Arbeitsteilung ein Entgelt fordert, wie die
des Lehrers, Richters, Künſtlers, erhält durch dieſe Entgeltung, durch die Abſicht, mit
ihr ſich einen Lebensunterhalt zu ſchaffen, eine wirtſchaftliche Seite.
So hat das Wort „Wirtſchaften“ neben ſeiner urſprünglich konkreten Bedeutung
noch eine Reihe von verwandten Nebenvorſtellungen in ſich aufgenommen; aber der
Kern des Begriffs iſt derſelbe geblieben. Er umfaßt nicht alles „Arbeiten“, denn es
giebt ein Arbeiten für höhere, nicht wirtſchaftliche Zwecke; nicht alle Thätigkeit für
äußere Bedürfnisbefriedigung, denn dazu gehört auch das Turnen, das Spazierengehen,
die Geſundheitspflege. Die Verflechtung der Thätigkeit in einen entgeltlichen Austauſch
iſt nur einem freilich wachſenden Teil der wirtſchaftlichen Thätigkeit bei höherer Kultur
eigen. Was das Individuum für ſich, für ſeine Familie, für Gemeinde und Staat
wirtſchaftlich ſchafft, ohne direkt bezahlt zu werden, gehört dem Kreiſe nicht minder an,
als was für den Markt produziert wird. Die wirtſchaftliche Produktion von Gütern,
Vorräten, Waren iſt das Hauptgebiet der Wirtſchaftsthätigkeit; aber auch die Leiſtungen
von wirtſchaftlichen Dienſten, die Handelsthätigkeit gehören dazu.
Die wirtſchaftliche Produktion beſteht ſtets in einem aktiven Eingreifen des
Menſchen in den großen, nie ruhenden Naturprozeß; er ſoll ſo geſtaltet werden, daß
die Kräfte der Natur dem Menſchen am wenigſten ſchaden, ihm am meiſten nützen.
Die in unbegrenzter Menge von der Natur dem Menſchen ſo gebotenen Güter, daß er
ſie ohne weiteres genießen und nützen kann, nennen wir freie, die in begrenzter Menge
vorkommenden und daher in das Eigentum von einzelnen oder Korporationen gekomme-
nen, vom Menſchen umgeformten nennen wir wirtſchaftliche Güter oder Güter
ſchlechtweg. Die möglichſt reiche Verſorgung mit Gütern iſt der Hauptzweck des wirt-
ſchaftlichen Schaffens. Je reichlicher dieſe Verſorgung wird, deſto geſicherter iſt unſere
Exiſtenz, deſto mehr können Vorräte für die Zukunft zurückgelegt werden, deſto mehr
kann ſtatt der direkten Gütererzeugung die indirekte, techniſch und geſellſchaftlich kom-
plizierte angeſtrebt werden. Das geſchieht durch Schaffung komplizierterer techniſcher
Vorrichtungen, wie z. B. durch Bau einer Waſſerleitung ſtatt des Schöpfens an der
Quelle; jeder richtige Fortſchritt nach dieſer Seite ſetzt voraus, daß wir, mit wirtſchaft-
lichen Vorräten verſehen, auf den augenblicklichen Erfolg verzichten können, um einen
größeren künftigen Erfolg, eine Mehrerzeugung oder Kräfteerſparung in der Zukunft zu
erreichen. —
3. Der Begriff der Wirtſchaften als geſellſchaftlicher Organe
und der Volkswirtſchaft. All’ das geſchieht nun in der Form von einzelnen
„Wirtſchaften“. Wir verſtehen unter einer „Wirtſchaft“ einen kleineren oder größeren
Kreis zuſammengehöriger Perſonen, welche durch irgend welche pſychiſche, ſittliche und
rechtliche Bande verbunden, mit und teilweiſe auch für einander oder andere wirt-
ſchaften. Auch die einzelne Perſon kann unter Umſtänden eine Wirtſchaft für ſich führen
oder bilden; meiſt aber iſt ſie ein Glied innerhalb einer oder mehrerer größerer Wirt-
1*
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |