Erdoberfläche. Die heiße Zone macht sonach etwa die Hälfte der Erde aus, aber sie enthält nur ein Viertel Land, drei Viertel Meer.
Eine Einheitlichkeit des Klimas ist natürlich auch in der tropischen oder sub- tropischen sowie in der gemäßigten Zone nicht vorhanden: See- und Kontinentalklima unterscheiden sich ebenso in jeder Zone wie Höhen- und Niederungsklima. Nordamerika ist viel kälter als Nordeuropa, weil letzteres mehr den südwestlichen warmen Wasser- und Luftströmungen ausgesetzt ist; Rom und Newyork liegen unter demselben Breiten- grad, und erstere Stadt ist doch sehr viel wärmer. Es giebt kühle Hochebenen in den Tropen und milde Küstenstriche im Polarkreise. Die Erhebung ist im Norden vielfach mäßig, im Süden groß, was dort die Kälte, hier die Glühhitze mildert. Endlich ist gleiche Wärme und Feuchtigkeit von sehr verschiedener Wirkung bei regelmäßig stark bewegter und bei toter Luft. Starke Luftbewegung regt alles Leben an. Aber wir dürfen auf diese Ausnahmen hier nicht eingehen, müssen uns begnügen, das Wichtigste über die klimatischen Unterschiede der Hauptzonen zu sagen, wobei wir die Wärme und ihre Wirkung in den Mittelpunkt der Betrachtung stellen, jedoch zugleich auf die mittlere Regenmenge blicken müssen. "Die Wärmetabellen sind eine Stufenleiter für die Haupt- bedingungen der Volkswirtschaft." Am 90.° nördlicher Breite ist die Jahrestemperatur -- 20,0°, am 65. -- 4,3, am 55. + 2,3, am 45. + 9,6, am 35. + 17,1, am 25. + 23,7, am 15. und 5. + 26,3 und 26,1° Celsius. In Bezug auf die mittlere jährliche Regen- menge unterscheidet man die niederschlagsarmen Gebiete, welche jährlich nur bis 250 mm Regen haben, die mittleren Gebiete mit 250--1000 mm und die niederschlagsreichen mit über 1000, ja über 4000 mm. Zu den begünstigten mittleren gehören Central- und Westeuropa, Ostchina, die Osthälfte der vereinigten Staaten; das niederschlags- arme und darum so vielfach unfruchtbare Gebiet ist viel größer als die beiden anderen Teile zusammen. Dazu gehören Central- und Südafrika, Westamerika, Osteuropa, ein großer Teil Asiens und Australiens. Schon in Ungarn und Rußland, vollends in Centralasien sinken die Niederschläge bedenklich, hier wie in der Sahara bis auf Null.
Günstige Wärme- und Feuchtigkeitsverhältnisse fördern unter sonst gleichen Ver- hältnissen alles wirtschaftliche Leben, ungünstige hemmen oder vernichten es. Die Produktion der wichtigsten wirtschaftlichen Güter und aller Konsum ist hievon abhängig. Die Größe und Art der Ernten, die verfügbaren Pflanzen und Tiere, die Leichtigkeit oder Schwierigkeit ihrer Gewinnung ist vom Klima beherrscht. Ein Bananenfeld der warmen Zone, sagt Ritter, ernährt 25-, Humboldt sagt 133mal so viel Menschen als ein gleich großes Weizenfeld. Die Arbeit des Familienvaters während zweier Tage ernährt am Fuße des mexikanischen Gebirges leicht die ganze Familie. Der Mensch braucht im Süden weniger Fleisch und Fett, keine Spirituosen, wenig oder kein Heiz- material; seine Wohnung ist leicht herzustellen, seine Kleidung so viel billiger. Kurz, die wirtschaftliche Existenz ist sehr viel leichter, es können auf derselben Fläche mit geringerer Technik mehr Menschen leben. Selbst in den europäischen Staaten zeigt sich meist ein erheblicher klimatischer Unterschied zwischen Nord und Süd, der alle wirt- schaftlichen Sitten beeinflußt. Man ist im Norden etwas häuslicher, sparsamer, meist auch arbeitsamer; im Süden lebt man besser, läßt sich mehr gehen. Damit tritt freilich auch die Folge hervor, daß die Gunst des Klimas sich in ungünstigere wirtschaftliche Eigenschaften der Menschen umsetzen kann und häufig umsetzen wird. Ratzel spricht in solchem Zusammenhange von einem Leben in den Tag hinein, von einem allgemeinen proletarierhaften Zug, den die europäischen Völker des Südens hätten.
Unter den speciellen Wirkungen des Klimas auf das wirtschaftliche Leben möchte ich noch die auf die Jahres- und Tageszeiten hervorheben, deren Verschiedenheit nicht bloß die Flora der einzelnen Länder und Zonen mit beeinflußt sondern auch die ganze Haus- und Landwirtschaftsführung bestimmt und bedingt. Nur in der gemäßigten Zone haben wir die uns allbekannten vier Jahreszeiten: Frühling, Sommer, Herbst und Winter nebst den langen Sommer- und den kurzen Wintertagen mit all ihren Folgen; hier ist es nötig, im Sommer und Herbst für den Winter zu sorgen; aller landwirt- schaftliche Betrieb, alle Einteilung der Arbeit ist dadurch bedingt; der Mensch wird
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Das Klima und ſeine wirtſchaftlichen Folgen.
Erdoberfläche. Die heiße Zone macht ſonach etwa die Hälfte der Erde aus, aber ſie enthält nur ein Viertel Land, drei Viertel Meer.
Eine Einheitlichkeit des Klimas iſt natürlich auch in der tropiſchen oder ſub- tropiſchen ſowie in der gemäßigten Zone nicht vorhanden: See- und Kontinentalklima unterſcheiden ſich ebenſo in jeder Zone wie Höhen- und Niederungsklima. Nordamerika iſt viel kälter als Nordeuropa, weil letzteres mehr den ſüdweſtlichen warmen Waſſer- und Luftſtrömungen ausgeſetzt iſt; Rom und Newyork liegen unter demſelben Breiten- grad, und erſtere Stadt iſt doch ſehr viel wärmer. Es giebt kühle Hochebenen in den Tropen und milde Küſtenſtriche im Polarkreiſe. Die Erhebung iſt im Norden vielfach mäßig, im Süden groß, was dort die Kälte, hier die Glühhitze mildert. Endlich iſt gleiche Wärme und Feuchtigkeit von ſehr verſchiedener Wirkung bei regelmäßig ſtark bewegter und bei toter Luft. Starke Luftbewegung regt alles Leben an. Aber wir dürfen auf dieſe Ausnahmen hier nicht eingehen, müſſen uns begnügen, das Wichtigſte über die klimatiſchen Unterſchiede der Hauptzonen zu ſagen, wobei wir die Wärme und ihre Wirkung in den Mittelpunkt der Betrachtung ſtellen, jedoch zugleich auf die mittlere Regenmenge blicken müſſen. „Die Wärmetabellen ſind eine Stufenleiter für die Haupt- bedingungen der Volkswirtſchaft.“ Am 90.° nördlicher Breite iſt die Jahrestemperatur — 20,0°, am 65. — 4,3, am 55. + 2,3, am 45. + 9,6, am 35. + 17,1, am 25. + 23,7, am 15. und 5. + 26,3 und 26,1° Celſius. In Bezug auf die mittlere jährliche Regen- menge unterſcheidet man die niederſchlagsarmen Gebiete, welche jährlich nur bis 250 mm Regen haben, die mittleren Gebiete mit 250—1000 mm und die niederſchlagsreichen mit über 1000, ja über 4000 mm. Zu den begünſtigten mittleren gehören Central- und Weſteuropa, Oſtchina, die Oſthälfte der vereinigten Staaten; das niederſchlags- arme und darum ſo vielfach unfruchtbare Gebiet iſt viel größer als die beiden anderen Teile zuſammen. Dazu gehören Central- und Südafrika, Weſtamerika, Oſteuropa, ein großer Teil Aſiens und Auſtraliens. Schon in Ungarn und Rußland, vollends in Centralaſien ſinken die Niederſchläge bedenklich, hier wie in der Sahara bis auf Null.
Günſtige Wärme- und Feuchtigkeitsverhältniſſe fördern unter ſonſt gleichen Ver- hältniſſen alles wirtſchaftliche Leben, ungünſtige hemmen oder vernichten es. Die Produktion der wichtigſten wirtſchaftlichen Güter und aller Konſum iſt hievon abhängig. Die Größe und Art der Ernten, die verfügbaren Pflanzen und Tiere, die Leichtigkeit oder Schwierigkeit ihrer Gewinnung iſt vom Klima beherrſcht. Ein Bananenfeld der warmen Zone, ſagt Ritter, ernährt 25-, Humboldt ſagt 133mal ſo viel Menſchen als ein gleich großes Weizenfeld. Die Arbeit des Familienvaters während zweier Tage ernährt am Fuße des mexikaniſchen Gebirges leicht die ganze Familie. Der Menſch braucht im Süden weniger Fleiſch und Fett, keine Spirituoſen, wenig oder kein Heiz- material; ſeine Wohnung iſt leicht herzuſtellen, ſeine Kleidung ſo viel billiger. Kurz, die wirtſchaftliche Exiſtenz iſt ſehr viel leichter, es können auf derſelben Fläche mit geringerer Technik mehr Menſchen leben. Selbſt in den europäiſchen Staaten zeigt ſich meiſt ein erheblicher klimatiſcher Unterſchied zwiſchen Nord und Süd, der alle wirt- ſchaftlichen Sitten beeinflußt. Man iſt im Norden etwas häuslicher, ſparſamer, meiſt auch arbeitſamer; im Süden lebt man beſſer, läßt ſich mehr gehen. Damit tritt freilich auch die Folge hervor, daß die Gunſt des Klimas ſich in ungünſtigere wirtſchaftliche Eigenſchaften der Menſchen umſetzen kann und häufig umſetzen wird. Ratzel ſpricht in ſolchem Zuſammenhange von einem Leben in den Tag hinein, von einem allgemeinen proletarierhaften Zug, den die europäiſchen Völker des Südens hätten.
Unter den ſpeciellen Wirkungen des Klimas auf das wirtſchaftliche Leben möchte ich noch die auf die Jahres- und Tageszeiten hervorheben, deren Verſchiedenheit nicht bloß die Flora der einzelnen Länder und Zonen mit beeinflußt ſondern auch die ganze Haus- und Landwirtſchaftsführung beſtimmt und bedingt. Nur in der gemäßigten Zone haben wir die uns allbekannten vier Jahreszeiten: Frühling, Sommer, Herbſt und Winter nebſt den langen Sommer- und den kurzen Wintertagen mit all ihren Folgen; hier iſt es nötig, im Sommer und Herbſt für den Winter zu ſorgen; aller landwirt- ſchaftliche Betrieb, alle Einteilung der Arbeit iſt dadurch bedingt; der Menſch wird
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Das Klima und ſeine wirtſchaftlichen Folgen.
Erdoberfläche. Die heiße Zone macht ſonach etwa die Hälfte der Erde aus, aber ſie
enthält nur ein Viertel Land, drei Viertel Meer.
Eine Einheitlichkeit des Klimas iſt natürlich auch in der tropiſchen oder ſub-
tropiſchen ſowie in der gemäßigten Zone nicht vorhanden: See- und Kontinentalklima
unterſcheiden ſich ebenſo in jeder Zone wie Höhen- und Niederungsklima. Nordamerika
iſt viel kälter als Nordeuropa, weil letzteres mehr den ſüdweſtlichen warmen Waſſer-
und Luftſtrömungen ausgeſetzt iſt; Rom und Newyork liegen unter demſelben Breiten-
grad, und erſtere Stadt iſt doch ſehr viel wärmer. Es giebt kühle Hochebenen in den
Tropen und milde Küſtenſtriche im Polarkreiſe. Die Erhebung iſt im Norden vielfach
mäßig, im Süden groß, was dort die Kälte, hier die Glühhitze mildert. Endlich iſt
gleiche Wärme und Feuchtigkeit von ſehr verſchiedener Wirkung bei regelmäßig ſtark
bewegter und bei toter Luft. Starke Luftbewegung regt alles Leben an. Aber wir
dürfen auf dieſe Ausnahmen hier nicht eingehen, müſſen uns begnügen, das Wichtigſte
über die klimatiſchen Unterſchiede der Hauptzonen zu ſagen, wobei wir die Wärme und
ihre Wirkung in den Mittelpunkt der Betrachtung ſtellen, jedoch zugleich auf die mittlere
Regenmenge blicken müſſen. „Die Wärmetabellen ſind eine Stufenleiter für die Haupt-
bedingungen der Volkswirtſchaft.“ Am 90.° nördlicher Breite iſt die Jahrestemperatur
— 20,0°, am 65. — 4,3, am 55. + 2,3, am 45. + 9,6, am 35. + 17,1, am 25. + 23,7,
am 15. und 5. + 26,3 und 26,1° Celſius. In Bezug auf die mittlere jährliche Regen-
menge unterſcheidet man die niederſchlagsarmen Gebiete, welche jährlich nur bis 250 mm
Regen haben, die mittleren Gebiete mit 250—1000 mm und die niederſchlagsreichen
mit über 1000, ja über 4000 mm. Zu den begünſtigten mittleren gehören Central-
und Weſteuropa, Oſtchina, die Oſthälfte der vereinigten Staaten; das niederſchlags-
arme und darum ſo vielfach unfruchtbare Gebiet iſt viel größer als die beiden anderen
Teile zuſammen. Dazu gehören Central- und Südafrika, Weſtamerika, Oſteuropa, ein
großer Teil Aſiens und Auſtraliens. Schon in Ungarn und Rußland, vollends in
Centralaſien ſinken die Niederſchläge bedenklich, hier wie in der Sahara bis auf Null.
Günſtige Wärme- und Feuchtigkeitsverhältniſſe fördern unter ſonſt gleichen Ver-
hältniſſen alles wirtſchaftliche Leben, ungünſtige hemmen oder vernichten es. Die
Produktion der wichtigſten wirtſchaftlichen Güter und aller Konſum iſt hievon abhängig.
Die Größe und Art der Ernten, die verfügbaren Pflanzen und Tiere, die Leichtigkeit
oder Schwierigkeit ihrer Gewinnung iſt vom Klima beherrſcht. Ein Bananenfeld der
warmen Zone, ſagt Ritter, ernährt 25-, Humboldt ſagt 133mal ſo viel Menſchen als
ein gleich großes Weizenfeld. Die Arbeit des Familienvaters während zweier Tage
ernährt am Fuße des mexikaniſchen Gebirges leicht die ganze Familie. Der Menſch
braucht im Süden weniger Fleiſch und Fett, keine Spirituoſen, wenig oder kein Heiz-
material; ſeine Wohnung iſt leicht herzuſtellen, ſeine Kleidung ſo viel billiger. Kurz,
die wirtſchaftliche Exiſtenz iſt ſehr viel leichter, es können auf derſelben Fläche mit
geringerer Technik mehr Menſchen leben. Selbſt in den europäiſchen Staaten zeigt
ſich meiſt ein erheblicher klimatiſcher Unterſchied zwiſchen Nord und Süd, der alle wirt-
ſchaftlichen Sitten beeinflußt. Man iſt im Norden etwas häuslicher, ſparſamer, meiſt
auch arbeitſamer; im Süden lebt man beſſer, läßt ſich mehr gehen. Damit tritt freilich
auch die Folge hervor, daß die Gunſt des Klimas ſich in ungünſtigere wirtſchaftliche
Eigenſchaften der Menſchen umſetzen kann und häufig umſetzen wird. Ratzel ſpricht in
ſolchem Zuſammenhange von einem Leben in den Tag hinein, von einem allgemeinen
proletarierhaften Zug, den die europäiſchen Völker des Südens hätten.
Unter den ſpeciellen Wirkungen des Klimas auf das wirtſchaftliche Leben möchte
ich noch die auf die Jahres- und Tageszeiten hervorheben, deren Verſchiedenheit nicht
bloß die Flora der einzelnen Länder und Zonen mit beeinflußt ſondern auch die ganze
Haus- und Landwirtſchaftsführung beſtimmt und bedingt. Nur in der gemäßigten Zone
haben wir die uns allbekannten vier Jahreszeiten: Frühling, Sommer, Herbſt und
Winter nebſt den langen Sommer- und den kurzen Wintertagen mit all ihren Folgen;
hier iſt es nötig, im Sommer und Herbſt für den Winter zu ſorgen; aller landwirt-
ſchaftliche Betrieb, alle Einteilung der Arbeit iſt dadurch bedingt; der Menſch wird
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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/147>, abgerufen am 30.01.2025.
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