53. Die Erdoberfläche, die Kontinente und Länder. Wenn wir die Oberfläche der Erde, ihre verschiedene Gestaltung, Polhöhe und Erhebung, ihre gesamten Kräfte und Schätze vom Standpunkte der wirtschaftlichen Zwecke betrachten, so ist zunächst klar, daß sie eine begrenzte Raumfläche von 9,26 Mill. Quadratmeilen oder 509 Mill. qkm ausmacht, daß von dieser Fläche 2,5 Teile auf das nur für Verkehr und Fischerei benutzte Wasser, 1 Teil auf das Land fällt, daß von dem Lande die bewohn- und bebaubare Fläche auch nur einen Teil, selbst in den Kulturstaaten der gemäßigten Zone teilweise nicht viel über die Hälfte ausmacht. Der ganze Norden und der ganze Süden der Erde ist wirtschaftlicher Kultur fast unzugänglich; die Gebirge sind es teilweise auch; Wüsten, wie die Sahara mit ihren 114000 Quadratmeilen oder 6,27 Mill. qkm und die Gobi mit 41800 Quadratmeilen oder 2,3 Mill. qkm, begrenzen die Lebensmöglichkeit ganzer Erdteile sehr. Und mag diese allgemeine Raumgrenze für die kleine Zahl von Menschen primitiver und älterer Kultur scheinbar nicht vorhanden gewesen sein, erscheint sie den Schwärmern für technischen und kolonisatorischen Fort- schritt oft heute noch als in unbegrenzter Ferne, auf den Höhepunkten der geschichtlichen Entwickelung zeigte sich doch immer rasch das Ergebnis, daß die bekannte Welt besetzt und geteilt war, und vollends die Gegenwart mit ihren Verkehrsmitteln und ihrem geographischen Wissen, mit ihren Millionenvölkern kann sich der Einsicht nicht ver- schließen, daß die bewohn- und benutzbare Erde eine feste und so ziemlich verteilte, nicht stark vermehrbare Größe sei. Die Stämme und Völker haben die Erdteile, die kleinen Gruppen und Individuen die Länder unter sich geteilt und müssen stets diese Teile völker- und privatrechtlich festhalten, weil an Land, und zumal an gutem, entfernt nicht so viel vorhanden ist wie begehrt wird.
Die Erhebung der Erdoberfläche hat die Figur der Kontinente, d. h. der großen, zusammenhängenden Ländergruppen, wie sie über das Meer emporragen, bestimmt. Es ist eine Gestaltung, die in älteren Erdepochen eine andere war, auch jetzt noch steten kleinen Veränderungen ausgesetzt ist, für unser geschichtliches Bewußtsein aber doch seit Jahrtausenden eine feste, kaum wandelbare Thatsache bildet. Aus den überwiegenden Meeresflächen erheben sich die drei zusammenhängenden Weltteile Asien, Europa und Afrika und weit getrennt von ihnen Amerika und Australien. Die nördliche Hälfte der Erde hat fast dreimal so viel Land und achtmal so viel Menschen als die südliche, sie ist besonders im asiatisch-europäischen Teile stets der Boden der höheren Kultur gewesen.
Asien umfaßt über ein Drittel des Bodens aller Kontinente; im Norden stellt es eine ungeheure, vielfach unwirtliche Tiefebene, in der Mitte ein System höchster Gebirge und ausgedehnter Hochplateaus, die schroff nach Süden, in Stufen nach Norden abfallen, im Süden eine Reihe von Halbinseln und Inseln dar, welche in die heiße Zone hinein- reichen. Die Gebirge und Hochebenen der Mitte haben bisher den Verkehr zwischen Nord und Süd, Ost und West fast unmöglich gemacht und damit die ganze Geschichte Asiens im Sinne eines Zurückbleibens der Kultur im ganzen bei reicher Entwickelung des Südens und eigenartiger Rassenbeeinflussung durch die Mitte bestimmt; hier ent- standen jene Nomaden- und Bergstämme, welche sich die Welt unterwarfen. Der ganze Erdteil ist so vielgestaltig, daß die verschiedenartigsten Völker und Wirtschaftsformen hier entstanden: Jagd-, Räuber-, Hirten-, Ackerbau- und seefahrende Völker, deren Reibung und Mischung in Zusammenhang mit Klima, Tier- und Pflanzenwelt Asiens die älteste Kultur erzeugte.
Auf eine Meile Küste hat Asien 115, Afrika 156, Europa nur 40 Quadratmeilen Landes. Afrika ist also viel kompakter, Europa sehr viel gegliederter als Asien. Afrika ist stromarm, im Süden Hochplateau und vielfach wasserlos, im Norden Wüste; nur zeitweise und sporadisch hat es an seinem von Natur begünstigten Nordrand ein reicheres wirtschaftliches Leben erzeugt, während Europa durch seine Gestaltung und sein Klima zum Mittelpunkte der neueren Kultur wurde. Fast ohne Wüste und Steppe, fast ohne jene Hochgebirge, die gänzlich trennen, ohne viel Hochplateaus, von großen Strömen aufgeschlossen, ein Hügel- und Stufenland mit reichen Ebenen, am gleich-
Erſtes Buch. Land, Leute und Technik.
53. Die Erdoberfläche, die Kontinente und Länder. Wenn wir die Oberfläche der Erde, ihre verſchiedene Geſtaltung, Polhöhe und Erhebung, ihre geſamten Kräfte und Schätze vom Standpunkte der wirtſchaftlichen Zwecke betrachten, ſo iſt zunächſt klar, daß ſie eine begrenzte Raumfläche von 9,26 Mill. Quadratmeilen oder 509 Mill. qkm ausmacht, daß von dieſer Fläche 2,5 Teile auf das nur für Verkehr und Fiſcherei benutzte Waſſer, 1 Teil auf das Land fällt, daß von dem Lande die bewohn- und bebaubare Fläche auch nur einen Teil, ſelbſt in den Kulturſtaaten der gemäßigten Zone teilweiſe nicht viel über die Hälfte ausmacht. Der ganze Norden und der ganze Süden der Erde iſt wirtſchaftlicher Kultur faſt unzugänglich; die Gebirge ſind es teilweiſe auch; Wüſten, wie die Sahara mit ihren 114000 Quadratmeilen oder 6,27 Mill. qkm und die Gobi mit 41800 Quadratmeilen oder 2,3 Mill. qkm, begrenzen die Lebensmöglichkeit ganzer Erdteile ſehr. Und mag dieſe allgemeine Raumgrenze für die kleine Zahl von Menſchen primitiver und älterer Kultur ſcheinbar nicht vorhanden geweſen ſein, erſcheint ſie den Schwärmern für techniſchen und koloniſatoriſchen Fort- ſchritt oft heute noch als in unbegrenzter Ferne, auf den Höhepunkten der geſchichtlichen Entwickelung zeigte ſich doch immer raſch das Ergebnis, daß die bekannte Welt beſetzt und geteilt war, und vollends die Gegenwart mit ihren Verkehrsmitteln und ihrem geographiſchen Wiſſen, mit ihren Millionenvölkern kann ſich der Einſicht nicht ver- ſchließen, daß die bewohn- und benutzbare Erde eine feſte und ſo ziemlich verteilte, nicht ſtark vermehrbare Größe ſei. Die Stämme und Völker haben die Erdteile, die kleinen Gruppen und Individuen die Länder unter ſich geteilt und müſſen ſtets dieſe Teile völker- und privatrechtlich feſthalten, weil an Land, und zumal an gutem, entfernt nicht ſo viel vorhanden iſt wie begehrt wird.
Die Erhebung der Erdoberfläche hat die Figur der Kontinente, d. h. der großen, zuſammenhängenden Ländergruppen, wie ſie über das Meer emporragen, beſtimmt. Es iſt eine Geſtaltung, die in älteren Erdepochen eine andere war, auch jetzt noch ſteten kleinen Veränderungen ausgeſetzt iſt, für unſer geſchichtliches Bewußtſein aber doch ſeit Jahrtauſenden eine feſte, kaum wandelbare Thatſache bildet. Aus den überwiegenden Meeresflächen erheben ſich die drei zuſammenhängenden Weltteile Aſien, Europa und Afrika und weit getrennt von ihnen Amerika und Auſtralien. Die nördliche Hälfte der Erde hat faſt dreimal ſo viel Land und achtmal ſo viel Menſchen als die ſüdliche, ſie iſt beſonders im aſiatiſch-europäiſchen Teile ſtets der Boden der höheren Kultur geweſen.
Aſien umfaßt über ein Drittel des Bodens aller Kontinente; im Norden ſtellt es eine ungeheure, vielfach unwirtliche Tiefebene, in der Mitte ein Syſtem höchſter Gebirge und ausgedehnter Hochplateaus, die ſchroff nach Süden, in Stufen nach Norden abfallen, im Süden eine Reihe von Halbinſeln und Inſeln dar, welche in die heiße Zone hinein- reichen. Die Gebirge und Hochebenen der Mitte haben bisher den Verkehr zwiſchen Nord und Süd, Oſt und Weſt faſt unmöglich gemacht und damit die ganze Geſchichte Aſiens im Sinne eines Zurückbleibens der Kultur im ganzen bei reicher Entwickelung des Südens und eigenartiger Raſſenbeeinfluſſung durch die Mitte beſtimmt; hier ent- ſtanden jene Nomaden- und Bergſtämme, welche ſich die Welt unterwarfen. Der ganze Erdteil iſt ſo vielgeſtaltig, daß die verſchiedenartigſten Völker und Wirtſchaftsformen hier entſtanden: Jagd-, Räuber-, Hirten-, Ackerbau- und ſeefahrende Völker, deren Reibung und Miſchung in Zuſammenhang mit Klima, Tier- und Pflanzenwelt Aſiens die älteſte Kultur erzeugte.
Auf eine Meile Küſte hat Aſien 115, Afrika 156, Europa nur 40 Quadratmeilen Landes. Afrika iſt alſo viel kompakter, Europa ſehr viel gegliederter als Aſien. Afrika iſt ſtromarm, im Süden Hochplateau und vielfach waſſerlos, im Norden Wüſte; nur zeitweiſe und ſporadiſch hat es an ſeinem von Natur begünſtigten Nordrand ein reicheres wirtſchaftliches Leben erzeugt, während Europa durch ſeine Geſtaltung und ſein Klima zum Mittelpunkte der neueren Kultur wurde. Faſt ohne Wüſte und Steppe, faſt ohne jene Hochgebirge, die gänzlich trennen, ohne viel Hochplateaus, von großen Strömen aufgeſchloſſen, ein Hügel- und Stufenland mit reichen Ebenen, am gleich-
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[128/0144]
Erſtes Buch. Land, Leute und Technik.
53. Die Erdoberfläche, die Kontinente und Länder. Wenn wir die
Oberfläche der Erde, ihre verſchiedene Geſtaltung, Polhöhe und Erhebung, ihre geſamten
Kräfte und Schätze vom Standpunkte der wirtſchaftlichen Zwecke betrachten, ſo iſt
zunächſt klar, daß ſie eine begrenzte Raumfläche von 9,26 Mill. Quadratmeilen oder
509 Mill. qkm ausmacht, daß von dieſer Fläche 2,5 Teile auf das nur für Verkehr
und Fiſcherei benutzte Waſſer, 1 Teil auf das Land fällt, daß von dem Lande die
bewohn- und bebaubare Fläche auch nur einen Teil, ſelbſt in den Kulturſtaaten der
gemäßigten Zone teilweiſe nicht viel über die Hälfte ausmacht. Der ganze Norden
und der ganze Süden der Erde iſt wirtſchaftlicher Kultur faſt unzugänglich; die Gebirge
ſind es teilweiſe auch; Wüſten, wie die Sahara mit ihren 114000 Quadratmeilen oder
6,27 Mill. qkm und die Gobi mit 41800 Quadratmeilen oder 2,3 Mill. qkm, begrenzen
die Lebensmöglichkeit ganzer Erdteile ſehr. Und mag dieſe allgemeine Raumgrenze für
die kleine Zahl von Menſchen primitiver und älterer Kultur ſcheinbar nicht vorhanden
geweſen ſein, erſcheint ſie den Schwärmern für techniſchen und koloniſatoriſchen Fort-
ſchritt oft heute noch als in unbegrenzter Ferne, auf den Höhepunkten der geſchichtlichen
Entwickelung zeigte ſich doch immer raſch das Ergebnis, daß die bekannte Welt beſetzt
und geteilt war, und vollends die Gegenwart mit ihren Verkehrsmitteln und ihrem
geographiſchen Wiſſen, mit ihren Millionenvölkern kann ſich der Einſicht nicht ver-
ſchließen, daß die bewohn- und benutzbare Erde eine feſte und ſo ziemlich verteilte, nicht
ſtark vermehrbare Größe ſei. Die Stämme und Völker haben die Erdteile, die kleinen
Gruppen und Individuen die Länder unter ſich geteilt und müſſen ſtets dieſe Teile
völker- und privatrechtlich feſthalten, weil an Land, und zumal an gutem, entfernt nicht
ſo viel vorhanden iſt wie begehrt wird.
Die Erhebung der Erdoberfläche hat die Figur der Kontinente, d. h. der großen,
zuſammenhängenden Ländergruppen, wie ſie über das Meer emporragen, beſtimmt. Es
iſt eine Geſtaltung, die in älteren Erdepochen eine andere war, auch jetzt noch ſteten
kleinen Veränderungen ausgeſetzt iſt, für unſer geſchichtliches Bewußtſein aber doch ſeit
Jahrtauſenden eine feſte, kaum wandelbare Thatſache bildet. Aus den überwiegenden
Meeresflächen erheben ſich die drei zuſammenhängenden Weltteile Aſien, Europa und
Afrika und weit getrennt von ihnen Amerika und Auſtralien. Die nördliche Hälfte
der Erde hat faſt dreimal ſo viel Land und achtmal ſo viel Menſchen als die ſüdliche,
ſie iſt beſonders im aſiatiſch-europäiſchen Teile ſtets der Boden der höheren Kultur
geweſen.
Aſien umfaßt über ein Drittel des Bodens aller Kontinente; im Norden ſtellt es
eine ungeheure, vielfach unwirtliche Tiefebene, in der Mitte ein Syſtem höchſter Gebirge
und ausgedehnter Hochplateaus, die ſchroff nach Süden, in Stufen nach Norden abfallen,
im Süden eine Reihe von Halbinſeln und Inſeln dar, welche in die heiße Zone hinein-
reichen. Die Gebirge und Hochebenen der Mitte haben bisher den Verkehr zwiſchen
Nord und Süd, Oſt und Weſt faſt unmöglich gemacht und damit die ganze Geſchichte
Aſiens im Sinne eines Zurückbleibens der Kultur im ganzen bei reicher Entwickelung
des Südens und eigenartiger Raſſenbeeinfluſſung durch die Mitte beſtimmt; hier ent-
ſtanden jene Nomaden- und Bergſtämme, welche ſich die Welt unterwarfen. Der ganze
Erdteil iſt ſo vielgeſtaltig, daß die verſchiedenartigſten Völker und Wirtſchaftsformen
hier entſtanden: Jagd-, Räuber-, Hirten-, Ackerbau- und ſeefahrende Völker, deren
Reibung und Miſchung in Zuſammenhang mit Klima, Tier- und Pflanzenwelt Aſiens
die älteſte Kultur erzeugte.
Auf eine Meile Küſte hat Aſien 115, Afrika 156, Europa nur 40 Quadratmeilen
Landes. Afrika iſt alſo viel kompakter, Europa ſehr viel gegliederter als Aſien. Afrika
iſt ſtromarm, im Süden Hochplateau und vielfach waſſerlos, im Norden Wüſte; nur
zeitweiſe und ſporadiſch hat es an ſeinem von Natur begünſtigten Nordrand ein
reicheres wirtſchaftliches Leben erzeugt, während Europa durch ſeine Geſtaltung und ſein
Klima zum Mittelpunkte der neueren Kultur wurde. Faſt ohne Wüſte und Steppe,
faſt ohne jene Hochgebirge, die gänzlich trennen, ohne viel Hochplateaus, von großen
Strömen aufgeſchloſſen, ein Hügel- und Stufenland mit reichen Ebenen, am gleich-
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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/144>, abgerufen am 17.02.2025.
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