Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

Bild:
<< vorherige Seite

Einleitung. Begriff. Psychologische und sittliche Grundlage. Litteratur und Methode.
gewisser Gesamteindrücke durch einen produktiven Akt der Phantasie, der irren kann,
wenn nicht reiche Begabung und Schulung den Geist auf die rechte Bahn lenken. Die
Beschreibung vollends greift immer gewissermaßen über die Beobachtung hinaus, indem
sie feststehende Begriffe gebraucht, an feststehende Wahrheiten anknüpft, Folgerungen
aus dem Beobachteten ausspricht, die einzelnen Beobachtungen zu einem Gesamtbilde
vereinigt, Vergleichungen zur Erläuterung heranzieht. Die Zusammenfassung mehrerer
Beobachtungen und ihre Vergleichung, der Versuch, so ausprobierend Gesamtvorstellungen
über größere Gebiete des volkswirtschaftlichen Lebens zu schaffen, ist ein Hauptmittel,
in das Chaos zerstreuter Einzelheiten Einheit zu bringen. Es liegt darin auch der
Ansatz zu induktiven Schlüssen, wie alle Beschreibung ihren Hauptzweck darin hat, die
Induktion, d. h. den Schluß vom einzelnen auf das zu Grunde liegende Gesetz vor-
zubereiten; aber sie ist an sich noch nicht Induktion und dient ebenso der Deduktion
und ihrer Verifikation.

Je mehr freilich die größer angelegten Beschreibungen das analytisch im einzelnen
Festgestellte zu Synthesen zusammenfassen, je mehr sie von der elementaren Teilanalyse
zur kausalen, verknüpfenden Analyse vordringen, desto mehr werden wir vermuten, daß
nur der erfahrenste Sachkenner, der zugleich ein vollendeter Künstler ist, der mit kurzen
Strichen alles Wesentliche hervorzuheben versteht, Vollendetes leiste. Die geistigen Ope-
rationen dieser Art verlassen auch stets den Boden der bloßen Beobachtung und Be-
schreibung, sie umfassen die ganze Wissenschaft; -- die vollendete Beschreibung einer ganzen
Volkswirtschaft, einer volkswirtschaftlichen Institution, welche zugleich Kausalerklärung ist,
wird häufig teilweise hypothetisch und teleologisch verfahren; sie kann in Meisterhänden
doch so streng wissenschaftlich bleiben, daß sie wahrer Erkenntnis sehr nahe kommt.

Die vollendete Beschreibung wird in der Regel nicht vermeiden können, die im
Raum nebeneinander auftretenden, in der Zeit sich folgenden gleichen und ähnlichen
Erscheinungen heranzuziehen. Nur aus solcher Vergleichung ergiebt sich das Charakte-
ristische und Eigentümliche dessen, was man beschreibend klar machen will. Der Kurs
von heute ist nur verständlich neben dem von gestern, das Handwerk wird als typische
Erscheinung viel klarer, wenn ich Haus- und Großindustrie daneben stelle, die deutsche
Arbeiterversicherung wird erst recht verständlich, wenn ich sie mit der englischen vergleiche.
Die Beschreibung bedient sich so der vergleichenden Methode, welche neuerdings eine
steigende Bedeutung in den verschiedensten Wissenschaften und so auch in der unseren
erhalten hat. Das Verfahren führt natürlich in der Regel über die Beschreibung
hinaus zu Schlußfolgerungen allgemeiner Art. Und hier liegen auch wesentlich die
Fehler, welche die vergleichende Methode teilweise in Verruf gebracht haben. Gar manche
Gelehrte waren geneigt, wenn keine guten Beobachtungen vorlagen, unvollkommene zu
benutzen. Oftmals wurde nicht das Nächstliegende, aus nahen Zeiträumen und ähnlichen
Kulturverhältnissen Stammende miteinander verglichen, sondern Fanatiker der Ver-
gleichung stellten oberflächliche Notizen über eine ägyptische, eine römische, eine hotten-
tottische Einrichtung nebeneinander. Daraus konnten nur falsche Gesamtergebnisse und
schiefe Schlußfolgerungen hervorgehen.

Einen je größeren Teil ihres rohen Stoffes die Nationalökonomie anderen metho-
disch durchgebildeten Wissenschaften entnehmen kann, wie z. B. der Psychologie, Anthro-
pologie und Geographie, der Geschichte und Statistik, der Rechtsgeschichte, in desto besserer
Lage ist sie. Aber so sehr dies heute der Fall ist, so sehr damit die einzelnen Methoden
dieser verwandten Wissenschaften, zumal der Hülfswissenschaft der Statistik, damit zu
Methoden der Nationalökonomie selbst geworden sind, so sehr sie in ihrem geschichtlichen
Teile sich der philologisch-kritischen Methoden bedient, die dort ausgebildet wurden, so
wenig reicht doch häufig die den Stoff vorbereitende Thätigkeit der Nachbarwissenschaften
aus. Die Geschichte hat uns zahlreiche einzelne zusammenhangslose Zunfturkunden
mitgeteilt, erst der nationalökonomische Forscher sah, daß es nötig sei, einmal von einer
einzigen Zunft einige hundert Urkunden nebeneinander zu stellen; die Geschichte lieferte
uns manches Material über ältere Bevölkerungsbewegung; erst bevölkerungsstatistisch und
nationalökomisch geschulte Leute, wie Hume und Dieterici früher, neuerdings K. Bücher

Einleitung. Begriff. Pſychologiſche und ſittliche Grundlage. Litteratur und Methode.
gewiſſer Geſamteindrücke durch einen produktiven Akt der Phantaſie, der irren kann,
wenn nicht reiche Begabung und Schulung den Geiſt auf die rechte Bahn lenken. Die
Beſchreibung vollends greift immer gewiſſermaßen über die Beobachtung hinaus, indem
ſie feſtſtehende Begriffe gebraucht, an feſtſtehende Wahrheiten anknüpft, Folgerungen
aus dem Beobachteten ausſpricht, die einzelnen Beobachtungen zu einem Geſamtbilde
vereinigt, Vergleichungen zur Erläuterung heranzieht. Die Zuſammenfaſſung mehrerer
Beobachtungen und ihre Vergleichung, der Verſuch, ſo ausprobierend Geſamtvorſtellungen
über größere Gebiete des volkswirtſchaftlichen Lebens zu ſchaffen, iſt ein Hauptmittel,
in das Chaos zerſtreuter Einzelheiten Einheit zu bringen. Es liegt darin auch der
Anſatz zu induktiven Schlüſſen, wie alle Beſchreibung ihren Hauptzweck darin hat, die
Induktion, d. h. den Schluß vom einzelnen auf das zu Grunde liegende Geſetz vor-
zubereiten; aber ſie iſt an ſich noch nicht Induktion und dient ebenſo der Deduktion
und ihrer Verifikation.

Je mehr freilich die größer angelegten Beſchreibungen das analytiſch im einzelnen
Feſtgeſtellte zu Syntheſen zuſammenfaſſen, je mehr ſie von der elementaren Teilanalyſe
zur kauſalen, verknüpfenden Analyſe vordringen, deſto mehr werden wir vermuten, daß
nur der erfahrenſte Sachkenner, der zugleich ein vollendeter Künſtler iſt, der mit kurzen
Strichen alles Weſentliche hervorzuheben verſteht, Vollendetes leiſte. Die geiſtigen Ope-
rationen dieſer Art verlaſſen auch ſtets den Boden der bloßen Beobachtung und Be-
ſchreibung, ſie umfaſſen die ganze Wiſſenſchaft; — die vollendete Beſchreibung einer ganzen
Volkswirtſchaft, einer volkswirtſchaftlichen Inſtitution, welche zugleich Kauſalerklärung iſt,
wird häufig teilweiſe hypothetiſch und teleologiſch verfahren; ſie kann in Meiſterhänden
doch ſo ſtreng wiſſenſchaftlich bleiben, daß ſie wahrer Erkenntnis ſehr nahe kommt.

Die vollendete Beſchreibung wird in der Regel nicht vermeiden können, die im
Raum nebeneinander auftretenden, in der Zeit ſich folgenden gleichen und ähnlichen
Erſcheinungen heranzuziehen. Nur aus ſolcher Vergleichung ergiebt ſich das Charakte-
riſtiſche und Eigentümliche deſſen, was man beſchreibend klar machen will. Der Kurs
von heute iſt nur verſtändlich neben dem von geſtern, das Handwerk wird als typiſche
Erſcheinung viel klarer, wenn ich Haus- und Großinduſtrie daneben ſtelle, die deutſche
Arbeiterverſicherung wird erſt recht verſtändlich, wenn ich ſie mit der engliſchen vergleiche.
Die Beſchreibung bedient ſich ſo der vergleichenden Methode, welche neuerdings eine
ſteigende Bedeutung in den verſchiedenſten Wiſſenſchaften und ſo auch in der unſeren
erhalten hat. Das Verfahren führt natürlich in der Regel über die Beſchreibung
hinaus zu Schlußfolgerungen allgemeiner Art. Und hier liegen auch weſentlich die
Fehler, welche die vergleichende Methode teilweiſe in Verruf gebracht haben. Gar manche
Gelehrte waren geneigt, wenn keine guten Beobachtungen vorlagen, unvollkommene zu
benutzen. Oftmals wurde nicht das Nächſtliegende, aus nahen Zeiträumen und ähnlichen
Kulturverhältniſſen Stammende miteinander verglichen, ſondern Fanatiker der Ver-
gleichung ſtellten oberflächliche Notizen über eine ägyptiſche, eine römiſche, eine hotten-
tottiſche Einrichtung nebeneinander. Daraus konnten nur falſche Geſamtergebniſſe und
ſchiefe Schlußfolgerungen hervorgehen.

Einen je größeren Teil ihres rohen Stoffes die Nationalökonomie anderen metho-
diſch durchgebildeten Wiſſenſchaften entnehmen kann, wie z. B. der Pſychologie, Anthro-
pologie und Geographie, der Geſchichte und Statiſtik, der Rechtsgeſchichte, in deſto beſſerer
Lage iſt ſie. Aber ſo ſehr dies heute der Fall iſt, ſo ſehr damit die einzelnen Methoden
dieſer verwandten Wiſſenſchaften, zumal der Hülfswiſſenſchaft der Statiſtik, damit zu
Methoden der Nationalökonomie ſelbſt geworden ſind, ſo ſehr ſie in ihrem geſchichtlichen
Teile ſich der philologiſch-kritiſchen Methoden bedient, die dort ausgebildet wurden, ſo
wenig reicht doch häufig die den Stoff vorbereitende Thätigkeit der Nachbarwiſſenſchaften
aus. Die Geſchichte hat uns zahlreiche einzelne zuſammenhangsloſe Zunfturkunden
mitgeteilt, erſt der nationalökonomiſche Forſcher ſah, daß es nötig ſei, einmal von einer
einzigen Zunft einige hundert Urkunden nebeneinander zu ſtellen; die Geſchichte lieferte
uns manches Material über ältere Bevölkerungsbewegung; erſt bevölkerungsſtatiſtiſch und
nationalökomiſch geſchulte Leute, wie Hume und Dieterici früher, neuerdings K. Bücher

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0118" n="102"/><fw place="top" type="header">Einleitung. Begriff. P&#x017F;ychologi&#x017F;che und &#x017F;ittliche Grundlage. Litteratur und Methode.</fw><lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;er Ge&#x017F;amteindrücke durch einen produktiven Akt der Phanta&#x017F;ie, der irren kann,<lb/>
wenn nicht reiche Begabung und Schulung den Gei&#x017F;t auf die rechte Bahn lenken. Die<lb/>
Be&#x017F;chreibung vollends greift immer gewi&#x017F;&#x017F;ermaßen über die Beobachtung hinaus, indem<lb/>
&#x017F;ie fe&#x017F;t&#x017F;tehende Begriffe gebraucht, an fe&#x017F;t&#x017F;tehende Wahrheiten anknüpft, Folgerungen<lb/>
aus dem Beobachteten aus&#x017F;pricht, die einzelnen Beobachtungen zu einem Ge&#x017F;amtbilde<lb/>
vereinigt, Vergleichungen zur Erläuterung heranzieht. Die Zu&#x017F;ammenfa&#x017F;&#x017F;ung mehrerer<lb/>
Beobachtungen und ihre Vergleichung, der Ver&#x017F;uch, &#x017F;o ausprobierend Ge&#x017F;amtvor&#x017F;tellungen<lb/>
über größere Gebiete des volkswirt&#x017F;chaftlichen Lebens zu &#x017F;chaffen, i&#x017F;t ein Hauptmittel,<lb/>
in das Chaos zer&#x017F;treuter Einzelheiten Einheit zu bringen. Es liegt darin auch der<lb/>
An&#x017F;atz zu induktiven Schlü&#x017F;&#x017F;en, wie alle Be&#x017F;chreibung ihren Hauptzweck darin hat, die<lb/>
Induktion, d. h. den Schluß vom einzelnen auf das zu Grunde liegende Ge&#x017F;etz vor-<lb/>
zubereiten; aber &#x017F;ie i&#x017F;t an &#x017F;ich noch nicht Induktion und dient eben&#x017F;o der Deduktion<lb/>
und ihrer Verifikation.</p><lb/>
          <p>Je mehr freilich die größer angelegten Be&#x017F;chreibungen das analyti&#x017F;ch im einzelnen<lb/>
Fe&#x017F;tge&#x017F;tellte zu Synthe&#x017F;en zu&#x017F;ammenfa&#x017F;&#x017F;en, je mehr &#x017F;ie von der elementaren Teilanaly&#x017F;e<lb/>
zur kau&#x017F;alen, verknüpfenden Analy&#x017F;e vordringen, de&#x017F;to mehr werden wir vermuten, daß<lb/>
nur der erfahren&#x017F;te Sachkenner, der zugleich ein vollendeter Kün&#x017F;tler i&#x017F;t, der mit kurzen<lb/>
Strichen alles We&#x017F;entliche hervorzuheben ver&#x017F;teht, Vollendetes lei&#x017F;te. Die gei&#x017F;tigen Ope-<lb/>
rationen die&#x017F;er Art verla&#x017F;&#x017F;en auch &#x017F;tets den Boden der bloßen Beobachtung und Be-<lb/>
&#x017F;chreibung, &#x017F;ie umfa&#x017F;&#x017F;en die ganze Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft; &#x2014; die vollendete Be&#x017F;chreibung einer ganzen<lb/>
Volkswirt&#x017F;chaft, einer volkswirt&#x017F;chaftlichen In&#x017F;titution, welche zugleich Kau&#x017F;alerklärung i&#x017F;t,<lb/>
wird häufig teilwei&#x017F;e hypotheti&#x017F;ch und teleologi&#x017F;ch verfahren; &#x017F;ie kann in Mei&#x017F;terhänden<lb/>
doch &#x017F;o &#x017F;treng wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlich bleiben, daß &#x017F;ie wahrer Erkenntnis &#x017F;ehr nahe kommt.</p><lb/>
          <p>Die vollendete Be&#x017F;chreibung wird in der Regel nicht vermeiden können, die im<lb/>
Raum nebeneinander auftretenden, in der Zeit &#x017F;ich folgenden gleichen und ähnlichen<lb/>
Er&#x017F;cheinungen heranzuziehen. Nur aus &#x017F;olcher Vergleichung ergiebt &#x017F;ich das Charakte-<lb/>
ri&#x017F;ti&#x017F;che und Eigentümliche de&#x017F;&#x017F;en, was man be&#x017F;chreibend klar machen will. Der Kurs<lb/>
von heute i&#x017F;t nur ver&#x017F;tändlich neben dem von ge&#x017F;tern, das Handwerk wird als typi&#x017F;che<lb/>
Er&#x017F;cheinung viel klarer, wenn ich Haus- und Großindu&#x017F;trie daneben &#x017F;telle, die deut&#x017F;che<lb/>
Arbeiterver&#x017F;icherung wird er&#x017F;t recht ver&#x017F;tändlich, wenn ich &#x017F;ie mit der engli&#x017F;chen vergleiche.<lb/>
Die Be&#x017F;chreibung bedient &#x017F;ich &#x017F;o der vergleichenden Methode, welche neuerdings eine<lb/>
&#x017F;teigende Bedeutung in den ver&#x017F;chieden&#x017F;ten Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften und &#x017F;o auch in der un&#x017F;eren<lb/>
erhalten hat. Das Verfahren führt natürlich in der Regel über die Be&#x017F;chreibung<lb/>
hinaus zu Schlußfolgerungen allgemeiner Art. Und hier liegen auch we&#x017F;entlich die<lb/>
Fehler, welche die vergleichende Methode teilwei&#x017F;e in Verruf gebracht haben. Gar manche<lb/>
Gelehrte waren geneigt, wenn keine guten Beobachtungen vorlagen, unvollkommene zu<lb/>
benutzen. Oftmals wurde nicht das Näch&#x017F;tliegende, aus nahen Zeiträumen und ähnlichen<lb/>
Kulturverhältni&#x017F;&#x017F;en Stammende miteinander verglichen, &#x017F;ondern Fanatiker der Ver-<lb/>
gleichung &#x017F;tellten oberflächliche Notizen über eine ägypti&#x017F;che, eine römi&#x017F;che, eine hotten-<lb/>
totti&#x017F;che Einrichtung nebeneinander. Daraus konnten nur fal&#x017F;che Ge&#x017F;amtergebni&#x017F;&#x017F;e und<lb/>
&#x017F;chiefe Schlußfolgerungen hervorgehen.</p><lb/>
          <p>Einen je größeren Teil ihres rohen Stoffes die Nationalökonomie anderen metho-<lb/>
di&#x017F;ch durchgebildeten Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften entnehmen kann, wie z. B. der P&#x017F;ychologie, Anthro-<lb/>
pologie und Geographie, der Ge&#x017F;chichte und Stati&#x017F;tik, der Rechtsge&#x017F;chichte, in de&#x017F;to be&#x017F;&#x017F;erer<lb/>
Lage i&#x017F;t &#x017F;ie. Aber &#x017F;o &#x017F;ehr dies heute der Fall i&#x017F;t, &#x017F;o &#x017F;ehr damit die einzelnen Methoden<lb/>
die&#x017F;er verwandten Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften, zumal der Hülfswi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft der Stati&#x017F;tik, damit zu<lb/>
Methoden der Nationalökonomie &#x017F;elb&#x017F;t geworden &#x017F;ind, &#x017F;o &#x017F;ehr &#x017F;ie in ihrem ge&#x017F;chichtlichen<lb/>
Teile &#x017F;ich der philologi&#x017F;ch-kriti&#x017F;chen Methoden bedient, die dort ausgebildet wurden, &#x017F;o<lb/>
wenig reicht doch häufig die den Stoff vorbereitende Thätigkeit der Nachbarwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften<lb/>
aus. Die Ge&#x017F;chichte hat uns zahlreiche einzelne zu&#x017F;ammenhangslo&#x017F;e Zunfturkunden<lb/>
mitgeteilt, er&#x017F;t der nationalökonomi&#x017F;che For&#x017F;cher &#x017F;ah, daß es nötig &#x017F;ei, einmal von einer<lb/>
einzigen Zunft einige hundert Urkunden nebeneinander zu &#x017F;tellen; die Ge&#x017F;chichte lieferte<lb/>
uns manches Material über ältere Bevölkerungsbewegung; er&#x017F;t bevölkerungs&#x017F;tati&#x017F;ti&#x017F;ch und<lb/>
nationalökomi&#x017F;ch ge&#x017F;chulte Leute, wie Hume und Dieterici früher, neuerdings K. Bücher<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[102/0118] Einleitung. Begriff. Pſychologiſche und ſittliche Grundlage. Litteratur und Methode. gewiſſer Geſamteindrücke durch einen produktiven Akt der Phantaſie, der irren kann, wenn nicht reiche Begabung und Schulung den Geiſt auf die rechte Bahn lenken. Die Beſchreibung vollends greift immer gewiſſermaßen über die Beobachtung hinaus, indem ſie feſtſtehende Begriffe gebraucht, an feſtſtehende Wahrheiten anknüpft, Folgerungen aus dem Beobachteten ausſpricht, die einzelnen Beobachtungen zu einem Geſamtbilde vereinigt, Vergleichungen zur Erläuterung heranzieht. Die Zuſammenfaſſung mehrerer Beobachtungen und ihre Vergleichung, der Verſuch, ſo ausprobierend Geſamtvorſtellungen über größere Gebiete des volkswirtſchaftlichen Lebens zu ſchaffen, iſt ein Hauptmittel, in das Chaos zerſtreuter Einzelheiten Einheit zu bringen. Es liegt darin auch der Anſatz zu induktiven Schlüſſen, wie alle Beſchreibung ihren Hauptzweck darin hat, die Induktion, d. h. den Schluß vom einzelnen auf das zu Grunde liegende Geſetz vor- zubereiten; aber ſie iſt an ſich noch nicht Induktion und dient ebenſo der Deduktion und ihrer Verifikation. Je mehr freilich die größer angelegten Beſchreibungen das analytiſch im einzelnen Feſtgeſtellte zu Syntheſen zuſammenfaſſen, je mehr ſie von der elementaren Teilanalyſe zur kauſalen, verknüpfenden Analyſe vordringen, deſto mehr werden wir vermuten, daß nur der erfahrenſte Sachkenner, der zugleich ein vollendeter Künſtler iſt, der mit kurzen Strichen alles Weſentliche hervorzuheben verſteht, Vollendetes leiſte. Die geiſtigen Ope- rationen dieſer Art verlaſſen auch ſtets den Boden der bloßen Beobachtung und Be- ſchreibung, ſie umfaſſen die ganze Wiſſenſchaft; — die vollendete Beſchreibung einer ganzen Volkswirtſchaft, einer volkswirtſchaftlichen Inſtitution, welche zugleich Kauſalerklärung iſt, wird häufig teilweiſe hypothetiſch und teleologiſch verfahren; ſie kann in Meiſterhänden doch ſo ſtreng wiſſenſchaftlich bleiben, daß ſie wahrer Erkenntnis ſehr nahe kommt. Die vollendete Beſchreibung wird in der Regel nicht vermeiden können, die im Raum nebeneinander auftretenden, in der Zeit ſich folgenden gleichen und ähnlichen Erſcheinungen heranzuziehen. Nur aus ſolcher Vergleichung ergiebt ſich das Charakte- riſtiſche und Eigentümliche deſſen, was man beſchreibend klar machen will. Der Kurs von heute iſt nur verſtändlich neben dem von geſtern, das Handwerk wird als typiſche Erſcheinung viel klarer, wenn ich Haus- und Großinduſtrie daneben ſtelle, die deutſche Arbeiterverſicherung wird erſt recht verſtändlich, wenn ich ſie mit der engliſchen vergleiche. Die Beſchreibung bedient ſich ſo der vergleichenden Methode, welche neuerdings eine ſteigende Bedeutung in den verſchiedenſten Wiſſenſchaften und ſo auch in der unſeren erhalten hat. Das Verfahren führt natürlich in der Regel über die Beſchreibung hinaus zu Schlußfolgerungen allgemeiner Art. Und hier liegen auch weſentlich die Fehler, welche die vergleichende Methode teilweiſe in Verruf gebracht haben. Gar manche Gelehrte waren geneigt, wenn keine guten Beobachtungen vorlagen, unvollkommene zu benutzen. Oftmals wurde nicht das Nächſtliegende, aus nahen Zeiträumen und ähnlichen Kulturverhältniſſen Stammende miteinander verglichen, ſondern Fanatiker der Ver- gleichung ſtellten oberflächliche Notizen über eine ägyptiſche, eine römiſche, eine hotten- tottiſche Einrichtung nebeneinander. Daraus konnten nur falſche Geſamtergebniſſe und ſchiefe Schlußfolgerungen hervorgehen. Einen je größeren Teil ihres rohen Stoffes die Nationalökonomie anderen metho- diſch durchgebildeten Wiſſenſchaften entnehmen kann, wie z. B. der Pſychologie, Anthro- pologie und Geographie, der Geſchichte und Statiſtik, der Rechtsgeſchichte, in deſto beſſerer Lage iſt ſie. Aber ſo ſehr dies heute der Fall iſt, ſo ſehr damit die einzelnen Methoden dieſer verwandten Wiſſenſchaften, zumal der Hülfswiſſenſchaft der Statiſtik, damit zu Methoden der Nationalökonomie ſelbſt geworden ſind, ſo ſehr ſie in ihrem geſchichtlichen Teile ſich der philologiſch-kritiſchen Methoden bedient, die dort ausgebildet wurden, ſo wenig reicht doch häufig die den Stoff vorbereitende Thätigkeit der Nachbarwiſſenſchaften aus. Die Geſchichte hat uns zahlreiche einzelne zuſammenhangsloſe Zunfturkunden mitgeteilt, erſt der nationalökonomiſche Forſcher ſah, daß es nötig ſei, einmal von einer einzigen Zunft einige hundert Urkunden nebeneinander zu ſtellen; die Geſchichte lieferte uns manches Material über ältere Bevölkerungsbewegung; erſt bevölkerungsſtatiſtiſch und nationalökomiſch geſchulte Leute, wie Hume und Dieterici früher, neuerdings K. Bücher

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/118
Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/118>, abgerufen am 28.04.2024.