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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Einleitung. Begriff. Psychologische und sittliche Grundlage. Litteratur und Methode.
ökonomie. J. f. G.V. 1885. --
Adolf Wagner, Systematische Nationalökonomie. J. f. N. 2. F.
12, 1886. --
v. Philippovich, Über Aufgabe und Methode der politischen Ökonomie. 1886 (dazu
Hasbach. J. f. G.V. 1886, 990). --
Brentano, Die klassische Nationalökonomie. 1888. -- Sax,
Die neuesten Fortschritte der nationalökonomischen Theorie. 1889. --
Kleinwächter, Wesen, Aufgabe
und System der Nationalökonomie. J. f. N. 2. F. 18, 1889. --
K. Menger, Grundzüge einer
Klassifikation der Wirtschaftswissenschaften. Das. 19, 1889. --
Neumann, Naturgesetz und Wirt-
schaftsgesetz. Z. f. St.W. 1892. --
A. Wagner, Grundlegung der politischen Ökonomie. 3. Aufl.
Erster Teil, erster Halbbd., §§ 54--107 (1892). --
v. Gans-Ludassy, System der ökonomistischen
Methodologie. 1893. --
H. Dietzel, Theoretische Socialökonomik. 1, 1895. -- Hasbach, Zur
Geschichte des Methodenstreites in der politischen Ökonomie. J. f. G.V. 1895.

42. Einleitung. Wir haben die Entwickelung der vorherrschenden volks-
wirtschaftlichen Systeme bisher unter dem Gesichtspunkte ihrer Entstehung aus praktischen
Zeitströmungen heraus betrachtet. Wir geben zu, daß auch die anderen, weiterhin noch
zu erörternden Litteraturerscheinungen nicht frei von solchen Tendenzen sind. Aber im
ganzen steht doch die strengere Wissenschaft, wie sie sich im 19. Jahrhundert mehr und
mehr herausbildete, auf einem anderen Boden. Sie will nicht mehr in erster Linie ein
"Sollen" lehren und Anweisungen fürs praktische Leben geben; sie will begreifen und
zu unumstößlichen Wahrheiten über den Zusammenhang der Dinge kommen. Gewiß
haben auch die bisher vorgeführten Schriftsteller derartiges erstrebt und teilweise auch
erreicht. Aber doch mit beschränktem Erfolge, teilweise weil erst neuerdings die strengeren
Methoden der Erkenntnis ausgebildet wurden, teilweise eben deshalb, weil ihnen nicht
das Erkennen, sondern die Aufstellung von praktischen Idealen in erster Linie stand.
Diese müssen von heute auf morgen fertig werden, müssen stets auf einem Glauben und
Hoffen, teilweise auf Hypothesen und teleologischen Bildern ruhen. Und wenn auch die
Wissenschaft derartiger Mittel nie ganz entraten kann, so muß sie sich doch bewußt
bleiben, daß sie hier auf unsicherem Boden sich bewegt. Sie muß mit viel Resignation
und Bescheidenheit ihre Lücken eingestehen. Sie muß, wenn sie auch stets hofft, mit
ihren Ergebnissen praktische Leuchten für die Zukunft aufzustellen, sich doch zunächst im
Sinne einer berechtigten Arbeitsteilung auf das Erkennen beschränken, aber dieses um
so fester hinzustellen suchen, weil sie eingesehen hat, daß die Hoffnungen der Denker und
Gelehrten, durch bestimmte Theorien irgend eine subjektive Auffassung des "Sollens" zu
stützen, immer wieder die Objektivität des wissenschaftlichen Verfahrens getrübt hat.

Die Fortschritte des gesamten wissenschaftlichen Verfahrens in den Natur- und
Geisteswissenschaften während der letzten Generationen mußten auch auf dem Gebiete der
Staatswissenschaften und der Volkswirtschaftslehre ihre Wirkung ausüben, zur Verfeine-
rung und Verbesserung des methodischen Verfahrens, zur strengen Einhaltung von
Grundsätzen und Regeln bei aller Beobachtung und Erklärung der volkswirtschaftlichen
Erscheinungen führen. Die Wissenschaft der Nationalökonomie will von der Volks-
wirtschaft ein vollständiges Bild, einen Grundriß der volkswirtschaftlichen Erscheinungen
nach Raum und Zeit, nach Maß und historischer Folge entwerfen; sie thut das, indem
sie die Wahrnehmungen dem vergleichenden und unterscheidenden Denken unterwirft, das
Wahrgenommene auf seine Gewißheit prüft, das richtig Beobachtete in ein System von
Begriffen nach Gleichartigkeit und Verschiedenheit einordnet und endlich das so Geordnete
in der Form typischer Regelmäßigkeiten und eines durchgängigen Kausalzusammenhanges
zu begreifen sucht. Die Hauptaufgaben strenger Wissenschaft sind so 1. richtig beob-
achten, 2. gut definieren und klassifizieren, 3. typische Formen finden und kausal erklären.
Je nach dem fortschreitenden Stande der Wissenschaft tritt dann bald das eine, bald das
andere mehr in den Vordergrund. Bald ist das Zurückgreifen auf die Erfahrung, bald
die rationale Bemeisterung der Erfahrungen durch Begriffe, Reihenbildung, Kausal-
erklärung und Hypothesen das wichtigere Geschäft.

43. Beobachtung und Beschreibung. Wir verstehen unter der wissen-
schaftlichen Beobachtung einer Erscheinung eine solche, die oftmals von demselben oder
von verschiedenen Beobachtern wiederholt immer dasselbe Resultat ergiebt, aus der die
Einflüsse subjektiver Täuschung und Meinung so weit als möglich entfernt sind. Eine
solche Beobachtung deutet auf ein objektives Geschehen. Die Beobachtung soll objektive

Einleitung. Begriff. Pſychologiſche und ſittliche Grundlage. Litteratur und Methode.
ökonomie. J. f. G.V. 1885. —
Adolf Wagner, Syſtematiſche Nationalökonomie. J. f. N. 2. F.
12, 1886. —
v. Philippovich, Über Aufgabe und Methode der politiſchen Ökonomie. 1886 (dazu
Hasbach. J. f. G.V. 1886, 990). —
Brentano, Die klaſſiſche Nationalökonomie. 1888. — Sax,
Die neueſten Fortſchritte der nationalökonomiſchen Theorie. 1889. —
Kleinwächter, Weſen, Aufgabe
und Syſtem der Nationalökonomie. J. f. N. 2. F. 18, 1889. —
K. Menger, Grundzüge einer
Klaſſifikation der Wirtſchaftswiſſenſchaften. Daſ. 19, 1889. —
Neumann, Naturgeſetz und Wirt-
ſchaftsgeſetz. Z. f. St.W. 1892. —
A. Wagner, Grundlegung der politiſchen Ökonomie. 3. Aufl.
Erſter Teil, erſter Halbbd., §§ 54—107 (1892). —
v. Gans-Ludaſſy, Syſtem der ökonomiſtiſchen
Methodologie. 1893. —
H. Dietzel, Theoretiſche Socialökonomik. 1, 1895. — Hasbach, Zur
Geſchichte des Methodenſtreites in der politiſchen Ökonomie. J. f. G.V. 1895.

42. Einleitung. Wir haben die Entwickelung der vorherrſchenden volks-
wirtſchaftlichen Syſteme bisher unter dem Geſichtspunkte ihrer Entſtehung aus praktiſchen
Zeitſtrömungen heraus betrachtet. Wir geben zu, daß auch die anderen, weiterhin noch
zu erörternden Litteraturerſcheinungen nicht frei von ſolchen Tendenzen ſind. Aber im
ganzen ſteht doch die ſtrengere Wiſſenſchaft, wie ſie ſich im 19. Jahrhundert mehr und
mehr herausbildete, auf einem anderen Boden. Sie will nicht mehr in erſter Linie ein
„Sollen“ lehren und Anweiſungen fürs praktiſche Leben geben; ſie will begreifen und
zu unumſtößlichen Wahrheiten über den Zuſammenhang der Dinge kommen. Gewiß
haben auch die bisher vorgeführten Schriftſteller derartiges erſtrebt und teilweiſe auch
erreicht. Aber doch mit beſchränktem Erfolge, teilweiſe weil erſt neuerdings die ſtrengeren
Methoden der Erkenntnis ausgebildet wurden, teilweiſe eben deshalb, weil ihnen nicht
das Erkennen, ſondern die Aufſtellung von praktiſchen Idealen in erſter Linie ſtand.
Dieſe müſſen von heute auf morgen fertig werden, müſſen ſtets auf einem Glauben und
Hoffen, teilweiſe auf Hypotheſen und teleologiſchen Bildern ruhen. Und wenn auch die
Wiſſenſchaft derartiger Mittel nie ganz entraten kann, ſo muß ſie ſich doch bewußt
bleiben, daß ſie hier auf unſicherem Boden ſich bewegt. Sie muß mit viel Reſignation
und Beſcheidenheit ihre Lücken eingeſtehen. Sie muß, wenn ſie auch ſtets hofft, mit
ihren Ergebniſſen praktiſche Leuchten für die Zukunft aufzuſtellen, ſich doch zunächſt im
Sinne einer berechtigten Arbeitsteilung auf das Erkennen beſchränken, aber dieſes um
ſo feſter hinzuſtellen ſuchen, weil ſie eingeſehen hat, daß die Hoffnungen der Denker und
Gelehrten, durch beſtimmte Theorien irgend eine ſubjektive Auffaſſung des „Sollens“ zu
ſtützen, immer wieder die Objektivität des wiſſenſchaftlichen Verfahrens getrübt hat.

Die Fortſchritte des geſamten wiſſenſchaftlichen Verfahrens in den Natur- und
Geiſteswiſſenſchaften während der letzten Generationen mußten auch auf dem Gebiete der
Staatswiſſenſchaften und der Volkswirtſchaftslehre ihre Wirkung ausüben, zur Verfeine-
rung und Verbeſſerung des methodiſchen Verfahrens, zur ſtrengen Einhaltung von
Grundſätzen und Regeln bei aller Beobachtung und Erklärung der volkswirtſchaftlichen
Erſcheinungen führen. Die Wiſſenſchaft der Nationalökonomie will von der Volks-
wirtſchaft ein vollſtändiges Bild, einen Grundriß der volkswirtſchaftlichen Erſcheinungen
nach Raum und Zeit, nach Maß und hiſtoriſcher Folge entwerfen; ſie thut das, indem
ſie die Wahrnehmungen dem vergleichenden und unterſcheidenden Denken unterwirft, das
Wahrgenommene auf ſeine Gewißheit prüft, das richtig Beobachtete in ein Syſtem von
Begriffen nach Gleichartigkeit und Verſchiedenheit einordnet und endlich das ſo Geordnete
in der Form typiſcher Regelmäßigkeiten und eines durchgängigen Kauſalzuſammenhanges
zu begreifen ſucht. Die Hauptaufgaben ſtrenger Wiſſenſchaft ſind ſo 1. richtig beob-
achten, 2. gut definieren und klaſſifizieren, 3. typiſche Formen finden und kauſal erklären.
Je nach dem fortſchreitenden Stande der Wiſſenſchaft tritt dann bald das eine, bald das
andere mehr in den Vordergrund. Bald iſt das Zurückgreifen auf die Erfahrung, bald
die rationale Bemeiſterung der Erfahrungen durch Begriffe, Reihenbildung, Kauſal-
erklärung und Hypotheſen das wichtigere Geſchäft.

43. Beobachtung und Beſchreibung. Wir verſtehen unter der wiſſen-
ſchaftlichen Beobachtung einer Erſcheinung eine ſolche, die oftmals von demſelben oder
von verſchiedenen Beobachtern wiederholt immer dasſelbe Reſultat ergiebt, aus der die
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ſolche Beobachtung deutet auf ein objektives Geſchehen. Die Beobachtung ſoll objektive

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[100/0116] Einleitung. Begriff. Pſychologiſche und ſittliche Grundlage. Litteratur und Methode. ökonomie. J. f. G.V. 1885. — Adolf Wagner, Syſtematiſche Nationalökonomie. J. f. N. 2. F. 12, 1886. — v. Philippovich, Über Aufgabe und Methode der politiſchen Ökonomie. 1886 (dazu Hasbach. J. f. G.V. 1886, 990). — Brentano, Die klaſſiſche Nationalökonomie. 1888. — Sax, Die neueſten Fortſchritte der nationalökonomiſchen Theorie. 1889. — Kleinwächter, Weſen, Aufgabe und Syſtem der Nationalökonomie. J. f. N. 2. F. 18, 1889. — K. Menger, Grundzüge einer Klaſſifikation der Wirtſchaftswiſſenſchaften. Daſ. 19, 1889. — Neumann, Naturgeſetz und Wirt- ſchaftsgeſetz. Z. f. St.W. 1892. — A. Wagner, Grundlegung der politiſchen Ökonomie. 3. Aufl. Erſter Teil, erſter Halbbd., §§ 54—107 (1892). — v. Gans-Ludaſſy, Syſtem der ökonomiſtiſchen Methodologie. 1893. — H. Dietzel, Theoretiſche Socialökonomik. 1, 1895. — Hasbach, Zur Geſchichte des Methodenſtreites in der politiſchen Ökonomie. J. f. G.V. 1895. 42. Einleitung. Wir haben die Entwickelung der vorherrſchenden volks- wirtſchaftlichen Syſteme bisher unter dem Geſichtspunkte ihrer Entſtehung aus praktiſchen Zeitſtrömungen heraus betrachtet. Wir geben zu, daß auch die anderen, weiterhin noch zu erörternden Litteraturerſcheinungen nicht frei von ſolchen Tendenzen ſind. Aber im ganzen ſteht doch die ſtrengere Wiſſenſchaft, wie ſie ſich im 19. Jahrhundert mehr und mehr herausbildete, auf einem anderen Boden. Sie will nicht mehr in erſter Linie ein „Sollen“ lehren und Anweiſungen fürs praktiſche Leben geben; ſie will begreifen und zu unumſtößlichen Wahrheiten über den Zuſammenhang der Dinge kommen. Gewiß haben auch die bisher vorgeführten Schriftſteller derartiges erſtrebt und teilweiſe auch erreicht. Aber doch mit beſchränktem Erfolge, teilweiſe weil erſt neuerdings die ſtrengeren Methoden der Erkenntnis ausgebildet wurden, teilweiſe eben deshalb, weil ihnen nicht das Erkennen, ſondern die Aufſtellung von praktiſchen Idealen in erſter Linie ſtand. Dieſe müſſen von heute auf morgen fertig werden, müſſen ſtets auf einem Glauben und Hoffen, teilweiſe auf Hypotheſen und teleologiſchen Bildern ruhen. Und wenn auch die Wiſſenſchaft derartiger Mittel nie ganz entraten kann, ſo muß ſie ſich doch bewußt bleiben, daß ſie hier auf unſicherem Boden ſich bewegt. Sie muß mit viel Reſignation und Beſcheidenheit ihre Lücken eingeſtehen. Sie muß, wenn ſie auch ſtets hofft, mit ihren Ergebniſſen praktiſche Leuchten für die Zukunft aufzuſtellen, ſich doch zunächſt im Sinne einer berechtigten Arbeitsteilung auf das Erkennen beſchränken, aber dieſes um ſo feſter hinzuſtellen ſuchen, weil ſie eingeſehen hat, daß die Hoffnungen der Denker und Gelehrten, durch beſtimmte Theorien irgend eine ſubjektive Auffaſſung des „Sollens“ zu ſtützen, immer wieder die Objektivität des wiſſenſchaftlichen Verfahrens getrübt hat. Die Fortſchritte des geſamten wiſſenſchaftlichen Verfahrens in den Natur- und Geiſteswiſſenſchaften während der letzten Generationen mußten auch auf dem Gebiete der Staatswiſſenſchaften und der Volkswirtſchaftslehre ihre Wirkung ausüben, zur Verfeine- rung und Verbeſſerung des methodiſchen Verfahrens, zur ſtrengen Einhaltung von Grundſätzen und Regeln bei aller Beobachtung und Erklärung der volkswirtſchaftlichen Erſcheinungen führen. Die Wiſſenſchaft der Nationalökonomie will von der Volks- wirtſchaft ein vollſtändiges Bild, einen Grundriß der volkswirtſchaftlichen Erſcheinungen nach Raum und Zeit, nach Maß und hiſtoriſcher Folge entwerfen; ſie thut das, indem ſie die Wahrnehmungen dem vergleichenden und unterſcheidenden Denken unterwirft, das Wahrgenommene auf ſeine Gewißheit prüft, das richtig Beobachtete in ein Syſtem von Begriffen nach Gleichartigkeit und Verſchiedenheit einordnet und endlich das ſo Geordnete in der Form typiſcher Regelmäßigkeiten und eines durchgängigen Kauſalzuſammenhanges zu begreifen ſucht. Die Hauptaufgaben ſtrenger Wiſſenſchaft ſind ſo 1. richtig beob- achten, 2. gut definieren und klaſſifizieren, 3. typiſche Formen finden und kauſal erklären. Je nach dem fortſchreitenden Stande der Wiſſenſchaft tritt dann bald das eine, bald das andere mehr in den Vordergrund. Bald iſt das Zurückgreifen auf die Erfahrung, bald die rationale Bemeiſterung der Erfahrungen durch Begriffe, Reihenbildung, Kauſal- erklärung und Hypotheſen das wichtigere Geſchäft. 43. Beobachtung und Beſchreibung. Wir verſtehen unter der wiſſen- ſchaftlichen Beobachtung einer Erſcheinung eine ſolche, die oftmals von demſelben oder von verſchiedenen Beobachtern wiederholt immer dasſelbe Reſultat ergiebt, aus der die Einflüſſe ſubjektiver Täuſchung und Meinung ſo weit als möglich entfernt ſind. Eine ſolche Beobachtung deutet auf ein objektives Geſchehen. Die Beobachtung ſoll objektive

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/116>, abgerufen am 27.04.2024.