Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Adam Smith. Handels-, Zoll- und Zunfteinrichtungen, die falsche Begünstigung der Städte aufzuheben,dann kommt die Gesellschaft zur Natur, zur Gerechtigkeit, zur Gleichheit zurück. Dabei ist sehr vieles fein und wahrheitsgetreu beobachtet; in einschmeichelnder, harmloser Weise werden die radikalen Gedanken vorgetragen; sympathisch ist von den Arbeitern und ihrer Hebung die Rede, während der Egoismus der Unternehmer als Ursache künstlicher Gesetz- gebung gebrandmarkt wird. Die geschickte Voranstellung der Arbeit und Arbeitsteilung, die gleichmäßige Betonung, wie überall die Arbeit den Reichtum erzeuge, aller Tausch ein Tausch von Arbeitsprodukten sei, giebt den Ausführungen über Produktion, Verkehr und Einkommensverteilung eine geschlossene Einheit, die gewinnen und bestechen mußte. Daher die ungeheure Wirkung des Buches trotz seiner Einseitigkeit. Es gab den Den verbreitetsten Lehrbüchern und Schriften der folgenden Generationen diente Adam Smith. Handels-, Zoll- und Zunfteinrichtungen, die falſche Begünſtigung der Städte aufzuheben,dann kommt die Geſellſchaft zur Natur, zur Gerechtigkeit, zur Gleichheit zurück. Dabei iſt ſehr vieles fein und wahrheitsgetreu beobachtet; in einſchmeichelnder, harmloſer Weiſe werden die radikalen Gedanken vorgetragen; ſympathiſch iſt von den Arbeitern und ihrer Hebung die Rede, während der Egoismus der Unternehmer als Urſache künſtlicher Geſetz- gebung gebrandmarkt wird. Die geſchickte Voranſtellung der Arbeit und Arbeitsteilung, die gleichmäßige Betonung, wie überall die Arbeit den Reichtum erzeuge, aller Tauſch ein Tauſch von Arbeitsprodukten ſei, giebt den Ausführungen über Produktion, Verkehr und Einkommensverteilung eine geſchloſſene Einheit, die gewinnen und beſtechen mußte. Daher die ungeheure Wirkung des Buches trotz ſeiner Einſeitigkeit. Es gab den Den verbreitetſten Lehrbüchern und Schriften der folgenden Generationen diente <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0107" n="91"/><fw place="top" type="header">Adam Smith.</fw><lb/> Handels-, Zoll- und Zunfteinrichtungen, die falſche Begünſtigung der Städte aufzuheben,<lb/> dann kommt die Geſellſchaft zur Natur, zur Gerechtigkeit, zur Gleichheit zurück. Dabei<lb/> iſt ſehr vieles fein und wahrheitsgetreu beobachtet; in einſchmeichelnder, harmloſer Weiſe<lb/> werden die radikalen Gedanken vorgetragen; ſympathiſch iſt von den Arbeitern und ihrer<lb/> Hebung die Rede, während der Egoismus der Unternehmer als Urſache künſtlicher Geſetz-<lb/> gebung gebrandmarkt wird. 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Mochte es alſo fälſchlich an die natürliche Gleichheit der Menſchen glauben, die<lb/> beſtehenden Macht- und Abhängigkeitsverhältniſſe zwiſchen den Staaten und den ſocialen<lb/> Klaſſen nicht gehörig würdigen, optimiſtiſch das Individuum und ſeine egoiſtiſchen Triebe<lb/> überſchätzen, die Bedeutung des Staates und der ſtaatlichen Einrichtungen verkennen,<lb/> mochte der Rationalismus des Aufklärungseiferers in ihm immer wieder Herr werden<lb/> über den hiſtoriſchen und pſychologiſchen Forſcher, mochte das ganze Beobachtungsfeld<lb/> ein recht beſchränktes ſein, das Buch war doch fähig, für hundert Jahre zur ſammelnden<lb/> Fahne <hi rendition="#g">der</hi> Staatsmänner und <hi rendition="#g">der</hi> Klaſſen zu werden, welche die bürgerlich-liberale<lb/> Tauſchgeſellſchaft mit Freiheit der Perſon und des Eigentums in Weſteuropa voll durch-<lb/> führen wollten.</p><lb/> <p>Den verbreitetſten Lehrbüchern und Schriften der folgenden Generationen diente<lb/> A. Smith als Vorbild. In Frankreich haben J. B. Say (<hi rendition="#aq">Traité d’écon omie politique,<lb/> 1803 ꝛc.)</hi> und Charles Dunoyer <hi rendition="#aq">(Liberté du travail, 1845)</hi>, in Deutſchland Ch. J. Kraus<lb/> (Staatswirtſchaft, 1808—11), Euſebius Lotz (Reviſion der Grundbegriffe der National-<lb/> wirtſchaftslehre, 1811—14), Karl H. Rau (Lehrbuch der politiſchen Ökonomie, 1826—37,<lb/> neue Auflagen bis 1868/69), F. B. W. Hermann (Staatswirtſchaftliche Unterſuchungen,<lb/> 1832 und 1870) die Smithſchen Gedanken populariſiert und ſyſtematiſiert, teilweiſe ſie<lb/> ſchärfer gefaßt, teilweiſe ſie mit anderen Gedankenrichtungen, wie hauptſächlich Rau mit<lb/> den realiſtiſchen Überlieferungen der deutſchen Kameraliſtik, geſchickt zu verbinden gewußt.<lb/> In England hat D. Ricardo (<hi rendition="#aq">Principles of political economy and taxation,</hi> 1817,<lb/> deutſch 1837) den Verſuch gemacht, aus der Smithſchen, immerhin weitausgreifenden<lb/> Darſtellung das, was ihm als Bankier und Geldmann geläufig war, auszuſcheiden und<lb/> daraus ſowie aus den Erfahrungen ſeines Geſchäftslebens eine Einkommens-, Geld- und<lb/> Wertlehre zu machen, die in der Form allgemeiner Begriffe und abſtrakter Lehrſätze<lb/> mit einer gewiſſen Schärfe operierte, teils zu einer logiſcheren Formulierung der Smith-<lb/> ſchen Gedanken, teils zu ſchiefen und falſchen, nicht mehr auf empiriſcher Grundlage<lb/> ruhenden Schlüſſen führte. Nach ihm hat ſein Schüler und jüngerer Freund, John<lb/> Stuart Mill, die engliſche Nationalökonomie bis in die Gegenwart beherrſcht; auch er<lb/> bewegt ſich trotz ſeiner univerſellen Bildung in den Geleiſen des abſtrakt radikalen<lb/> individualiſtiſchen Naturrechts des 18. Jahrhunderts; er iſt der gläubige Schüler der<lb/> Benthamſchen Rützlichkeitsmoral, die zwar das größtmögliche Glück der größten Zahl<lb/> von Menſchen auf ihre Fahne ſchreibt und um eine empiriſch-pſychologiſche Moral-<lb/> forſchung weſentliche Verdienſte hat, aber zu einer tieferen Auffaſſung von Staat,<lb/> Geſellſchaft und Volkswirtſchaft nicht kam. Mill, der mit den <hi rendition="#aq">Principles of political eco-<lb/> nomy with some of their applications to social philosophy</hi> (1847, deutſch 1852) gleichſam<lb/> eine neue Auflage Smiths geben will, führt, wie dieſer, eine abſtrakte Theorie ſelbſt-<lb/> ſüchtiger, tauſchender Individuen vor, in die er einzelne hiſtoriſche, rechtsgeſchichtliche<lb/> und ſocialpolitiſche Kapitel unvermittelt einſchiebt; beſonders im höheren Alter war ihm<lb/> die Unfähigkeit ſeiner Grundanſchauungen, die ſocialen Probleme einer neuen Zeit zu<lb/> löſen, wohl klar geworden. Aber ſo ſehr er ſich nun unter dem Einfluſſe ſeiner gefühl-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [91/0107]
Adam Smith.
Handels-, Zoll- und Zunfteinrichtungen, die falſche Begünſtigung der Städte aufzuheben,
dann kommt die Geſellſchaft zur Natur, zur Gerechtigkeit, zur Gleichheit zurück. Dabei
iſt ſehr vieles fein und wahrheitsgetreu beobachtet; in einſchmeichelnder, harmloſer Weiſe
werden die radikalen Gedanken vorgetragen; ſympathiſch iſt von den Arbeitern und ihrer
Hebung die Rede, während der Egoismus der Unternehmer als Urſache künſtlicher Geſetz-
gebung gebrandmarkt wird. Die geſchickte Voranſtellung der Arbeit und Arbeitsteilung,
die gleichmäßige Betonung, wie überall die Arbeit den Reichtum erzeuge, aller Tauſch
ein Tauſch von Arbeitsprodukten ſei, giebt den Ausführungen über Produktion, Verkehr
und Einkommensverteilung eine geſchloſſene Einheit, die gewinnen und beſtechen mußte.
Daher die ungeheure Wirkung des Buches trotz ſeiner Einſeitigkeit. Es gab den
liberalen Forderungen des wirtſchaftlichen Individualismus den vollendetſten Ausdruck;
es ſprach berechtigte Forderungen der praktiſchen Reform zur rechten Zeit aus. Es
ſchloß ſich den großen philoſophiſch-moraliſchen Idealen des Jahrhunderts rückhaltlos
an und trug doch den Stempel nüchterner Wiſſenſchaft und empiriſcher Forſchung an
ſich. Mochte es alſo fälſchlich an die natürliche Gleichheit der Menſchen glauben, die
beſtehenden Macht- und Abhängigkeitsverhältniſſe zwiſchen den Staaten und den ſocialen
Klaſſen nicht gehörig würdigen, optimiſtiſch das Individuum und ſeine egoiſtiſchen Triebe
überſchätzen, die Bedeutung des Staates und der ſtaatlichen Einrichtungen verkennen,
mochte der Rationalismus des Aufklärungseiferers in ihm immer wieder Herr werden
über den hiſtoriſchen und pſychologiſchen Forſcher, mochte das ganze Beobachtungsfeld
ein recht beſchränktes ſein, das Buch war doch fähig, für hundert Jahre zur ſammelnden
Fahne der Staatsmänner und der Klaſſen zu werden, welche die bürgerlich-liberale
Tauſchgeſellſchaft mit Freiheit der Perſon und des Eigentums in Weſteuropa voll durch-
führen wollten.
Den verbreitetſten Lehrbüchern und Schriften der folgenden Generationen diente
A. Smith als Vorbild. In Frankreich haben J. B. Say (Traité d’écon omie politique,
1803 ꝛc.) und Charles Dunoyer (Liberté du travail, 1845), in Deutſchland Ch. J. Kraus
(Staatswirtſchaft, 1808—11), Euſebius Lotz (Reviſion der Grundbegriffe der National-
wirtſchaftslehre, 1811—14), Karl H. Rau (Lehrbuch der politiſchen Ökonomie, 1826—37,
neue Auflagen bis 1868/69), F. B. W. Hermann (Staatswirtſchaftliche Unterſuchungen,
1832 und 1870) die Smithſchen Gedanken populariſiert und ſyſtematiſiert, teilweiſe ſie
ſchärfer gefaßt, teilweiſe ſie mit anderen Gedankenrichtungen, wie hauptſächlich Rau mit
den realiſtiſchen Überlieferungen der deutſchen Kameraliſtik, geſchickt zu verbinden gewußt.
In England hat D. Ricardo (Principles of political economy and taxation, 1817,
deutſch 1837) den Verſuch gemacht, aus der Smithſchen, immerhin weitausgreifenden
Darſtellung das, was ihm als Bankier und Geldmann geläufig war, auszuſcheiden und
daraus ſowie aus den Erfahrungen ſeines Geſchäftslebens eine Einkommens-, Geld- und
Wertlehre zu machen, die in der Form allgemeiner Begriffe und abſtrakter Lehrſätze
mit einer gewiſſen Schärfe operierte, teils zu einer logiſcheren Formulierung der Smith-
ſchen Gedanken, teils zu ſchiefen und falſchen, nicht mehr auf empiriſcher Grundlage
ruhenden Schlüſſen führte. Nach ihm hat ſein Schüler und jüngerer Freund, John
Stuart Mill, die engliſche Nationalökonomie bis in die Gegenwart beherrſcht; auch er
bewegt ſich trotz ſeiner univerſellen Bildung in den Geleiſen des abſtrakt radikalen
individualiſtiſchen Naturrechts des 18. Jahrhunderts; er iſt der gläubige Schüler der
Benthamſchen Rützlichkeitsmoral, die zwar das größtmögliche Glück der größten Zahl
von Menſchen auf ihre Fahne ſchreibt und um eine empiriſch-pſychologiſche Moral-
forſchung weſentliche Verdienſte hat, aber zu einer tieferen Auffaſſung von Staat,
Geſellſchaft und Volkswirtſchaft nicht kam. Mill, der mit den Principles of political eco-
nomy with some of their applications to social philosophy (1847, deutſch 1852) gleichſam
eine neue Auflage Smiths geben will, führt, wie dieſer, eine abſtrakte Theorie ſelbſt-
ſüchtiger, tauſchender Individuen vor, in die er einzelne hiſtoriſche, rechtsgeſchichtliche
und ſocialpolitiſche Kapitel unvermittelt einſchiebt; beſonders im höheren Alter war ihm
die Unfähigkeit ſeiner Grundanſchauungen, die ſocialen Probleme einer neuen Zeit zu
löſen, wohl klar geworden. Aber ſo ſehr er ſich nun unter dem Einfluſſe ſeiner gefühl-
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