namen zwene sint -- eben damals ein wissenschaftliches Gebinde alter deut- scher Volkslieder als reife Frucht darbrachte. Den deutschen Mundarten war gleichzeitig mit dem Ende der Grimm'schen Grammatik, über deren Wege und Ziele schon Einzelne vielverheissend hinausstrebten, durch Jo- hann Andreas Schmeller's Bairisches Wörterbuch ein bis heut unüber- troffenes Werk beschert und darin, bei unbequemer Anordnung und äusser- licher politischer Abgrenzung, die volle Meisterschaft über das Wort mit lebendigster Beherrschung der Sachen vermählt worden. Fragen wir nun dieser flüchtig angedeuteten Constellation gegenüber, welche Leitsterne Weinhold's niemals excentrische Bahn bestimmt haben, so hat er 1854 im Lebensabriss für die Wiener Akademie sich selbst zu denen gezählt, die nach Jacob Grimm's Antithese die Worte um der Sachen willen treiben; mit dem ausdrücklichen Beisatz: dass er die Worte nicht zurückstelle, möchten seine Arbeiten beweisen. Sie thun es reichlich, zu- mal im grammatischen Felde. Doch wird Niemand sagen, Weinhold sei zum Herausgeber geboren gewesen: denn so fest er auf Lachmann's Me- thode eingeschworen blieb, so emsig er in den saubersten Zügen Manu- scripte copirte, so hingebend er ausser Anderem später die althochdeutschen Bruchstücke des Isidor, auf mittelhochdeutschem Gebiete die trockenen geistlichen Dichtungen Lamprecht's von Regensburg edirte und auf mo- dernem für göttingische und rheinische Poeten thätig war -- die philo- logische Schärfe der Recension und Interpretation, die sichere Erkenntniss eines Verfassers oder der Schichten in einem grösseren Werk, die unbeirr- bare Entscheidung zwischen strittigen Hypothesen war nicht sein eigent- liches Element. Er hatte geringen Trieb zur höheren Kritik, stellte als Lehrer die Ansichten lieber neben einander und sah selbst dem bösen Kampf um der Nibelunge Hort, der unsre deutsche Philologie auf Jahr- zehende in feindliche Heerlager spaltete, mit verschränkten Armen zu; auch darin, wie etwa in der schwachen Lust an metrischen Untersuchungen, Jacob Grimm ähnlich. Man wird daher, trotz allem Gewinn und bedeutenden Leistungen, Weinhold nicht der engeren Schule Lachmann's beigesellen, sondern muss, wie er zum Überfluss mehrmals selbst bekräftigt, in Grimm und Schmeller seine vornehmsten Führer erblicken. Gleich das treffliche Spicilegium for- mularum ex antiquissimis Germanorum carminibus (1847) gab durch die bei- gefügten Thesen des angehenden Docenten in Halle ein Programm: die
Gedächtniſsrede auf Karl Weinhold. 5
namen zwêne sint — eben damals ein wissenschaftliches Gebinde alter deut- scher Volkslieder als reife Frucht darbrachte. Den deutschen Mundarten war gleichzeitig mit dem Ende der Grimm’schen Grammatik, über deren Wege und Ziele schon Einzelne vielverheiſsend hinausstrebten, durch Jo- hann Andreas Schmeller’s Bairisches Wörterbuch ein bis heut unüber- troffenes Werk beschert und darin, bei unbequemer Anordnung und äuſser- licher politischer Abgrenzung, die volle Meisterschaft über das Wort mit lebendigster Beherrschung der Sachen vermählt worden. Fragen wir nun dieser flüchtig angedeuteten Constellation gegenüber, welche Leitsterne Weinhold’s niemals excentrische Bahn bestimmt haben, so hat er 1854 im Lebensabriſs für die Wiener Akademie sich selbst zu denen gezählt, die nach Jacob Grimm’s Antithese die Worte um der Sachen willen treiben; mit dem ausdrücklichen Beisatz: daſs er die Worte nicht zurückstelle, möchten seine Arbeiten beweisen. Sie thun es reichlich, zu- mal im grammatischen Felde. Doch wird Niemand sagen, Weinhold sei zum Herausgeber geboren gewesen: denn so fest er auf Lachmann’s Me- thode eingeschworen blieb, so emsig er in den saubersten Zügen Manu- scripte copirte, so hingebend er auſser Anderem später die althochdeutschen Bruchstücke des Isidor, auf mittelhochdeutschem Gebiete die trockenen geistlichen Dichtungen Lamprecht’s von Regensburg edirte und auf mo- dernem für göttingische und rheinische Poeten thätig war — die philo- logische Schärfe der Recension und Interpretation, die sichere Erkenntniſs eines Verfassers oder der Schichten in einem gröſseren Werk, die unbeirr- bare Entscheidung zwischen strittigen Hypothesen war nicht sein eigent- liches Element. Er hatte geringen Trieb zur höheren Kritik, stellte als Lehrer die Ansichten lieber neben einander und sah selbst dem bösen Kampf um der Nibelunge Hort, der unsre deutsche Philologie auf Jahr- zehende in feindliche Heerlager spaltete, mit verschränkten Armen zu; auch darin, wie etwa in der schwachen Lust an metrischen Untersuchungen, Jacob Grimm ähnlich. Man wird daher, trotz allem Gewinn und bedeutenden Leistungen, Weinhold nicht der engeren Schule Lachmann’s beigesellen, sondern muſs, wie er zum Überfluſs mehrmals selbst bekräftigt, in Grimm und Schmeller seine vornehmsten Führer erblicken. Gleich das treffliche Spicilegium for- mularum ex antiquissimis Germanorum carminibus (1847) gab durch die bei- gefügten Thesen des angehenden Docenten in Halle ein Programm: die
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Gedächtniſsrede auf Karl Weinhold. 5
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scher Volkslieder als reife Frucht darbrachte. Den deutschen Mundarten
war gleichzeitig mit dem Ende der Grimm’schen Grammatik, über deren
Wege und Ziele schon Einzelne vielverheiſsend hinausstrebten, durch Jo-
hann Andreas Schmeller’s Bairisches Wörterbuch ein bis heut unüber-
troffenes Werk beschert und darin, bei unbequemer Anordnung und äuſser-
licher politischer Abgrenzung, die volle Meisterschaft über das Wort mit
lebendigster Beherrschung der Sachen vermählt worden.
Fragen wir nun dieser flüchtig angedeuteten Constellation gegenüber,
welche Leitsterne Weinhold’s niemals excentrische Bahn bestimmt haben,
so hat er 1854 im Lebensabriſs für die Wiener Akademie sich selbst zu
denen gezählt, die nach Jacob Grimm’s Antithese die Worte um der Sachen
willen treiben; mit dem ausdrücklichen Beisatz: daſs er die Worte nicht
zurückstelle, möchten seine Arbeiten beweisen. Sie thun es reichlich, zu-
mal im grammatischen Felde. Doch wird Niemand sagen, Weinhold sei
zum Herausgeber geboren gewesen: denn so fest er auf Lachmann’s Me-
thode eingeschworen blieb, so emsig er in den saubersten Zügen Manu-
scripte copirte, so hingebend er auſser Anderem später die althochdeutschen
Bruchstücke des Isidor, auf mittelhochdeutschem Gebiete die trockenen
geistlichen Dichtungen Lamprecht’s von Regensburg edirte und auf mo-
dernem für göttingische und rheinische Poeten thätig war — die philo-
logische Schärfe der Recension und Interpretation, die sichere Erkenntniſs
eines Verfassers oder der Schichten in einem gröſseren Werk, die unbeirr-
bare Entscheidung zwischen strittigen Hypothesen war nicht sein eigent-
liches Element. Er hatte geringen Trieb zur höheren Kritik, stellte als
Lehrer die Ansichten lieber neben einander und sah selbst dem bösen
Kampf um der Nibelunge Hort, der unsre deutsche Philologie auf Jahr-
zehende in feindliche Heerlager spaltete, mit verschränkten Armen zu; auch
darin, wie etwa in der schwachen Lust an metrischen Untersuchungen,
Jacob Grimm ähnlich.
Man wird daher, trotz allem Gewinn und bedeutenden Leistungen,
Weinhold nicht der engeren Schule Lachmann’s beigesellen, sondern muſs,
wie er zum Überfluſs mehrmals selbst bekräftigt, in Grimm und Schmeller
seine vornehmsten Führer erblicken. Gleich das treffliche Spicilegium for-
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Schmidt, Erich: Gedächtnissrede auf Karl Weinhold. Berlin, 1902, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmidt_weinhold_1902/7>, abgerufen am 16.02.2025.
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