Schmidt, Erich: Gedächtnissrede auf Karl Weinhold. Berlin, 1902.
<TEI> <text> <body> <div> <pb facs="#f0012" n="12"/> <p><lb/> E. SCHMIDT:</p> <p><lb/> über heidnische Todtenbestattung geführt und das prüfende Auge den fabeln-<lb/> den Erzählern bis in die Polargegenden folgen lassen, es blieb jedoch die<lb/> einzige Schrift, die nicht im Handexemplar fort und fort ergänzt und revidirt<lb/> wurde. Der Stoff schwoll zu gewaltig an; die Aufgabe, nach dem ersten<lb/> preiswerthen Wurf poetische und historische Zeugnisse der Privatalterthümer<lb/> behutsam abzuwägen, Zustände Islands und der groſsen andern skandina-<lb/> vischen Gebiete local und zeitlich zu sichten, bedeutende Fünde mit eigenen<lb/> Augen zu prüfen, diese Aufgabe forderte den ganzen Mann. Weinhold hatte<lb/> als Student Jacob Grimm’s Rath zu einer mehrjährigen Nordreise natürlich<lb/> nicht befolgen können und ist in reifen Jahren, wie ihm südwärts bloſs<lb/> ein Stück Oberitaliens sich erschloſs, nur flüchtig in Kopenhagen eingekehrt.<lb/> Groſse Arbeiten zur deutschen Grammatik haben sowohl seine nor-<lb/> dischen Studien als die umfassende Culturgeschichte zurückgedrängt. »Der<lb/> Erdgeruch des Bodens, auf dem man geboren, läſst die Forschung am<lb/> besten gedeihen«, sagt die akademische Antrittsrede. So setzte der Gram-<lb/> matiker Weinhold früh zu schönstem Vollgewinn in der Heimat ein. Die<lb/> »Aufforderung zum Stoffsammeln für eine Bearbeitung der deutsch-schle-<lb/> sischen Mundart« ward 1848 zwar durch politische Stürme verweht, aber<lb/> von Jacob Grimm sofort rühmlich gebucht und eine Grundlage für die aus-<lb/> gezeichnete Schrift »Über deutsche Dialektforschung«, worin Weinhold 1853<lb/> Laut- und Wortbildung und Formen des Schlesischen im beständigen Hin-<lb/> blick auf das Mittelhochdeutsche — das eigentlich Mitteldeutsche, Wilhelm<lb/> Grimm’s und Pfeiffer’s Revier, erschien ihm noch nicht sattsam aufgeklärt —<lb/> als historisch-philologischer Kenner behandelte. Auch polnische Einschläge<lb/> wurden in Kuhn’s Zeitschrift untersucht, einigen Wörtern jedoch dann ihr<lb/> deutscher Heimatschein zurückgegeben. Musterhafte »Beiträge zu einem<lb/> schlesischen Wörterbuch« folgten 1855 und bewährten die Unlösbarkeit<lb/> von Nennen und Kennen, Wort und Sache. Sie schöpften aus allen irgend<lb/> zugänglichen Quellen der Umgangssprache des Gebirges und des Flachlandes,<lb/> der Urkunden, der gebundenen und ungebundenen Litteratur vom Mittel-<lb/> alter bis zu Opitz, von Gryphius bis zu Freund Holtei, dem Weinhold<lb/> durch ein Glossar bald denselben Dienst erweisen konnte wie Müllenhoff<lb/> seinem Klaus Groth. Als Quick- und Jungborn für die kränkelnde Schrift-<lb/> sprache pries er 1853 wie 1893, der Meinung Jacob Grimm’s vom Verfall<lb/> treu, die Mundart und zog gleich dem Meister alterthümliche Stempel der<lb/> neuen Münze vor. Es gehört zu seiner Charakteristik, daſs er so hart-</p> </div> </body> </text> </TEI> [12/0012]
E. SCHMIDT:
über heidnische Todtenbestattung geführt und das prüfende Auge den fabeln-
den Erzählern bis in die Polargegenden folgen lassen, es blieb jedoch die
einzige Schrift, die nicht im Handexemplar fort und fort ergänzt und revidirt
wurde. Der Stoff schwoll zu gewaltig an; die Aufgabe, nach dem ersten
preiswerthen Wurf poetische und historische Zeugnisse der Privatalterthümer
behutsam abzuwägen, Zustände Islands und der groſsen andern skandina-
vischen Gebiete local und zeitlich zu sichten, bedeutende Fünde mit eigenen
Augen zu prüfen, diese Aufgabe forderte den ganzen Mann. Weinhold hatte
als Student Jacob Grimm’s Rath zu einer mehrjährigen Nordreise natürlich
nicht befolgen können und ist in reifen Jahren, wie ihm südwärts bloſs
ein Stück Oberitaliens sich erschloſs, nur flüchtig in Kopenhagen eingekehrt.
Groſse Arbeiten zur deutschen Grammatik haben sowohl seine nor-
dischen Studien als die umfassende Culturgeschichte zurückgedrängt. »Der
Erdgeruch des Bodens, auf dem man geboren, läſst die Forschung am
besten gedeihen«, sagt die akademische Antrittsrede. So setzte der Gram-
matiker Weinhold früh zu schönstem Vollgewinn in der Heimat ein. Die
»Aufforderung zum Stoffsammeln für eine Bearbeitung der deutsch-schle-
sischen Mundart« ward 1848 zwar durch politische Stürme verweht, aber
von Jacob Grimm sofort rühmlich gebucht und eine Grundlage für die aus-
gezeichnete Schrift »Über deutsche Dialektforschung«, worin Weinhold 1853
Laut- und Wortbildung und Formen des Schlesischen im beständigen Hin-
blick auf das Mittelhochdeutsche — das eigentlich Mitteldeutsche, Wilhelm
Grimm’s und Pfeiffer’s Revier, erschien ihm noch nicht sattsam aufgeklärt —
als historisch-philologischer Kenner behandelte. Auch polnische Einschläge
wurden in Kuhn’s Zeitschrift untersucht, einigen Wörtern jedoch dann ihr
deutscher Heimatschein zurückgegeben. Musterhafte »Beiträge zu einem
schlesischen Wörterbuch« folgten 1855 und bewährten die Unlösbarkeit
von Nennen und Kennen, Wort und Sache. Sie schöpften aus allen irgend
zugänglichen Quellen der Umgangssprache des Gebirges und des Flachlandes,
der Urkunden, der gebundenen und ungebundenen Litteratur vom Mittel-
alter bis zu Opitz, von Gryphius bis zu Freund Holtei, dem Weinhold
durch ein Glossar bald denselben Dienst erweisen konnte wie Müllenhoff
seinem Klaus Groth. Als Quick- und Jungborn für die kränkelnde Schrift-
sprache pries er 1853 wie 1893, der Meinung Jacob Grimm’s vom Verfall
treu, die Mundart und zog gleich dem Meister alterthümliche Stempel der
neuen Münze vor. Es gehört zu seiner Charakteristik, daſs er so hart-
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