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Schmidt, Erich: Gedächtnissrede auf Karl Weinhold. Berlin, 1902.

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8 E. SCHMIDT:


aufgefordert und nach Hartmann's bairischen Ernten endlich in Friedrich
Vogt's schlesischen Texten und Forschungen die beste Nachfolge gefunden,
zur Herzensfreude Weinhold's. Er selbst unternahm von hier aus eine der
empirischen Poetik willkommene Beschreibung der Komik im altdeutschen
Schauspiel. Und hatten an jenen Krippen Steirer den Sehlesiern mit
rauheren Lauten geantwortet, so setzte Weinhold von Graz aus seine um-
fassende Beobachtung der Volkspoesie fort. Im April 1858 erliess der dor-
tige Historische Verein einen von ihm verfassten Aufruf zur Sammlung
weltlicher und geistlicher Volkslieder, Reime und "Gspiele", auch der
Sprüche bei Festen und auf Geräthen als Stammbuchblätter des Volkes;
Zartes und Reines sollte doch die derbe Sinnlichkeit und den Schmutz
nicht ausschliessen. Weinhold ist in den letzten fünfziger Jahren manchmal
auf schönen Thal- und Bergpfaden durch die Steiermark gewandert, süd-
wärts in's windische Gebiet hinein und nordwärts bis nach Mariazell. Noch
kurz vor seinem Tode schrieb er dem alten Begleiter Ilwof Worte frischer
Erinnerung an die Felsen, wo ein Hirtenbub glanzäugig betheuert hatte,
die weissen seligen Frauen einmal leibhaft gesehn zu haben. Zum er-
schliessenden Verkehr mit dem Landvolk, wie er selbst als Jüngling be-
tont, wenig geschaffen, fühlte Weinhold doch immer, in Schlesien und in
Steiermark, minder in Schleswig-Holstein, wo ihn dafür die freie Selb-
ständigkeit der Menschen stark anmuthete, endlich als dankbar erquickter
Feriengast Salzburgs und Tirols den aufmunternden Reiz, vom Studirtisch
in die frische Natur, unter schlichte conservative Leute zu gehn. Den
Genuss bei winterlicher Pflege solcher Sommerernten hat er einmal beredt
geschildert (Grenzboten 1857 Nr. 9): "Hinter den Worten tauchen freund-
liche Landschaften, hübsche Köpfe, derbe Gesichter auf und grüssen den
fröhlichen Arbeiter. Denn ein Mundartensammler ist kein grämlicher ver-
trockneter Geselle; aus der heiteren Kraft der Volksrede dringt ihm un-
vermerkt Tropfen auf Tropfen in die Adern und macht das dicke gelehrte
Blut lustig."
Diese Worte stehn in einem belehrenden und unterhaltenden Aufsatze,
der gleich anderen seinen Ursprung einem artigen Zuruf Gustav Freytag's
verdankt (24. October 1856). Dieser bat Weinhold zu thun, was er selbst
meisterhaft begann, nämlich die aristokratische deutsche Philologie zu popu-
larisiren durch eine Reihe von Bildern aus der Vorzeit. Er appellirte an
Weinhold's in culturgeschichtlichen Werken erwiesene Begabung. Denn


8 E. SCHMIDT:


aufgefordert und nach Hartmann’s bairischen Ernten endlich in Friedrich
Vogt’s schlesischen Texten und Forschungen die beste Nachfolge gefunden,
zur Herzensfreude Weinhold’s. Er selbst unternahm von hier aus eine der
empirischen Poetik willkommene Beschreibung der Komik im altdeutschen
Schauspiel. Und hatten an jenen Krippen Steirer den Sehlesiern mit
rauheren Lauten geantwortet, so setzte Weinhold von Graz aus seine um-
fassende Beobachtung der Volkspoesie fort. Im April 1858 erlieſs der dor-
tige Historische Verein einen von ihm verfaſsten Aufruf zur Sammlung
weltlicher und geistlicher Volkslieder, Reime und »Gspiele«, auch der
Sprüche bei Festen und auf Geräthen als Stammbuchblätter des Volkes;
Zartes und Reines sollte doch die derbe Sinnlichkeit und den Schmutz
nicht ausschlieſsen. Weinhold ist in den letzten fünfziger Jahren manchmal
auf schönen Thal- und Bergpfaden durch die Steiermark gewandert, süd-
wärts in’s windische Gebiet hinein und nordwärts bis nach Mariazell. Noch
kurz vor seinem Tode schrieb er dem alten Begleiter Ilwof Worte frischer
Erinnerung an die Felsen, wo ein Hirtenbub glanzäugig betheuert hatte,
die weiſsen seligen Frauen einmal leibhaft gesehn zu haben. Zum er-
schlieſsenden Verkehr mit dem Landvolk, wie er selbst als Jüngling be-
tont, wenig geschaffen, fühlte Weinhold doch immer, in Schlesien und in
Steiermark, minder in Schleswig-Holstein, wo ihn dafür die freie Selb-
ständigkeit der Menschen stark anmuthete, endlich als dankbar erquickter
Feriengast Salzburgs und Tirols den aufmunternden Reiz, vom Studirtisch
in die frische Natur, unter schlichte conservative Leute zu gehn. Den
Genuſs bei winterlicher Pflege solcher Sommerernten hat er einmal beredt
geschildert (Grenzboten 1857 Nr. 9): »Hinter den Worten tauchen freund-
liche Landschaften, hübsche Köpfe, derbe Gesichter auf und grüſsen den
fröhlichen Arbeiter. Denn ein Mundartensammler ist kein grämlicher ver-
trockneter Geselle; aus der heiteren Kraft der Volksrede dringt ihm un-
vermerkt Tropfen auf Tropfen in die Adern und macht das dicke gelehrte
Blut lustig.«
Diese Worte stehn in einem belehrenden und unterhaltenden Aufsatze,
der gleich anderen seinen Ursprung einem artigen Zuruf Gustav Freytag’s
verdankt (24. October 1856). Dieser bat Weinhold zu thun, was er selbst
meisterhaft begann, nämlich die aristokratische deutsche Philologie zu popu-
larisiren durch eine Reihe von Bildern aus der Vorzeit. Er appellirte an
Weinhold’s in culturgeschichtlichen Werken erwiesene Begabung. Denn

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[10/0010] 8 E. SCHMIDT: aufgefordert und nach Hartmann’s bairischen Ernten endlich in Friedrich Vogt’s schlesischen Texten und Forschungen die beste Nachfolge gefunden, zur Herzensfreude Weinhold’s. Er selbst unternahm von hier aus eine der empirischen Poetik willkommene Beschreibung der Komik im altdeutschen Schauspiel. Und hatten an jenen Krippen Steirer den Sehlesiern mit rauheren Lauten geantwortet, so setzte Weinhold von Graz aus seine um- fassende Beobachtung der Volkspoesie fort. Im April 1858 erlieſs der dor- tige Historische Verein einen von ihm verfaſsten Aufruf zur Sammlung weltlicher und geistlicher Volkslieder, Reime und »Gspiele«, auch der Sprüche bei Festen und auf Geräthen als Stammbuchblätter des Volkes; Zartes und Reines sollte doch die derbe Sinnlichkeit und den Schmutz nicht ausschlieſsen. Weinhold ist in den letzten fünfziger Jahren manchmal auf schönen Thal- und Bergpfaden durch die Steiermark gewandert, süd- wärts in’s windische Gebiet hinein und nordwärts bis nach Mariazell. Noch kurz vor seinem Tode schrieb er dem alten Begleiter Ilwof Worte frischer Erinnerung an die Felsen, wo ein Hirtenbub glanzäugig betheuert hatte, die weiſsen seligen Frauen einmal leibhaft gesehn zu haben. Zum er- schlieſsenden Verkehr mit dem Landvolk, wie er selbst als Jüngling be- tont, wenig geschaffen, fühlte Weinhold doch immer, in Schlesien und in Steiermark, minder in Schleswig-Holstein, wo ihn dafür die freie Selb- ständigkeit der Menschen stark anmuthete, endlich als dankbar erquickter Feriengast Salzburgs und Tirols den aufmunternden Reiz, vom Studirtisch in die frische Natur, unter schlichte conservative Leute zu gehn. Den Genuſs bei winterlicher Pflege solcher Sommerernten hat er einmal beredt geschildert (Grenzboten 1857 Nr. 9): »Hinter den Worten tauchen freund- liche Landschaften, hübsche Köpfe, derbe Gesichter auf und grüſsen den fröhlichen Arbeiter. Denn ein Mundartensammler ist kein grämlicher ver- trockneter Geselle; aus der heiteren Kraft der Volksrede dringt ihm un- vermerkt Tropfen auf Tropfen in die Adern und macht das dicke gelehrte Blut lustig.« Diese Worte stehn in einem belehrenden und unterhaltenden Aufsatze, der gleich anderen seinen Ursprung einem artigen Zuruf Gustav Freytag’s verdankt (24. October 1856). Dieser bat Weinhold zu thun, was er selbst meisterhaft begann, nämlich die aristokratische deutsche Philologie zu popu- larisiren durch eine Reihe von Bildern aus der Vorzeit. Er appellirte an Weinhold’s in culturgeschichtlichen Werken erwiesene Begabung. Denn

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Zitationshilfe: Schmidt, Erich: Gedächtnissrede auf Karl Weinhold. Berlin, 1902, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmidt_weinhold_1902/10>, abgerufen am 24.11.2024.