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Schlözer, August Ludwig von: August Ludwig Schlözers [...] Vorstellung seiner Universal-Historie. Bd. 2. Göttingen u. a., 1773.

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daß Belleslettres zwar ein sehr schätzbarer,
aber doch nur ein Teil, von der unermeßli-
chen ganzen Gelersamleit sei; und wähnen,
wer Belleslettres verstünde, der verstünde
alles. Daher lernen sie nichts. 3) Da zu
diesem Teilgen der Gelehrsamkeit, vorzüg-
licher als zu andern Wissenschaften, Genie
gehört, aber nur aus dem Grunde, weil
ein Belletriste ohne Genie ein völlig un-
brauchbares und erbärmliches Wesen ist,
hingegen z. E. ein Historiker, ein Jurist etc.
auch bei wenigem Genie durch bloßen Fleiß
ein sehr nützlicher Mann seyn kan: so sehen
sich diese Herren für Genies kat' ezokhen
an; verachten alle andre Wissenschaften, in
denen Fleiß und Studium oft mer als Ge-
nie thut; und glauben, sich alles dessen,
was noch in andren Wissenschaften würdi-
ges ist, durch ihr Genie bemächtigen zu
können. Daher 4) fallen sie, bei aller ih-

rer
te er denn in einem Lande leben, wo alle
Justizbediente aus ihren Stuben liefen,
und, anstatt Acten zu lesen, Volkslieder
sammleten? Eins kan geschehen, und das
andre auch: sollte aber eins von beiden fe-
len; so wollt ich doch lieber den Samm-
ler von Volksliedern, als den Actenmann,
missen.

daß Belleslettres zwar ein ſehr ſchaͤtzbarer,
aber doch nur ein Teil, von der unermeßli-
chen ganzen Gelerſamleit ſei; und waͤhnen,
wer Belleslettres verſtuͤnde, der verſtuͤnde
alles. Daher lernen ſie nichts. 3) Da zu
dieſem Teilgen der Gelehrſamkeit, vorzuͤg-
licher als zu andern Wiſſenſchaften, Genie
gehoͤrt, aber nur aus dem Grunde, weil
ein Belletriſte ohne Genie ein voͤllig un-
brauchbares und erbaͤrmliches Weſen iſt,
hingegen z. E. ein Hiſtoriker, ein Juriſt etc.
auch bei wenigem Genie durch bloßen Fleiß
ein ſehr nuͤtzlicher Mann ſeyn kan: ſo ſehen
ſich dieſe Herren fuͤr Genies κατ᾽ ἐζοχην
an; verachten alle andre Wiſſenſchaften, in
denen Fleiß und Studium oft mer als Ge-
nie thut; und glauben, ſich alles deſſen,
was noch in andren Wiſſenſchaften wuͤrdi-
ges iſt, durch ihr Genie bemaͤchtigen zu
koͤnnen. Daher 4) fallen ſie, bei aller ih-

rer
te er denn in einem Lande leben, wo alle
Juſtizbediente aus ihren Stuben liefen,
und, anſtatt Acten zu leſen, Volkslieder
ſammleten? Eins kan geſchehen, und das
andre auch: ſollte aber eins von beiden fe-
len; ſo wollt ich doch lieber den Samm-
ler von Volksliedern, als den Actenmann,
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[388[164]/0184] daß Belleslettres zwar ein ſehr ſchaͤtzbarer, aber doch nur ein Teil, von der unermeßli- chen ganzen Gelerſamleit ſei; und waͤhnen, wer Belleslettres verſtuͤnde, der verſtuͤnde alles. Daher lernen ſie nichts. 3) Da zu dieſem Teilgen der Gelehrſamkeit, vorzuͤg- licher als zu andern Wiſſenſchaften, Genie gehoͤrt, aber nur aus dem Grunde, weil ein Belletriſte ohne Genie ein voͤllig un- brauchbares und erbaͤrmliches Weſen iſt, hingegen z. E. ein Hiſtoriker, ein Juriſt etc. auch bei wenigem Genie durch bloßen Fleiß ein ſehr nuͤtzlicher Mann ſeyn kan: ſo ſehen ſich dieſe Herren fuͤr Genies κατ᾽ ἐζοχην an; verachten alle andre Wiſſenſchaften, in denen Fleiß und Studium oft mer als Ge- nie thut; und glauben, ſich alles deſſen, was noch in andren Wiſſenſchaften wuͤrdi- ges iſt, durch ihr Genie bemaͤchtigen zu koͤnnen. Daher 4) fallen ſie, bei aller ih- rer * * te er denn in einem Lande leben, wo alle Juſtizbediente aus ihren Stuben liefen, und, anſtatt Acten zu leſen, Volkslieder ſammleten? Eins kan geſchehen, und das andre auch: ſollte aber eins von beiden fe- len; ſo wollt ich doch lieber den Samm- ler von Volksliedern, als den Actenmann, miſſen.

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Zitationshilfe: Schlözer, August Ludwig von: August Ludwig Schlözers [...] Vorstellung seiner Universal-Historie. Bd. 2. Göttingen u. a., 1773, S. 388[164]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schloezer_universalhistorie02_1773/184>, abgerufen am 24.11.2024.