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Schliemann, Heinrich: Trojanische Alterthümer. Bericht über die Ausgrabungen in Troja. Leipzig, 1874.

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der krämer konstantinos kolobos.
grabe, befindet und dessen Bühne eine Breite von
60 Meter hat.

Die Tageshitze von 32 Grad Celsius bemerkt man
hier gar nicht infolge des fortwährenden Sturms, und
die Nächte sind kühl und erfrischend.

Nächst dem unaufhörlichen, unerträglichen Sturm ist
die hiesige ungeheuere Menge von Insekten und Unge-
ziefer aller Art unsere grösste Plage; besondere Angst
aber haben wir vor den Skorpionen und den sogenann-
ten Vierzigfüsslern (Sarantopodia), die oft von der Decke
des Zimmers auf uns oder neben uns niederfallen und
deren Biss tödlich sein soll.

Ich kann nicht schliessen, ohne einer höchst merk-
würdigen Persönlichkeit, des Krämers Konstantinos
Kolobos, in dem in der Ebene von Troja gelegenen
Dorfe Neo-Chorion, zu erwähnen, welcher, obwol ohne
Füsse geboren, dennoch im Kleinhandel, in einem arm-
seligen Dorfe, ein bedeutendes Vermögen erworben
hat. Aber sein Talent ist nicht allein auf den Handel
beschränkt, es dehnt sich auch auf Sprachkenntniss
aus, und obwol Kolobos mit den rohen, unwissenden
Dorfjungen aufgewachsen ist und nie einen Lehrer
gehabt hat, so ist es ihm dennoch durch Selbstunter-
richt gelungen, sich die italienische und französi-
sche Sprache so eigen zu machen, dass er beide
fertig schreibt und spricht. Auch im Altgriechischen
hat er es durch mehrmaliges Abschreiben und Aus-
wendiglernen eines grossen etymologischen Lexikons
und durch das Lesen aller Classiker zu einer be-
wunderungswürdigen Fertigkeit gebracht, und weiss
ganze Rhapsodien der Ilias auswendig. Wie jammer-

der krämer konstantinos kolobos.
grabe, befindet und dessen Bühne eine Breite von
60 Meter hat.

Die Tageshitze von 32 Grad Celsius bemerkt man
hier gar nicht infolge des fortwährenden Sturms, und
die Nächte sind kühl und erfrischend.

Nächst dem unaufhörlichen, unerträglichen Sturm ist
die hiesige ungeheuere Menge von Insekten und Unge-
ziefer aller Art unsere grösste Plage; besondere Angst
aber haben wir vor den Skorpionen und den sogenann-
ten Vierzigfüsslern (Σαραντοπόδια), die oft von der Decke
des Zimmers auf uns oder neben uns niederfallen und
deren Biss tödlich sein soll.

Ich kann nicht schliessen, ohne einer höchst merk-
würdigen Persönlichkeit, des Krämers Konstantinos
Kolobos, in dem in der Ebene von Troja gelegenen
Dorfe Neo-Chorion, zu erwähnen, welcher, obwol ohne
Füsse geboren, dennoch im Kleinhandel, in einem arm-
seligen Dorfe, ein bedeutendes Vermögen erworben
hat. Aber sein Talent ist nicht allein auf den Handel
beschränkt, es dehnt sich auch auf Sprachkenntniss
aus, und obwol Kolobos mit den rohen, unwissenden
Dorfjungen aufgewachsen ist und nie einen Lehrer
gehabt hat, so ist es ihm dennoch durch Selbstunter-
richt gelungen, sich die italienische und französi-
sche Sprache so eigen zu machen, dass er beide
fertig schreibt und spricht. Auch im Altgriechischen
hat er es durch mehrmaliges Abschreiben und Aus-
wendiglernen eines grossen etymologischen Lexikons
und durch das Lesen aller Classiker zu einer be-
wunderungswürdigen Fertigkeit gebracht, und weiss
ganze Rhapsodien der Ilias auswendig. Wie jammer-

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[155/0221] der krämer konstantinos kolobos. grabe, befindet und dessen Bühne eine Breite von 60 Meter hat. Die Tageshitze von 32 Grad Celsius bemerkt man hier gar nicht infolge des fortwährenden Sturms, und die Nächte sind kühl und erfrischend. Nächst dem unaufhörlichen, unerträglichen Sturm ist die hiesige ungeheuere Menge von Insekten und Unge- ziefer aller Art unsere grösste Plage; besondere Angst aber haben wir vor den Skorpionen und den sogenann- ten Vierzigfüsslern (Σαραντοπόδια), die oft von der Decke des Zimmers auf uns oder neben uns niederfallen und deren Biss tödlich sein soll. Ich kann nicht schliessen, ohne einer höchst merk- würdigen Persönlichkeit, des Krämers Konstantinos Kolobos, in dem in der Ebene von Troja gelegenen Dorfe Neo-Chorion, zu erwähnen, welcher, obwol ohne Füsse geboren, dennoch im Kleinhandel, in einem arm- seligen Dorfe, ein bedeutendes Vermögen erworben hat. Aber sein Talent ist nicht allein auf den Handel beschränkt, es dehnt sich auch auf Sprachkenntniss aus, und obwol Kolobos mit den rohen, unwissenden Dorfjungen aufgewachsen ist und nie einen Lehrer gehabt hat, so ist es ihm dennoch durch Selbstunter- richt gelungen, sich die italienische und französi- sche Sprache so eigen zu machen, dass er beide fertig schreibt und spricht. Auch im Altgriechischen hat er es durch mehrmaliges Abschreiben und Aus- wendiglernen eines grossen etymologischen Lexikons und durch das Lesen aller Classiker zu einer be- wunderungswürdigen Fertigkeit gebracht, und weiss ganze Rhapsodien der Ilias auswendig. Wie jammer-

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Zitationshilfe: Schliemann, Heinrich: Trojanische Alterthümer. Bericht über die Ausgrabungen in Troja. Leipzig, 1874, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schliemann_trojanische_1874/221>, abgerufen am 27.04.2024.