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Schliemann, Heinrich: Trojanische Alterthümer. Bericht über die Ausgrabungen in Troja. Leipzig, 1874.

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bedeutung und entstehungszeit des reliefs.
Triglyphs der linken Seite vermuthe ich, dass diese
Metope neben einer andern Sculptur, die auf der rech-
ten Seite ebenfalls ein dorisches Triglyph hatte, die
Propyläen des Tempels geschmückt hat.

Vor allem ist hier das Vorhandensein des Sonnen-
gottes höchst merkwürdig, denn von einem Tempel der
Sonne in Troja weiss Homer nichts, und die spätere Ge-
schichte sagt uns kein Wort davon, dass es hier einen
solchen gab. Das Bild des Phoebus Apollo beweist
aber auch nicht, dass die Sculptur zu einem Tempel der
Sonne gehört haben muss; sie kann nach meiner Meinung
ebenso gut als Schmuck irgendeines andern Tempels
gedient haben.

Bereits in meinem Aufsatze vom 11. Mai habe ich
die Vermuthung gewagt, dass das Bild der Sonne, welches
ich hier tausend und abertausend mal auf den runden
Stücken Terracotta dargestellt finde, der Name oder das
Sinnbild der Stadt, nämlich "Ilios sein müsse, und ich
wage jetzt die Meinung auszusprechen, dass auf gleiche
Weise dieser Sonnengott in weiblicher Gestalt als
Symbol "tes ' Iliou" auf den Propulaia des Tempels der
ilischen Minerva geglänzt hat. Ich hörte von einem
gelehrten Freunde die Meinung aussprechen, dass dies
Meisterwerk aus der Zeit zwischen Perikles und Alexan-
der dem Grossen stamme, da die ausgestreckte Hand
des Sonnengottes sehr ähnlich derjenigen des Phoebus
Apollo auf den Münzen von Rhodos aus jener Epoche
ist. Nach Strabo (XIII, 1) aber fand Alexander der
Grosse bei seinem Besuche in Ilion einen winzigen
Tempel (eutele naon) der ilischen Minerva vor, und
ein winziger Tempel kann wol solche Meisterwerke

bedeutung und entstehungszeit des reliefs.
Triglyphs der linken Seite vermuthe ich, dass diese
Metope neben einer andern Sculptur, die auf der rech-
ten Seite ebenfalls ein dorisches Triglyph hatte, die
Propyläen des Tempels geschmückt hat.

Vor allem ist hier das Vorhandensein des Sonnen-
gottes höchst merkwürdig, denn von einem Tempel der
Sonne in Troja weiss Homer nichts, und die spätere Ge-
schichte sagt uns kein Wort davon, dass es hier einen
solchen gab. Das Bild des Phoebus Apollo beweist
aber auch nicht, dass die Sculptur zu einem Tempel der
Sonne gehört haben muss; sie kann nach meiner Meinung
ebenso gut als Schmuck irgendeines andern Tempels
gedient haben.

Bereits in meinem Aufsatze vom 11. Mai habe ich
die Vermuthung gewagt, dass das Bild der Sonne, welches
ich hier tausend und abertausend mal auf den runden
Stücken Terracotta dargestellt finde, der Name oder das
Sinnbild der Stadt, nämlich ῎Ιλιος sein müsse, und ich
wage jetzt die Meinung auszusprechen, dass auf gleiche
Weise dieser Sonnengott in weiblicher Gestalt als
Symbol „τῆς ᾽ Ιλίου“ auf den Προπύλαια des Tempels der
ilischen Minerva geglänzt hat. Ich hörte von einem
gelehrten Freunde die Meinung aussprechen, dass dies
Meisterwerk aus der Zeit zwischen Perikles und Alexan-
der dem Grossen stamme, da die ausgestreckte Hand
des Sonnengottes sehr ähnlich derjenigen des Phoebus
Apollo auf den Münzen von Rhodos aus jener Epoche
ist. Nach Strabo (XIII, 1) aber fand Alexander der
Grosse bei seinem Besuche in Ilion einen winzigen
Tempel (εὐτελῆ ναόν) der ilischen Minerva vor, und
ein winziger Tempel kann wol solche Meisterwerke

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[101/0167] bedeutung und entstehungszeit des reliefs. Triglyphs der linken Seite vermuthe ich, dass diese Metope neben einer andern Sculptur, die auf der rech- ten Seite ebenfalls ein dorisches Triglyph hatte, die Propyläen des Tempels geschmückt hat. Vor allem ist hier das Vorhandensein des Sonnen- gottes höchst merkwürdig, denn von einem Tempel der Sonne in Troja weiss Homer nichts, und die spätere Ge- schichte sagt uns kein Wort davon, dass es hier einen solchen gab. Das Bild des Phoebus Apollo beweist aber auch nicht, dass die Sculptur zu einem Tempel der Sonne gehört haben muss; sie kann nach meiner Meinung ebenso gut als Schmuck irgendeines andern Tempels gedient haben. Bereits in meinem Aufsatze vom 11. Mai habe ich die Vermuthung gewagt, dass das Bild der Sonne, welches ich hier tausend und abertausend mal auf den runden Stücken Terracotta dargestellt finde, der Name oder das Sinnbild der Stadt, nämlich ῎Ιλιος sein müsse, und ich wage jetzt die Meinung auszusprechen, dass auf gleiche Weise dieser Sonnengott in weiblicher Gestalt als Symbol „τῆς ᾽ Ιλίου“ auf den Προπύλαια des Tempels der ilischen Minerva geglänzt hat. Ich hörte von einem gelehrten Freunde die Meinung aussprechen, dass dies Meisterwerk aus der Zeit zwischen Perikles und Alexan- der dem Grossen stamme, da die ausgestreckte Hand des Sonnengottes sehr ähnlich derjenigen des Phoebus Apollo auf den Münzen von Rhodos aus jener Epoche ist. Nach Strabo (XIII, 1) aber fand Alexander der Grosse bei seinem Besuche in Ilion einen winzigen Tempel (εὐτελῆ ναόν) der ilischen Minerva vor, und ein winziger Tempel kann wol solche Meisterwerke

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Zitationshilfe: Schliemann, Heinrich: Trojanische Alterthümer. Bericht über die Ausgrabungen in Troja. Leipzig, 1874, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schliemann_trojanische_1874/167>, abgerufen am 25.11.2024.