neutest. Schriften, welche als authentisch feststehen, citirt würden, so wäre das freilich etwas anders. Allein da würde die Auctori- tät nicht als eine apostolische gelten, sondern nur als die Aucto- rität eines solchen, der bestimmt wissen konnte, wie es sich mit der Sache verhalte. Dieß ist nun freilich nicht der Fall. Dieß kann uns also nicht zu Statten kommen, und es würde auch dadurch keine Sonderung des neutest. Gebietes entstehen.
Wollte nun gar Jemand den Kirchenvätern eine ganz eigen- thümliche Auctorität beilegen, so wäre das wol für einen katho- lischen Theologen, nicht aber für uns, wie sich von selbst ver- steht. Jener aber, wenn er consequent ist, bedarf dieser Aucto- rität gar nicht. Wir sehen die Zeugnisse der Kirchenväter als Urtheile an, die erst geprüft werden müssen.
Die kritischen Regeln sind also dieselben, wie auf jedem an- dern litterarischen Gebiete.
Es giebt in Beziehung auf die neutest. Bücher Fragen, wel- che denen auf dem Gebiet der eigentlichen philologischen Kritik sehr verwandt sind, nicht aber hieher gehören. Diese müssen wir aussondern. Dahin gehört die complicirte Frage über die Genesis der synoptischen Evangelien. Die philologische Kritik als solche hat mit der Genesis eines Buches nichts zu schaffen, sie kann nur auf die Erscheinung des Buches zurückgehen. Giebt es aber in jenen Schriften Stellen, welche bei der ursprünglichen Erscheinung nicht dazu gehört haben, so liegt das auf unsrem Gebiete. Da kommt es auf Auctoritäten und Analogien an. Fragt man dagegen, sind einzelne Theile der synoptischen Evan- gelien schon früher vorhanden gewesen, sind dieselben aus fort- währender Erinnerung oder früher gesammelten Materialien ent- standen, sind sie ganz oder theilweise Zusammenstellungen von vorhanden gewesenen, ausgearbeiteten Materialien, -- so sind das Fragen, die nicht auf unser Gebiet gehören; es sind Aufga- ben eigenthümlicher Art, die nicht viel ihres Gleichen haben, wo- für es aber doch auf dem classischen Gebiete Analogien giebt, wie z. B. die bekannte Homerische Frage. Wohin gehören diese
neuteſt. Schriften, welche als authentiſch feſtſtehen, citirt wuͤrden, ſo waͤre das freilich etwas anders. Allein da wuͤrde die Auctori- taͤt nicht als eine apoſtoliſche gelten, ſondern nur als die Aucto- ritaͤt eines ſolchen, der beſtimmt wiſſen konnte, wie es ſich mit der Sache verhalte. Dieß iſt nun freilich nicht der Fall. Dieß kann uns alſo nicht zu Statten kommen, und es wuͤrde auch dadurch keine Sonderung des neuteſt. Gebietes entſtehen.
Wollte nun gar Jemand den Kirchenvaͤtern eine ganz eigen- thuͤmliche Auctoritaͤt beilegen, ſo waͤre das wol fuͤr einen katho- liſchen Theologen, nicht aber fuͤr uns, wie ſich von ſelbſt ver- ſteht. Jener aber, wenn er conſequent iſt, bedarf dieſer Aucto- ritaͤt gar nicht. Wir ſehen die Zeugniſſe der Kirchenvaͤter als Urtheile an, die erſt gepruͤft werden muͤſſen.
Die kritiſchen Regeln ſind alſo dieſelben, wie auf jedem an- dern litterariſchen Gebiete.
Es giebt in Beziehung auf die neuteſt. Buͤcher Fragen, wel- che denen auf dem Gebiet der eigentlichen philologiſchen Kritik ſehr verwandt ſind, nicht aber hieher gehoͤren. Dieſe muͤſſen wir ausſondern. Dahin gehoͤrt die complicirte Frage uͤber die Geneſis der ſynoptiſchen Evangelien. Die philologiſche Kritik als ſolche hat mit der Geneſis eines Buches nichts zu ſchaffen, ſie kann nur auf die Erſcheinung des Buches zuruͤckgehen. Giebt es aber in jenen Schriften Stellen, welche bei der urſpruͤnglichen Erſcheinung nicht dazu gehoͤrt haben, ſo liegt das auf unſrem Gebiete. Da kommt es auf Auctoritaͤten und Analogien an. Fragt man dagegen, ſind einzelne Theile der ſynoptiſchen Evan- gelien ſchon fruͤher vorhanden geweſen, ſind dieſelben aus fort- waͤhrender Erinnerung oder fruͤher geſammelten Materialien ent- ſtanden, ſind ſie ganz oder theilweiſe Zuſammenſtellungen von vorhanden geweſenen, ausgearbeiteten Materialien, — ſo ſind das Fragen, die nicht auf unſer Gebiet gehoͤren; es ſind Aufga- ben eigenthuͤmlicher Art, die nicht viel ihres Gleichen haben, wo- fuͤr es aber doch auf dem claſſiſchen Gebiete Analogien giebt, wie z. B. die bekannte Homeriſche Frage. Wohin gehoͤren dieſe
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neuteſt. Schriften, welche als authentiſch feſtſtehen, citirt wuͤrden,
ſo waͤre das freilich etwas anders. Allein da wuͤrde die Auctori-
taͤt nicht als eine apoſtoliſche gelten, ſondern nur als die Aucto-
ritaͤt eines ſolchen, der beſtimmt wiſſen konnte, wie es ſich mit
der Sache verhalte. Dieß iſt nun freilich nicht der Fall. Dieß
kann uns alſo nicht zu Statten kommen, und es wuͤrde auch
dadurch keine Sonderung des neuteſt. Gebietes entſtehen.
Wollte nun gar Jemand den Kirchenvaͤtern eine ganz eigen-
thuͤmliche Auctoritaͤt beilegen, ſo waͤre das wol fuͤr einen katho-
liſchen Theologen, nicht aber fuͤr uns, wie ſich von ſelbſt ver-
ſteht. Jener aber, wenn er conſequent iſt, bedarf dieſer Aucto-
ritaͤt gar nicht. Wir ſehen die Zeugniſſe der Kirchenvaͤter als
Urtheile an, die erſt gepruͤft werden muͤſſen.
Die kritiſchen Regeln ſind alſo dieſelben, wie auf jedem an-
dern litterariſchen Gebiete.
Es giebt in Beziehung auf die neuteſt. Buͤcher Fragen, wel-
che denen auf dem Gebiet der eigentlichen philologiſchen Kritik
ſehr verwandt ſind, nicht aber hieher gehoͤren. Dieſe muͤſſen
wir ausſondern. Dahin gehoͤrt die complicirte Frage uͤber die
Geneſis der ſynoptiſchen Evangelien. Die philologiſche Kritik als
ſolche hat mit der Geneſis eines Buches nichts zu ſchaffen, ſie
kann nur auf die Erſcheinung des Buches zuruͤckgehen. Giebt
es aber in jenen Schriften Stellen, welche bei der urſpruͤnglichen
Erſcheinung nicht dazu gehoͤrt haben, ſo liegt das auf unſrem
Gebiete. Da kommt es auf Auctoritaͤten und Analogien an.
Fragt man dagegen, ſind einzelne Theile der ſynoptiſchen Evan-
gelien ſchon fruͤher vorhanden geweſen, ſind dieſelben aus fort-
waͤhrender Erinnerung oder fruͤher geſammelten Materialien ent-
ſtanden, ſind ſie ganz oder theilweiſe Zuſammenſtellungen von
vorhanden geweſenen, ausgearbeiteten Materialien, — ſo ſind
das Fragen, die nicht auf unſer Gebiet gehoͤren; es ſind Aufga-
ben eigenthuͤmlicher Art, die nicht viel ihres Gleichen haben, wo-
fuͤr es aber doch auf dem claſſiſchen Gebiete Analogien giebt, wie
z. B. die bekannte Homeriſche Frage. Wohin gehoͤren dieſe
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Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/399>, abgerufen am 22.12.2024.
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