Mittel in seiner Hand seien, und daß der Aufwand von Zeit für ihn in einem richtigen Verhältnisse stehe.
Wie liegt die Sache zu unsrer Zeit? Was haben wir für Hülfsmittel, uns von der Herrschaft der recepta zu befreien?
Alle Ausgaben, die auf irgend eine Weise kritisch sind, (die Lachmannsche freilich ausgenommen, obwohl sie, zwar kritisch ge- nug in sich selbst, doch so lange der Apparat fehlt nicht kritisch genannt werden kann, weil der Leser sie nicht kritisch für sich allein gebrauchen kann,) haben bisher die recepta zum Grund gelegt, selbst Griesbach. Will man nun eine Vorstellung vom Zustande des Textes haben, so muß man auch bei Griesbach sein Auge auf den krit. Apparat haben. Das Erste, was da wahr- zunehmen, ist, wieweit sich die recepta von den ältesten Hand- schriften der beiden Hauptfamilien entfernt hat. Hat man diese Hauptanschauung gewonnen, so wird man die Achtung vor je- nem Text schon hinlänglich verlieren. Aber vollständig kann man sich doch noch nicht überzeugen, wenn man auch bei Seite sezt, daß der bisherige Apparat noch auf sehr unvollständigen Verglei- chungen beruht, denn auch bei Griesbach ist niemals der Stand der Sache vollständig und klar dargestellt. Durch die Art, wie Griesbach den Apparat im Verhältniß zum Text eingerichtet hat 1), wird eine stetige Vergleichung unmöglich. Eine solche aber ist nothwendig. Freilich würde, wenn die Vergleichung stets möglich und sicher sein sollte, die Masse des kritischen Apparats größer werden müssen, wodurch denn das Verfahren sehr erschwert wer- den würde. Aber es läßt sich eine bessere Einrichtung des Appa- rats denken, so daß alle Handschriften, die gar keine Auctorität haben, weggelassen, und die Vergleichung nur auf die wirklichen Auctoritäten beschränkt würde. Indem so die unnüze Masse ver- schwände, würde es möglich sein, den Zustand des ganzen Textes vor Augen zu bringen und bei jeder Stelle zu sehen, wie sich die recepta zu dem bezeugten Text verhält. Auf die Weise lie-
1) Vergl. S. 305 f.
Mittel in ſeiner Hand ſeien, und daß der Aufwand von Zeit fuͤr ihn in einem richtigen Verhaͤltniſſe ſtehe.
Wie liegt die Sache zu unſrer Zeit? Was haben wir fuͤr Huͤlfsmittel, uns von der Herrſchaft der recepta zu befreien?
Alle Ausgaben, die auf irgend eine Weiſe kritiſch ſind, (die Lachmannſche freilich ausgenommen, obwohl ſie, zwar kritiſch ge- nug in ſich ſelbſt, doch ſo lange der Apparat fehlt nicht kritiſch genannt werden kann, weil der Leſer ſie nicht kritiſch fuͤr ſich allein gebrauchen kann,) haben bisher die recepta zum Grund gelegt, ſelbſt Griesbach. Will man nun eine Vorſtellung vom Zuſtande des Textes haben, ſo muß man auch bei Griesbach ſein Auge auf den krit. Apparat haben. Das Erſte, was da wahr- zunehmen, iſt, wieweit ſich die recepta von den aͤlteſten Hand- ſchriften der beiden Hauptfamilien entfernt hat. Hat man dieſe Hauptanſchauung gewonnen, ſo wird man die Achtung vor je- nem Text ſchon hinlaͤnglich verlieren. Aber vollſtaͤndig kann man ſich doch noch nicht uͤberzeugen, wenn man auch bei Seite ſezt, daß der bisherige Apparat noch auf ſehr unvollſtaͤndigen Verglei- chungen beruht, denn auch bei Griesbach iſt niemals der Stand der Sache vollſtaͤndig und klar dargeſtellt. Durch die Art, wie Griesbach den Apparat im Verhaͤltniß zum Text eingerichtet hat 1), wird eine ſtetige Vergleichung unmoͤglich. Eine ſolche aber iſt nothwendig. Freilich wuͤrde, wenn die Vergleichung ſtets moͤglich und ſicher ſein ſollte, die Maſſe des kritiſchen Apparats groͤßer werden muͤſſen, wodurch denn das Verfahren ſehr erſchwert wer- den wuͤrde. Aber es laͤßt ſich eine beſſere Einrichtung des Appa- rats denken, ſo daß alle Handſchriften, die gar keine Auctoritaͤt haben, weggelaſſen, und die Vergleichung nur auf die wirklichen Auctoritaͤten beſchraͤnkt wuͤrde. Indem ſo die unnuͤze Maſſe ver- ſchwaͤnde, wuͤrde es moͤglich ſein, den Zuſtand des ganzen Textes vor Augen zu bringen und bei jeder Stelle zu ſehen, wie ſich die recepta zu dem bezeugten Text verhaͤlt. Auf die Weiſe lie-
1) Vergl. S. 305 f.
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Mittel in ſeiner Hand ſeien, und daß der Aufwand von Zeit
fuͤr ihn in einem richtigen Verhaͤltniſſe ſtehe.
Wie liegt die Sache zu unſrer Zeit? Was haben wir fuͤr
Huͤlfsmittel, uns von der Herrſchaft der recepta zu befreien?
Alle Ausgaben, die auf irgend eine Weiſe kritiſch ſind, (die
Lachmannſche freilich ausgenommen, obwohl ſie, zwar kritiſch ge-
nug in ſich ſelbſt, doch ſo lange der Apparat fehlt nicht kritiſch
genannt werden kann, weil der Leſer ſie nicht kritiſch fuͤr ſich
allein gebrauchen kann,) haben bisher die recepta zum Grund
gelegt, ſelbſt Griesbach. Will man nun eine Vorſtellung vom
Zuſtande des Textes haben, ſo muß man auch bei Griesbach ſein
Auge auf den krit. Apparat haben. Das Erſte, was da wahr-
zunehmen, iſt, wieweit ſich die recepta von den aͤlteſten Hand-
ſchriften der beiden Hauptfamilien entfernt hat. Hat man dieſe
Hauptanſchauung gewonnen, ſo wird man die Achtung vor je-
nem Text ſchon hinlaͤnglich verlieren. Aber vollſtaͤndig kann man
ſich doch noch nicht uͤberzeugen, wenn man auch bei Seite ſezt,
daß der bisherige Apparat noch auf ſehr unvollſtaͤndigen Verglei-
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der Sache vollſtaͤndig und klar dargeſtellt. Durch die Art, wie
Griesbach den Apparat im Verhaͤltniß zum Text eingerichtet hat 1),
wird eine ſtetige Vergleichung unmoͤglich. Eine ſolche aber iſt
nothwendig. Freilich wuͤrde, wenn die Vergleichung ſtets moͤglich
und ſicher ſein ſollte, die Maſſe des kritiſchen Apparats groͤßer
werden muͤſſen, wodurch denn das Verfahren ſehr erſchwert wer-
den wuͤrde. Aber es laͤßt ſich eine beſſere Einrichtung des Appa-
rats denken, ſo daß alle Handſchriften, die gar keine Auctoritaͤt
haben, weggelaſſen, und die Vergleichung nur auf die wirklichen
Auctoritaͤten beſchraͤnkt wuͤrde. Indem ſo die unnuͤze Maſſe ver-
ſchwaͤnde, wuͤrde es moͤglich ſein, den Zuſtand des ganzen Textes
vor Augen zu bringen und bei jeder Stelle zu ſehen, wie ſich
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1) Vergl. S. 305 f.
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Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/369>, abgerufen am 22.12.2024.
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