zurückgeht, weil die späteren Handschriften schon Emendationen aufgenommen haben. Allein jene Stellen sind größtentheils von der Art, daß sie das wesentliche Interesse und die Dignität des N. T. nicht affiziren. Sollte wirklich eine kirchliche Lehre auf einer verdächtigen Stelle beruhen, so wäre das ein Übel, welches mit Sicherheit nicht zu heilen wäre. Allein das ist wol nie der Fall, denn selbst in einzelnen Stellen, wo es sein könnte, möchte wol für die kirchliche Lehre wenig entschieden werden, wenn man so oder so liest.
Vorausgesezt, daß das angegebene Verfahren das richtige sei, und daß es verhältnißmäßig wenig Stellen gebe, welche die Hülfe der divinatorischen Kritik erfordern, um den Sinn richtig zu be- stimmen, wiefern liegt es jedem Theologen ob, sich mit der neutest. Kritik zu befassen?
Diese Frage läßt sich verschieden beantworten. Hält man für zulässig, sich unter eine Auctorität zu begeben, so scheint es, als könne man sich der Sache gänzlich entschlagen. Allein es kommt doch gar sehr darauf an, ob man diese oder jene Auctorität wählt. Will man sich nun bei dieser Wahl nicht wieder unter eine Aucto- rität begeben, so muß man doch selbst ein Urtheil haben. Es mag Manchem zuträglicher scheinen, eine gute Wahl zu treffen, als selbst an die Sache zu gehen. Allein in der evangelischen Kirche werden wir doch schwerlich zugeben, daß nur Wenigen jenes Geschäft obliege, sobald wir das Princip festhalten, daß der Theolog in seiner Praxis überwiegend mit dem Grundtext, nicht mit der Übersezung zu thun habe. Hiernach muß Jedem obliegen, sich um das, was er vor sich hat, wiefern es der Text ist oder nicht, zu bekümmern. Dieß gilt nicht allein von bestimm- ten dogmatisch wichtigen Stellen.
Allein es ist nicht genug, eine Aufgabe allgemein zu stellen, es kommt auch darauf an, ob die Mittel zu ihrer Lösung vor- handen sind. Man muß dem Theologen nachweisen, daß die
zuruͤckgeht, weil die ſpaͤteren Handſchriften ſchon Emendationen aufgenommen haben. Allein jene Stellen ſind groͤßtentheils von der Art, daß ſie das weſentliche Intereſſe und die Dignitaͤt des N. T. nicht affiziren. Sollte wirklich eine kirchliche Lehre auf einer verdaͤchtigen Stelle beruhen, ſo waͤre das ein Übel, welches mit Sicherheit nicht zu heilen waͤre. Allein das iſt wol nie der Fall, denn ſelbſt in einzelnen Stellen, wo es ſein koͤnnte, moͤchte wol fuͤr die kirchliche Lehre wenig entſchieden werden, wenn man ſo oder ſo lieſt.
Vorausgeſezt, daß das angegebene Verfahren das richtige ſei, und daß es verhaͤltnißmaͤßig wenig Stellen gebe, welche die Huͤlfe der divinatoriſchen Kritik erfordern, um den Sinn richtig zu be- ſtimmen, wiefern liegt es jedem Theologen ob, ſich mit der neuteſt. Kritik zu befaſſen?
Dieſe Frage laͤßt ſich verſchieden beantworten. Haͤlt man fuͤr zulaͤſſig, ſich unter eine Auctoritaͤt zu begeben, ſo ſcheint es, als koͤnne man ſich der Sache gaͤnzlich entſchlagen. Allein es kommt doch gar ſehr darauf an, ob man dieſe oder jene Auctoritaͤt waͤhlt. Will man ſich nun bei dieſer Wahl nicht wieder unter eine Aucto- ritaͤt begeben, ſo muß man doch ſelbſt ein Urtheil haben. Es mag Manchem zutraͤglicher ſcheinen, eine gute Wahl zu treffen, als ſelbſt an die Sache zu gehen. Allein in der evangeliſchen Kirche werden wir doch ſchwerlich zugeben, daß nur Wenigen jenes Geſchaͤft obliege, ſobald wir das Princip feſthalten, daß der Theolog in ſeiner Praxis uͤberwiegend mit dem Grundtext, nicht mit der Überſezung zu thun habe. Hiernach muß Jedem obliegen, ſich um das, was er vor ſich hat, wiefern es der Text iſt oder nicht, zu bekuͤmmern. Dieß gilt nicht allein von beſtimm- ten dogmatiſch wichtigen Stellen.
Allein es iſt nicht genug, eine Aufgabe allgemein zu ſtellen, es kommt auch darauf an, ob die Mittel zu ihrer Loͤſung vor- handen ſind. Man muß dem Theologen nachweiſen, daß die
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zuruͤckgeht, weil die ſpaͤteren Handſchriften ſchon Emendationen
aufgenommen haben. Allein jene Stellen ſind groͤßtentheils von
der Art, daß ſie das weſentliche Intereſſe und die Dignitaͤt
des N. T. nicht affiziren. Sollte wirklich eine kirchliche Lehre
auf einer verdaͤchtigen Stelle beruhen, ſo waͤre das ein Übel,
welches mit Sicherheit nicht zu heilen waͤre. Allein das iſt wol
nie der Fall, denn ſelbſt in einzelnen Stellen, wo es ſein koͤnnte,
moͤchte wol fuͤr die kirchliche Lehre wenig entſchieden werden, wenn
man ſo oder ſo lieſt.
Vorausgeſezt, daß das angegebene Verfahren das richtige ſei,
und daß es verhaͤltnißmaͤßig wenig Stellen gebe, welche die Huͤlfe
der divinatoriſchen Kritik erfordern, um den Sinn richtig zu be-
ſtimmen, wiefern liegt es jedem Theologen ob, ſich mit der neuteſt.
Kritik zu befaſſen?
Dieſe Frage laͤßt ſich verſchieden beantworten. Haͤlt man fuͤr
zulaͤſſig, ſich unter eine Auctoritaͤt zu begeben, ſo ſcheint es, als
koͤnne man ſich der Sache gaͤnzlich entſchlagen. Allein es kommt
doch gar ſehr darauf an, ob man dieſe oder jene Auctoritaͤt waͤhlt.
Will man ſich nun bei dieſer Wahl nicht wieder unter eine Aucto-
ritaͤt begeben, ſo muß man doch ſelbſt ein Urtheil haben. Es
mag Manchem zutraͤglicher ſcheinen, eine gute Wahl zu treffen,
als ſelbſt an die Sache zu gehen. Allein in der evangeliſchen
Kirche werden wir doch ſchwerlich zugeben, daß nur Wenigen
jenes Geſchaͤft obliege, ſobald wir das Princip feſthalten, daß
der Theolog in ſeiner Praxis uͤberwiegend mit dem Grundtext,
nicht mit der Überſezung zu thun habe. Hiernach muß Jedem
obliegen, ſich um das, was er vor ſich hat, wiefern es der Text
iſt oder nicht, zu bekuͤmmern. Dieß gilt nicht allein von beſtimm-
ten dogmatiſch wichtigen Stellen.
Allein es iſt nicht genug, eine Aufgabe allgemein zu ſtellen,
es kommt auch darauf an, ob die Mittel zu ihrer Loͤſung vor-
handen ſind. Man muß dem Theologen nachweiſen, daß die
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Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/368>, abgerufen am 22.12.2024.
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