nen wir nur sagen, wahrscheinlich geraume Zeit nach dem Tode des Apostels. Nähere Bestimmung ist unmöglich. Sehr zu be- zweifeln ist, daß damals noch die Urschriften vorhanden gewesen, obschon die Briefe des Apostels von den Gemeinden sehr hochge- halten wurden, wie denn auch zu bezweifeln ist, ob die Samm- lung der Paul. Briefe aus Abschriften von Urschriften bestand. -- Ist nun unter solchen Umständen auch nur möglich, den ursprüng- lichen Text herzustellen? Es fehlt der Rückweg dazu. Man kann wol im Allgemeinen sagen, daß es möglich sei, aber nie die Möglichkeit als solche bestimmt wissen. So kann man sich jenes auch nicht zum Ziel sezen. Die Thatsache vorausgesezt, daß die Handschriften des N. T. eine so große Masse von Abweichungen darbieten, kann man irgend eine Zeit nachweisen, wo diese Ab- weichungen nicht gewesen? Man kann vielleicht auf den Zustand zurückgehen, wo man sie übersehen konnte, nicht auf den, wo sie noch nicht waren. Schon die ältesten kirchlichen Schriftsteller, die das N. T. philologisch behandelt haben, z. B. Origenes, füh- ren eine Menge von Abweichungen an. Da aber diese Anführun- gen nur gelegentlich sind, so haben wir daran keinen sicheren Maaßstab für die Masse der vorhandenen Abweichungen. Das Wahrscheinlichste ist, daß mehr vorhanden waren, als angeführt werden. Alle unsere Handschriften sind jünger, als jene Anfüh- rungen. So ist es unmöglich auf einen Zeitpunkt zurückzugehen, wo die Abweichungen sich noch in bestimmte Grenzen einschließen lassen.
Bei dieser Lage der Dinge ist zweierlei möglich. Der kriti- sche Herausgeber kann entweder etwas Gleichmäßiges leisten wol- len, dann aber muß er sich in solche bestimmte Grenzen zurück- ziehen. Dieß hat Lachmann am besten getroffen. Oder der Herausgeber kann sich vornehmen, das Älteste, was mit Sicher- heit aufzufinden ist, zu geben. Aber in diesem Falle würde immer Ungleichmäßiges und auch Unbestimmbares herauskommen, weil man das Zeitalter unserer Handschriften nicht genau kennt, und selbst, wenn wir das Alter der Handschriften genau kennten,
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nen wir nur ſagen, wahrſcheinlich geraume Zeit nach dem Tode des Apoſtels. Naͤhere Beſtimmung iſt unmoͤglich. Sehr zu be- zweifeln iſt, daß damals noch die Urſchriften vorhanden geweſen, obſchon die Briefe des Apoſtels von den Gemeinden ſehr hochge- halten wurden, wie denn auch zu bezweifeln iſt, ob die Samm- lung der Paul. Briefe aus Abſchriften von Urſchriften beſtand. — Iſt nun unter ſolchen Umſtaͤnden auch nur moͤglich, den urſpruͤng- lichen Text herzuſtellen? Es fehlt der Ruͤckweg dazu. Man kann wol im Allgemeinen ſagen, daß es moͤglich ſei, aber nie die Moͤglichkeit als ſolche beſtimmt wiſſen. So kann man ſich jenes auch nicht zum Ziel ſezen. Die Thatſache vorausgeſezt, daß die Handſchriften des N. T. eine ſo große Maſſe von Abweichungen darbieten, kann man irgend eine Zeit nachweiſen, wo dieſe Ab- weichungen nicht geweſen? Man kann vielleicht auf den Zuſtand zuruͤckgehen, wo man ſie uͤberſehen konnte, nicht auf den, wo ſie noch nicht waren. Schon die aͤlteſten kirchlichen Schriftſteller, die das N. T. philologiſch behandelt haben, z. B. Origenes, fuͤh- ren eine Menge von Abweichungen an. Da aber dieſe Anfuͤhrun- gen nur gelegentlich ſind, ſo haben wir daran keinen ſicheren Maaßſtab fuͤr die Maſſe der vorhandenen Abweichungen. Das Wahrſcheinlichſte iſt, daß mehr vorhanden waren, als angefuͤhrt werden. Alle unſere Handſchriften ſind juͤnger, als jene Anfuͤh- rungen. So iſt es unmoͤglich auf einen Zeitpunkt zuruͤckzugehen, wo die Abweichungen ſich noch in beſtimmte Grenzen einſchließen laſſen.
Bei dieſer Lage der Dinge iſt zweierlei moͤglich. Der kriti- ſche Herausgeber kann entweder etwas Gleichmaͤßiges leiſten wol- len, dann aber muß er ſich in ſolche beſtimmte Grenzen zuruͤck- ziehen. Dieß hat Lachmann am beſten getroffen. Oder der Herausgeber kann ſich vornehmen, das Älteſte, was mit Sicher- heit aufzufinden iſt, zu geben. Aber in dieſem Falle wuͤrde immer Ungleichmaͤßiges und auch Unbeſtimmbares herauskommen, weil man das Zeitalter unſerer Handſchriften nicht genau kennt, und ſelbſt, wenn wir das Alter der Handſchriften genau kennten,
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nen wir nur ſagen, wahrſcheinlich geraume Zeit nach dem Tode
des Apoſtels. Naͤhere Beſtimmung iſt unmoͤglich. Sehr zu be-
zweifeln iſt, daß damals noch die Urſchriften vorhanden geweſen,
obſchon die Briefe des Apoſtels von den Gemeinden ſehr hochge-
halten wurden, wie denn auch zu bezweifeln iſt, ob die Samm-
lung der Paul. Briefe aus Abſchriften von Urſchriften beſtand. —
Iſt nun unter ſolchen Umſtaͤnden auch nur moͤglich, den urſpruͤng-
lichen Text herzuſtellen? Es fehlt der Ruͤckweg dazu. Man kann
wol im Allgemeinen ſagen, daß es moͤglich ſei, aber nie die
Moͤglichkeit als ſolche beſtimmt wiſſen. So kann man ſich jenes
auch nicht zum Ziel ſezen. Die Thatſache vorausgeſezt, daß die
Handſchriften des N. T. eine ſo große Maſſe von Abweichungen
darbieten, kann man irgend eine Zeit nachweiſen, wo dieſe Ab-
weichungen nicht geweſen? Man kann vielleicht auf den Zuſtand
zuruͤckgehen, wo man ſie uͤberſehen konnte, nicht auf den, wo
ſie noch nicht waren. Schon die aͤlteſten kirchlichen Schriftſteller,
die das N. T. philologiſch behandelt haben, z. B. Origenes, fuͤh-
ren eine Menge von Abweichungen an. Da aber dieſe Anfuͤhrun-
gen nur gelegentlich ſind, ſo haben wir daran keinen ſicheren
Maaßſtab fuͤr die Maſſe der vorhandenen Abweichungen. Das
Wahrſcheinlichſte iſt, daß mehr vorhanden waren, als angefuͤhrt
werden. Alle unſere Handſchriften ſind juͤnger, als jene Anfuͤh-
rungen. So iſt es unmoͤglich auf einen Zeitpunkt zuruͤckzugehen,
wo die Abweichungen ſich noch in beſtimmte Grenzen einſchließen
laſſen.
Bei dieſer Lage der Dinge iſt zweierlei moͤglich. Der kriti-
ſche Herausgeber kann entweder etwas Gleichmaͤßiges leiſten wol-
len, dann aber muß er ſich in ſolche beſtimmte Grenzen zuruͤck-
ziehen. Dieß hat Lachmann am beſten getroffen. Oder der
Herausgeber kann ſich vornehmen, das Älteſte, was mit Sicher-
heit aufzufinden iſt, zu geben. Aber in dieſem Falle wuͤrde
immer Ungleichmaͤßiges und auch Unbeſtimmbares herauskommen,
weil man das Zeitalter unſerer Handſchriften nicht genau kennt,
und ſelbſt, wenn wir das Alter der Handſchriften genau kennten,
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Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/331>, abgerufen am 22.12.2024.
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