die Anwendung jener allgemeinen Grundsätze verhalten könne, endlich aber diese Methodenlehre so durchführt, daß nir- gends eine theologische Hemmung mehr entsteht und das theologische und philologische Moment wahrhaft organisch zu- sammenwachsen. Er hat dadurch zunächst den Theologen einen großen Dienst geleistet, und diese werden sich auch vorzugsweise sein Werk zueignen. Allein die classischen wie die orientalischen Philologen haben gleichen Anspruch, und auch wohl gleiche Pflicht, von ihm zu lernen, wie man es anzufangen habe, um die allgemeinen Grundsätze und Regeln der Auslegung und Kritik auf ein bestimmtes litterarisches Gebiet mit wissenschaftlicher Methode in Anwendung zu brin- gen. Vielleicht hat es selbst für die Philologen im engeren Sinn einen Vortheil, daß Schleiermacher gerade an dem neu- testamentlichen Gebiete die Methode anschaulich gemacht hat, weil nicht leicht ein anderes ein so abgeschlossenes Ganzes bildet, und doch mit allen andern in mehr und weniger ge- genseitiger Berührung steht, so voll eigenthümlicher Erschei- nungen und Probleme ist, und dabei mitten in der Anoma- lie so viel Regelmäßigkeit hat. So eignet es sich gerade am meisten dazu, alle irgend wesentlichen hermeneutischen und kritischen Operationen in ihren Schwierigkeiten und mannig- faltigen Verwicklungen zur Sprache zu bringen. Wer den Zusammenhang und die Gründe der exegetischen Operationen auf diesem Gebiete theoretisch versteht, wird keine große Mühe haben, auf dem regelmäßigeren classischen Gebiete sich methodisch zurecht zu finden.
Betrachten wir nun die systematische Construction selbst, so scheint mir das Hauptverdienst Schleiermachers zuerst dieß zu sein, daß er mit Ausscheidung alles Fremdartigen beide
die Anwendung jener allgemeinen Grundſaͤtze verhalten koͤnne, endlich aber dieſe Methodenlehre ſo durchfuͤhrt, daß nir- gends eine theologiſche Hemmung mehr entſteht und das theologiſche und philologiſche Moment wahrhaft organiſch zu- ſammenwachſen. Er hat dadurch zunaͤchſt den Theologen einen großen Dienſt geleiſtet, und dieſe werden ſich auch vorzugsweiſe ſein Werk zueignen. Allein die claſſiſchen wie die orientaliſchen Philologen haben gleichen Anſpruch, und auch wohl gleiche Pflicht, von ihm zu lernen, wie man es anzufangen habe, um die allgemeinen Grundſaͤtze und Regeln der Auslegung und Kritik auf ein beſtimmtes litterariſches Gebiet mit wiſſenſchaftlicher Methode in Anwendung zu brin- gen. Vielleicht hat es ſelbſt fuͤr die Philologen im engeren Sinn einen Vortheil, daß Schleiermacher gerade an dem neu- teſtamentlichen Gebiete die Methode anſchaulich gemacht hat, weil nicht leicht ein anderes ein ſo abgeſchloſſenes Ganzes bildet, und doch mit allen andern in mehr und weniger ge- genſeitiger Beruͤhrung ſteht, ſo voll eigenthuͤmlicher Erſchei- nungen und Probleme iſt, und dabei mitten in der Anoma- lie ſo viel Regelmaͤßigkeit hat. So eignet es ſich gerade am meiſten dazu, alle irgend weſentlichen hermeneutiſchen und kritiſchen Operationen in ihren Schwierigkeiten und mannig- faltigen Verwicklungen zur Sprache zu bringen. Wer den Zuſammenhang und die Gruͤnde der exegetiſchen Operationen auf dieſem Gebiete theoretiſch verſteht, wird keine große Muͤhe haben, auf dem regelmaͤßigeren claſſiſchen Gebiete ſich methodiſch zurecht zu finden.
Betrachten wir nun die ſyſtematiſche Conſtruction ſelbſt, ſo ſcheint mir das Hauptverdienſt Schleiermachers zuerſt dieß zu ſein, daß er mit Ausſcheidung alles Fremdartigen beide
<TEI><text><front><divn="1"><p><pbfacs="#f0022"n="XVI"/>
die Anwendung jener allgemeinen Grundſaͤtze verhalten koͤnne,<lb/>
endlich aber dieſe Methodenlehre ſo durchfuͤhrt, daß nir-<lb/>
gends eine theologiſche Hemmung mehr entſteht und das<lb/>
theologiſche und philologiſche Moment wahrhaft organiſch zu-<lb/>ſammenwachſen. Er hat dadurch zunaͤchſt den Theologen<lb/>
einen großen Dienſt geleiſtet, und dieſe werden ſich auch<lb/>
vorzugsweiſe ſein Werk zueignen. Allein die claſſiſchen wie<lb/>
die orientaliſchen Philologen haben gleichen Anſpruch, und<lb/>
auch wohl gleiche Pflicht, von ihm zu lernen, wie man es<lb/>
anzufangen habe, um die allgemeinen Grundſaͤtze und Regeln<lb/>
der Auslegung und Kritik auf ein beſtimmtes litterariſches<lb/>
Gebiet mit wiſſenſchaftlicher Methode in Anwendung zu brin-<lb/>
gen. Vielleicht hat es ſelbſt fuͤr die Philologen im engeren Sinn<lb/>
einen Vortheil, daß Schleiermacher gerade an dem neu-<lb/>
teſtamentlichen Gebiete die Methode anſchaulich gemacht hat,<lb/>
weil nicht leicht ein anderes ein ſo abgeſchloſſenes Ganzes<lb/>
bildet, und doch mit allen andern in mehr und weniger ge-<lb/>
genſeitiger Beruͤhrung ſteht, ſo voll eigenthuͤmlicher Erſchei-<lb/>
nungen und Probleme iſt, und dabei mitten in der Anoma-<lb/>
lie ſo viel Regelmaͤßigkeit hat. So eignet es ſich gerade<lb/>
am meiſten dazu, alle irgend weſentlichen hermeneutiſchen und<lb/>
kritiſchen Operationen in ihren Schwierigkeiten und mannig-<lb/>
faltigen Verwicklungen zur Sprache zu bringen. Wer den<lb/>
Zuſammenhang und die Gruͤnde der exegetiſchen Operationen<lb/>
auf dieſem Gebiete theoretiſch verſteht, wird keine große<lb/>
Muͤhe haben, auf dem regelmaͤßigeren claſſiſchen Gebiete ſich<lb/>
methodiſch zurecht zu finden.</p><lb/><p>Betrachten wir nun die ſyſtematiſche Conſtruction ſelbſt,<lb/>ſo ſcheint mir das Hauptverdienſt Schleiermachers zuerſt dieß<lb/>
zu ſein, daß er mit Ausſcheidung alles Fremdartigen beide<lb/></p></div></front></text></TEI>
[XVI/0022]
die Anwendung jener allgemeinen Grundſaͤtze verhalten koͤnne,
endlich aber dieſe Methodenlehre ſo durchfuͤhrt, daß nir-
gends eine theologiſche Hemmung mehr entſteht und das
theologiſche und philologiſche Moment wahrhaft organiſch zu-
ſammenwachſen. Er hat dadurch zunaͤchſt den Theologen
einen großen Dienſt geleiſtet, und dieſe werden ſich auch
vorzugsweiſe ſein Werk zueignen. Allein die claſſiſchen wie
die orientaliſchen Philologen haben gleichen Anſpruch, und
auch wohl gleiche Pflicht, von ihm zu lernen, wie man es
anzufangen habe, um die allgemeinen Grundſaͤtze und Regeln
der Auslegung und Kritik auf ein beſtimmtes litterariſches
Gebiet mit wiſſenſchaftlicher Methode in Anwendung zu brin-
gen. Vielleicht hat es ſelbſt fuͤr die Philologen im engeren Sinn
einen Vortheil, daß Schleiermacher gerade an dem neu-
teſtamentlichen Gebiete die Methode anſchaulich gemacht hat,
weil nicht leicht ein anderes ein ſo abgeſchloſſenes Ganzes
bildet, und doch mit allen andern in mehr und weniger ge-
genſeitiger Beruͤhrung ſteht, ſo voll eigenthuͤmlicher Erſchei-
nungen und Probleme iſt, und dabei mitten in der Anoma-
lie ſo viel Regelmaͤßigkeit hat. So eignet es ſich gerade
am meiſten dazu, alle irgend weſentlichen hermeneutiſchen und
kritiſchen Operationen in ihren Schwierigkeiten und mannig-
faltigen Verwicklungen zur Sprache zu bringen. Wer den
Zuſammenhang und die Gruͤnde der exegetiſchen Operationen
auf dieſem Gebiete theoretiſch verſteht, wird keine große
Muͤhe haben, auf dem regelmaͤßigeren claſſiſchen Gebiete ſich
methodiſch zurecht zu finden.
Betrachten wir nun die ſyſtematiſche Conſtruction ſelbſt,
ſo ſcheint mir das Hauptverdienſt Schleiermachers zuerſt dieß
zu ſein, daß er mit Ausſcheidung alles Fremdartigen beide
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. XVI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/22>, abgerufen am 05.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.